Die zarte Blüte der Vanille. Foto: Hilke Maunder
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La Réunion: die Insel der Gewürze

Eine sanfte Brise weht durch die Palmen und trägt den Duft von Vanille über die Île de la  Réunion. Die eiförmige Insel im Indischen Ozean ist seit dem 17. Jahrhundert die Gewürzinsel Frankreichs – und hat als Département 973 zugleich den Sonderstatus einer Region in äußerster Randlage der Europäischen Union.

La Réunion, mit 2.512 Quadratkilometern flächenmäßig so groß wie Luxemburg oder das Saarland, liegt an der historischen Gewürzroute, die von Indien nach Südafrika führte. Diese Lage machte die 72 x 51 Kilometer große Vulkaninsel zu einem bedeutenden Handelsplatz für Gewürze.

Die höchste Erhebung von La Réunion ist der erloschene Vulkun Piton des Neigesb– mit 3.070 Meter über NN ist er der höchste Gipfel im Indischen Ozean. Foto: Hilke Maunder
Die höchste Erhebung von La Réunion ist der erloschene Vulkan Piton des Neiges – mit 3.070 Metern über NN ist er der höchste Gipfel im Indischen Ozean. Foto: Hilke Maunder

Eine führende Rolle spielte dabei die französische Ostindische Kompanie, die Finanzminister Colbert zu Regierungszeiten von König Ludwig XIV. im Jahr 1664 gründete. Ihr Stammsitz wurde der Weiler Le Faouëdic in der Bucht von Port-Louis bei der bretonischen Hafenstadt Lorient.

Die Niederlande hatten 1602 ebenfalls eine Ostindische Kompagnie gegründet, die Briten mit ihrer East India Company Ltd. schon im Jahr 1600 ebenfalls eine solche Gesellschaft.

Eine hohe Luftfeuchtigkeit - sie benötigen die meisten Gewürze. Daher sind der Süden und von La Réunion besonders für ihren Anbau geeignet. Foto: Hilke Maunder
Eine hohe Luftfeuchtigkeit – sie benötigen die meisten Gewürze. Daher sind der Süden und Osten von La Réunion besonders für ihren Anbau geeignet. Foto: Hilke Maunder

Frankreichs Compagnie des Indes (Indien-Kompanie) holte exotische Gewürze nicht nur ins Hexagon, sondern erhielt von 1665 bis 1764 die Insel Réunion zur Besiedlung und Bewirtschaftung. Réunion war damals unbewohnt und besaß keine indigene Bevölkerung.

1646 hatte man ein paar Meuterer und Kriminelle aus Madagaskar auf der Insel ausgesetzt, die drei Jahre später bei bester Gesundheit zurückgeholt wurden. 1654 versuchten einige Siedler mit ihren Sklaven, auf der Insel Tabak anzubauen. Sie scheiterten – und verließen La Réunion schnell wieder

Ein Bauernhof im Tal des Bras de Cilaos. Foto: Hilke Maunder
Ein Bauernhof im Tal des Bras de Cilaos. Foto: Hilke Maunder

Unter der Compagnie des Indes jedoch wurde Réunion, bis 1793 bzw. 1848 noch Île Bourbon genannt, zu einem wichtigen Stützpunkt für die Kompanie. Die Siedler brachten nicht nur Gewürze, sondern auch neue Pflanzen, Kulturen und Anbautechniken mit, die das Gesicht der Insel für immer veränderten.

Réunion wurde dank der heimischen Arabica-Sorte Café Bourbon pointu erst Frankreichs Kaffeeinsel, dann Frankreichs Zuckerinsel. Doch erst, als im Jahr 1841 dem erst zwölfjährigen Sklaven Edmond Albius die künstliche Befruchtung der Vanillepflanze gelang, stieg La Réunion zur Insel der Gewürze für Frankreich auf.

Die vielen Gewürze von La Réunion

Vanille

Dünsten, trocknen und in Ruhe reifen lassen: Zwei Jahre vergehen, ehe die Vanille von Louis Leichnis marktfähig ist. Foto: Hilke Maunder
Dünsten, trocknen und in Ruhe reifen lassen: Zwei Jahre vergehen, ehe die Vanille von Louis Leichnig marktfähig ist. Foto: Hilke Maunder

1819 kam die Vanilla planifolia nach La Réunion. Ihr Reich erstreckt sich von Sainte-Suzanne im Nordosten via Saint-André, Bras-Panon, Saint-Benôit und Saint-Rosé bis nach Saint-Philippe im Südosten. Dort lebt und arbeitet Louis Leichnig, ein Vanillebauer mit Leidenschaft und unbändiger Lust an Experimenten.

