Kaffeekultur trifft Lebensart: Saint-Germain-des-Prés. Foto: Hilke Mauder
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Saint-Germain-des-Prés: bei den Bobos

Jazzkneipen, Lifestyle und Literatencafés: Saint-Germain-des-Prés ist das Viertel der Bohème auf der Rive Gauche von Paris. In seinen berühmten Cafés trafen sich Pablo Picasso, Ernest Hemingway und Jean-Paul Sartre.

Und noch immer locken Bars, Bistros und Boutiquen mit gehobener Lebensart rund um die Rue de Rennes und die namensgebende Abteikirche des Viertels.

Beim Bummeln von der Seine zum geschäftigen Boulevard von Montparnasse merkt man schnell: Saint-Germain-des-Prés ist die Fortsetzung des Quartier Latin, nur schicker. Im Wissenschafts- und Kulturviertel der Rive Gauche säumen Boutiquen und Buchhandlungen, Galerien und Antiquariate die Straßen.

Die Abtei auf der Wiese

Namensgeber für das Viertel wurde eine Benediktinerabtei, die im 6. Jahrhundert auf  den Wiesen (prés) der Seine gegründet, die Grablege der fränkisch-merowingischen Könige war. Childerich I., Chlothar II. und Childerich II. fanden dort ihre letzte Ruhestätte.

Nach der Heiligsprechung von Germanus (frz. Saint-Germain) erhielt die Abtei 754 den Namen des Pariser Bischofs. Im 9. Jahrhundert von den Wikingern geplündert und niedergebrannt, wurde die Abteikirche wieder aufgebaut. Sie wurde umgebaut, geschleift und erst im 19. Jahrhundert so aufgebaut, wie die Église Saint-Germain-des-Prés heute erhalten ist.

Neben der alten Abteikirche birgt ein mit Haselnusssträuchern bestandener Park die Skulptur Hommage à Apollinaire von Picasso. Der Katalane hatte sein Atelier in Saint-Germain-des-Prés ganz in der Nähe in der Rue des Saints-Augustins, wo er 1937 seine berühmte Guernica vollendete.

Saint-Germain-des_Prés_ Café. Foto: Hilke Maunder
Ein opulenter Blumenschmuck macht dieses Café in Saint-Germain-des-Prés zum Hingucker. Foto: Hilke Maunder

Verschwenderische Farben

Den einstigen Ehrenhof der Abtei mit den Stallungen und der Remise für die Kutschen nimmt heute die kleine platanengeschmückte  Place de Furstemberg ein. 1857–1863 lebte der Maler Eugène Delacroix in Saint-Germain-des-Prés. Delaxroix lebte in einer Wohnung in der Rue de Furstemberg 6 und nutzte das Hinterhaus als Atelier.

Heute hält das Musée National Eugène Delacroix sein Andenken mit Gemälden, Zeichnungen und Druckgrafiken wach. Zu sehen ist auch Kunst aus Nordafrika, die Delacroix von seinen Reisen mitbrachte.

Sinnliche Frauen

Auch der ein französischer Bildhauer Aristide Maillol besaß einst ein Atelier in Saint-Germain-des-Prés. Er hat in seiner Plastik zeitlebens nur ein Thema gekannt – außerordentlich sinnliche Frauen, weiblich, kraftvoll und doch zerbrechlich. Letztes Modell und Muse war Dina Vierny. Sie hat sich um das Werk Maillols verdient gemacht.

1983 gründete sie die  Stiftung Fondation Dina Vierny, die auch das Maillol-Museum in Banyuls betreibt. 1995 stiftete sie das Musée Maillol. An der Rue de Grenelle 59-61 zeigt es neben Maillols Skulpturen auch Arbeiten von Henri Matisse, Edgar Degas, Pablo Picasso, Jean-Auguste-Dominique Ingres, Paul Cézanne, Auguste Rodin, Serge Poliakoff, Wassily Kandinsky und Raoul Dufy.

Quartier Intéllo

Jeder dritte Pariser Verlag ist im 6. Arrondissement ansässig. Antoinette Fouquette gründete aus der Frauenbewegung heraus 1973 in der Rue Jacob 33-35 von Saint-Germain-des-Prés die Espace des Femmes mit Frauenbuchladen, Galerie und Verlag. Regelmäßige Autoren-Abende stehen ebenso auf dem Programm wie Ausstellungen und Veranstaltungen der Alliance des Femmes.

