Das Straßenschild der Street Art City von Lurcy-Lévis im Département Allier. Foto: Hilke Maunder
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Lurcy-Lévis: die Street Art City

Sie ist Frankreichs Villa Medici der urbanen Kunst: die Street Art City von Lurcy-Lévis, einer kleinen Stadt im zentralfranzösischen Département Allieretwa 40 km nordwestlich von Moulins.

Weniger als 2000 Einwohner zählt das Dorf, das für sein Schloss, seine Autorennbahn, auf der Formel-1-Rennställe ihre Tests durchführen, und sein 1897 errichtetes und noch immer in Betrieb befindliches Velodrom bekannt ist.

Lurcy-Levis: Detail der Street Art City. Foto: Hilke Maunder
Foto: Hilke Maunder

Und seit 2017 für ein erstaunliches Urban-Art-Projekt.  Ziel des Projekts ist es, die Street Art City zu einem globalen Freilichtmuseum für Straßenkunst zu machen.

Dazu lädt die Street Art City jedes Jahr talentierte Newcomer und Stars der Szene aus aller Welt ein, großformatige Wandbilder und Installationen an den Wänden der Gebäude machen.

Lurcy-Levis: Detail der Street Art City. Foto: Hilke Maunder
Foto: Hilke Maunder

Mehr als 400 Künstler aus aller Welt haben dort bereits ihren Talenten freien Lauf gelassen. Ihre Kunstwerke decken ein breites Spektrum an Stilen und Themen.

Als „Leinwand“ dienen nicht nur Gebäudefassaden entlang der Straße, sondern auch Künstlerateliers und vier Solo-Galerien in Innenräumen, wo schon die Graffiti-Künstler Zeso, Bast, Kelkin und Oji zu sehen waren.

Lurcy-Levis: Detail der Street Art City. Foto: Hilke Maunder
Foto: Hilke Maunder

Ihre kreative Spielwiese ist ein zehn Hektar großes Areal rund drei Kilometer südwestlich von Lurcy-Lévis.  Das ehemalige Ausbildungszentrum der PTT Postes, Télégraphes et Téléphones, 1982 eingeweiht und 1992 verlassen, war dort dem Verfall preisgegeben.

2003 kaufte der Lyoner Unternehmer Gilles Iniesta die Mikrostadt – eigentlich, um Gästezimmer dort einzurichten. Auf die Idee, dort ein Freilichtmuseum urbaner Kunst zu etablieren, brachte ihn seine Frau Sylvie.

Lurcy-Levis: Detail der Street Art City. Foto: Hilke Maunder
Ein Werk der Street Art City. Foto: Hilke Maunder

Heute lassen sich an den insgesamt 13 Gebäuden der Street Art City auf fast 40.000 Quadratmetern drinnen und draußen Fresken bewundern. Drei Stunden reichen kaum für den Rundgang vorbei, bei dem auffällig viele Gesichter bei meinem Besuch zu sehen war: Frauen, Krieger, Fischer und Piloten. Und der Blick eines Kindes, das der Peruvianer Sef auf die Fassade gemalt hat, mit buntem Hemd und krausem Haar.

Der deutsche Graffiti-Künstler Costwo, der sich auf 3D-Zeichnungen spezialisiert hat, schenkte der Street Art City ein großes Wandgemälde mit Werwolf und behandschuhter Schönheit: La Belle et la Bête in Blau und Gelb.

Lurcy-Levis: Detail der Street Art City. Foto: Hilke Maunder
Foto: Hilke Maunder

2021 und 2022 luden Gilles und Sylie den Katalanen Ben Caillous in ihre Street Art City ein. Wer in den Pyrénées-Orientales lebt, kennt ihn vielleicht. Er hat seinen sympathischen Figuren nicht nur in Perpignan hinterlassen, sondern auch als Fresko an einen Straßenrand in Egat in der Nähe von Font-Romeu gesetzt. Auch Werke von Ted Nomad sind dort zu bewundern.

Das „Hotel“ der Street Art City

Den Westgiebel des Hotels 128, der größten Wand der Street Art City, schmückte der Toulouser Graffiti-Künstler Snake, der auch drinnen ein Zimmer gestaltete.

Drinnen birgt das Hotel 128 exakt 128 Street-Art-Zimmern auf vier Etagen.

https://youtu.be/Sa4T9Vgtqrc

Einen von ihnen, den Raum 002, hat Bokran im August 2022 gestaltet. Über sein Werk schreibt der Urban-Art-Künstler:

Meine Arbeit ist eine Hommage an alle Opfer von Kriegen, Unterdrückung und Elend und insbesondere an meine Großmutter, die die Gräuel des 2. Weltkrieges erlitten hat.
Ursprünglich aus Saint-Denis in der Pariser Region, ging sie der Liebe wegen nach Deutschland. Sie lebte und floh vor den Bombardierungen Berlins durch die Amerikaner. Ihr Rückkehr zu Fuß nach Paris war übersät mit Hindernissen.

Mein Zimmer stellt ein Kiez-Kino dar, in dem ein auf Film entwickelter alter Film projiziert wird. Die Eröffnungsszene stellt eine Bombardierung durch B-17-Flugzeuge dar, das Modell, das von den Amerikanern verwendet wurde, um Berlin zu bombardieren. Es folgt der Exodus der Völker, die Unterdrückung derer, die nicht fliehen konnten, und die Hoffnung, daraus herauszukommen.

