Postkarte aus … Orléans
Einst wurde Orléans für die Qualität seines Weins und Wassers, die Reinheit seiner Luft und die Schönheit seiner Häuser gerühmt. Im Jahr 1820 zählte die von den Königen so geliebte Stadt zu den sechs reichsten Städten Frankreichs.
Doch dann begann der Niedergang – trotz der Eisenbahnlinie, die Orléans ab 1820 mit Paris verband. Erst in den 1960er-Jahren begann die Renaissance von Orléans, als die Stadt wieder eine Universität beherbergte und ihr Image langsam wieder aufpolierte.
Die Universität Orléans ist eine der ältesten Universitäten Frankreichs. Bereits im Mittelalter besaß sie das Privileg, römisches Recht zu lehren, was in Paris vom 13. bis zum 17. Jahrhundert verboten war.
Gefeuert von der Uni
Deshalb kamen Professoren und Studenten aus Paris nach Orléans. Aus Platzmangel unterrichteten die Professoren meist in ihren eigenen Wohnungen. Auch der große Schauspieler und Dramatiker Molière studierte kurz in Orléans, bevor er wegen seiner Teilnahme am Karneval der Universität verwiesen wurde.
Heute gehört die Partnerstadt von Münster zu den Vorreitern einer nachhaltigen Stadtentwicklung, lässt Niederflur-Trams leise durch Rabatten sausen, auf denen sich zuvor der Autoverkehr staute, hat zahlreiche Straßen in Bummelmeilen verwandelt und Hängematten in die Rasenflächen am rechten Loire-Ufer gestellt.
Antike Wurzeln
An den Pontons dümpeln Holzboote. Sie haben nur einen geringen Tiefgang, aber einen großen Mast, um allfälligen Wind zu nutzen. Zum Passieren der Brücken kann der Mast abgesenkt werden.
Zur Antike, als Orléans noch Cenabum hieß, gab es nur wenige Brücken, und die Loire war gefährlich. Im Jahr 52. n. Christus eroberte Cäsar den Ort, den Kaiser Aurelian rund 200 Jahre später in Aurelianum umbenennen ließ.
Die Völkerwanderung brachte Vandalen und Alanen, das Mittelalter Macht und Einfluss: Orléans gehörte damals neben Rouen und Paris zu den reichsten Städten Frankreichs. Stolz ließen sich Hugo Capet und Ludwig VI. der Dicke in der Kathedrale von Orléans krönen.
Die Stadtheldin
Berühmt wurde ein Bauernmädchen, das die Stadt während des Hundertjährigen Krieges von den Engländern befreite: Jeanne d’Arc. Doch der dank Jeanne auf dem Thron sitzende König Karl VII. wandte sich von ihr ab.Die Bewohner verehren „ihre Johanna“ bis heute und feiern sie Anfang Mai bei den Fêtes de Jeanne d’Arc.
Bomben und Brände setzten Orléans im Zweiten Weltkrieg stark zu. Außerhalb des historischen Zentrums, 2002 komplett saniert, sind die Narben sichtbar: Beton- und Plattenbau statt historischer Bebauung. Doch das Herz von Orléans ist ein Freilichtmuseum der Architektur und Spiegelbild der Pracht der Renaissance.
Banner-Parade
Das bekannteste Bauwerk von Orléans ist die mehrmals wiederaufgebaute Heiligkreuzkathedrale. Ihr Stil ist eine Mischung aus Renaissance und Louis XIV. mit einem verspielten Säulenkranz der oberen Geschosse und der imposanten Westfassade.
Die Gotik in der Tradition der französischen Architektur ist spürbar. Für den Dichter Marcel Proust jedoch, stets auf der Suche nach der verlorenen Zeit, war die Mischung einfach nur hässlich.
Drinnen schmücken riesige Banner berühmter Adliger und Orte die Kathedrale. Auch das Wappen von Gilles de Rais ist dort zu sehen, Kriegsheld und Kindermörder.
Jeanne d’Arc ehrt die Kathedrale nicht nur auf den Fenstern, sondern auch mit einer Statue in der Gedenkkapelle. Von der Terrasse zwischen den beiden Türmen habt ihr einen schönen Blick über die Stadt bis zum Campo Santo, während der Fêtes de Jeanne d’Arc Freilichtbühne des Festivals.
