Cidre – der Zaubertrank der Bretonen
„Die Bretagne trinkt Cidre“, schrieb Kurt Tucholsky 1925 in seinem Essay „Ein Platz im Paradiese“. Und so ist es noch heute. Seit mehr als 800 Jahren ist der moussierende Apfelwein im Westen von Frankreich das Nationalgetränk.
Und ist doch ein Einwanderer. Denn der Anbau der Mostäpfel kam aus Spanien in die Bretagne. Dies geschah bereits im 12. Jahrhundert. Bis zum 17. Jahrhundert breitete er sich über die gesamte Region aus.
Rasch wurde Cidre zum täglichen Getränk der einfachen Leute. Denn sauberes Trinkwasser war damals eine Rarität. Heute ist die Bretagne mit einem Marktanteil von 25 Prozent nach der südlichen Normandie der größte Apfelwein-Produzent Frankreichs.
Vom normannischen Konkurrenten unterscheidet sich der bretonische Apfelwein durch einen höheren Anteil an säuerlichen und süß-säuerlichen Äpfeln.
Mix aus alten Sorten
Sortenreine Cidre gibt es fast gar nicht. Meist ist der bretonische Apfelwein – wie auch er normannische und baskische – eine Cuvée, sprich eine sorgfältig ausgewogene Mischung verschiedenster Apfelsorten. Verwendet werden nicht Granny Smith oder Golden Delicious, sondern uralte Sorten, die typisch für das jeweilige Anbaugebiet sind.
In den Obsthainen des Départements Côtes d’Armor beispielsweise wachsen an Niedrigstämmen sieben Sorten, deren Namen allein schon genügen, um den Gaumen vom späteren Genuss träumen zu lassen. Douce-Moen, Douce-Coët-Ligne, Marie-Ménard, Jeanne Renard, Rouget de Dol, Kermerrien und Judor ...
In der Cornouaille werden hingegen hauptsächlich die traditionellen Apfelsorten Doux Évêques, Bénédiction Saint-Anne und Chevalier verwertet. 38 Betriebe keltern aus ihnen seit 1996 den einzigen bretonischen Cidre mit AOC-Gütesiegel.
Der König des Cidre
Als „Champagner“ und König der Apfelweine gilt der Royal Guillevic, der als einziger Cidre der Bretagne das rote Qualitätssiegel Label Rouge trägt. Im Gegensatz zu allen anderen Cidres wird er nicht aus mehreren Apfelsorten komponiert, sondern sortenrein aus der Apfelsorte Guillevic gekeltert, die nur im Morbihan rund um Vannes wächst.
Bis vor wenigen Jahren braute fast jeder Bauer seinen eigenen Apfelwein. Voller Stolz zeigten sie ihren Gästen ihr ty sistr (Cidrehaus) und luden zur Verkostung ein. In der Stadt ließ man sich ein Fass liefern und füllte das Lieblingsgetränk des Westens selbst in Flaschen um. Und ein Sonntagsspaziergang endete stets mit einer bolée im Gasthof. Ein Krug wurde bestellt und das kühle Getränk gemeinsam mit der Familie oder Freunden aus tönernen Henkeltassen genossen.
Heute laden die elf Erzeuger entlang der Route de Cidre AOC Cornouaille auch die Touristen zu einer Betriebsbesichtigung und Degustation vor Ort ein. So auch Hervé Seznec vom Manoir zu Kinkiz, dessen Cidre in Paris 2006 und 2007 die Goldmedaille holte.
Ça ne vaut pas un coup de cidre – Das ist keinen Pfennig wert. (bretonisches Sprichwort)
Die Renaissance des Poiré
Werden bei der Herstellung statt Äpfeln Birnen vergoren, entsteht ein Poiré. Der Birnenwein war bis in die 1960-er Jahre genauso beliebt und bekannt wie der Apfelwein. Dann aber geriet er in Vergessenheit. Um die Renaissance der Traditionstrunks bemüht sich besonders die 1987 gegründete Interessenvereinigung Les Mordus de la Pomme, die aktive Lobbyarbeit für den Obstbau an der Rance betreibt.
Gemeinsam mit dem Lycée Caulnes machten sich ihre Mitglieder in den Départements Ille-et-Vilaine und Côtes d’Armor auf der Suche nach alten, vergessenen Sorten. Sie fanden in Dinan La Julienne, in Hédé La poire de Mathaw und in Caulnes La poire de Chèvre. Danach pflanzten sie 150 der wiederentdeckten Raritäten paarweise in einem Versuchsobsthain an. Mittlerweile wurden die Früchte der Arbeit geerntet – und die ersten 30.000 Flaschen ihres süffigen Poiré fermier binnen weniger Monate verkauft.
Hochgeschätzt und hochprozentig
Zum Inventar eines Cidre-Bauerns gehörte stets auch ein Alambic, durch den sich der Apfelwein in gleichermaßen hoch geschätzte wie hochprozentige Tropfen verwandelte – einen Fine de Bretagne oder Lambig. Wie, zeigt das Brennereimuseum Musée de l’Alambic direkt neben der Destillerie Le Plessis in Quimper.
