Mers-les-Bains hat an der Alabasterküste nostalgische Badekabinen der Belle Époque bewahrt. Foto: Hilke Maunder
| |

Mers-les-Bains: Belle Époque am Strand

Mers-les-Bains zeigt am Strand Farbe. Das Küstenstädtchen am Ärmelkanal hat mit Blick auf die Klippen der Alabasterküste hat ein faszinierend farbiges Strandviertel aus der Belle Époque bewahrt

Im späten 19. Jahrhundert erlebten die Küsten der Normandie und Picardie dank der Eisenbahn einen enormen Aufschwung, und Fischerdörfer wandelten sich zu eleganten Badeorten. So auch Mers-les-Bains. Als die Bahn im Jahr 1872 in Mers ankam, was nichts anderes heißt als „Sumpf“ im Picard, war der Ort noch ein Fischer- und Bauerndorf mitten auf den Feldern am Fuße der Kalksteinfelsen. Doch dank der Bahn stieg es binnen kürzester Zeit zu einem angesagten Rückzugsort für wohlhabende Pariser aufstieg.

Plötzlich en vogue: ein Bad im Meer

Jahrhundertelang waren Frankreichs Küsten fest in der Hand der Fischer, Schmuggler und Zöllner gewesen. Doch 1822 beschlossen die Abgeordneten von Dieppe, eine Mode aus England zu übernehmen und ein Bad à la lame einzuführen. Noch im selben Jahr machte es die Herzogin von Berry berühmt:  Sie stieg für das medizinische Bad nicht mehr am Strand in die Wanne, sondern wagte sich ins Meer und genoss die Massage der Wellen.

Ein Badeurlaub im Meer war fortan en vogue – und wurde durch die Bahn demokratisiert. Strände, die einst mehrere Tage von Paris entfernt waren, konnten nun binnen weniger Stunden erreicht werden.

Mit der Bahn ans Meer

Backstein und farbiges Holz: eine schöne Kombination! Foto: Hilke Maunder
Backstein und farbiges Holz: eine schöne Kombination! Foto: Hilke Maunder

1872 erhielt auch Mers einen Bahnhof – und nennt sich seitdem Mers-les-Bains. Damals gab es noch keinen bezahlten Urlaub, und nur Aristokratie und Bourgeoisie konnte sich einen solchen Urlaub leisten.

Vom Boom des Badewesens zeugen heute ihre prachtvollen Villen. Fast 600 Belle-Époque-Villen entstanden mit Blick auf den Kieselstrand und die Klippen der Küste.  Die ersten Villen wurden rund um die Wiese gebaut, auf der sich heute der Markt befindet.  Ihre Stile sind so vielfältig wie die Vorlieben der einstigen Eigentümer – und bilden doch eine harmonische Mischung.

Anglo-normannische Villen stehen neben maurischen oder flämischen Fassaden. Renaissance trifft auf Empire, Gotik auf Art déco. Schmal und zwei bis drei Stockwerke hoch sind die Häuser, tief und lang die Parzellen – denn jeder wünschte sich den unverstellten Blick aufs Meer. Bow windows, aus England übernommen, vergrößerten die Aussicht der Fenster.

Da es für Gärten keinen Platz oder Plan gab, wurden die Fassaden mit hölzernen oder schmiedeeisernen Balkone gescmückt, insbesondere in der Rue Boucher-de-Per.

 

Im denkmalgeschützten Viertel von Mers-les-Bains. Foto: Hilke Maunder
Erker und Balkone dürfen nicht fehlen! Foto: Hilke Maunder

Charmanter Stilmix

Mit Begeisterung ließen sich die Architekten auch von den Weltausstellungen inspirieren, die 1855, 1878, 1889 und 1900 in Paris stattgefunden hatten. Gebaut wurde wie einst: mit Ziegel und Feuerstein. Erst später wurden sie unter Putz versteckt. Die Dächer bedeckten Schieferschindeln. Die Industrialisierung der Produktionsmittel brachte neue Materialien. Besonders Keramik kam in Mers-les-Bains üppig zum Einsatz.

In den Fabriken von Brault et Gilardoni und Hippolyte Boulenger et Compagnie in Choisy-le-Roi (Val-de-Marne) liefen die Brennöfen auf Hochtouren. Ihre bunten Fliesen sorgten für Farbe auf den Fassaden und waren ein begehrtes dekoratives Element, um Status und Individualität zu zeigen.

Aufwendige Schnitzereien mit Motiven der Natur schmücken die Holzbalkone, Gießerei- oder Eisenverzierungen die Erker und Balkone. Bei Sonnenuntergang lässt das letzte Licht der Sonne die Fassaden leuchten. Bei Ebbe spiegeln sie sich auf dem Meeresboden.

m denkmalgeschützten Viertel von Mers-les-Bains. Foto: Hilke Maunder
Im denkmalgeschützten Viertel von Mers-les-Bains. Foto: Hilke Maunder

Die Künstler von Mers-les-Bains

Mit seinen pastellfarbenen und bisweilen auch sehr bunten Villen verzauberte Mers-les-Bains. Nur allzu gerne ließen sich  mit kunstvoll verzierten Balkonen und Erkern verzaubern zu zarten Aquarellten, fingen die Kraft des Meeres in Öl ein oder bannten die Klippen in immer neuem Licht auf die Leinwand.

