Maritime Urlandschaft: die Bucht der Somme. Foto: Hilke Maunder
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Baie de Somme: schönste Bucht der Picardie

Warum machen wir nicht hier noch einen Schlenker zur Baie de Somme, ehe es auf die A16 gen Norden geht? Was auf der Karte wie ein kleiner Abstecher zum Abschluss aussah, entpuppte sich als erstes als: Endlosstau.

Dicht an dicht schob sich die Fahrzeugschlange auf der D940 durch flaches Land mit Salzmarschen, Schlickzonen und weitem Blick. La Baie de Somme: eine Landschaft wie in Norddeutschland, karg und weit, Natur pur.

Le Crotoy: der Strand an der Somme. Foto: Hilke Maunder
Der Strand an der Somme. Foto: Hilke Maunder

Was wollen die hier nur alle Sonntagabend? Als Norddeutsche, denen solche amphibischen Landschaften von der Küste vertraut sind, standen meiner Tochter und mir mehr als eine Stunde Fragezeichen im Gesicht. Entnervt vom Stop & Go bogen wir ab nach Le Crotoy. Und landeten im nächsten Stau.

Diesmal kam er uns allerdings entgegen. Die Franzosen, die mittags ausgiebig im picardischen Fischerdörfchen geschlemmt hatten, fuhren jetzt heim.

Die Restaurants servierten, obgleich erst früher Abend, die letzten Getränke, säuberten die Tische und meinten: pas de dîner ici. Abends wird hier an der Somme-Mündung sonntags nichts mehr serviert.

Le Crotoy, Restaurants. Foto: Hilke Maunder
In den Restaurants von Le Crotoy kommen traditionell große schwarze Emailletöpfe mit Miesmuscheln auf den Tisch. Foto: Hilke Maunder

Muscheln & Lamm: schlemmen à la Somme

Mittags jedoch hatten die moules frites Hochsaison gehabt, verrieten die Berge an Muschelschalen in schwarzen Emailletöpfen. Und auf dem Trottoir. Hinter der Kaimauer zeigt sich, warum das winzige Dörfchen eine Hochburg des Strand- und Seafoodtourismus war.

Le Crotoy: der Strand an der Somme. Foto: Hilke Maunder
Bllick auf Le Crotoy an der Somme-Mündung. Foto: Hilke Maunder

Vor uns breitete sich der Ästuar der Somme aus, als weite Landschaft mit Watt und Strand, Prielen und Watvögeln, die nach Würmer pickten.

In der Ferne sahen wir Schafe in großen Herden über die Salzwiesen und Niederungen ziehen. Frei und ungebunden durchquerten sie den weiten Fluss, weideten auf Wiesen, die im Wechselspiel der Tiden ganz natürlich mit Salz gewürzt werden. Diese natürliche Salznote macht die Lämmer zu einer begehrten Spezialität der französischen Küche: Agneau de Pré Salé. Köstlich!

Weiden frei in der Bucht: die Schafe der Baie de la Somme. Foto: Hilke Maunder
Weiden frei in der Bucht: die Schafe der Baie de Somme. Foto: Hilke Maunder

Vor uns ließen Väter mit ihren Söhnen bunte Drachen steigen. Freundinnen saßen im Sand, klönten und lachen. Ein paar Jogger, ein paar Strandläufer, Mütter mit Kinderwagen, im Sand buddelnde Kinder – Szenen, wie gemalt. Und sehr französisch. Quel bonheur!

Inzwischen sind wir immer wieder an die Baie de Somme gereist. Wir sind mal länger, mal kürzer beim Pendeln geblieben, sind gewandert, geradelt, haben Muscheln genossen. Und vieles entdeckt, was uns begeisterte.

In Cayeux-sur-Mer beginnt die Somme-Bucht. Dort steht eine endlos lange Reihe von Strandkabinen auf groben Kieseln. Foto: Hilke Maunder
In Cayeux-sur-Mer beginnt die Somme-Bucht. Dort steht eine endlos lange Reihe von Strandkabinen auf groben Kieseln. Foto: Hilke Maunder

Ein Grand Site de France

Seit 2011 gehört auch die Mündungsbucht der Somme zu den Grands Sites de France. Den besten Einstieg bietet das Besucherzentrum Maison de la Baie de Somme. Es stellt die 250 Vogelarten, die im Mündungsgebiet der Somme rasten, nisten oder leben, in ihrer natürlichen Umgebung vor.

