Frankreichs Phänomen: la Diagonale du Vide
Von Strommasten überspannte Felder. Wohngebiete im Einheitslook. Gewerbegebiete im Grünen. Straßen ins Nirgendwo. Nicht-Orte, die sich in Frankreich einmal quer durchs Land ziehen. Die imaginäre Linie der Diagonale du Vide.
Pierre Péju hatte mich mit seinem gleichnamigen Roman, der 2009 bei Gallimard erschienen war, auf dieses Phänomen aufmerksam gemacht. Ich hatte Péju durch Die kleine Kartäuserin entdeckt, hatte den Roman verschlungen. Und war neugierig gewesen, was sich hinter dem Titel verbarg, der mir so gar nicht sagte. Die Handlung ist rasch erzählt.
La Diagonale du Vide im Roman
Marc Travenne, ein talentierter Designer und Geschäftsmann, führt ein hektisches Leben. Überzeugt, dass er sein eigenes Leben in der Hektik von Arbeit und Alltag verpasst hat, beschließt er einen Ausstieg auf Zeit und zieht sich in einen gîte, eine einsame Hütte in der Ardèche, zurück. Dort stört eine rätselhafte Wanderin seine Einsamkeit. Seit Tagen wandert sie die diagonale du vide entlang.
Travenne folgt der Wanderin auf dem schmalen Landstreifen, der Frankreich von den Ardennen im Nordosten bis zum Département Landes des Südwestens teilt. Bis sie vor seinen Augen entführt wird. Und er am Ende des Buches erkennt: Die Diagonale der Leere ist kein französisches Unikum. Sondern eine Linie der Einsamkeit, die an allen Orten die Welt durchquert.
La Diagonale du Vide im Film
Doch nirgendwo hat sie so die Künstler inspiriert wie in Frankreich. Und das nicht nur in der Literatur, sondern auch in der Kunst. Guillaume Ballandras inspirierte die Diagonale der Leere im Jahr 2016 zum Empty-Diagonal-Kurzfilm, der in ruhigen, stillen Einstellungen eine Odyssee in den Randgebieten Frankreichs erzählt, von einer Figur zur anderen.
2016 lief sein Film als Wettbewerbsbeitrag auf dem Filmfestival Visions du Réel im Schweizer Nyon in der Kategorie Internationale Courts Métrages. 2018 wurde der Film für das Indepentent-Film Festival Les Inattendus – Festival de films (très) indépendant in Lyon ausgewählt.
Im Buch wie im Film ist in dieser starren, entleerten Welt jede Bewegung ein Ereignis. Alles ist möglich. Wie bei Jacques Tati, bei dem Ballandras das Beschleunigen der Figuren und die in der Nachsynchronisation versetzten Stimmen entlehnt sind, beginnt das Leben mit den Eindringlingen.
Bei Ballandras, als der dritte Weltkrieg begonnen hat. Und das Leben surreal geworden ist. So, wie die Frau im Bikini auf dem Asphalt liegt.
La Creuse: das Herz der Diagonalen
„La Creuse? Da bist Du völlig in der Pampa gelandet! Da wohnt niemand. Oder höchstens ein Pariser, der sich mal von der Großstadt erholen will!“ Ungläubig sieht mich meine französische Gaststudentin Camille an, als ich sie frage, ob sie die Creuse kenne.
Schließlich studiert sie Geschichte, ist sehr belesen. Und wohnt im Nachbardépartement. Doch: la Creuse? „Da war ich noch nie. Was soll ich denn da?“
Die Creuse beklagte die meisten Gefallenen im Ersten Weltkrieges und die dritthöchste Quote derer, die 1871 auf den Barrikaden der Pariser Kommune fielen. Heute ist sie das ärmste aller Departements, mit den wenigsten Schulen, Krankenhäusern und noch funktionierenden Bahnlinien, mit den meisten alten Leuten und den meisten arbeitslosen Jugendlichen. Und das am wenigsten besiedelte Departement, mit fast einem Prozent Abwanderung pro Jahr. Doch man könnte auch ganz andere Rekorde nennen: Die Creuse ist das Departement mit der reinsten Luft, dem größten Vogelreichtum – und den wenigsten Anhängern des rechtsradikalen Le Pen.
Das schrieb Dagmar Brocksin 1989 in einem zauberhaften Artikel für Die Zeit, den ihr hier nachlesen könnt. Wenig hat sich hier verändert seitdem. Und auch die Gilets Jaunes findet wenig Rückhalt. Le Rat, die Ratte, heißt dort ein Dorf, Gueret die gerade mal 10.000 Einwohner zählende Hauptstadt.
Berühmt wurde nur Aubusson, das Protestanten aus Flandern mit ihrem Know-how zur Hochburg der Bildweberei machten. Eine Tradition, die heute die Cité de la Tapisserie hochhält.
Landwirtschaft und Holzsägereien reichten kaum aus, um die Bewohner der Creuse zu ernähren. So wanderten sie ab, entvölkerten diesen Landstrich. Und bewahrten eine traumhaft schöne Naturlandschaft.
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Pierre Péju, La Diagonale du Vide*
Marc Travenne ist davon überzeugt, dass er „seine eigene Geschichte verpasst hat“. Er beschließt, sein turbulentes Leben als Designer und Geschäftsmann hinter sich zu lassen und sich auf die Straße zu begeben.
Er zieht sich in eine verlorene Herberge auf einer windgepeitschten Hochebene in der Ardèche zurück. Bald stört eine seltsame Wanderin seine Einsamkeit. Sie wandert seit Tagen entlang der Diagonale der Leere.
Travenne macht sich auf die Suche nach dieser Frau, die Zeit hat, ihm einen Teil ihrer Geheimnisse zu verraten, bevor sie vor seinen Augen entführt wird. Von Begegnung zu Enthüllung gerät sein Leben in Bewegung, als er entdeckt, dass die Diagonale der Einsamkeit auch durch New York, Paris und Afghanistan führt.
Noch fehlt eine deutsche Übersetzung. Doch Pierre Péju schreibt so, dass auch Anfänger des Französischen ihn gut verstehen können. Schnörkellos, klar und einfach. Und doch unglaublich poetisch. Mit genauen Beobachtungen und stillen Worten erzeugt Pierre Péju Spannung, zeichnet meisterhaft seine Figuren, und nimmt euch mit auf die Reise durch die Diagonale du Vide. Wer mag, kann den Roman online hier als Taschenbuch* oder als E-Buch bestellen.
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Herzliche Grüsse aus dem Gers!
Merci und liebe Grüße in den Gers. So Schön dort!
https://meinfrankreich.com/gers/
Bonjour Hilke,
merci pour vos magnifiques photos. Tous mes compliments. Mais la première photo me taraude un petit peu: Jarnac dans les Ardennes? Y a-t-il un deuxième Jarnac quer je ne connais pas? Pour moi, Jarnac, le fief de Miterrand se trouve dans la Charente. Eclairez-moi de vos lumières s’il vous plaît
Bien à vous
Bonjour Evelyne, Jarnac dans la Charente: quelle belle ville natale de Mitterrand: https://meinfrankreich.com/jarnac-hausboot. Et vous avec raison (et j’ai vite corrigé). c’était Jandun dans les Ardennes! Merci pour votre vue de correction sûre!
Bien cordialement, Hilke
Liebe Hilke Maunder,
Ihr Internetauftritt ist großartig!
Vielen Dank für die vielfältigen und sehr aktuellen Informationen!
Mit herzlichen Grüßen aus HH!
S. Rahlf
Grüße nach Hamburg von einer Hamburgerin!