Mers-les-Bains wurde – wie weiter südlich zur gleichen Zeit auch Étretat – zu einem Ort, an dem sich Künstler, Schriftsteller und Intellektuelle trafen, um Inspiration aus der malerischen Umgebung zu schöpfen. Die Spuren dieser kreativen Vergangenheit sind bis heute in den charmanten Gassen und historischen Gebäuden spürbar.

Der Maler Antoine Vollon (Lyon 1833 – Paris 1900) und sein Sohn Alexis Vollon (1865-1940) wohnten lange Zeit in einem kleinen Bauernhaus in der Rue André Dumont, der Vater von 1863 bis 1882. Antoine Vollon war in der damaligen Zeit ein gefragter Spezialist für Stillleben.

Auch der Maler Jules Noël widmete Mers-les-Bains einige Gemälde, darunter das berühmte Werk „Ankunft einer Postkutsche in Tréport“ (1878), das heute im Museum von Quimper zu bewundern ist. Es zeigt den Abstieg von der Hochebene nach Mers-les-Bains.

Marie-Josèphe Cotelle-Clère, eine inzwischen verstorbene Künstlerin und Bildhauerin, organisierte in Mers-les-Bains bis zu ihrem Tod  jeden Sommer einen Salon de l’école française im Badeort, als Verkaufsausstellung für Künstler …und hinterließ auch selbst einige Werke in Mers-les- Bains. Dazu gehören ein Pierre Lefort gewidmetes Bronzemedaillon, eine Innendekoration der Johannes-Paul-II.-Kapelle sowie drei Hochreliefs, die die Schutzheilige von Eu, Mers und le Tréport auf dem Sockel der Statue von Notre-Dame de la Falaise zeigen.

Nicht nur die Maler, auch die Literaten kamen gerne hier an die Alabasterküste. Jules Verne urlaubte mit seiner Frau Honorine, seinem Sohn Michel in Mers-les-Bains und machte mit seinem Segelboot, der Saint-Michel, im Hafen von Le Tréport fest.

Der Blick von den Klippen der Alabasterküste über Le Tréport hin nach Mers-les-Bains. Foto: Hilke Maunder
Der Blick von den Klippen der Alabasterküste über Le Tréport hin nach Mers-les-Bains. Foto: Hilke Maunder

Frankreichs Nationaldichter Victor Hugo entdeckte Mers-les-Bains von der nahegelegenen Hafenstadt Le Tréport aus. In seinen Briefen an Adèle berichtete er von seiner Entdeckung des „Dörfchens gegenüber von Le Tréport“, wohin er gelegentlich ging. Mehr zu Victor Hugo und seiner Zeit in Mers-les-Bains verrät online dieser Text von Jacques Martinoli.

Noch stolzer jedoch ist Mers-les-Bains auf Eugène Dabit. Der Autor des berühmten Romans L’Hôtel du Nord* wurde am 21. September 1898 in Mers-les-Bains. Eine Gedenktafel am Geburtshaus in der Rue Jules-Barni erinnert an ihn. Dabit gehört einer proletarischen Literaturgruppe und erhielt für seinen Bestseller-Roman den Preis für populistische Romane gekrönt. 1938 verfilmte ihn Marcel Carné am Canal Saint-Martin von Paris mit  Arletty und Louis Jouvet in den Hauptrollen.

Die Fête des Baigneurs

Seit 1986 sind die Strandvillen entlang der Strandpromenaden und den umliegenden Straßen als Secteur Sauvegardé klassifiziert. Führungen des Office de Tourisme stellen sie vor. Alljährlich am vierten Juli-Wochenende kehrt seit 2002 bei der Fête des Baigneurs die Belle Époque zurück nach Mers-les-Bains. Diese Epoche vom späten 19. Jahrhundert bis zur Entfesselung des Ersten Weltkriegs im Jahr 1914 weckt auch heute noch die Sehnsucht nach einer unbeschwerten, fröhlichen und fortschrittsgläubigen Welt.

Die Belle Époque war in Frankreich die Zeit der Elektrizität, des Radios, des Fahrrads, des Autos und des Zugs. Literatur und Kunst blühten. Man las Baudelaire, Hugo und Zola, erlebte das Kino der Brüder Lumière, die Werke der Impressionisten und die sinnlichen Skulpturen von Rodin. Frauen konnten nun studieren, wurden Lehrerinnen oder Forscherinnen wie Marie Curie. Beim Fest der Badenden begegnet ihr all diesen berühmten Figuren. Dann zeigt man sich kostümiert, reist im Dampfzug oder Oldtimer – und lernt einstige Trendtänze wie den Charleston.