Die <em>Maison de la Baie de la Somme</em>.Foto: Hilke Maunder
Die Maison de la Baie de Somme.Foto: Hilke Maunder

Im Museumsshop gibt es regionale Produkte, das ganze Jahr hindurch die unterschiedlichsten Frührungen und Aktivitäten. Auch die Radrouten durch die vielen Salzmarschen und Wiesen, Fischerdörfer und Badeorte beginnen dort. Ebenfalls zur Anlage gehört eine kleine Beobachungshütte für Vogelfreunde an einem Feuchtgebiet.

Der Beobachtungsstand der <em>Maison de la Baie de la Somme</em>.Foto: Hilke Maunder
Der Beobachtungsstand der Maison de la Baie de Somme.Foto: Hilke Maunder

Richtig sportlich wird am 14. September an der Baie de Somme gestrampelt, wenn Radprofis und Amateure in Abbeville zu La Picarde durch Bucht starten – gegen die Uhr auf 191 Kilometer und 128 Kilometer langen Strecken. Oder ganz gemütlich bei der 50 Kilometer langen rando.

Das Rad- und Wanderwegenetz ist perfekt ausgebaut an der Somme-Bucht. Foto: Hilke Maunder
Das Rad- und Wanderwegenetz ist perfekt ausgebaut an der Somme-Bucht. Foto: Hilke Maunder

Schnauferlspaß an der Somme

Entspannung und Genuss verbinden jeden Sonnabend von April bis September die Dîners auf der Schiene des Chemin de fer de la Baie de Somme. Seit 1887 rattert die Schmalspurbahn mit roter Dampflok und bunten Waggons von Cayeux-sur-Mer bis nach Le Crotoy einmal rund um die weite Bucht.

Schienenwechsel für die Museumseisenbahn! Foto: Hilke Maunder
Schienenwechsel für die Museumseisenbahn! Foto: Hilke Maunder

Dabei eröffnet sie Ausblicke, die von der Straße, beim Wandern oder Radfahren nicht zu erleben sind. 2021 feierte die Bahn ihren 50. Geburtstag als Museumseisenbahn.

Die alten Waggons sind noch aus Holz gefertigt. Foto: Hilke Maunder
Die alten Waggons sind noch aus Holz gefertigt. Foto: Hilke Maunder

Der Lokwechsel im Sackbahnhof von Saint-Valéry-sur-Somme ist jedes Mal ein Hingucker. Die rotgrüne Lok wird vom den hölzernen Waggons abgekoppelt, fährt auf eine Drehscheibe, macht eine Achteldrehung und rattert dann auf einem zweiten Gleisstrang zum Zugende. Dort stellt Lokführer Xavier die Weiche von Hand um und setzt die Lok wieder an den Zug.

Lokführer Xavier. Foto: Hilke Maunder
Lokführer Xavier. Foto: Hilke Maunder

Vögel kieken!

Am Leuchtturm von Le Hourdel starten verrotières, früher Fischer zu Fuß, heute als Naturführer zu Ausflügen. Unterwegs verraten sie, welche Pflanzen und Tiere Dünen und Watt bewohnen und lassen Legenden aufleben.

Der Leuchtturm von Hourdel. Foto: Hilke Maunder
Der Leuchtturm von Hourdel. Foto: Hilke Maunder
Der Hafen von Le Hourdel fällt bei Ebbe trocken. Foto: Hilke Maunder
Der Hafen von Le Hourdel fällt bei Ebbe trocken. Foto: Hilke Maunder

Vom Leuchtturm aus führen Wanderwege entlang der Küste auch zu den Überresten des Atlantikwalls. Immer wieder tauchen Bollwerke der Nazis aus dem Zweiten Weltkrieg am Strand auf.

Die Küste zwischen der belgisch-französischen Grenze und der Somme-Bucht gehörten zu den am stärksten befestigten Abschnitten des mur de l’Atlantique an der französischen Westküste.

Bollwerk der Nazi am Somme-Strand. Foto: Hilke Maunder
Bollwerk der Nazis am Somme-Strand. Foto: Hilke Maunder

Brandenten, Löffelreiher, Graureiher und Schnepfen tummeln sich im 250 ha großen Parc Ornithologique du Marquenterre – bei Flut sind die Aussichten für Bird Spotter entlang der Lehrpfade und Beobachtungshütten im Vogelschutzgebiet am besten! Die Rückkehr der Zugvögel und den Beginn der Brut feiert alljährlich im April das Festival de l’oiseau et de la nature.

Markant: die Fassade der Altstadtkirche von Saint-Valéry-sur-Somme. Foto: Hilke Maunder

Im Spiel des Lichts und der Gezeiten erfindet sich die amphibische Landschaft immer neu und lockte schon früh die Maler. Edgar Degas, Eugène Boudin und Georges Seurat logierten im mittelalterlichen Städtchen Saint-Valéry-sur-Somme und malten Werke, die weltberühmt wurden.