Auf Architektur und Design ist seit 1949 die Kunstbuchhandlung La Hune am Boulevard Saint-Germain spezialisiert. Sammler antiquarischer Bücher werden bei der Librairie Benoît Forgeot in der Rue de l’Odéon fündig, wo auch Flammarion seit 1876 seinen Stammsitz hat.

Die Rue Sainte-Placide in Saint-Germain-des-Prés. Foto: Hilke Maunder
Die Rue Sainte-Placide in Saint-Germain-des-Prés. Foto: Hilke Maunder

Treffpunkt der Existentialisten

Berühmt wurde das literarische und künstlerische Zentrum von Paris in den 1940er- und 1950er-Jahren dank der Existenzialisten. Jean-Paul Sartre und seine Lebensgefährtin Simone de Beauvoir hatten ihren Stammplatz im Café de Flore am Boulevard Saint-Germain. Dort lasen, arbeiteten und diskutierten sie mit Albert Camus und anderen Existenzialisten.

In den Cafés verband sich das Angenehme mit dem Nützlichen, vertrug sich die soziale Nähe bestens mit dem gewärmten Ofen des Cafés, waren die Mansarden und Zimmer der Künstler und Literaten doch kalt und bescheiden. Sartre war es auch, der in den 1940er-Jahren die intellektuellen Hauptquartiere charakterisierte. Café de Flore: junge Literatur, Café Les Deux Magots: alte Literatur, Brasserie Lipp: Politik.

„Die Leute kamen herein und kannten sich alle; jeder kannte die geringsten Details aus dem Privatleben seines Nachbarn; aber von Gruppe zu Gruppe sagte man sich nicht guten Tag, hingegen tat man es eilfertig, wenn man sich woanders traf – auf neutralem Terrain“,

schrieb Sartre 1974 an Boris Vian.

Saint-Germain-des-Prés. Legendär: die Brasserie Lipp. Foto: Hilke Maunder
Legendär: die Brasserie Lipp. Foto: Hilke Maunder

Heißer Jazz & verbale Skandale

Das Markenzeichen des Chansoniers und Romanciers Boris Vian war beißende Ironie und makaberer Spott. Zusammen mit seiner Frau Michelle, Jacques Prévert, Raymond Queneau und Juliette Gréco, die noch heute im Viertel lebt, verbrachte Boris Vian seine Nächte in den überfüllten Jazzkellern von Saint-Germain wie dem Tabou in der Rue Dauphine oder dem Club Saint-Germain.

Seine Skandalwerke riefen die Zensur auf den Plan – und machten den „Prinzen von Saint-Germain“ zum Bestsellerautor. Mit 39 Jahren starb Vian 1959 während der Verfilmung seines umstrittenen Romans „Ich werde auf eure Gräber spucken*“.

Das älteste Café von Paris

Bereits 1686 gründete der Sizilianer Francesco Procopio die Coltelli in der Rue de l’Ancienne Comédie 13 das älteste Café von Paris: Le Procope. Im Treffpunkt der Intellektuellen verkehrten die Philosophen der Aufklärung, später die Hitzköpfe der Revolution und die Dichter der Romantik. Aushängeschild der Küche ist seit mehr als 125 Jahren Tête de Veau en Cocotte , Kalbskopf mit Karotten und Kartoffeln im gusseisernen Topf.

Saint-Germain-des-Prés.: Maronihändler. Foto: Hilke Maunder
Im Winter verkauft ein fliegender Händler heiße Maroni vor dem legendären Café Deux Magots. Foto: Hilke Maunder

Neue Treffpunkte

Heute knabbert man im Sourire französische Tapas oder pilgert zur Ze Kitchen Galerie. Dort schlägt William Ledeuil, Koch des Jahres 2009, mit seiner asiatisch inspirierten Küche eine kulinarische Brücke zu den zeitgenössischen Kunstwerken seiner „Atelier-Restaurant-Galerie“.

Seit 1955 original erhalten ist die erste Micro-Bar des Viertels. Heute ist Le 10 Bar wieder sehr branché, angesagt. Werft eine Münze in die Jukebox und genießt die Hits von Goldman, Brassens und Ferré zur hausgemachten Sangria, günstig und gut wie die Brote mit Chorizo oder Käse, die die Kultkneipe bereithält. Zu noch mehr Sangria.