Wird ein Cidre einfach gebrannt, entsteht ein Fine de Bretagne. Bei der dreijährige Lagerung im Eichenfass erhält er sein subtiles Gleichgewicht fruchtiger und waldiger Duftnoten sowie seine warme Bernsteinfarbe.
Zweimal gebrannt, verwandelt sich der Cidre in einen bretonischen Apfelschnaps mit 40 Vol.%. Je nach Region wird er Goutte, Lambig oder Lagout sistr genannt. Oder erhält den Spitznamen Louarn kamm (hinkender Fuchs).
Die Gattungsbezeichnung Calvados ist der gleichnamigen Region der Normandie vorbehalten. Doch im Geschmack steht das Eau de vie de Bretagne seinem nördlichen Nachbarn in nichts nach. Doch leider ist der Genuss begrenzt. Jeder Bretone darf nur 20 Liter Lambig pro Jahr destillieren.
Dritter im Bunde ist der Pommeau AOC de Bretagne, den 1986 die Distillerie des Menhirs in Plomelin erfand. Bei ihm stoppt Apfel-Branntwein die Gärung des frisch gepressten Apfelsaftes.
Nach mindestens 14-monatiger Lagerung in Eichenfässern entsteht aus dem Aroma von 30 zugelassenen Apfelsorten ein süßer Aperitif mit angenehmer Säure und 17 % vol., der aufs Köstliche Honigmelonen, warme Austern und Stopfleber als Entree ergänzt oder Desserts mit Äpfeln oder Schokolade begleitet. Yec’hed mat – zum Wohl!
Écoutons la chanson du bon cidre qui mousse!
Ecoutons la chanson du cidre doré!
C’est la chanson du pâtre, la chanson du mousse,
Le chant de la grand’lande et du grand flot sacré!Hören wir das Lied des schäumenden Cidre,
hören wir das Lied des goldenen Cidre, es ist das Lied des Hirten,
es ist das Lied des jungen Matrosen,
es ist das Lied der weiten Heide und der gesegneten Hut.Thédore Boterel (bretonischer Dichter, 1868 – 1925)
Bretonischer Cidre: die Infos
Feste
Cidre-Nacht
Alljährlich am dritten Mittwoch im August feiert La Fôret-Fouesnant seine Nuit de Cidre mit Vorführungen alter Kelterpressen, Kostproben und klassischen Konzerten.
• www.foret-fouesnant-tourisme.com
La Fête du Cidre
Am letzten Sonntag im September wird im Museumsdorf Poul-Fétan ein Cidrefest gefeiert, bei dem vor Ort auch Apfelsaft selbst frisch gepresst werden darf! Den wunderschönen Rahmen dazu bilden granitene Reetdachkaten aus dem 16. Jahrhundert, vor denen Stockrosen üppig blühen.
• Poul-Fétan, 3 km südwestlich von Quistinic, Tel. 02 97 21 07 84, www.poulfetan.com
Journées du Cidre
Die Apfelhaine, die seit dem frühen 18. Jahrhundert das Herrenhaus von Kernault in Mellac umgeben, ergänzen seit 1995 Versuchsfelder. Auf ihnen werden 42 alte Apfelsorten zur Cidreherstellung getestet. Bei den Cidre-Tagen Anfang November könnt ihr die Ergebnisse kosten.
• Mellac (bei Quimperlé), Tel. 02 98 71 90 60, www.finistere-tourismus.com
Fête de la Pomme et du Patrimoine Fruitier
Auch in Quévert zwei Kilometer westlich von Dinan gehört das erste Novemberwochenende dem Apfel. Seit 1985 wird hier beim Fest des Apfels und dem Erbe der Obstbäume der beste Cidre gekürt. Ebenfalls vorgestellt und verkostet werden Pommeau und Lambic – ausgelassene Stimmung ist dabei garantiert!
• www.mordusdelapomme.fr
Museen
Musée du Cidre
Vom 15. März bis 30. September öffnen Janine und Jean-Yves Prié die Pforten ihrer Cidre-Kellerei im Hinterland der Bucht von Mont Saint-Michel. Der von ihr hergestellte Landapfelwein erhielt mehrere französische Auszeichnungen.
• Pleudihen-sur-Rance, Tel. 02 96 83 20 78, www.museeducidre.fr
Musée du cidre du pays Vannetais
Mit den authentischen Gerätschaften eines original erhaltenen Apfelhofes erzählt das Museum lebendig von den Anfängen des Apfelanbaus, erläutert die handwerkliche Herstellung von Cidre und Branntwein und präsentiert die Menschen hinter dem Traditionsgetränk.