Auch Jeanne d'Arc soll das Altstadttor von Saint-Valéry-sur-Somme durchschritten haben. Foto: Hilke Maunder
Auch Jeanne d’Arc soll das Altstadttor von Saint-Valéry-sur-Somme durchschritten haben. Foto: Hilke Maunder

Den Parfümeur Guerlain inspirierten die wechselnden Schattierungen von Blau, Purpur und Violett, die in der Dämmerung die Bucht in magisches Licht tauchen, zu seinem berühmten Parfum L’Heure Bleue*.

Mekka der Strandsegler

Savoir-vivre direkt am Strand der Somme. Foto: Hilke Maunder
Savoir-vivre direkt am Strand der Somme. Foto: Hilke Maunder

Wie sie damals die Somme-Bucht erlebt haben müssen, lässt das Musée Picarvie ahnen, das als Replik eines picardischen Dorfes aus dem 19. Jahrhundert 40 Berufe und Werkstätten vorstellt: Hier eine Schlosserei, dort die Schmiede, die Korbmacherei, die Schule mit ihren Holztischen, und auch das Café, in dem das Grammophon steht, fehlt nicht!

Le Crotoy ist das Mekka der Strandsegler, die bei Ebbe über den Meeresboden sausen. Das Meer ist das Lebenselexier des Ortes, in dem noch immer die Fischer mit ihren Kuttern hinausziehen. Nicht immer kehren sie sicher zurück.

Das Sperrwerk der Somme bei Le Crotoy. Foto: Hilke Maunder
Das Sperrwerk der Somme bei Le Crotoy. Foto: Hilke Maunder

Die Fête de la Mer, die Crotoy alljährlich Anfang August feiert, ist daher mehr als ein maritimes Volksfest mit Umzug und Parade, Markt und Ball. Es ist auch ein religiöses Fest.

Bei der Messe zum Auftakt wird das Meer gesegnet und um Schutz für die Fischer gebeten. Die anschließende Prozession mit Gesang der Marseillaise am Denkmal der Seeleute endet im Hafen.

Dort dampft es bereits allerorten aus großen mobilen Töpfen und Pfannen. Mittagszeit mit moules frites – die Miesmuscheln sind an der Somme-Bucht das Nationalgericht.

Sch't-Genuss: Miesmuscheln: Die Küche der Küste
Moules, Miesmuscheln, gibt es in vielen Variationen in Frankreich – aber immer mit Pommes Frites. Foto: Hilke Maunder

Schlemmergericht Salzwiesenlamm

Kein anderer Fleischlieferant – mit Ausnahme von Wild – ernährt sich noch so ursprünglich und naturnah wie das Lamm. In Frankreich grast es zu Tausenden auf den Salzwiesen der Picardie, der Normandie und der Bretagne.

77 Pflanzenarten wachsen dort auf den salzigen, sandigen Böden und verleihen dem berühmten agneau de pré-salé seinen einzigartigen Geschmack. Puccinelli, Salzmelde, Queller, Seeaster und Schlickgräser salzen und würzen das magere, zartrosa Fleisch auf ganz natürliche Weise.

Die Salzwisenschafe der Somme. Foto: Hilke Maunder

Besonders delikat sind die Salzlämmer aus den Buchten der Somme und des Mont St-Michel. Sie tragen seit 2007 bzw. 2009 das Gütesiegel AOC. Es garantiert, dass die Mutterschafe mit ihren Lämmern ab Anfang März mindestens 230 Tage auf den offenen Salzwiesen weiden.

Die Tiere legen täglich dabei 10 – 15 Kilometer zurück und leben ohne Schutz vor Regen, Schnee und Sonne in der Natur. Exakt nach 90 Tagen der Aufzucht werden die jungen Lämmer geschlachtet.

Seit dem Mittelalter holen die 13 Züchter der Baie de Somme Ende September ihre rund 3.600 Schafe von den tideabhängigen Salzwiesen zurück zu den Weiden an ihren Höfe, wo sie überwintern.

Diese traditionelle Transhumanz ist heute alljährlich Anlass für die Fête du Mouton in Crotoy. Neben den Tieren und den Verkostungen der Lammfleisch-Köstlichkeiten gehört dazu auch ein Markt mit regionalen Produkten, Musik und Geselligkeit.