Daheim bei Johanna
Jeanne d’Arc soll bis 1429 im Fachwerkhaus von Jacques Boucher gewohnt haben. In der Maison Jeanne d’Arc befindet sich ein unterhaltsames kleines Museum samt Modell und Diorama zur Geschichte der Jungfrau von Orléans und zur Befreiung von der Belagerung.
An der Place du Martroi reitet die Stadtheldin stolz auf ihrem Pferd. Zahlreiche Bars und Café umgeben die Statue. Eine große Bronzestatue von Jeanne d’Arc wacht auch über das Renaissance-Palais von Jacques Groslot.
Für den Gerichtsvollzieher des Königs von Frankreich war nichts zu schön. Hinter der prächtigen Fassade aus rotem Backstein, die zwischen 1549 und 1558 erbaut wurde, prunkt das Hôtel Groslot mit Kassettendecken, mit bemalter Leinwand behängten Wänden und Aubusson-Wandteppichen, raffinierten Täfelungen und kunstvoll geschnitzten Möbeln, die mit Cordoba-Leder bezogen sind. Welch ein Luxus zu jener Zeit!
Die plätschernden Tritonen
Die Stadtheldin ehrt schließlich auch die lange Rue Jeanne d’Arc. In nächster Nähe zur Kathedrale erheben sich dort zwei gusseiserne Brunnen. Sie sind völlig identisch und stellen zwei mächtige Tritonen dar, die ein Wasserbecken tragen.
Der Triton ist in der griechischen Mythologie ein göttlicher Zwitter: Sein menschlicher Körper endet in einem langen Fischschwanz. Mit ihren beiden Köpfen tragen die Tritonen eine Brunnenschale, in der ein pummeliges Kleinkind hockt und seinen Durst mit dem Wasser löscht, das aus dem Schnabel eines Schwans plätschert. Eine zweite Fontäne ergießt sich in ein großes, steingefasstes Brunnenbecken am Sockel.
Maßgeblich an der Heiligsprechung von Jeanne d’Arc beteilgt war im Jahr 1920 ein Kardinal namens Touchet. Ihm ist ein Platz gewidmet, der den südlichen Teil des ehemaligen Klosters Sainte-Croix einnimmt. Kastanien spenden dort heute Schatten: ein lauschiger Ort mit einer modernen Skulptur des Kirchenmannes, der 1922 zum Kardinal ernannt worden war.
Bau-Kunst: Les Turbulences
Noch mehr Kunst zeigt das nahe Musée des Beaux-Arts mit den Werken großer Meister aus fünf Jahrhunderten. Aktuelle Kunst von heute zeigt der FRAC Fonds Régional d’Art Contemporain Centre-Val de Loire in einem aufregend modernen Bau auf einstigem Kasernengelände: Les Turbulences.
Ganz im Einklang mit der Neuausrichtung der staatlichen Regionalsammlung, die Frédéric Migayrou 1991 auf Nachkriegsarchitektur und architekturbezogener Kunst mit Schwerpunkt auf Architektur als Experiment, Utopie und Forschung ausrichtete, ist auch der Bau des franco-neuseeländischen Duos Jakob + MacFarlane eine Hommage an das Radikale, das Visionäre und das Avantgardistische von Architektur.
Drinnen birgt der FRAC Werke von mehr als 160 Architekten und 100 Künstlern, von Archizoom bis Tschumi, von Eisenman bis Archigram und Bloc bis Koolhaas, vertreten in 800 Modellen, 15.000 Zeichnungen und ganzen Architektenarchiven.
Goldfinger in Orléans
1959 ließ Ian Fleming James Bond ein Katz-und-Maus-Spiel mit Goldfinger quer durch Europa spielen. In seinem brandneuen Aston Martin, der mit einem Radarsystem ausgestattet ist, das nur Mr. Q kennt, führt die Jagd 007 tatsächlich auf die Nationale 20 – und hin nach Orléans.
„Bond hatte Orléans nie gemocht“, schrieb Ian Fleming in seinem Roman. Aus irgendeinem Grund musste er jedoch die Nacht dort verbringen. Goldfinger ließ Fleming im Fünf-Sterne-Hotel Les Arcades am Quai Cypierre 14 absteigen, wo dieser“Seezungenfilets und Hühnchen“ genoss.
