Oh, mon château: Frankreichs Schlösser
Bienvenue au château! 45.000 — So viele Schlösser soll es in Frankreich geben. Und damit mehr als eine Burg oder ein Schloss pro Kommune im Land. Denn der Begriff château verrät nicht die Bauart, sondern den sozialen Stand.
Die châteaux sind ausschließlich dem Hochadel vorbehalten. Wer zum niederen Adel zählt, logiert in einem Herrenhaus (manoir) oder einer maison forte, einem befestigten Haus.
Vom castrum zum Kastell
Die Burg als befestigter Wohnsitz ist untrennbar mit dem Mittelalter verbunden. Schon der Ursprung des Wortes – vom Lateinischen castellum, Festung, Verkleinerungsform von castrum, Lager – verdeutlicht seine ursprüngliche Aufgabe.
Als Symbol der Macht über Menschen und Land entwickelte sich das château im späten Mittelalter zu jenem Ort, an dem Fürsten und Könige residierten.
Die Burgen des Mittelalters
1190 ließ König Philippe Auguste in Paris die quadratische Festung des Louvre bauen. Er setzte einen 30 Meter hohen Belfried hinein und umgab das Anwesen mit einem Wassergraben. Sein château fort am Seine-Ufer weckte den Ehrgeiz seiner hochadligen Zeitgenossen, die ihn zu übertrumpfen suchten.
Das spektakulärste Beispiel ist die Burg von Coucy aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Der Wehrbau in Coucy-le-Château-Auffrique (Aisne) gehört zu den massivsten Burgen, die je in Frankreich errichtet wurden. Allein der Bergfried war 55 Meter hoch und hatte sieben Meter dicke Mauern!
Als Mitte des 14. Jahrhunderts Kanonen aufkamen, erhielten die chateaux forts vergrößerte Schießscharten, Kanonenschächte und Terrassen, um die Schwergewichte aufzustellen. Im Hundertjährigen Krieg (1337-1475) stellten sie ihre Effizienz ein letztes Mal unter Beweis.
Die Guts-Burgen des niederen Adels in der Normandie
Zwischen Caen und Lisieux hat das Château de Crèvecœur im Herzen des Pays d’Auge seine mittelalterliche Anlage als eines der wenigen erhaltenen Beispiele einer mittelalterlichen Hofanlage bzw. Burganlage eines niederen Adels in der Normandie bis heute bewahrt. Bis ins 11. Jahrhundert reichen seine Wurzeln.Das Staunen beginnt bereits am Torhaus mit seinem Schachbrettmuster aus hellem und dunklem Stein. Ein sandiger Weg führt über den Wassergraben, der die gesamte Anlage umgibt, hin zur Basse Cour.
Der untere Burghof birgt im Herzen eine große Wiese, auf der einst das Vieh weidete. Am Rand sind sämtliche Wirtschaftsgebäude der Burg im Ring vereint: ein großes Bauernhaus samt benachbarter Scheune, eine kleine Kapelle aus dem 17. Jahrhundert und ein Taubenhaus für 1500 Vögel. Allesamt sind sie aus Fachwerk errichtet mit dunklem Holz und goldgelben Fächern aus Lehm.
Wuchtige hohe Mauern und ein weiterer Wassergraben schützen die Haute Cour, den kleineren, oberen Burghof mit dem Fachwerk-Logis des adligen Gutsherrn und tiefen Brunnen neben einer ausladenden Platane. Jenseits des Wassergrabens der Basse Cour erstreckt sich eine Streuobstwiese, auf der 26 heimische Apfelsorten wachsen. Im Herbst biegen sich die Äste der uralten Bäume unter der Last ihrer saftigen Früchte und berühren die Blumen im Gras.
Die Residenzen der Renaissance
Dann leiteten Metallkugeln und Artillerie den Niedergang der mittelalterlichen Burg ein. Der Friede brachte die Renaissance nach Frankreich – und mit ihr die Residenz.
Nach außen symmetrisch und offen gestaltet, mit Sprossenfenster, Erkern und Türmen, barg sie im Innern lange Galerien für Empfänge und Kunstsammlungen und große Säle für glanzvolle Feste.
Ziergärten setzten das Schloss repräsentativ in Szene. In den versteckten Winkeln der Gärten wurden Nymphäen angelegt, künstliche Grotten mit Mosaiken und Muscheln, die Orte der Träume, der Vertraulichkeit und der Lust waren.
Als Paradeschloss solch einer Residenz gilt das Château de Chambord im Loire-Tal der Schlösser. In der Drôme entstand mit dem Château de Grignan die größte Residenz der Renaissance von Südfrankreich.
Prunk und Pracht des Barocks
Die klassischen Schlösser entstanden, als die Tischler unter der Ägide von Heinrich IV. und Ludwig XIII. die großen Holzfenster meisterten.
Gebaut wurde nun, wo es Platz gab für die langen, symmetrischen Fassaden der Schlösser, die tiefen Perspektiven französischer Gärten und die groß angelegten Wasserflächen: auf dem Lande. Sonnenkönig Ludwig XIV. machte Versailles zum Archetyp des Barockschlosses.
Die folie auf dem Lande
Die Rückkehr in die Stadt, wo Manufakturen und Handel eine Großbourgeoisie entstehen ließen, schuf neue Schlösser, verspielter und zarter als das Palais in der Stadt: die folie auf dem Lande. Boudoirs und Bäder machten sie als Vorläufer des Ferienhauses schon bald zum Ziel für galante Treffen. In Nantes säumen sie die Ufer der Erdre. In Montpellier sind sie eine Tagesreise per Kutsche von der Stadt entfernt.
Das Château de la Reynerie
Auch in Toulouse gab es eine solche folie: das Château de la Reynerie. 1781 ließ Guillaume Dubarry das Landschlösschen aus Backstein erbauen, die Fenster in Sandstein einfassen, in der Rotunde ein Musikzimmer einrichten und das Vestibül mit Marmor auskleiden.
Ein Skandal!
La Reynerie war sein Ruhepol, weit weg von Klatsch und Tratsch. Denn 1769 hatte er auf den Druck seines Bruders Jean Baptiste Dubarry hin in einer mariage blanc die berühmteste Hure Frankreichs geheiratet: Jeanne Bécu. Diese Hochzeit machte die uneheliche Tochter einer Näherin und eines Franziskaners hoffähig. Als Comtesse du Barry wurde sie die Mätresse des alternden Königs Ludwig XV.
Bruder und Ehemann vergrößerten so ihren Einfluss bei Hofe. Nach dem Tod des Regenten in Ungnade gefallen, verbrachte Dubarry die Winter in seinem Privathaus in der Rue du Sénéchal, die Sommer auf dem Château de la Reynerie. Bis heute erhebt es sich auf dem höchsten Punkt einer 4,5 Hektar großen Grünanlage mit einem See – mitten im quartier Mirail, einem sozialen Brennpunkt der rosaroten Stadt.
J’ai bâti de si beaux châteaux que les ruines m’en suffiraient.
Ich habe so schöne Schlösser gebaut, dass mir die Ruinen genügen würden.Jules Renard (1864 – 1910), in: Journal, 2. Juni 1890, S.52
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