Schon sein Vater war Vanillebauer, und heute ist Sohn Geoffrey mit in den Familienbetrieb eingestiegen und kümmert sich um Vermarktung und Finanzen. Louis indes hat im Obergeschoss seines Vanillehofes eine kleine „Spielecke“ eingerichtet – und für seine Kreationen zwei Vitrinen tischlern lassen. Drinnen bergen sie  seinen Arbeitshut und seine Arbeitstasche, geflochten aus Vanille.

Louis Leichnig mit seinen Vanille-Kreationen. Foto: HIlke Maunder
Louis Leichnig mit seinen Vanille-Kreationen. Foto: Hilke Maunder

Louis freut sich sichtlich über mein verdutztes Gesicht. „Komm, ich zeige Dir meine Plantage“, sagt er, lässt mich hinten auf die offene Ladeklappe des Allradwagens hüpfen und fährt auf einem ausgewaschenen Feldweg einen Hang hinauf.  Zwischen Bananenstauden und Palmwedeln funkelt silbrig der Indische Ozean.

Dann wird der Pfad steiler und taucht ein in einen Palmenwald. Die Räder krallen sich in den Matsch. 25 bis 28 °Celsius warm ist die Luft – und sehr feucht. Hin und wieder fallen Tropfen. „Perfekte Bedingungen für die Vanille“, sagt Louis uns zeigt auf die Lianen, die die Palmen erobert haben.

Vanillebauer Louis Leichnig mit einer unbefruchteten (r.) und einer befruchteten Vanille-Blüte. Foto: Hilke Maunder
Vanillebauer Louis Leichnig mit einer unbefruchteten (r.) und einer befruchteten Vanille-Blüte. Foto: Hilke Maunder

„Vanillepflanzen sind Kletterorchideen. Da hier auf Réunion Insekten wie mexikanische Bienen oder Vögel wie Kolibris fehlen,  um die Zwitter zu befruchten, muss hier auf meiner Plantage jede Blüte einzeln per Hand bestäubt werden“, erzählt er und zeigt auf eine feine Membran, die den männlichen Pollen von den weiblichen Organen trennt.

Nach der Befruchtung bilden sich lange Schoten, die zwischen Mai und November per Hand geerntet werden. Danach beginnen die verschiedenen Verarbeitungsschritte für die Vanille, die frisch, getrocknet oder sogar gefrostet in den Verkauf kommt.

Für Letzteres wird das Naturprodukt gedämpft, getrocknet und monatelang in Holzkisten gereift. Zwei Jahre vergehen, bis Louis Leichnig seine Vanille Givrée IGP auf den Markt bringen kann.

Gewürze, so teuer wie Silber: Das gilt auch für die Vanille Givrée IGP von Louis Leichnig. Foto: Hilke Maunder
Gewürze, so teuer wie Silber: Das gilt auch für die Vanille Givrée IGP von Louis Leichnig. Foto: Hilke Maunder

Viel Handarbeit, hohe Löhne und der billige künstliche Aromastoff Vanillin machen die Vanille aus Réunion nur wenig konkurrenzfähig. Um sich von der Vanille aus Madagaskar und von den Komoren abzusetzen, die auf den ersten Blick identisch erscheint, wurde auf La Réunion das Label Vanille de l’île de la Réunion kreiert. Damit will sich die Insel von anderen vanilleproduzierenden Ländern absetzen – und ein Zeichen setzen für Klasse statt Masse.

Louis Leichnig und sein Bruder Harry, ebenfalls ein Vanillebauer aus Saint-Philippe, haben vereint gegen zahlreiche Widerstände für die Vanille aus Réunion die IGP-Charta festgelegt. Ebenfalls ein Leichnig ist der Vanillebauer Aimé, 1963 auf La Réunion geboren und Gründer von L’Escale Bleue. 2014 wurde es als eines der ersten Unternehmen auf La Réunion als Entreprise du Patrimoine Vivant anerkannt.  Vor einigen Jahren präsentierte Aimé seine ganz persönliche Vision der Frucht: blaue Vanille!

Einen kleinen Eindruck gibt mein Reel auf Instagram:

https://www.instagram.com/reel/C1MtKOgstur/?igsh=MXB6aXQ5c3RoN3pieA==

Zimt

Die Blätter des Zimt-Baumes. Foto: Hilke Maunder
Die Blätter des Zimt-Baumes. Foto: Hilke Maunder

Viel Feuchtigkeit braucht auch Zimt, der aus der Innenrinde von ein bis zwei Jahre alten Trieben des Zimtbaumes gewonnen wird. Beim Trocknen rollt sie sich zusammen und nimmt ihre typische cognacfarbene Färbung an. Doch der Jardin des Parfums et des Épices in Saint-Philippe verrät: Zimt steckt nicht in der Rinde, sondern auch im Blatt.