Der Blick von Mers-les-Bains hinüber nach Le Tréport in der Normandie. Foto: Hilke Maunder
Der Blick von Mers-les-Bains hinüber nach Le Tréport in der Normandie. Foto: Hilke Maunder

Mers-les-Bains: meine Reisetipps

Schlemmen und genießen

Le goût du large

Kulinarisch lohnt sich ein Ausflug ans andere Ufer der Bresle nach Le Tréport. Dort spielt der junge Chefkoch Jonathan Selliez unglaublich gekonnt mit Texturen und Aromen bei seiner lokal verwurzelten Jahreszeiten-Küche. Sämtlicher Fisch auf der Karte stammt aus nachhaltigem Fischfang.
• 4, place Notre Dame, 76470 Le Tréport, Tel. 02 35 84 39 87, https://legoutdularge.octotable.com

La Belle Plage Label Vie

Zum Apéro trifft man sich in Mers-les-Bains auf der Terrasse dieser Bar mit Blick auf den Strand und die Klippen von Le Tréport und genießt die Speisen und Getränke auf den Palettenbänken.
• Esplanade du Général Leclerc, 80350 Mers-les-Bains, Tel. 06 82 26 23 51, www.facebook.com/labelleplagelabelvie

Hier könnt ihr schlafen*
Booking.com

Im denkmalgeschützten Viertel von Mers-les-Bains ist auch diese Kekswerbung auf der Fassade erhalten. Foto: Hilke Maunder
Im denkmalgeschützten Viertel von Mers-les-Bains ist auch diese Kekswerbung auf der Fassade erhalten. Foto: Hilke Maunder

In der Nähe

Le Tréport

Mers-les-Bains und Le Tréport werden oft „Schwesterstädte“ genannt. Doch sie könnten nicht unterschiedlicher sein! Ihre Grenze bildet die Bresle – ihre Wasser machten die vallée de la Bresle zur Heimat zahlreicher Glasbläsereien.

Mers-les-Bains ist picardisch, Le Tréport liegt bereits in der Normandie. Mers-les-Bains wandelte sich zum Seebad. Le Tréport war und ist bis heute ein bedeutender Hafen. Besonders die Heringsfischerei boomte zur Belle Époque in Le Tréport.

Le Tréport schmiegt sich direkt an die Klippen der Alabasterküste.378 Stufen – und eine kleine, kostenlose (!) Drahtseilbahn von 1908 – verbinden Unter- und Oberstadt. Von dort bietet der Aussichtspunkt Calvaire des Terrasses einen Paradeblick auf Ort, Fluss und Klippen.

Entlang der Hafenpromenade Quai François Ier servieren Bars und Restaurants Fisch und Meeresfrüchte, die gegenüber in der Poissonnerie Municipale fangfrisch verkauft werden. Die Geschichte des Orts erzählt das Musée du Vieux Tréport im ehemaligen Gefängnis der Rue Anguainerie.

Heimatstolz: "Picardie", verrät eine Badekabine. Foto: Hilke Maunder
Heimatstolz: „Picardie“, verrät eine Badekabine. Foto: Hilke Maunder

Ault

Acht Kilometer nördlich von Le Tréport endet bei Ault die Côte d’Albâtre, und noch einmal eröffnen die für diesen Teil des Ärmelkanals so typischen weißen Kreidefelsen einen herrlichen Blick auf das Meer.

Das alte Fischerdorf Ault wurd im 18. Jahrhundert Opfer heftiger Stürme und zog daraufhin weiter landein, den Hang hinauf.  Das Wahrzeichen von Ault ist der strahlend weiße Leuchtturm  mit seiner roten Laterne.

Weiter gen Norden senkt sich die Küste ab zum marais du Hâble d’Ault, einer amphibischen Urlandschaft mit Wiesen und Sümpfen, die heute als ornithologisches Reservat geschützt ist.

Ault, das nördlichste Dorf an der Alabasterküste. Foto: Hilke Maunder
Ault, das nördlichste Dorf an der Alabasterküste. Foto: Hilke Maunder

Keine Bezahlschranke. Sondern freies Wissen für alle.
Keine Werbung. Sondern Journalismus mit Passion.
Faktentreu und frankophil.
Das gefällt Dir? Dann wirf‘ etwas in die virtuelle Kaffeetasse.
Unterstütze den Blog! Per Banküberweisung. Oder via PayPal.

Weiterlesen

Im Blog

https://meinfrankreich.com/saint-aubin_alabasterkueste/

Côte d’Albâtre: Frankreichs hellste Klippen

Im Buch

Secret Places Frankreich

Secret Places Frankreich*

Eiffelturm, Lavendelfelder und die Schlösser der Loire sind weltbekannte Ziele in Frankreich. 60 wunderschöne Orte abseits des Trubels stellen Klaus Simon und ich in unserem dritten Gemeinschaftswerk vor.

Die Schluchten von Galamus, die Gärten von Marqueyssac, Saint-Guilhelm-le-Désert, Mers-les-Bains, den Bugey oder die Île d’Yeu: Entdeckt unsere lieux insolites voller Frankreich-Flair!  Wer mag, kann den Band hier* online bestellen.

 * Durch den Kauf über den Partner-Link, den ein Sternchen markiert, kannst Du diesen Blog unterstützen und werbefrei halten. Für Dich entstehen keine Mehrkosten. Ganz herzlichen Dank – merci !

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert