Mers-les-Bains: Belle Époque am Strand

Mers-les-Bains hat an der Alabasterküste nostalgische Badekabinen der Belle Époque bewahrt. Foto: Hilke Maunder
Mers-les-Bains hat an der Alabasterküste nostalgische Badekabinen der Belle Époque bewahrt. Foto: Hilke Maunder

In der Belle Époque erlebten die Küsten der Normandie und Picardie dank der Eisenbahn einen enormen Aufschwung, und Fischerdörfer wandelten sich zu eleganten Badeorten. Mers-les-Bains hat ein faszinierend farbiges Strandviertel aus jener Zeit bewahrt.

Jahrhundertelang waren Frankreichs Küsten fest in der Hand der Fischer, Schmuggler und Zöllner. Doch 1822 beschlossen die Abgeordneten von Dieppe, eine Mode aus England zu übernehmen und ein Bad à la lame einzuführen. Noch im gleichen Jahr machte es die Herzogin von Berry berühmt:  Sie stieg für das medizinische Bad nicht mehr am Strand in die Wanne, sondern wagte sich ins Meer und genoss die Massage der Wellen.

Ein Badeurlaub im Meer war fortan en vogue – und wurde durch die Bahn demokratisiert. Strände, die einst mehrere Tage von Paris entfernt waren, konnten nun binnen weniger Stunden erreicht werden.

Mit der Bahn ans Meer

Backstein und farbiges Holz: eine schöne Kombination! Foto: Hilke Maunder
Backstein und farbiges Holz: eine schöne Kombination! Foto: Hilke Maunder

1872 erhielt auch Mers einen Bahnhof – und nennt sich seitdem Mers-les-Bains. Damals gab es noch keinen bezahlten Urlaub, und nur Aristokratie und Bourgeoisie konnte sich einen solchen Urlaub leisten.

Vom Boom des Badewesens zeugen heute ihre prachtvollen Villen. Fast 600 Belle-Époque-Villen entstanden mit Blick auf den Kieselstrand und die Klippen der Küste. Ihre Stile sind so vielfältig wie die Vorlieben der einstigen Eigentümer – und bilden doch eine harmonische Mischung.

Anglo-normannische Villen stehen neben maurischen oder flämischen Fassaden. Renaissance trifft auf Empire, Gotik auf Art déco. Schmal und zwei bis drei Stockwerke hoch sind die Häuser, tief und lang die Parzellen – denn jeder wünschte sich den unverstellten Blick aufs Meer. Bow windows, aus England übernommen, vergrößerten die Aussicht der Fenster.

Im denkmalgeschützten Viertel von Mers-les-Bains. Foto: Hilke Maunder
Erker und Balkone dürfen nicht fehlen! Foto: Hilke Maunder

Charmanter Stilmix

Mit Begeisterung ließen sich die Architekten auch von den Weltausstellungen inspirieren, die 1855, 1878, 1889 und 1900 in Paris stattgefunden hatten. Gebaut wurde wie einst: mit Ziegel und Feuerstein. Erst später wurden sie unter Putz versteckt. Die Dächer bedeckten Schieferschindeln. Die Industrialisierung der Produktionsmittel brachte neue Materialien. Besonders Keramik kam in Mers-les-Bains üppig zum Einsatz.

In den Fabriken von Brault et Gilardoni und Hippolyte Boulenger et Compagnie in Choisy-le-Roi (Val-de-Marne) liefen die Brennöfen auf Hochtouren. Ihre bunten Fliesen sorgten für Farbe auf den Fassaden und waren ein begehrtes dekoratives Element, um Status und Individualität zu zeigen. Aufwendige Schnitzereien mit Motiven der Natur schmücken die Holzbalkone, Gießerei- oder Eisenverzierungen die Erker und Balkone. Bei Sonnenuntergang lässt das letzte Licht der Sonne die Fassaden leuchten. Bei Ebbe spiegeln sie sich auf dem Meeresboden.

m denkmalgeschützten Viertel von Mers-les-Bains. Foto: Hilke Maunder
m denkmalgeschützten Viertel von Mers-les-Bains. Foto: Hilke Maunder

Die Fête des Baigneurs

Seit 1986 sind die Strandvillen entlang der Strandpromenaden und den umliegenden Straßen als Secteur Sauvegardé klassifiziert. Führungen des Office de Tourisme stellen sie vor. Alljährlich am vierten Juli-Wochenende kehrt seit 2002 bei der Fête des Baigneurs die Belle Époque zurück nach Mers-les-Bains. Diese Epoche vom späten 19. Jahrhundert bis zur Entfesselung des Ersten Weltkriegs im Jahr 1914 weckt auch heute noch die Sehnsucht nach einer unbeschwerten, fröhlichen und fortschrittsgläubigen Welt.

Die Belle Époque war in Frankreich die Zeit der Elektrizität, des Radios, des Fahrrads, des Autos und des Zugs. Literatur und Kunst blühten. Man las Baudelaire, Hugo und Zola, erlebte das Kino der Brüder Lumière, die Werke der Impressionisten und die sinnlichen Skulpturen von Rodin. Frauen konnten nun studieren, wurden Lehrerinnen oder Forscherinnen wie Marie Curie. Beim Fest der Badenden begegnet ihr all ihnen. Dann zeigt man sich kostümiert, reist im Dampfzug oder Oldtimer – und lernt einstige Trendtänze wie den Charleston.

Der Blick von Mers-les-Bains hinüber nach Le Tréport in der Normandie. Foto: Hilke Maunder
Der Blick von Mers-les-Bains hinüber nach Le Tréport in der Normandie. Foto: Hilke Maunder

Mers-les-Bains: meine Reisetipps

Schlemmen und genießen

Le goût du large

Kulinarisch lohnt sich ein Ausflug ans andere Ufer der Bresle nach Le Tréport. Dort spielt der junge Chefkoch Jonathan Selliez unglaublich gekonnt mit Texturen und Aromen bei seiner lokal verwurzelten Jahreszeiten-Küche. Sämtlicher Fisch auf der Karte stammt aus nachhaltigem Fischfang.
• 4, Place Notre Dame, 76470 Le Tréport, Tel. 02 35 84 39 87, https://legoutdularge.octotable.com

La Belle Plage Label Vie

Zum Apéro trifft man sich in Mers-les-Bains auf der Terrasse dieser Bar mit Blick auf den Strand und die Klippen von Le Tréport und genießt die Speisen und Getränke auf den Palettenbänken.
• Esp. du Général Leclerc, 80350 Mers-les-Bains, Tel. 06 82 26 23 51, www.facebook.com/labelleplagelabelvie

Hier könnt ihr schlafen*
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Im denkmalgeschützten Viertel von Mers-les-Bains ist auch diese Kekswerbung auf der Fassade erhalten. Foto: Hilke Maunder
Im denkmalgeschützten Viertel von Mers-les-Bains ist auch diese Kekswerbung auf der Fassade erhalten. Foto: Hilke Maunder

In der Nähe

Le Tréport

Die Bresle ist die Grenze: Le Tréport liegt bereits in der Normandie.  Der Fischerei- und Badeort schmiegt sich an die Klippen der Alabasterküste.378 Stufen – und eine kleine, kostenlose (!) Drahtseilbahn von 1908 – verbinden Unter- und Oberstadt. Von dort bietet der Aussichtspunkt Calvaire des Terrasses einen Paradeblick auf Ort, Fluss und Klippen.

Entlang der Hafenpromenade Quai François Ier servieren Bars und Restaurants Fisch und Meeresfrüchte, die gegenüber in der Poissonnerie Municipale fangfrisch verkauft werden. Die Geschichte des Orts erzählt das Musée du Vieux Tréport im ehemaligen Gefängnis der Rue Anguainerie.

Heimatstolz: "Picardie", verrät eine Badekabine. Foto: Hilke Maunder
Heimatstolz: „Picardie“, verrät eine Badekabine. Foto: Hilke Maunder

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