Auch die bis zu 20 Zentimeter langen, ledrig-derben Blätter, deren Eiform spitz ausläuft, riechen angenehm würzig – und nicht nur nach Zimt, sondern auch nach Nelken! Aus ihnen destillieren die Einheimischen auf La Réunion ein ätherisches Öl oder nutzen die Blätter als Hausmittel.

Sie kochen dazu einen Liter Wasser auf, schalten den Herd aus, legen drei bis vier Zimtblätter hinein, decken alles ab und lassen sie etwa zehn Minuten ziehen. Noch warm genossen, soll das Zimtwasser bei Fieber, Husten und Erkältungen helfen sowie Verdauungsstörungen wie Krämpfe, Blähungen oder andere Magen-Darm-Störungen lindern.

Zimt und Nelken. Foto: Hilke Maunder
Zimt und Nelken. Foto: Hilke Maunder

Gewürznelke

Von den Molukken hat das Nelkengewürz seinen Weg auf die Maskarenen und nach La Réunion gefunden. Die girofles sind die Blüten eines kleinen Baumes, der ebenfalls im Parfüm- und Gewürzgarten von Saint-Philippe daheim ist.

Insgesamt 1.500 Arten von Parfüm-, Gewürz-, Zier- und Heilpflanzen pflanzte der Hobby-Botaniker Patrick Fontaine mit seinen Helfern auf dem alten Lavastrom Mare Longue an und eröffnete seinen Betrieb als Lehrbauernhof im Wald, der produziert und informiert – und dabei alle Sinne anspricht!

Quatre-épices

Die Blätter von quatre-épices. Foto: Hilke Maunder
Die Blätter von quatre-épices. Foto: Hilke Maunder

Zu den klassischen Weihnachtsgewürzen gehören die quatre-épices. Die Aromen von Pfeffer, Muskatnuss, Ingwer und Nelken stecken in diesem Gewürz, das in Frankreich als Streuer im Glas erhältlich ist.

Drinnen birgt er keine raffinierte Gewürzmischung, sondern die feinst zermahlenen Blätter oder Früchte der Pimenta dioica. Der bis zu zehn Meter hohe Strauch aus der Familie der Myrtaceae vereint diese vier Aromen in seinen glänzend dunkelgrünen, recht harten und länglichen Blättern, die einen starken Geruch verströmen. Seine kleinen weißen Blüten sind in Büscheln gruppiert. Seine Früchte sind raue, kugelförmige, kleine Beeren, die im reifen Zustand zwei schwarze Samen enthalten.

Wer die Blätter kaut, fühlt sich ein wenig an Wrigleys Big Red-Kaugummi erinnert, das 1975 auf den Markt kam, ab den 1990er-Jahren aus den Regalen verschwand und nur noch in einigen wenigen Ländern Europas, in Neuseeland und in den Vereinigten Staaten erhältlich ist. 

Ingwer & Kurkuma

Auch ungewöhnliche Gewürze wie diesen Mango-Ingwer gibt es auf La Réunion. Im Inneren ist er leuchtend orangefarben! Foto: Hilke Maunder
Auch ungewöhnliche Gewürze wie diesen Mango-Ingwer gibt es auf La Réunion. Im Inneren ist er leuchtend orangefarben! Foto: Hilke Maunder

Aus Asien wurde ab dem 17. Jahrhundert auch Ingwer einst nach La Réunion eingeführt. Von der Schärfe des klassischen Ingwers Zingiber officinale bis zur fruchtigen Versuchung des hell orangefarbenen Mango-Ingwers bietet die Insel eine Palette von Ingwer-Aromen, die nicht nur gezüchtet werden, sondern auch wild wachsen.

Zur Ingwerfamilie gehört auch der Safranwurz oder Gelbwurz (Curcuma longa), besser bekannt als Kurkuma. Mit seinem milden, erdigen Geschmack, seiner Bitterkeit und seiner intensiven Farbe prägt er jedes Cari, wie die Currys auf der Insel heißen. Mit jährlich zwei Tonnen, per Hand geerntet und verarbeitet, ist es das meistgenutzte der Gewürze von La Réunion.

Muskatnuss

Von Eroberungen und Handelsrouten erzählt die Muskatnuss der Insel. Hoch oben auf den steilen Hängen gedeiht dieses Gewürz, begleitet von atemberaubenden Ausblicken auf die umliegenden Täler.

Leuchtend rot ist das grobe Netz, das hinter der dicken, fleischigen Schale die Muskatnuss umhüllt. Sobald die aprikosenartigen Früchte vollreif sind, platzen sie auf und geben ihren Kern frei. Das geschieht ohne Unterbrechung, denn die bis zu 18 Meter hohen Bäume tragen das ganze Jahr hindurch. Nach der Ernte werden die noix de muscade per Hand von Fruchtfleisch und Mantel befreit und mehrere Monate in der Sonne oder in Trockenräumen getrocknet. Der Samenmantel kommt getrocknet als macis in den Handel.