Wie ich an meinen Wänden erinnern wollte: Niemand ist immun. Jeder von uns kann eines Tages mit dieser Realität konfrontiert werden. Was nur Fiktion schien, nimmt Gestalt an. Wir sind alle besorgt.

Der französische Künstler Bokran verarbeitete das Trauma seiner Großmutter in als Kino-Kunst in Zimmer 2. Copyright: Bokran
Der französische Künstler Bokran verarbeitete das Trauma seiner Großmutter in als Kino-Kunst in Zimmer 2. Copyright: Bokran

Die Künstler der Street Art City

Mehr als 400 Straßenkünstler aus aller Welt haben bereits in der Street Art City von Lurcy-Lévis Wandbilder und Installationen geschaffen. Voilà die bekanntesten Künstler und ihre Werke.

Seth Globepainter

Der französische Straßenkünstler ist für seine großformatigen Wandmalereien von Kindern und Tieren bekannt. In der Street Art City hat Seth schon mehrere Wandbilder geschaffen. Besonders farbenfroh ist das Bild eines Jungen auf einem Fahrrad.
https://seth.fr

Ella & Pitr

Das französische Street-Art-Duo hinterlässt seine großformatigen Wandmalereien am liebsten auf Dächern. Der Street Art City legten sie einen schlafenden Riesen aufs Dach.
www.superbalais.com

Sainer

Der polnische Straßenkünstler gehört zu den Mitbegründern des Straßenkunst-Kollektivs Etam Cru. Für die Street Art City schuf Sainer ein Wandbild, das ein Mädchen inmitten von Blumen und Vögeln zeigt.
www.etamcru.com

Pixel Pancho

Der italienische Straßenkünstler liebt Robotermotive. In der Street Art City hält sein Roboter einen Blumenstrauß in der Hand.
https://pixelpancho.net

INTI

Aus Chile kam der Straßenkünstler INTI und hinterließ eine Frau mit einer Blumenkrone auf der Fassade.

Lurcy-Levis: Detail der Street Art City. Foto: Hilke Maunder
Foto: Hilke Maunder

Das Auswahlverfahren

Dies sind nur einige Beispiele. Die Street Art City zieht jedes Jahr neue Künstler und Besucher an und macht sie zu einem lebendigen Zentrum für zeitgenössische Straßenkunst. Wer mitmachen möchte, muss sich bewerben und eine E-Mail mit Fotos seiner Werke und Angaben zu seiner Person und seiner Arbeit einsenden.

Sobald die Bewerbungsphase beendet ist, werden alle Bewerbungen anonymisiert und einer fünfköpfigen Jury zur Blind-Auswahl vorgelegt.

Jedes Jurymitglied kann einem Kandidaten bis zu 20 Punkte zukommen. In einem zweiten Durchgang wählt das Quintett dann die finalen Teilnehmer. Der Andrang ist groß: Mehr als 900 Künstler stehen auf der Warteliste.

Lurcy-Levis: Detail der Street Art City. Foto: Hilke Maunder
Foto: Hilke Maunder

Das Projekt hat nicht nur die Gebäude selbst wiederbelebt, sondern auch dazu beigetragen, die lokale Wirtschaft anzukurbeln.

Mit Ausstellungen und Konzerten hat die Street Art City auch das Kulturleben vor Ort bereichert. Das urbane Kunstlaboratorium ist von März bis November für Besucher geöffnet.

Der Eingang zur Street Art City. Foto: Hilke Maunder
Der Eingang zur Street Art City. Foto: Hilke Maunder

Lurcy-Lévis

Hinkommen

Street Art City, 03320 Lurcy-Lévis, Tel. 06 44 95 59 86, www.street-art-city.com

Bahn

Der nächste Bahnhof befindet sich rund 18 Kilometer südwestlich in Saint-Pierre-le-Moûtier.

Schlemmen und genießen

Auf dem Gelände gibt es ein Bar-Restaurant, das von 11 bis 18 Uhr durchgehend geöffnet ist.

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Lurcy-Levis: Detail der Street Art City. Foto: Hilke Maunder
Foto: Hilke Maunder

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6 Kommentare

  1. Danke für den Tipp, Hilke! Ich war mal im Museum der ‚Meilleurs Ouvriers de France‘ in Bourges (die dort ausgestellten Meisterstücke verschiedenster Handwerker kann man problemlos auch als Kunstobjekte bezeichnen). Street-Art-City wäre da quasi auf meinem Weg gewesen, ich kannte es aber leider nicht. Das werde ich nachholen.

      1. Habe gerade gelesen, dass Bourges einige Museen – darunter das MOF-Museum – 2023 & 2024 für umfangeiche Renovierungsarbeiten geschlossen hat 🙁
        Aber du findest in der Zwischenzeit sicherlich viel anderes Berichtenswertes.

      2. Lieber Robert, danke für die Info! Und puuh, ja, es gibt genug Berichtenswertes – ich komme kaum hinterher! Herzliche Grüße, Hilke

  2. Danke für Ihren tollen Bericht.
    Unsere nächste Planung für eine Reise nach Frankreich wird die Street-Art-City beinhalten.

    Ich freue mich jede Woche über Ihren Newsletter.
    Besten Dank

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