Point d’Alençon: schickes Welterbe
Wie filigran und zart ist der Point d’Alençon! Seine Heimat ist das charmante Städtchen Alençon im Süden des normannischen Départements Orne. Um 1650 unterrichtete dort eine gewisse Madame de Perrières die jungen Damen des Ortes in einer Handarbeit, die aus Venedig und Flandern kommend den Weg in die Kleinstadt geschafft hatte: den point coupé, eine Nadelspitze. Als Point d’Alençon wurde sie weltberühmt.
Spitze – ein Staatsmonopol
Die Damen waren so geschickt, dass Colbert am 5. August 1655 die kleine Stickereischule in eine Königliche Stickereimanufaktur des Point de France verwandelte. Mithilfe von italienischen Arbeiterinnen wurde dort erst die venezianische Spitze erfolgreich kopiert, dann ein Einfuhrverbot für Spitzen verhängt.
Geschützt durch ein staatliches Monopol, eroberte die normannische Nadelspitze erst Versailles, dann die europäischen Höfe. Auch Kaiserin Eugénie war begeistert und förderte die Kunst der Spitze.
Point d’Alençon: Königin der Spitzen
1851 feierte der Point d’Alençon seinen größten Triumph. Auf der Weltausstellung wurde die Handarbeit in London als „Königin der Spitzen“ ausgezeichnet. Doch bereits wenige Jahre später brachten die Erfindung der Maschinenspitze und der Wandel der Mode den Niedergang der Spitzenindustrie.
Die zehn Arbeitsschritte, die zur Fertigung der Nadelspitze nötig sind, wären heute sicherlich vergessen, wäre nicht 1976 das Atelier national du Point d’Alençon gegründet worden.
Dort halten heute rund ein Dutzend dentellières und dentelliers – Frauen und Männer – das Handwerk lebendig und fertigen Nadelspitze im staatlichen Auftrag. Sechs bis zehn Jahre dauert die Ausbildung, bis sie alle Etappen in der Herstellung des Point d’Alençon beherrschen.
Spitzenmäßig: das Museum zum Welterbe
Wie, zeigen die Spitzennäherinnen bei Vorführungen im Musée des Beaux-Arts et de la Dentelle. Im Obergeschoss der sehr sehenswerten Sammlung könnt ihr auch die Unterschiede der verschiedenen Spitzen anhand von zahlreichen Beispielen kennenlernen.
Auch außerhalb der Öffnungszeiten verrät das Museum, wie die berühmte Spitze entsteht: Stück für Stück wächst die Handarbeit beim Umklappen der Schautafeln.
Moderne Interpretationen rund um das Thema Spitze zeigen Sonderausstellungen im Erdgeschoss. Wer nun ein Stück echter Spitze für daheim erwerben möchte, sollte Auguste aufsuchen, einen wunderbaren Blumen-Deko-Lifestyle-Laden gegenüber der Halle au Blé. Seit 16. November 2010 gehört die Dentelle d’Alençon zum immateriellen Welterbe der UNESCO!
Musee des Beaux-Arts et de la Dentelle
• rue Charles Aveline, Cour carrée de la dentelle, 6100 Alençon, http://museedentelle.cu-alencon.fr
Spitze: die Stadtbibliothek
Per Zufall entdeckte ich ganz in der Nähe des Museums noch ein Kleinod, das alle, die Bücher lieben, bestimmt auch begeistern wird: die Bibliothek von Alençon in der einstigen Jesuitenkirche.
Seit der Sanierung 2005 ist sie mit modernen Leuchten und Tischen ausgestattet. Die Mädchen und Jungen vom nahen Collège erledigen dort gerne ihre devoirs – das Handy in der Hosentasche. Doch die Bücherregale atmen Zeitgeschichte.
Die Bretter biegen sich unter der Last der alten Ledereinbände. Bis unter die Decke stapelt sich das Lesegut in 24 Bücherschränken. Sie umgibt ein reich verziertes Eichengesims mit 18 Kartuschen, auf denen die Namen berühmter Franzosen zu lesen sind.
Goldprägungen auf dem Rücken wechseln sich mit schwarzer Tinte auf vergilbtem Leinen. Auf Abhandlungen über Wissenschaft, Geschichte und Kunst folgen Reiseberichte und Romane.
Baudelaires Gedichtband Fleur du Mal – unzensiert! – gehört ebenso zu den Schätzen der Stadtbibliothek des normannischen wie der Grand dictionnaire universel du 19e sièclee von Pierre Larousse.
Fundus aus sechs Jahrhunderten
Eine Danse Macabre steht im Regal. Daneben: die Déscription de l’Égypte, verfasst von Wissenschaftlern, die einst Napoleon an den Nil begleitet hatten. Einige Bände sind mit blauem Papier eingeschlagen. Sie sind der sichtbare Hinweis, dass sie noch zu restaurieren sind.
57.000 Bücher, die zwischen 1500 und 1950 gedruckt wurden, fanden nach der Vertreibung der Jesuiten (1764) in ihrer danach säkularisierten Kirche eine neue Heimat. Ebenfalls dort findet ihr 25 Inkunabeln aus der Zeit vor 1500 sowie 717 Manuskripte, 125 davon aus dem Mittelalter. Was für ein bibliophiler Schatz!
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