• Le Hézo, Presqu’île de Rhuys. Tel. 02 97 26 47 40, www.museeducidre.com
Cidre-Betten
Les Foudres de La Fouquais
Gute Nacht im Fass! Wo bis in die 1990-er Jahre noch bretonischer Cidre gärte, steht heute ein Doppelbett für romantische Nächte. Fünf große Cidre-Fässer aus Eichenholz hat das Ehepaar Busson von einer Cidrerie gekauft und in gemütliche Gästezimmer für zwei Personen verwandelt. Das kleine Fässer-Dorf Les Foudres de la Fouquais in Cornille steht 35 Kilometer östlich von Rennes in der Bretagne mitten in der Natur.
Die fünf Eichenfässer mit klangvollen Namen wie Liebesapfel liegen auf dem Bauch rings um einen zentralen Lagerfeuerplatz. Für mehr als ein großes Doppelbett ist in den urigen Fässern kein Platz. Deshalb beherbergen zwei größere Cidre-Fässer am Rand des Dorfes die Küche und den Frühstücksraum.
Auch die Waschräume mit Duschen und Toiletten sind in drei weiteren Fässern untergebracht. Quartiert euch im Herbst mal dort ein, wenn in der Umgebung viele Cidrerien wieder ihre Türen für Besucher und einladen, die Herstellung des bretonischen Cidre einmal hautnah zu erleben. Und die riesigen Eichenfässer zu sehen, in denen der frisch gepresste Apfelsaft gärt
• Les Foudres de La Fouquais, www.lesfoudresdelafouquais.fr
Besondere Tropfen
Auszeichnete bretonische Cidres
Auf Frankreichs Weinmessen erhalten die bretonischen cidres artisanals, die handwerklich hergestellt und natürlich gegärt wurden, Auszeichnungen und Preise. Zu den besten Apfelweinen gehören:
- Cidre de Goarimic: Im Norden der Cornouaille reifen am Ufer der Aulne die Äpfel für diesen trockenen Traditions-Cidre mit 5 Volumenprozent Beim Concours Général Agricole in Paris gab es im Jahr 2000 Silber für den Tropfen.
- Cidre Kerné: Ein Genuss ist auch der mehrfach ausgezeichnete halbtrockene Cidre von Yves Bosser aus Pouldreuzic. Ihn gibt es nicht nur in 0,75 l-Flaschen, sondern auch in kleineren Größen mit 375 ml und 250 ml.
- Cidre de la Vallée de l´Odet: Nur aus Jus pur, ohne beigefügten Zucker, werden seit 1919 im Odet-Tal leichte, liebliche Cidres mit nur 3 Volumenprozent hergestellt.
- Domaine de Kervéguen: Den in Eichenfässern gereiften Cidre gibt es in den Varianten trocken oder halbtrocken.
- Carpe Diem: Der altherkömmliche Cidre von Eric Baron reift in Eichenfässern. Das verleiht ihm einen unnachahmlichen Geschmack. Der Kellermeister des Elysée war begeistert – und bestellte ihn für den Präsidenten.
- Solve & Coagula: Der ausgewogene Cidre der Cidrerie du Golfe, die auf fünf Hektar Obsthainen fünf Apfelsorten anbaut, passt perfekt zu frischem Ziegenkäse.
- Free Rider nennt sich ein Cidre extra brut von Isabelle Richard und Marc Frocain mit sehr feiner Perlung und dezent bitteren Noten.
- Nérios von Johanna Cécillon und Louis Grippat ehrt mit 8,5 % vol. den gleichnamigen keltischen Gott.
- Royal Guillevic: Nur drei Cidriers produzieren den sortenreinen Cidre aus dem Süden des Morbihan: Thierry Cramet, Anne und Eugène Le Guérroué sowie Didier und Jean-Michel Nicol.
Cidre entdecken
Bretonische Cidre-Straße
La route du cidre en Cornouaille führt euch zu den Produzenten des Cidre AOP Cornouaille.
• www.cidref.fr
Normannische Cidre-Straße
Durch das normannische Apfelland zwischen Cabourg und Lisieux führt die Route du Cidre. An der 40 Kilometer langen Rundstrecke produzieren rund 20 Höfe das Lieblingsgetränks von König Franz I. Bei ihnen könnt ihr den Cidre fermier noch frisch aus dem Fass und naturtrüb vor Ort probieren.
• https://meinfrankreich.com/die-route-du-cidre-der-normandie
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Im Blog
Zu Cidre werden traditionell Crêpes und Galettes gegessen. Bitte einmal hier klicken!
Der Klimawandel macht es möglich: Aus der Bretagne kommt heute auch Wein. Hier gibt es die Infos!
Vielen Dank für diesen ausführlichen Einblick. Cidre ist auch zum Kochen sehr beliebt. Ich hatte auch ein Kuchenrezept mit Cidre. Es enthielt auch Muskat. Leider habe ich es bei irgendeinem Umzug verloren. Und Hühnerschenkel in Cidre finde ich sogar noch besser als in Wein.
Hallo. ja, es gibt köstliche Gerichte mit Cidre – auch Coq au vin schmeckt top mit Cidre. Und auch Ceviche. Viele Grüße, Hilke