Saint-Valéry-sur-Somme steckt voller Flair. Foto: Hilke Maunder
Saint-Valéry-sur-Somme steckt voller Flair. Foto: Hilke Maunder

La Baie de Somme: meine Reisetipps

Schlemmen & genießen

Auberge de la Dune

Stéphane liebt Salzwiesenlämmer – und bereitet sie auf immer neue Weise exquisit zu.
• 352, rue de la Dune, 80550 Saint-Firmin-les-Crotoy, Tel. 03 22 25 01 88, www.logishotels.com

La Conserverie de Saint Christophe

Das gehört ins Gepäck: eine hausgemachte Terrine vom Salzwiesenlamm, beim kulinarischen Wettbewerb Concours de la Capelle ausgezeichnet mit der Goldmedaille.
• Petit Chemin, 80120 Argoules, Tel. 03 22 23 91 60, www.conserverie-st-christophe.com 

Wunderschöne Hofanlage mit Ross: die <em>ferme de Beaumer</em>. Foto: Hilke Maunder
Wunderschöne Hofanlage mit Ross: die ferme de Beaumer. Foto: Hilke Maunder

In der Nähe

Die Schlachten der Somme

Die Somme… Unsere Großeltern verbanden mit dem Namen die Erinnerung an ein Blutbad. Der Erste Weltkrieg zerstörte besonders im Jahr 1916 das Département Somme. Seine Narben sind noch heute, mehr als 100 Jahre später, noch immer sichtbar: Schützengräben, Minenkrater, zerstörte und wiederauferstandene Vegetation, aber auch Dörfer, die vollkommen dem Erdboden gleichgemacht wurden.

Die wichtigsten Gedenkstätten, Denkmäler, Relikte, Museen und Friedhöfe könnt ihr auf dem „Rundweg der Erinnerung“ entdeckt werden, der im Hinterland der Somme-Bucht Albert und Péronne miteinander verbindet.

Amiens

Nur 70 Kilometer trennen die Sommebucht von der Heimatstadt des französischen Präsidenten Macron, Amiens. Die Stadt überragt eine Kathedrale, die 2020 ihren 800. Geburtstag feierte. Amiens ist zudem berühmt für seine schwimmenden Gemüsegärten. Mehr zu Amiens und seinen Sehenswürdigkeiten erfahrt ihr hier.

Der homme sur sa bouée steht mitten in der Somme auf einer Boje. Foto: Hilke Maunder
Der homme sur sa bouée steht mitten in der Somme auf einer Boje. Foto: Hilke Maunder

Weiterlesen

Im Blog

Alle Beiträge aus der Picardie vereint diese Kategorie.

Im Buch

Das ganze Land

Klaus Simon, Hilke Maunder, Secret Citys Frankreich*

Gemeinsam mit meinem geschätzten Kollegen Klaus Simon stelle ich in diesem Band 60 Orte in Frankreich vor, die echte Perlen abseits des touristischen Mainstreams sind. Le Malzieu in der Lozère, Langogne im Massif Central, aber auch Dax, das den meisten wohl nur als Kurort bekannt ist.

Mit dabei sind auch Senlis, eine filmreife Stadt im Norden von Frankreich, und viele andere tolle Destinationen. Frankreich für Kenner  – und Neugierige!

Lasst euch zu neuen Entdeckungen inspirieren… oder träumt euch dorthin beim Blättern im Sessel oder am Kamin. Wer mag, kann das Lesebuch mit schönen Bildern hier* bestellen.

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9 Kommentare

  1. Liebe Hilke, in Cappy an der Somme gibt es das Restaurant Le Gral de Cappy, hier wird noch ursprünglich gekocht. Jeden Mittag kommen die Kinder der nahen Schule und bekommen ihr Essen im Restaurant serviert. Ein herrlicher Anblick. Alle genießen das Essen und fühlen sich wohl.

  2. Liebe Hilke, wir waren mit unserem Boot vor 14 Tagen in Valery sur Somme, haben die Eisenbahn genossen, Moules frites genossen und kommen nun mit unserem Enkel wieder zurück. Es ist eine herrliche Gegend und für uns Bootfahrer ein absoluter Traum der Ruhe und der Entspannung.

  3. Vielen Dank für die wundervolle Beschreibung meiner Lieblingsbucht, die ich seit 50 Jahren immer wieder besuche. Moules frites gehören in Le Crotoy auch immer zum Standard, genau wie der Besuch von den ausgezeichneten Fischlokale.
    Ergänzend hätte ich noch zwei Highlights, die man bei einem Aufenthalt in Le Crotoy mit dem Fahrrad erreichen kann:
    Église du Hamelet mit seinem an den Schiffsbau erinnernde Dachkonstruktion
    Église du Hamelet
    https://maps.app.goo.gl/gUZB8v2EupwvEGFP8

    Nolette
    Chinesischer WWI Militär Friedhof von Nolette
    https://maps.app.goo.gl/RKCBcG5PcdnK5QNx7

    Grüße Horst

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