Régis Carrère: der Schäfer aus dem Ossau-Tal
Noch ist es dämmrig und kühl im Haut-Ossau, dem Hochtal des Ossau im Béarn. In vielen Kehren windet sich die Passstraße von Laruns hinauf zum Col du Pourtalet, dem Grenzübergang nach Spanien. Sie passiert den See von Fabrèges, wo sich die Gondel hochschwingt zu einer Hochgebirgsbahnfahrt mit dem Petit Train d’Artouste, und taucht ein in das Reich der estives, der Sommeralmen.
Wie einst wird das Vieh Ende Mai auf die Bergweiden im Herzen des Pyrenäen-Nationalparks getrieben, und im Herbst wieder hinab: Kühe, Pferde, Esel … doch vor allem Schafe.
Drei Labrit-Hunde und ein Bordercollie begleiten ihn dabei. „Die Labrit-Hunde wie auch der Bordercollie sind für den Schäfer unentbehrliche chiens de conduite, Hütehunde. Sie sind schnell, wachsam und halten die Herde zusammen, damit kein Tier ausbricht oder verloren geht.
Der Patou hingegen ist ein chien de protection, ein Wachhund – er ist nicht wendig, aber groß und stark genug, um die Herde gegen Angreifer zu verteidigen.
Fünf Stunden dauert der 20 Kilometer lange Almauftrieb von Laruns aus hinauf zur Estive de Brousset. Übernachtet wird gerne in Gabas. Gabas liegt auf rund 1.000 Metern Höhe und besaß einst ein kleines Krankenhaus, das Pilger auf dem Weg nach Santiago de Compostela versorgte. Von diesem Gebäude ist nur noch eine kleine Kapelle aus dem 12. Jahrhundert erhalten.
Heute ist Gabas bekannt für seine Käsekeller – und seinen gleichnamigen Käse. Zu beiden Seiten der Straße verkünden dort die Schilder: vente de fromage – Käseverkauf.
Das Reich der Almen
Von Gabas aus dauert es noch nur noch anderthalb Stunde, ehe die Almen erreicht sind. Frei und ungebunden weiden dort die Schafe im Hochgebirge und kommen nur zum Melken zu den Sennhütten, die die Passstraße säumen.
Alle diese Almhütten gehören der Stadt Laruns, die mit ihren Ländereien im Gebirge zu den flächenmäßig größten Städten Frankreichs gehört – und, außer zur Zeit der Tour de France im Juli, ein eher verschlafenes Landstädtchen ist.
Régis Carrère nutzt eine dieser Hütten und dafür die sogenannte bacale. Jene Steuer berechnet sich nicht nach der Größe und Ausstattung der Hütte, sondern der Kopfzahl der Herde. Je nach Tierart wird pro Tier ein Festbetrag festgelegt und jährlich angepasst. Kühe sind teuer, Schafe günstiger.
Gleich neben der Hütte hüpft der Gave du Brousset über die Steine. Der Wildbach entspringt in Anéou und fließt nach Gabas hinab, wo er den Namen Gave d’Ossau annimmt, Laruns erreicht und das breite Ossau-Tal bildet.
Die Sennerei von 1947
Die Almhütte von Régis ist die älteste entlang der Passstraße. Bereits 1947 wurde sie erbaut – mit zwei Kammern unter ihrem breiten, fast flachen Dach. Eine Schlaglochpiste führt zu ihr hin und überquert den Wildbach auf einem gué, einer Furt aus Beton, kaum höher als der Bach. Blank geputzte Milchkannen hängen an der Fassade zum Trocknen. Strom liefert eine Solarzelle auf dem Dach, Wasser die hauseigene Quelle.
Der größere, rechte Raum birgt die Käserei. Den kleineren Raum beherrscht ein großer Tisch mit Stühlen: Hier trifft man sich, wird gegessen und getrunken, sich mit Besuchern und anderen Schäfern ausgetauscht und die Zeit zwischen den einzelnen Etappen der Käsefertigung verbracht.
Die Basco-Béarnaise-Milchschafe
Régis hockt in einer roten Hütte an einer kleinen, eingezäunten Weide. 140 Tiere gehören zur Herde der Rasse brebis basco-béarnaise. 120 von ihnen werden zweimal am Tag gemolken – morgens und abends. Und dies seit 1998 immer per Hand.
Rund 500.000 Milchschafe aus den drei Rassen Basco-Béarnaise, Manech tête noire und Manêche tête rousse leben im Département Pyrénées-Atlantiques. Die Manech-tête noire mit ihren schwarzen Köpfen könnt ihr im Sommer auf den Almen des baskischen Aussichtsgipfel Rhune sehen. Sie liefern deutlich weniger Milch als das brebis basco-béarnaise.