James Bond hingegen logierte im Hôtel de la Gare, obwohl er die Auberge de la Montespan an der Straßen nach Blois wegen ihrer Hechtklößchen bevorzugte. Doch diesmal gibt es für den Geheimagenten gekochte Eier und eine Seezunge Müllerin Art, begleitet von Rosé d’Anjou und einem Drei-Sterne-Hennessy-Cognac zum Kaffee.
Am frühen Morgen fuhr der Geheimagent am Quai Cypierre entlang – und erspähte dort den Rolls-Royce von Goldfinger. Die Szenen in Orléans, 1964 kinoreif verfilmt, standen erst am Anfang des Abenteuers, das hart, aber glücklich endete.
Der Essig von Orléans
Jahrhunderte lang wurde der Wein aus Bordeaux auf dem Wasserweg nach Paris gebracht. In Orléans wurden damals alle Fässer, deren Ladung beim Transport gekippt war, ausgemustert und in besten Essig verwandelt.
Zum Einsatz kam dabei ein Verfahren, das als méthode d’Orléans geschützt ist: die offene Gärung. Beim weltältesten und aufwendigsten Verfahren zur Essigherstelllung wird der Wein im Holzfass mit Essigbakterien geimpft.
Mit der Zeit bildet sich an der Oberfläche eine Haut mit Millionen von Essigbakterien: die Essigmutter. Diese verwandelt in aller Ruhe den Alkohol des Weines in Essigsäure – je langsamer, desto aromareicher ist der Essig.
Vor 200 Jahren stellten rund 300 Manufakturen in Orléans Essig her. Heute ist die 1797 zum maître vinaigrie ernannte Essigmanufaktur Martin-Pouret das letzte Essighaus, welches seinen Essig so herstellt.
Die Street-Art von Orléans
Die einstige Essigfabrik Vinaigrerie Dessaux ist heute eine Industriebrache, die Straßenkünstler mit Graffiti übersät haben. Von der Rue de la Tour Neuve oder an den Wänden der stillgelegten Lagerhäuser der Rue Saint-Flou könnt ihr sie sehen.
Entdecken Sie die Werke von Jef Aérosol, einem renommierten Straßenkünstler und einem der Pioniere der Street-Art-Bewegung.
Die Mur d’Orléans ist eine Wand, die ausschließlich Straßenkünstlern aus allen Ecken Frankreichs gewidmet ist. Paris war begeistert – und kopierte die Idee mit seiner M.U.R Paris.
Jeden Monat wählt Orléans einen Straßenkünstler, der die Wand an der Fassade des Carmes-Kinos in der Rue Henri Roy gestalten darf. Das Fresko ist dann den ganzen Monat lang sichtbar, bis der nächste Künstler es ersetzt.
Als Vater der Street Art von Orléans gilt Jef Aérosol. Jef studierte von 1995 bis 2001 an der École Supérieure d’Art et de Design in Orléans. Während dieser Zeit begann er, eine orangefarbene Katze mit breitem Lächeln zu zeichnen.
Zunächst zeichnete er sie anonym auf den Bürgersteigen, doch als die Stadt sie ebenso schnell wieder verschwinden ließ, stieg er in die Höhe und malte sie mit Acrylfarbe auf die Dächer. Jef ist heute weltberühmt. Doch Katzen sind bis heute omnipräsent.
Auch Thoma Vuille alias M. Chat setzt seit den 1990er-Jahren in Orléans lächelnde gelbe Katzen auf die Fassaden , die ein wenig Menschlichkeit und Optimismus in städtische Landschaften bringen sollen. Ihr findet sie u.a. an der Place de la République, in der Rue des Carmes und auch an einem Schornstein der Place Sainte-Croix.
Auch Fische verstecken sich in den Straßen von Orléans. Rosa und blau, lässt der örtliche Künstler Rire sie als Collagen unter freiem Himmel durch die Straßen schwimmen.
An manchen Straßenecken in Orléans findet ihr kleineMosaike über den Straßenname. Mehr als 100 solcher Mosaike, lustig und farbenfroh zugleich, hat MifaMosa als „Straßenillustrator“ inzwischen geschaffen. Tag Lady nennt sich eine Straßenkünstler aus Orléans, die berühmte Persönlichkeiten auf die Fassaden bringt.
Levalet schmückt Orléans mit Schwarz-Weiß-Zeichnungen und Collagen, die mit dem Stadtmobiliar interagieren – beispielsweise an einer Ecke der Rue des Minimes. Gleich zwei Festivals feiern seit 2017 die Straßenkunst der Stadt: das ROADS Festival im Juni und die Loire Art Show im Oktober.
