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Brotbäume und Goldbäume

Die Cevennen sind bis heute eine einsame, arme Region. Um die Ernährung der Bevölkerung zu sichern, wurden bereits im Mittelalter gezielt Kastanien gepflanzt.

Kastanien… zu Tausenden bedecken Ihre Früchte im Herbst den Boden in den Cevennen. Foto: Hilke Maunder

Im 16. Jahrhundert war er zum vorherrschenden Baum der Bergregion geworden. Die „Brotbäume“ stillten nicht nur tagein, tagaus den Hunger der Gebirgler, sondern auch ihrer Tiere.

Abendstimmung in den Cevennen. Foto: Hilke Maunder
Abendstimmung in den Cevennen. Foto: Hilke Maunder

Gelagert wurden die Esskastanien in der cleda, zweistöckigen Speichern am Haus oder mitten im Hain, in denen bis zu zehn Tonnen Kastanien getrocknet werden konnten. Mehr als 200 Kastaniensorten wuchsen einst in den Cevennen.

1875 vernichtete die Tintenkrankheit große Bestände. In den 1950er-Jahren zerstörte der aus den USA eingeschleppte Rindenkrebs viele Bäume.

Brotbäume fürs (Über-)Leben

Brotbaum der Berge: Kastanien. In Saint-Martial hält Francine ihre getrockneten châtaignes in der Hand. Foto: Hilke Maunder
Brotbaum der Berge: Kastanien. In Saint-Martial hält Francine ihre getrockneten châtaignes in der Hand. Foto: Hilke Maunder

Heute pflegt die Nationalparkverwaltung die alten Haine. Die Arme-Leute-Frucht hat längst als regionale Spezialität Karriere gemacht. Das Holz ist als Baumaterial begehrt.

Alles wurde einst verwendet. Aus den Ästen entstanden Körbe. Das Laub diente im Stall als Einstreu. Und in manchen Tälern galten Maronen und Kastanien sogar als Zahlungsmittel.

Mitten in alten Kastanienhainen wurde dieses alte Cevennenhaus umgewandelt zum Feriendomizil der Familie. Foto: Hilke Maunder

Von der Wiege bis zum Grab begleitete die Kastanie das Leben der Cévenols – und prägte ihre Sitten und Kultur. Bei der afachada, dem Rösten der Frucht, wurden am Feuer Geschichten erzählt.

Liebespaare nutzten hohle Kastanienbäume als Briefkästen. Und während der Camisardenkriege gegen die französische Krone hielten die Hugenotten ihre Treffen im Schutz der Kastanienhaine ab.

Die Ess-Kastanie ( châtaigne) gehört im Herbst fest zu französischen Küche dazu. Foto: Hilke Maunder
Die Ess-Kastanie ( châtaigne) gehört im Herbst fest zu französischen Küche dazu. Foto: Hilke Maunder

Esskastanie oder Marone?

2018 wählte die Dr. Silvius Wodarz Stiftung die Esskastanie zum Baum des Jahres 2018. Ihre Frucht ist kleiner, dunkler und runder als die Maroni. Die Maroni ist eine Weiterzüchtung der Esskastanie. Sie ist herzförmiger und  hat einen intensiveren und süßeren Geschmack.

❤ Crème de châtaigne ❤

 Zutaten

• 500 g Kastanien
• 200 g Zucker
• 200 ml Wasser
• 1 Tonkabohne
• 1/2 Teelöffel Fleur de Sel

Foto: Hilke Maunder

Zubereitung

Die Kastanien waschen, die Schale einmal rundherum einschneiden und 15 Minuten auf kleiner Flamme aufkochen. Dann die Schale samt innerer Haut entfernen. Achtung: nicht zu viel Hitze auf einmal auf die Kastanien geben, sonst werden sie mehlig und bröselig!

Die enthäuteten Kastanien danach mit allen Zutaten erneut 30 Minuten auf kleiner Flamme kochen und dabei umrühren. Gegebenenfalls pürieren, bis die Masse schön cremig ist. Nach Belieben mit Rum, Armagnac oder Cognac abschmecken.

Frankreichs berühmte Maronencrème

Die Kastanien sind heute wieder Brotbäume. Ihr Mehl ist eine glutenfreie sowie basische Alternative zu herkömmlichem Weizenmehl. Ihre Frucht machte Clément Faugier zur Leckerei.

1882 erfand er ein industrielles Verfahren für die Herstellung der glasierten Maroni, die bereits am Hof von Ludwig XIV. sehr geschätzt waren.

Drei Jahre später kam er auf die Idee, wie er den Bruch nutzen könnte, der bei der Herstellung der glasierten Früchte entstand. Er ließ den Bruch zerkleinern, versetzte ihn mit Maronenmark, Konfiseriesirup, Zucker und Vanille – voilà : Die berühmte Crème de Marrons de l’Ardèche war erfunden. Einst gab es sie nur in der berühmten Büchse, heute auch in kleinen Größen in der Tube.