Die Pyrénées-Atlantiques sind das zweitwichtigste Milchschaftsgebiet Frankreichs nach dem Déartement Aveyron, wo die Lacaune-Schafe über die Hochebenen der Causses zeihen. Drittwichtigster Schafsmilchlieferant ist das brebis corse aus Korsika. Die Schafe der Provence sind vor allem Wolllieferanten – das Mérinos d’Arles ist in der Crau-Ebene daheim.
Zurück in die Berge
Régis ist ein Kind der Berge, 1973 im Béarn geboren. Seine Mutter stammt aus Béost, sein Vater aus Laruns. Das Ossau-Tal ist ihre Heimat.
„Als ich 1998 den Betrieb von meinem Vater übernahm, war ich 25 Jahre alt, hatte das Baccalauréat in der Tasche, an der Uni von Pau Spanisch studiert. Als mein Vater in Rente kam, kehrte ich zurück und wurde Schäfer.“
Aus tiefster Überzeugung und Liebe zu den Bergen entschied sich Régis, den Betrieb familiär, handwerklich und maschinenfrei zu halten. Alles ist Handarbeit bei ihm. Bereits 1998 entschied er auch: keine Grossisten wie bei seinem Vater, sondern Direktverkauf.
Traditionell und bäuerlich
Régis wollte auch keine Zugehörigkeit zur AOP Ossau-Iraty, die in seinen Augen zu stark von industriellen Herstellern wie Lactalis geprägt wird, sondern wählte die Mitgliedschaft in der AMAP, der Association pour le maintien d’une agriculture paysanne.
Deren regionalen Verbände wollen eine bäuerliche und ökologische Landwirtschaft erhalten und fördern, die angesichts der Agroindustrie ums Überleben kämpft. „Ich bin gegen die Uniformisierung eines Produktes. Jeder Schafskäse ist einzigartig und spiegelt das terroir, das ihn geformt hat.“
Régis engagierte sich als Stadtverordneter im Stadtparlament von Laruns für die Belange der Schäfer und handwerklichen Käsehersteller und war 2008 der erste, der seinen Hof für Besucher öffnete. 2020 war Schluss mit der Politik.
Das Melken
Vor lauter Erzählen hat Régis aufgehört zu melken. Draußen blöken die Schafe. Régis lässt das nächste Schaf in die enge Melk-Box hinein. Wieder klemmt er sich den Stahleimer zwischen die Beine, schiebt sein Béret aus der Stirn, greift nach dem Euter, formt mit Daumen und Zeigefinger einen Ring und umfasst die Zitze an der Wurzel.
Ist die Zitze groß, arbeitet seine Hand, als spiele sie einen Lauf auf dem Klavier. Vom Mittelfinger über den Ringfinger bis zum kleinen Finger der Faust pressen seine Finger im Rhythmus. In einem kräftigen Strahl schießt die Milch aus dem Euter.
Nicht immer sind die Zitzen groß genug für die ganze Hand. Manchmal müssen Daumen und Zeigefinger genügen. Nach drei Jahrzehnten hat Régis den Dreh längst raus. Am Ende des Melkens stupst Régis mit einem Finger den Euter leicht an – wie die Lämmer, die noch mehr Milch von der Mutter erhalten möchten. So wird der Euter bis auf den letzten Tropfen entleert. Und bleibt gesund, da sich so keine Entzündungen bilden können.
Das Mutterschaf ist nun abgemolken. Regis zieht mit der rechten Hand an einer Kordel. Eine Holzklappe öffnet sich, das Schaf ist entlassen. Begierig leckt es auf der Weide am Salzstein.
Die Kraft der Brennessel
Der Eimer ist voll. Régis entleert ihn über einem Sieb in einen Filter, der ausgelegt ist mit Brennnesseln. „Das reinigt und entfettet die Rohmilch“, erklärt Régis. Schafsmilch enthält bereits von Natur aus weniger Fett als Kuhmilch und ist reich an Protein.
Für ihn ist die Pflanze, die ringsum auf den Wald- und Wegrändern, auf Wiesen und Auen wächst, ein Tausendsassa – und kommt auch bei der Reinigung seiner Gerätschaften zum Einsatz. Um sich beim Ernten nicht zu verbrennen, fasst er die Pflanze in Wuchsrichtung der Brennhaare an, also von unten nach oben. „Und wenn es brennt, spüre ich es zwar, hab mich aber dran gewöhnt.“
Nachdem die Brennnesseln die Vorarbeit geleistet haben, wird weiter gefiltert. Ehe die Rohmilch die Kanne befüllt, läuft sie noch durch drei Papierfilter. „Die Milch muss topsauber sein für die Herstellung – sonst entsteht kein Käse.“
Die Laktationszeit
In der Herde von Régis sind auch einige Widder. Sie sorgen dafür, dass die weiblichenn Tiere von Mai bis Oktober befruchtet werden. Ab November werden die ersten Lämmer geboren.
