Anduze: Hochburg der Töpfer und Hugenotten
Bienvenue in Anduze! Mit verwinkelten Gassen, lauschigen Plätzen und plätschernden Brunnen schmiegt sich seine kleine, einst befestigte Altstadt an das breite Bett des Gardon. Im Sommer gleitet er als schmales Rinnsal an den breiten Kieselbetten vorbei. Nach der Schneeschmelze in den Cevennen verwandelt er sich indes in einen reißenden Strom. Eine hohe Mauer schützt die Häuser am Ufer vor Hochwasser und Überschwemmung.
Was für eine Lage, dachte sich 1622 auch der Duc de Rohan und befestigte das Städtchen als neues Hauptquartier einer Glaubensbewegung, die – wie einst die Katharer – der katholischen Kirche und der Krone ein Dorn im Auge waren: die Hugenotten.
Hochburg der Hugenotten
So nannten sich die Protestanten im vorrevolutionären Frankreich. Ihr Glaubenslehrer war Calvin, nicht der Papst. In den Cevennen tragen sie noch einen zweiten Namen: Kamisarden. Er verweist auf die chemises, und damit die Hemden, die sie einst trugen.
Wie bereits in den mittelalterlichen Albigenserkriegen gegen die Katharer ging es in den Hugenottenkriegen und späteren militärischen Feldzügen gegen die Protestanten nicht um den Glauben, sondern um Macht.
Die Kamisardenkriege markierten das letzte Aufbäumen regionaler Kräfte gegen die absolutistische Zentralmacht in Frankreich.

Damals lebten in Anduze mit mehr als 6000 Einwohnern fast doppelt so viele Menschen wie heute. Ihr Gotteshaus war einer der größten temples im Süden von Frankreich. 1628 unterlagen die Hugenotten in La Rochelle endgültig militärisch. Im Gnadenedikt von Alès (1629) verloren die Protestanten auch jegliche politische Macht.
Sie mussten ihre Armeen auflösen. Ihre Festungen wurden geschleift. So verlor auch Anduze seine mächtige Stadtmauer. Einzig die dreistöckige Tour de l’Horloge überlebte.
Die politische Niederlage der Hugenotten mündete zunächst nicht in Zwangsbekehrungen – daher der Name Gnadenedikt – doch das Edikt von Fontainebleau änderte auch dies im Jahr 1685.
Die Hugenotten versteckten sich zur Zeit der Unterdrückung in der Grotte von Trabuc. Zwölf Kilometer lang sind die unterirdischen Galerien der größten Grotte der Cevennen. Soldaten aus Stein machten sie berühmt. Dicht an dicht stehen sie als nur wenige Zentimeter hohe Stalagmiten beiderseits einer „Chinesischen Mauer“ aus Stein.
Erst Napoleon Bonaparte schuf mit dem Konkordat von 1801 und den nachfolgenden Organischen Artikeln vom 8. April 1802 die Basis der Glaubensausübung für andere Religionen. Der Katholizismus war nicht mehr Staatsreligion, sondern einzig der Glaube der Mehrheit der französischen Bürger.
Protestantismus und Judentum erhielten die Freiheit, ihren Kult auszuüben. In Anduze begannen die Hugenotten 1823 mit dem Wiederaufbau ihres Gotteshauses auf dem ehemaligen Kasernenhof. Ihre protestantische Kirche mit dem dorischen Säulenportikus gehört zu den größten reformierten Gotteshäusern in Frankreich.
Unzählige Jahrzehnte war es den französischen Protestanten nicht erlaubt, ihre Toten auf den katholischen Friedhöfen zu begraben. Sie bestatteten ihre Toten im eigenen Garten und pflanzten eine Zypresse. Wer heute in Anduze in den Gärten eine hohe, alte Zypresse sieht, weiß: Hier hat ein Hugenotte seine letzte Ruhestätte gefunden.
Wiege der sériciculture
Für Auskommen sorgte in Anduze Jahrhunderte lang der Seidenhandel. Bereits im 13. Jahrhundert war die Stadt, über die die Seigneurs d’Anduze als treue Gefolgsleute der Grafen von Toulouse herrschten, eine Hochburg der Herstellung und des Handels von Seide.
Bereits 1296 berichtete ein Dokument von der Seidenraupenzucht in Anduze. Die Seidenraupen fraßen die Blätter des Maulbeerbaumes. Er war der Goldbaum der Cevennen.
Mit der industriellen Revolution begann die Seidenherstellung und Verarbeitung im großen Stil. Seidenspinner, Strumpfwickler und Hutmacher gingen erfolgreich ihren Geschäften nach. 1934 erfand Wallace Hume Carothers die erste vollsynthetische Faser.
Mit dem Siegeszug des Nylons begann der Untergang der Seide. 1964 schloss mit der Maison Rouge in Saint-Jean-du-Gard die letzte Seidenspinnerei der Cevennen ihre Türen.
Königliche Töpferstadt
Seit dem 17. Jahrhundert gilt das charmante Städtchen mit südlichem Flair als Frankreichs Töpferhauptstadt. Schuld daran ist eine Italienerin, die Papst Clemens VII. 1553 in Saint-Jean-de Luz an einen ebenfalls 14-jährigen Heinrich II. verheiratete: Caterina de’ Medici. Als beide vier Jahre später König und Königin wurden, zog italienische Lebensart bei Hofe ein.
Die Renaissance brachte Klarheit statt Opulenz auf die Fassaden und in die Gärten. Als Schaufenster der sozialen Stellung wurden sie in Hanglage angelegt, mit Terrassen gestaltet und mit jenen Vasen geschmückt, die de’ Medici ebenfalls aus Italien mitgebracht hatte – übergroße Pflanzgefäße aus Terracotta, glasiert in bräunlich-gelb und olivgrün, geschmückt mit Girlanden.