Grand-Hôtel der Prominenten

Das legendäre Hôtel Lutétia. Foto: Hilke Maunder
Das legendäre Hôtel Lutétia. Foto: Hilke Maunder

1910 eröffnete das Hôtel Lutétita in Saint-Germain-des-Prés als faszinierender Stilmix aus Belle Époque und Art déco. Seine prachtvolle Fassade lässt die Opulenz im Inneren bereits ahnen – mit Marmorböden und bronzenen Verzierungen. Samt, Kristall und edlen antiken Möbeln: Welch eine Kulisse für die zahlreichen Filme und literarischen Werke, die hier entstanden! Im 20. Jahrhundert traf sich hier die Pariser Gesellschaft mit den Politik und Prominenz jener Ära. Mit dabei: Josephine Baker, Ernest Hemingway und Pablo Picasso.

Die besten Shopping-Adressen

Haute-Couture und Prêt-à-Porter liegen in Saint-Germain-des-Prés dicht beieinander. In der Rue de Rennes sind Marken wie Étam, H&M, GAP und Kookaï vertreten. Am Boulevard Saint-Germain und in der Rue Grenelle finden ihr große Modehäuser wie Giorgio Armani, Christian Dior und Sonia Rykiel. Karl Lagerfeld residiert in Nr. 194.

Galerien und Antiquitätengeschäfte drängen sich in der Rue des Saints Pères, Rue du Bac und der Rue de Seine. Schuhfans müssen in die Rue du Cherche Midi. Feinschmecker zieht es zur Markthalle von Saint-Germain, wo Twiggy und Michel Sanders so köstliche Sorten bereithalten, dass Küchenchef Yves Camdeborde nur noch bei ihnen Käse kauft. Dienstag bis Sonntag verspricht der Freiluftmarkt in der Rue de Buci  frisches Obst und Gemüse nebst charmantestem Pariser Flair.

"Soldes": ein magisches Wort für die Franzosen. Schlussverkauf! Foto: Hilke Maunder
„Soldes“: ein magisches Wort für die Franzosen. Schlussverkauf! Foto: Hilke Maunder

Le Bon Marché

Kein Geringerer als Gustave Eiffel konstruierte das nach eigenen Aussagen älteste Kaufhaus der Welt. 1852 öffnete es in Paris an der Rue de Sèvres seine Glastüren: Le Bon Marché. Erfunden wurde das Konzept des grand magasin von einem Normannen, der mit 19 Jahren 1829 nach Paris gekommen war: Aristide Boucicaut.

Damals tauchten im Einzelhandel dort die ersten „Neuheiten-Läden“ auf. Erstmals zeigten sie bereits im Schaufenster den Preis einer Ware und präsentierten sie ansprechend. In einem solchen Laden, dem Petit-Saint-Thomas in der Rue du Bac, begann Boucicaut als Verkäufer. An der Ecke Rue de Sèvres hatte Paul Videau zur gleichen Zeit ein Kaufhaus eröffnet: Au Bon Marché.

Das Versprechen: satisfait ou remboursé

<em>Le Bon Marché</em> im Inneren. Foto: Hilke Maunder
Le Bon Marché im Inneren. Foto: Hilke Maunder

1848 stieg Boucicaut, inzwischen verheiratet, bei den Brüdern ein. 1852 übernahm er die Mehrheit der Anteile – und erweiterte das Textilgeschäft. Als  grand magasin umfasst es jetzt alle Bereiche des Lebens: Mode, Haushalt, Schreibwaren, Spielzeug.

Neu war nicht nur das Warenangebot, sondern auch der Service. Die Kundschaft wurde kostenlos beliefert. Als Dankeschön bei einem Kauf erhielt sie Sammelbildchen. Und das Versprechen: satisfait ou remboursé, zufrieden oder Geld zurück.

Für die wachsende Zahl der Kunden, die von immer weiter entfernteren Orten zum Shopping im Bon Marché strömen, ließ die geschäftstüchtige Madame Boucicaut gegenüber vom Warenhaus das Hôtel Lutetia errichten. Der Erfolg des  „Paradies der Damen“, dem Émile Zola sogar einen ganzen Roman widmete, rief rasch Nachahmer auf den Plan.

Die Nagelbar von <em>Le Bon Marché</em>. Foto: Hilke Maunder
Die Nagelbar von Le Bon Marché. Foto: Hilke Maunder

Die große Zeit der Warenhäuser

Alfred Chauchard, August Hériot und Charles Eugène Faré gründeten 1855 am rechten Seineufer die Grands Magasins du Louvre. 1856 folgte die Eröffnung des Warenhauses La Belle Jardinière.

1865 öffnete das Kaufhaus Printemps am Boulevard Haussmann seine Pforten, wo es bis heute Kunden aus aller Welt anzieht. 1869 gesellte sich Le Samaritaine hinzu.