Um Schwangere von Noch-Nicht-Schwangeren zu unterscheiden, erhalten befruchtete Schafe einen grünen Strich am Po auf ihr Fell. Das neugeborene Lamm darf 45 Tage lang bei seiner Mutter bleiben. Die männlichen Lämmer vund 80 Prozent der jungen weiblichen Tiere verkauft Régis als IGP Anneau de Lait des Pyrénées. 20 Prozent des weiblichen Nachwuchses sorgen für die Erneuerung der Herde.
Rund 1,2 bis 1,5 Liter liefert jedes Mutterschaf täglich im Laufe der achtmonatigen Melkzeit, die pünktlich zu Mariä Himmelfahrt am 15. August alljährlich endet.
Während der Laktationszeit wird der Milchfluss kontinuierlich weniger. Während Régis im Mai täglich noch 60 Liter von seinen Schafen erhält, sind es zum Ende der Melkzeit nur noch 40 Liter am Tag. Schafe, die zum ersten Mal Lämmer haben, produzieren weniger Milch als Muttertiere, die schon zwei oder drei Geburten hinter sich haben.
Mit der sinkenden Milchmenge sinkt auch die Käseproduktion. Fertigt Régis Carrère im Juni drei Käse am Tag aus der Milch seiner Schafe, sind es im Juli noch zwei – und im August gar nur einer. „Für ein Kilo Schafskäse brauche ich fünf bis sechs Liter Rohmilch“, erzählt Régis. Bei Kühen ist der Output deutlich geringer. Da werden zwölf Liter benötigt für ein Kilogramm Käse.
Rund anderhalb Stunden dauert jeweils das Melken. Dann schleppt Régis die 20-Liter-Kannen zum Haus, schließt eine Kochplatte an eine Gasflasche an und stellt einen Kupferkessel aufs Feuer. Hinein kommt als Erstes die gekühlte Restmilch vom gestrigen Abend.
Die Käse-Herstellung
Langsam erhitzt er sie auf 30 °Celsius, damit sie die gleiche Temperatur wie die Milch des heutigen Tages hat. Aus einer Flasche zieht er das Lab (présure) in eine Spritze und impft damit die Milch. Einmal gut umrühren, das Thermometer hinein – und jetzt eine Kaffee-Pause!
Von der Rohmilch zur caillette
Eine Stunde lang dauert die Pause zwischen dem Melken und dem Käsen, der caillette. Inzwischen hat die Sonne die Spitzen der Berge erobert und klettert langsam an den zerfurchten Hängen hinab zu den Almen. Régis zieht die gefütterte Jacke aus, wäscht sich die Hände und gießt den Kaffee in die Tasse.
Roger Laborde, Nachbar und ebenfalls Schäfer, setzt sich zu ihm. Die einfache Hütte wird ein geselliger Hort, gewärmt vom Lachen und Erzählen.
Ohne Uhr weiß Régis auf die Minute genau: Jetzt kommt der nächste Schritt der Käseproduktion. Die Milch ist inzwischen gestockt, fest wie Dickmilch. Mit einem Holzquirl (la glèbe) rührt Régis auf dem Feuer die Masse um und schlägt sie kraftvoll.
Das Schlagen der Dickmilch trennt den Käsebruch von der Molke. Ist jene trüb und rein, beginnt Régis, mit beiden Händen die Käseflocken zusammenzupressen, bis eine Kugel entsteht.
Le Greuil
Aus der zurückgeblieben Molke – der petit lait (Lactoferum) – wird im Béarn der Greuil gefertigt. Er erinnert ein wenig an Ricotta. Die Einheimischen genießen in mit frischem Obst oder Konfitüre zum Frühstück, zum Kaffee oder als Dessert.
Vom caillé zum Käse
Dieser Käseball kommt nun in eine Plastikform, die durchlöchert ist wie ein Sieb. Erneut nutzt Régis beide Hände und drückt so sehr, bis das letzte Tröpfchen Molke entwichen ist.
Die Rohform des Schafskäses erhält jetzt auf der Ober- und Unterseite je einen Stempel durch eine Prägeform: das blaue dreieckige Dreieckssiegel des Schafskäse der Sommerkäse der Béarntäler und das Logo seiner Familie, das ein Herz mit zwei Hörnern zeigt.