Orléans: meine Reisetipps
Hinkommen
Per Bahn
TER-Züge nach Paris Austerlitz, Vierzon, Tours, Le Croisic und Argentan-sur-Creuse
• Gare SNCF, Avenue de Paris, 45000 Orléans
Per Rad
Orléans liegt am 900 Kilometer langen Loire-Radwanderweg La Loire à vélo.
• www.loireavelo.fr
Mobil vor Ort
Parken
14 Tiefgaragen und öffentliche Parkplätze in der Innenstadt. Mein Favorit ist die Tiefgarage am Pathé-Kino (Rue des Halles).
Die Parkzeit ist in der orangefarbenen Zone auf zwei Stunden und in der grünen und violetten Zone auf vier Stunden begrenzt.
Kostenlos ist das Parken außerhalb des Cityringes an den Parkbuchten am Loire-Ufer. Achtung: Samstag ist Marktzeit am Quai du Roi !
Rad
Alle Infos zu Leihrädern, Fahrradparkplätzen, Luftauffüllstationen und Radwegenetz findet ihr auf der Rad-Info-Seite der Stadt.
ÖPNV
Tram, Bus und Stadträder bilden das Nahverkehrsgerüst von Orléans, das TAO betreibt.
• www.tao-mobilites.fr
Orléans anders entdecken
Orléans Greeters
In Orleans zeigen euch Einheimische ehrenamtlich als Greeter ihre Heimatstadt. Ihre Touren sind kostenlos, aber sie freuen sich über ein Trinkgeld.
• www.tourisme-orleansmetropole.com
Les Témoins
Gemeinsam mit zwei Kreativen, dem bildenden Künstler Yann Hervis und der Autorin Anne-Marie Royer-Pantin hat Orléans Les Témoins d’Orléans ins Leben gerufen.
Seine 50 Zeugen bestehen aus Kortenstahl und erzählen mit grafischen Rätseln, Zeichnungen und Piktogrammen die Geschichte, eine Episode und die Anekdoten eines Ortes. Ihr findet sie u.a. in der
Rue Étienne Dolet, Rue de Bourgogne, Rue de la Poterne, Rue de la Charpenterie, Place du Châtelet oder der Place de la Loire. Entdeckt die 2000 Jahre alte Geschichte in den Straßen der Altstadt einmal völlig neu!
Schlemmen und genießen
La Dariole
• 25, rue Etienne Dolet, 45000 Orléans, Tel. 02 38 77 26 67, www.ladariole.fr
L’Hibiscus
• 175, rue de Bourgogne, 45000 Orléans, Tel. 02 38 72 74 11, https://hibiscus-orleans.fr
Le Lift
Französische Küche im Jardin de la Charpenterie mit Panoramablick auf die Loire
• 5, rue de la Poterne, Tel. 02 38 53 63 48, www.restaurant-le-lift.com
La Parenthèse
• 26, place du Châtelet, 45000 Orléans, Tel. 02 38 62 07 50, www.restaurant-la-parenthese.com
Le Lièvre Gourmand
• 28, quai du Châtelet, 45000 Orléans, Tel. 02 38 53 66 14, https://lelievregourmand.fr
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Im Blog
In Orléans beginnt das UNESCO-Welterbe Loiretal der Schlösser. Erfahrt hier mehr.
Die Loire ist Frankreichs längster Fluss. Mehr über den Strom, seine Landschaften, Städte und Menschen erfahrt ihr hier.
Im Buch
Klaus Simon, Hilke Maunder, Secret Citys Frankreich*
Gemeinsam mit meinem geschätzten Kollegen Klaus Simon stelle ich in diesem Band 60 Orte in Frankreich vor, die echte Perlen abseits des touristischen Mainstreams sind. Le Malzieu in der Lozère, Langogne im Massif Central, aber auch Dax, das den meisten wohl nur als Kurort bekannt ist.
Mit dabei sind auch Senlis, eine filmreife Stadt im Norden von Frankreich, und viele andere tolle Destinationen. Frankreich für Kenner – und Neugierige!
Lasst euch zu neuen Entdeckungen inspirieren … oder träumt euch dorthin beim Blättern im Sessel oder am Kamin. Wer mag, kann das Lesebuch mit schönen Bildern hier* bestellen.
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