Goldbaum: die Maulbeere

Roi René holte Maulbeerbäume für die Seidenraupenzucht nach Frankreich. Foto: Hilke Maunder
Seidenraupen lieben Maulbeerbaumblätter! Foto: Hilke Maunder

Als „Goldbaum“  galt der Maulbeerbaum, der die Cevennen im 18. Jahrhundert zum Zentrum der Seidenraupenzucht machte. Doch bereits viel früher war dort in der Renaissance die Zucht des weißen Maulbeerbaumes gelungen. Seine Blätter bildete die Futtergrundlage für den Seidenspinner.

Dennoch kam die Seidenraupenzucht erst richtig in Schwung, als im Winter 1709 bei starkem Frost nahezu alle Kastanienbäume erfroren. Die Maulbeerbäume waren weniger kälteempfindlich. Alte Kastanienhaine wandelten sich zu Maulbeerbaumplantagen. Und in den Cevennen begann das „goldene Zeitalter“ der Seide.

Neue Häuser für die Raupen

Das Seidenmuseum von Saint-Hippolyte-du-Fort. Foto: Hilke Maunder
Das Seidenmuseum von Saint-Hippolyte-du-Fort. Foto: Hilke Maunder

Für die Zucht der Raupen veränderte sich die Architektur. Da die Raupen viel Licht und Luft brauchten, wurden die Häuser für eine solche magnanerie nun hoch als mehrstöckige Steinhäuser errichtet.

Wer sich ein großes Haus nicht leisten konnte, hielt auch im Keller und sogar  in den Wohnräumen Raupen  – auf Holzregalen mitten in der guten Stube.

Die Raupen waren empfindsame Hausgenossen. War es ihnen zu kalt, produzierten sie nur dünne Fäden. War es zu warm, zu feucht oder zu wenig belüftet, wurden sie krank.

Roi René holte Maulbeerbäume für die Seidenraupenzucht nach Frankreich. Foto: Hilke Maunder
Seidenraupen lieben Maulbeerbaumblätter! Foto: Hilke Maunder

Ausbrüten am eigenen Körper

Zum Ausbrüten wurden die Eier oft direkt am Körper in kleinen Beuteln aus Leinen getragen. Später gab es Brutöfen, die mit Petroleum beheizt wurden. War die Raupe ausgewachsen, stellten die Züchter Heidestöcke zum Verpuppen bereit. Drei Tage lang wickelte der Seidenspinner seine Fäden um die Ästchen und bildete einen weißen Kokon.

Die Kokons der Seidenraupen. Foto: Hilke Maunder
Die Kokons der Seidenraupen. Foto: Hilke Maunder

Um zu verhindern, dass der Faden beim Ausschlüpfen reißt, wurde das Verspinnen vorzeitig beendet und der Kokon in heißem Wasser eingeweicht, bis der Faden abgewickelt werden konnte.

Da die Arbeit sehr viel Fingerspitzengefühl erforderte, wurde diese Arbeit von Frauen oder sogar Kindern übernommen. Später wurde dieser Arbeitsschritt von Maschinen übernommen.

Eine Maschine zum Abwickeln des Seidenfaden aus dem Kokon. Foto: Hilke Maunder
Eine Maschine zum Abwickeln des Seidenfadens aus dem Kokon. Foto: Hilke Maunder

Seiden-Reiche: Pyrenäen & Cevennen

Frankreich stieg zum führenden Seidenproduzenten Europas auf. Dreiviertel aller Seide stammte aus den Pyrenäen.

Die in den Pyrenäen hergestellte Seide war oft dicker und fester als die in anderen Regionen Frankreichs hergestellte Seide. Sie wurde  daher für die Herstellung luxuriöser Stoffe wie Brokate, Samt und Damaste verwendet. Toulouse, Albi, Montauban und Castres waren Zentren der dortigen sériculture.

Im Gegensatz dazu war die Seide aus den Cevennen feiner und leichter und wurde hauptsächlich für die Herstellung von Seidenstrümpfen und anderen zarten Kleidungsstücken verwendet.

Der Boom der Seide ließ die Bevölkerung wachsen und sorgte dafür, dass die abgelegene Bergregion Anschluss an die Wirtschaftszentren erhielt. Ein wenig Wohlstand zog in die Berge.

Frisch gesponnene Seide. Foto: Hilke Maunder
Frisch gesponnene Seide. Foto: Hilke Maunder

Aufgrund mangelnder hygienischer Verhältnisse wurden die Seidenraupen in den Cevennen Mitte des 19. Jahrhunderts von der sich schnell ausbreitenden Fleckenkrankheit (la pébrine) befallen. Als Louis Pasteur 1867 ein Gegenmittel fand, war es zu spät.

Die Industrie importierte bereits den Rohstoff für die Seidenherstellung aus China und Japan. Nach dem Ersten Weltkrieg lag die Seidenindustrie in den Cevennen am Boden.

Doch die Goldbäume schmücken bis heute mit großen Blättern die Dörfer der Berge. Verarbeitet wurde die Seide vor allem in Lyon. Dort halten einige engagierte canuts bis heute ihr Handwerk lebendig. Klickt mal hier!