Ihren Siegeszug begann die Muskatnuss mit Vasco da Gama, der den Seeweg nach Indien entdeckte, und der Eroberung der Molukken durch den portugiesischen Eroberer d’Abreo im Jahr 1511. Die beiden Männer sorgten dafür, dass zunächst die Portugiesen den Gewürzhandel bestimmten, ehe die Holländer sie verdrängten.

Die Musikatnuss mit Blatt, Frucht, rotem Samenmantel und der eigentlichen Nuss. Foto: Hilke Maunder
Die Muskatnuss mit Blatt, Frucht, rotem Samenmantel und der eigentlichen Nuss. Foto: Hilke Maunder

Diese beschränkten den Anbau und Handel im Jahr 1605 auf die Inseln Banda, Ambon und Ternate, vernichteten sämtliche Bestände auf den anderen Inseln  und verboten Neuanpflanzungen. Doch 1769/1770 gelang es den Franzosen, Samen und Schösslinge von Muskat- und Nelkenbäumen zu entwenden, die sie flugs auf ihren Inseln La Réunion und Mauritius anpflanzten.

Kakao

Vor mehr als 400 Jahren, und zwar genau im Jahr 1615, kam der Kakao nach Frankreich. Doch es sollte noch weitere 162 Jahre dauern, ehe die Compagnie des Indes auf La Réunion die ersten Kakaoplantagen anlegte.

Am 6. Dezember 1772 pflanzte Joseph Hubert, Botaniker und Naturforscher, in Saint-Benoît im Schatten des Piton Bory de Saint-Vincent an der Ostküste die ersten Criollo-Kakaobäume. 1842 waren 23 Hektar mit Kakaobäumen bepflanzt. Zum Vergleich: Auf 5.070 Hektar standen damals Kaffeebüsche, auf 2.225 Hektar Nelkenbäume (girofliers).

Dennoch errichtete ein gewisser Monsieur Villers aus L’Isle Adam eine kleine Schokoladenfabrik in Saint-Denis, in der ab dem Jahr 1900 zehn Arbeiter für die Chocolate Le Meilleur Tafelschokolade herstellten. Erst 1946 musste sie durch die Konkurrenz der Industrieproduktion ihren Betrieb einstellen.

Die Kakaosorte Criollo biregt hinter ihrer roten Schale helle Bohnen. Foto: Hilke Maunder
Die Kakaosorte Criollo birgt hinter ihrer roten Schale helle Bohnen. Foto: Hilke Maunder

Mit dem Erbe dieser jahrzehntelang verwaisten Plantagen begann der Verein Cacao Péi im Jahr 2015 mit einigen freiwilligen Produzenten die Renaissance der Kakaokultur, pflanzte 2019 die Samen des verwilderten Criollo-Kakaobaumes auf neuen Agroforest-Plantagen an und konnte Ende 2023 die erste Ente einfahren, denn es dauert vier bis fünf Jahre, bis ein Kakaobaum beginnt, Schoten zu produzieren.

Weltweit gibt es zwei Hauptkakaosorten: Forastero und Criollo. Auf der Insel La Réunion überwiegen die Criollo-Kakaobäume mit weißen Bohnen und roten Schoten. Die Sorte Criollo zeichnet sich durch einen leicht bitteren Kakao und einen geringen Theobromin- und Koffeingehalt aus.

Dies macht sie bei Schokoladenherstellern im oberen Preissegment sehr begehrt. Allerdings ist die Criollo-Sorte deutlich weniger ertragreich. Während eine Criollo-Pflanze etwa 80 Schoten pro Jahr produziert, liefert ein Forastero fast die doppelte Anzahl an Schoten. Kakao und Schokolade aus La Réunion: ein edles wie rares Produkt!

Ein typisch kreolisches Haus in Entre-Deux. Foto: Hilke Maunder
Ein typisch kreolisches Haus im Dorf Entre-Deux. Foto: Hilke Maunder

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4 Kommentare

  1. hallo liebe Hilke,
    ein wunderbarer Bericht über den Gewürz Anbau auf la Réunion. Der ist sehr gelungen. vielen dank dafür. Wir waren vor Jahren in pamplemousse garden auf Mauritius, jedoch scheint mir Réunion noch faszinierender zu sein.
    habe eine schöne Weihnachtszeit und ein gutes neues jahr.
    deine Huberta

    1. Liebe Hubert, das freut mich sehr – merci! Mauritius möchte ich auch noch einmal hin. Und ja, Réunion ist sehr fasziniert… und nur einen kleinen Hauch größer als Mauritius. Herzliche Grüße, Hilke

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