In ein Tuch gewickelt, wird der Käse – beladen mit einem kreisrunden Gewicht passend zur Form – für weitere 24 Stunden gepresst.
Die Affinage
Nach einem 48-Stunden-Bad in Salzlake ist der junge Schafskäse reif für die Affinage im Reifekeller. In jenem saloir, nur wenige Kilometer flussabwärts in Artouste, kümmert sich Fabienne Salanave-Vigne, die Kusine von Régis, um die Käse der rund fünfzig Schäfer aus dem Tal.
Mit einem groben Tuch wäscht sie jeden Käse einmal täglich mit Salzlake. Mindest drei, höchstes acht Monate lang reifen sie so bei 80 Prozent Luftfeuchtigkeit und Temperaturen von 12 bis 14 °Celsius bis zur Vollendung. Nach sechs Monaten hat der Schafskäse sein perfektes Alter erreicht, ist Régis überzeugt.
Das Abreiben mit Salzlake verbessert die Haltbarkeit der Käse. Insgesamt 5.000 bis 6.000 Laibe ruhen dort im Reifungskeller auf Metallgittern: 100 -prozentige Schafskäse, Käse aus einem Mix von Schaf und Kuh und reine Kuh-Käse. Die Art und Farbe der Rinde hilft beim Unterscheiden, die Prägestempel beim Unterscheiden der Produzenten.
Winter- und Sommerkäse
Seinen perfekt affinierten fromage de brebis verkauft Régis Carrère direkt ab Hof – und bei der Fête du Fromage von Laruns am ersten Wochenende im Oktober. Bei dieser Hera Deu Hromatge, wie die Käsemesse im Dialekt des Béarn heißt, wird alljährlich der beste Schafskäse des Tales gekürt.
Der fromage d’estive gilt als Flaggschiff der Käse aus dem Ossau-Tal. Für 21 Euro pro Kilo gibt es den Sommerkäse bei Régis ab Hof. Der Winterkäse kostet pro Kilo zwei Euro weniger.
Die Sonne lässt das Tal leuchten. Régis öffnet das Gatter und entlässt die Herde in die Freiheit der Berge. „Am Abend kommen sie von selbst zum Melken – dann sind die Euter voll“, sagt Régis, stützt sich auf seinen Hirtenstab und blickt der Herde nach, die seine Hunde begleiten.
Transhumanz erleben: meine Reisetipps
Besuch der Sennhütte von Régis Carrère
Ihr findet die Sennhütte rund 500 Meter hinter dem Lac de Fabrèges auf der rechten Seite; die Zufahrt überbrückt den Gave de Brousset auf einem gué, einer Betonpassage kaum höher als das Wasser.
Seinen Käse verkauft Régis auch bei sich daheim in Laruns.
• 1, rue Carrerot d’en Bas, Tel. 06 85 64 08 93
Die Feste der Wanderhirten
Juni
Fête de la transhumance, Lourdios-Ichère
Juli/August
Fête du Fromage de la Vallée d’Aspe, Lées-Athas
Fête des estives, Issarbe
September
Fête des bergers, Aramits
Oktober
Fête de la transhumance, Oloron-Sainte-Marie
Fête du fromage, Laruns
Dezember
Fête du fromage d’estives, Bedous
Transhumanz
Txiomin Iriberri aus Labescau (Sud-Gironde) hat 2021 die Schäferei seines Vaters übernommen und begleitet mit seiner Partnerin Pauline und Freiwilligen jedes Jahr drei Wochen lang im September mit 400 Schafen der Rassen manechs tête noire und basco béarnaise bei ihrer Transhumanz durch sechs Départements in Okzitanien und Nouvelle-Aquitaine. Die Hinfahrt zu den Sommerweiden erfolgt im Juni per Lastwagen, zurück geht es im September zu Fuß. Die 340 Kilometer lange Wanderung endet mit einem großen Fest in Aillas.
La ferme Maria Blanca
Kattalin, Josie und Jean-Pierre züchten auf ihrem Hof an der Passhöhe Maria Blanca Gascogne-Kühe, Tarascon-Mutterschafe und schwarze Schweine, verkaufen deren Produkte ab Hof, haben für Selbstversorger einen gîte eingerichtet und laden ein, das bäuerliche Leben hautnah zu erleben – bei einem Tag mit einem Schäfer oder einem Themen-Urlaub zur Transhumanz.
• Plateau du Bénou, 64260 Bielle, Tel. 06 37 99 95 61, https://fermemariablanca.fr
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