Bertrand macht den Feuertest: Welcher Stoff ist nicht aus echter Seide? Jene brennt nicht, sondern verkokelt und riecht dabei nach verbrannten Haaren. Foto: Hilke Maunder
Bertrand macht den Feuertest: Welcher Stoff ist aus echter Seide? Diese brennt nicht, sondern verkokelt und riecht dabei nach verbrannten Haaren. Foto: Hilke Maunder

Brotbäume & Goldbäume: meine Tipps

Die Kastanie entdecken

Castanea – Espace découverte de la Châtaigne d’Ardèche

Vom 15. September bis 15. November werden im Süden des Départements Ardèche die Kastanien geerntet. Die Châtaigne d’Ardèche erhielt 2006 die AOC-Anerkennung, 2014 das AOP-Siegel für frische und getrocknete Kastanien und Kastanienmehl. Mit Ausstellungen, Ateliers und Kursen sowie Kastanienshop bringt euch Castanea die Frucht näher.
• Parvis de l’Église, 07260 Joyeuse, Tel. 04 75 39 90 66, www.castanea-ardeche.com

Musée Cévenol

Der Esskastanienanbau, die Seidenraupenzucht und andere traditionelle Wirtschaftszweige der Cevennen dokumentiert auf drei Etagen das Musée Cévenol.
• 1, rue des Calquières, Le Vigan, Tel. 04 67 81 06 86, https://musee-cevenol.fr

Fête de la châtaigne

Seit 1996 feiert Lassale in den Cevennen alljährlich sein Kastanienfest mit einem großen Produzentenmarkt und vielen Veranstaltungen.
www.facebook.com/FetedelachataigneLasalle

Auf den Spuren der französischen Seide

Seidenraupe und Seidenmotte. Foto: Hilke Maunder
Seidenraupe und Seidenmotte. Foto: Hilke Maunder

Musée de la soie

Das Seidenmuseum erläutert nicht nur Geschichte und Technik der Seidenherstellung, sondern lädt ein, auch einmal selbst sich in der Seidenzucht zu versuchen. Die Eier dazu werden Ende April verkauft und bei Bedarf auch per Post versandt.
• Place du 8 Mai, Saint-Hippolyte-du-Fort, Tel. 04 66 77 66 47, www.museedelasoie-cevennes.com

Le sentier des vestiges de l’industrie de la soie

Der markierte Themenweg führt in drei Varianten von 45, 60 und 90 Minuten in Saint-Hippolyte-du-Fort zu den Spuren, die die Seidentätigkeit hinterlassen hat.

Le sentier patrimonial de la soie

In Cros verrät ein zwei Kilometer langer Lehrpfad, wie die Seidenproduktion die Landschaft geprägt hat.

Le sentier botanique von Monoblet

Auf dem Naturlehrpfad kommt ihr auch an den Maulbeerfeldern von Kokuso vorbei in der Nähe der Spinnerei von Gréfeuilhe  mit den Soieries des Cévennes und Séricyne. Die Werkstätten können nicht besucht werden.

Le sentier des fileuses von Colognac nach Lasalle

Der 8,5 Kilometer lange Weg der Spinnerinnen verläuft auf einer alten draille (Viehtriebsweg), die Colognac mit Lasalle verband und von den jungen Mädchen benutzt wurde, die nach Lasalle gingen, um in den Spinnereien zu arbeiten.

Gegen Nachtfröste im März hilft Feuer auf der Domaine Terre de Bardet. Foto: Hilke Maunder
Dieser Winzer bereitet seinen kleinen Imbiss bei der Arbeit am Weinberg der Terre de Bardet vor: geröstete Kastanien. Foto: Hilke Maunder

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Im Blog

Mehr zu den Cevennen findet ihr hier.

Cevennen: Der Genuss der wilden Berge

Das Rezept: Velouté de châtaigne

Im Buch

Okzitanien abseits GeheimtippsOkzitanien: 50 Tipps abseits der ausgetretenen Pfade*

Okzitanien ist die Quintessenz des Südens Frankreichs. Es in den Höhen der Cevennen, endet im Süden am Mittelmeer – und präsentiert sich zwischen Rhône und Adour als eine Region, die selbstbewusst ihre  Kultur, Sprache und Küche pflegt.

Katharerburgen erzählen vom Kampf gegen Kirche und Krone, eine gelbe Pflanze vom blauen Wunder, das Okzitanien im Mittelalter reich machte. Acht Welterbestätten birgt die zweitgrößte Region Frankreichs, 40 grands sites – und unzählige Highlights, die abseits liegen. 50 dieser Juwelen enthält dieser Band. Abseits in Okzitanien: Bienvenue im Paradies für Entdecker!  Hier* gibt es euren Begleiter.

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4 Kommentare

  1. Sogar in Schleswig gab es diese Zeiten, zu denen die Seidenraupenzucht versucht wurde. Ein grosser Maulbeerbaum gegenüber vom Bahnhof trug noch in meiner Kindheit üppig die leckeren Früchte. Viele Jahrzehnte später durfte ich die auf meinen Reisen durchs Zentralmassiv wieder geniessen.

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