Das Berliner Pendant zu Paris

Erst 1907 eröffnete mit dem KaDeWe, dem Kaufhaus des Westens, ein deutsches Pendant zum Bon Marché. Seit 1984 gehört Le Bon Marché zur Luxusgruppe LVMH. Und widerspricht damit seinem Namen. Bon marché heißt im Französischen billig, und das ist hier nichts: Le Bon Marché ist längst – wie auch  Printemps oder die Galeries Lafayette – ein Konsumtempel der Luxuslabels.

Die Grande Épicerie des Bon Marché. Foto: Hilke Maunder
Die Grande Épicerie des Bon Marché. Foto: Hilke Maunder

Luxuslabels und Feinkost

Neben Mode, Schuhen und Make-up gibt es hier auch die größte Feinkostabteilung der Stadt: La Grande Épicerie mit mehr als 5.000 Produkten aus aller Welt. Präsentiert werden sie nicht wie in Harrods berühmtem Londoner Food Court als Sinnesreise für den Gaumen, sondern ganz unprätentiös und schlicht wie in einem gewöhnlichen Supermarkt.

Wer keine Zeit für einen Besuch des Bon Marché hat, kann längst auch online im elegant präsentierten Angebot stöbern – und gleich per Mausklick bestellen.

Mein Lieblingspark von Saint-Germain-des-Prés

Im Süden grenzt das Viertel an den wohl schönsten und beliebtesten Park der Pariser: den Jardin du Luxembourg. Dort auf den Femob-Stühlen oder Davioud-Bänken die Füße hochzulegen, unter Bäumen zu flanieren, Kunst zu gucken oder einen Kaffee zu genießen, habt ihr euch jetzt verdient! Mehr zum Jardin du Luxembourg erfahrt ihr hier.

Paris, Jardin du Luxembourg: der Palais du Luxembourg. Foto: Hilke Maunder
Im Jardin du Luxembourg: der Palais du Luxembourg. Foto: Hilke Maunder

Saint-Germain-des-Prés: meine Tipps

Erleben

Blitz Society

In der Nähe der beiden legendäre Cafés Le Flore und Les Deux Magots hat mit Le Blitz Society das erste Schach-Café der Hauptstadt im Jahr 2022 eröffnet. An 27 Tischen könnt ihr dort gegen einen Partner oder die Uhr zu den Klängen von Jazz versuchen, das königliche Spiel zu gewinnen.
• 4, rue du Sabot, 75006 Paris, Tel. 01 53 10 86 10, www.blitzsociety.fr

Hier könnt ihr schlafen*



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Baedeker Paris 2018

Meinen Baedeker „Paris“*  gibt es seit 4. Oktober 2023 in der komplett aktualisierten und mittlerweile 20. Auflage!

„Tango unter freiem Himmel: Die Stadt der Liebe: Der neue Reiseführer ‚Paris‘ zeigt – neben Sehenswürdigkeiten – besondere Orte für Höhenflüge, romantische Momente wie ‚Tango unter freiem Himmel‘ und unvergessliche Dinners. Dazu gibt’s viele Kulturtipps…“  schrieb die Hamburger Morgenpost über meinen Paris-Führer.

Zu den Fakten, unterhaltsamer präsentiert, gibt es jetzt auch Anekdoten und Ungewöhnliches, was ihr nur im Baedeker findet. Und natürlich ganz besondere Augenblicke und Erlebnisse, die euren Paris-Aufenthalt einzigartig und unvergesslich machen. Wer mag, kann meinen Paris-Reiseführer hier* bestellen.

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2 Kommentare

  1. Merci für diesen tollen Artikel!
    Saint-Germain-des-Prés ist mein Lieblingsquartier in Paris und mein zweites Zuhause geworden.
    Die französische Lebensart mit viel Leichtigkeit, Lebendigkeit und Lebensfreude ist hier wunderbar zu spüren!
    Dies bringe ich Ihnen während meiner einzigartigen Stadtführung gerne näher! Freuen Sie sich auf Anekdoten, verblüffende geschichtliche Fakten – und kleine musikalische Zwischenspiele mit Chansons von Edith Piaf, Yves Montand und Josephine Baker. Außerdem begegnen uns an passenden Stellen auch Zitate von Eugène Delacroix, Ernest Hemingway, Juliette Gréco oder Rainer Maria Rilke.
    Alle Infos zu Terminen und Preisen erhalten Sie von mir:
    Catharina Arp, Tel: +49 172 54 10 523, Insta: catharina_arparis, info@catharina-arp.de

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