Der Legende nach hat ein Töpfer aus Anduze im Jahr 1610 eine solche Vase auf dem Markt in Beaucaire entdeckt, nachgetöpfert – und damit den Grundstein für das Familienunternehmen Boisset gelegt. Heute laden seine Nachfahren als Les Enfants de Boisset in Anduze zur Besichtigung.
Gemeinsam mit weiteren Töpfereien in und um Anduze hoben sie zum 400-jährigen Firmenjubiläum 2011 die Route de la Vase d’Anduze aus der Taufe. Die Themenstrecke führt seitdem zu zehn Töpfereien wie der poterie du Château in Tornac, Terre d’Anduze in Alès und Chêne Vert in Boisset-et-Gaujac.
Anduze: meine Reisetipps
Auftanken
Der Parc des Cordeliers mit seinen exotischen Gewächsen ist die grüne Oase der Kleinstadt.
Schlemmen
Die gute Stube von Anduze
Die Place Couverte mit ihrem auffälligen Pagodenbrunnen ist die gute Stube der Altstadt. Die Grafen von Beaufort als Herren von Anduze und Alais ließen sie Mitte des 15. Jahrhunderts errichten und 1453 mit einer halb offenen Markthalle versehen, in der einst Getreide und Kastanien gehandelt wurden. Sie gaben dem Platz seinen ersten Namen: Place de l’Orgerie.
Heute verkaufen die Händler des Wochenmarktes unter dem wuchtigen Holzschindeldach der Halle jeden Donnerstagvormittag die besten Produkte der Region.
1649 schenkten zwei ihrer Konsuln dem Platz den Pagodenbrunnen. Ursprünglich waren seine vier Beine, die das Dach tragen, aus Holz gefertigt. Seine Fliesen sind allesamt aus glasierter Keramik. Ebenfalls am verkehrsberuhigten Platz befindet sich La Rocaille. Das Terrassenlokal ist eine Institution im alten Anduze.
La Rocaille
Das Terrassenrestaurant auf der Place Couverte ist eine Institution in Anduze.
• 7, place Couverte, 30140 Anduze, Tel. 04 66 61 73 23, www.facebook.com/Restaurant-La-Rocaille
Saveurs du Sud
Als ehemalige Biobäuerin kocht Patricia Gemüse, Fisch und Fleisch mit Aromen ihrer Heimat und Gewürzen aus aller Welt. Alles in ihrer Bioküche ist hausgemacht aus frischen Produkten.
• 27, rue Basse, Tel. 06 75 83 50 92, www.facebook.com/saveurs.dusud.9
Wandern
Rocher de Peyremale
Der Aussichtsberg von Anduze heißt Rocher de Peyremale. In rund 2,5 Stunden kommt ihr hin und zurück ab Anduze.
Hier könnt ihr schlafen*
Street Art
Achtet in der Altstadt auch einmal auf die Malereien auf den Fassaden! Voilà einige Impressionen von Street Art bis zu nostalgischer Werbung.
In der Nähe
Alès
Die alte Bergbaustadt am Gardon d’Alès ist das südliche Tor zu den Cevennen. Hier erfahrt ihr mehr.
Musée du Désert
Wie widersetzten sich die Hugenotten der Zwangskatholisierung unter Ludwig XIV.? Wofür kämpften die Kamisarden? Dies verrät in Mialet ein sehr sehenswertes Museum, das mit seinem Namen an die als „Wüste“ empfundenen Jahre des Cevennenkriegs (1702–1705) erinnert.
• Le Soubeyran, 30140 Mialet, Tel. 04 66 85 02 72, www.museedudesert.com
Cevennen
Mehr zum Genuss-Reich der Cevennen erfahrt ihr hier.
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Weiterlesen
Im Blog
Auf den Spuren der Hugenotten
Dem Weg der Hugenotten ins Exil folgt heute ein Weitwanderweg aus der Drôme bis nach Deutschland. Alle Infos hier.
Im Buch
Hilke Maunder, Okzitanien: 50 Tipps abseits der ausgetretenen Pfade*

Okzitanien ist die Quintessenz des Südens Frankreichs. Es beginnt in den Höhen der Cevennen, endet im Süden am Mittelmeer – und präsentiert sich zwischen Rhône und Adour als eine Region, die selbstbewusst ihre Kultur, Sprache und Küche pflegt. Katharerburgen erzählen vom Kampf gegen Kirche und Krone, eine gelbe Pflanze vom blauen Wunder, das Okzitanien im Mittelalter reich machte.
Acht Welterbestätten birgt die zweitgrößte Region Frankreichs, 40 grands sites – und unzählige Highlights, die abseits liegen. 50 dieser Juwelen enthält dieser Band. Abseits in Okzitanien: Bienvenue im Paradies für Entdecker! Hier* gibt es euren Begleiter.
Klaus Simon, Hilke Maunder, Secret Citys Frankreich*
Gemeinsam mit meinem geschätzten Kollegen Klaus Simon stelle ich in diesem Band 60 Orte in Frankreich vor, die echte Perlen abseits des touristischen Mainstreams sind. Le Malzieu in der Lozère, Langogne im Massif Central, aber auch Dax, das den meisten wohl nur als Kurort bekannt ist.
Mit dabei sind auch Senlis, eine filmreife Stadt im Norden von Frankreich, und viele andere tolle Destinationen. Frankreich für Kenner – und Neugierige!
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