Anis de Flavigny: Frankreichs älteste Bonbons
Sie sind die ältesten Bonbons Frankreichs, waren die Lieblingsdrops des Sonnenkönigs Ludwig XIV. und in den 1930er-Jahren als erste Süßigkeit in den Automaten der Métro zu finden: die Anis de Flavigny.
Seit dem Jahr 719 werden sie im kleinen Örtchen Flavigny-sur-Ozerain in Burgund handgefertigt. Erst von den Mönchen der ehemaligen Benediktinerabtei Saint-Pierre, ab 1591 von Ursulinerinnen, nach der Französischen Revolution von acht Bonbonkochereien. Heute hält nur noch die Familie Troubat die Tradition aufrecht.
Für ihre Anis de Flavigny verwendet sie ein Rezept, das, nachdem es im Laufe der Jahrhunderte verfeinert wurde, seit 1591 unverändert geblieben ist und dem Unternehmen das Label Entreprise du Patrimoine Vivant (Unternehmen des lebendigen Erbes) einbrachte.


Berühmte Dosen
Mitten in der Abtei fertigt sie handwerklich die kleinen Pastillen, deren Verpackung genauso legendär ist wie der Geschmack der Bonbons: Sie ruhen bis heute in Dosen.
Von 1970 bis 2005 waren sie komplett aus Metall. Heute ist es leider nur noch der dekorative Schmuckdeckel mit seinen nostalgischen Motiven. Und für den großen Bonbonhunger gibt es inzwischen auch 500 g schwere Papiertüten.


Anis im Herzen
Jeder der kugelrunden Minibonbons birgt bis heute ein Herz aus grünem Anis. Es ist eine Frucht der Pimpinelle anisum, die in kleinen weißen Blüten in Dolden heranwächst. Im Süden Frankreichs findet ihr sie, 50 – 80 Zentimeter hoch und recht spiddelig, auf Wiesen und am Straßenrand.
Für die Bonbonherstellung kauft Troubat die Früchte in Spanien, Syrien, Tunesien und in der Türkei. Für die süße Hülle werden zwei Zuckerpflanzen verwendet: Weiße Bete für die schneeweißen Sorten, Rohrzucker aus Brasilien für das Biosortiment mit inzwischen sieben Sorten.
Weiße Schneeflocken
Wie Anis und Zucker sich verbinden, ist bis heute ungeheuer aufwendig. 15 Tage dauert es, bis die zwei Milligramm schwere Frucht zum 1 g großen Bonbon wird.
15 Tage lang tanzt er im Luftstrom einer Trommel, in die die Bonbonmasse langsam eingeführt wird. Als weiße Schneeflocken wirbelt sie um den grünen Kern.
Seht euch das einmal vormittags kostenlos an – das ganze Jahr hindurch Montag bis Freitag von 9 bis 11 Uhr. Die gläserne Fabrikation des Site Remarquable du Goût ergänzen ein kleines Museum und ein Café.
Und werft auch einmal einen Blick in die Krypta der Abtei, der Karl der Große Zollfreiheit verlieh – auch ihm gefiel das Naschwerk der Mönche.
Anis und Schokolade
Doch nicht nur der Duft von Anis liegt über dem Dorf. Im Jahr 2000 kam Lasse Hallström und nahm die Chocolaterie des Dorfes in Beschlag. Mit Juliette Binoche und Johnny Depp in den Hauptrollen drehte er dort Szenen für seinen US-amerikanischen Kinohit Chocolat*.
Acht Wochen dauerte der Dreh, 150 bis 300 Schauspieler waren am Set, unzählige Statisten und Techniker im ganzen Dorf unterwegs. Chocolat ist bis heute der teuerste Dreh Burgunds – und war fünfmal für den Oscar nominiert.
Der Welterfolg rückte das Dorf und seine 340 Einwohner weltweit ins Rampenlicht. Heute ist der Rummel etwas verflogen, Flavigny zur Saison aber immer noch gut besucht. Bereits vor 2000 Jahren hatte Flavigny-sur-Ozerain bereits Geschichte geschrieben.

Im Jahr 52 v. Chr. hatte Julius Cäsar auf dem Hügel von Flavigny zwei Lager und sein Hauptquartier errichtet. Von dort aus belagerte er Vercingetorix, der seine Truppen bei Alésia neu gruppierte. Die Niederlage der Gallier besiegelte den Untergang ihres Reiches. Davon erzählt der nahe MuséoPark von Alésia.
Ein gewisser Flavinius stand damals an der Spitze eines der beiden römischen Lager von Julius Cäser. Er nannte es Flaviniacum. Später wurde daraus Flavigny-sur-Ozerain. Der Volksmund erzählt, dass die römischen Eroberer in der Antike bei Magenproblemen Anissamen gekaut hätten. Dies übernahmen die Einheimischen.
Rund um die galloromanische Villa Flavien siedelten sich später Handwerker, Händler und eine ganze Welt der Landwirtschaft an. Im Jahr 719 gründete Widerard, der große burgundische Herrscher, dem Flavigny und seine Umgebung gehörten, die Benediktinerabtei, in der das Familienunternehmen Troubat seit drei Generationen Anis herstellt.

Charmantes Bilderbuchdorf
Die Bonbonmanufaktur befindet sich mitten im Herzen des alten Dorfes mit seinen Stadtmauern und seinen Handwerkshäusern, die einst Gerber, Glasmacher und Zinntöpfer, Weber und Winzer belebten. Wer nach ihrem Besuch noch einen wenig durch die alten Gassen bummeln möchte, in denen Kletterrosen die Fassaden schmücken, sollte als erstes die ehemalige Karolinger-Krypta besuchen. Als Überbleibsel der alten Abteikirche entführt sie euch direkt ins Mittelalter und überrascht mit den wunderschönen Kapitellen ihrer Säulen.


Das nächste Ziel könnte die gotische Pfarrkirche Saint-Genest mit ihrem fein geschnitzten Gestühl aus dem 16. Jahrhundert sein. Das Gotteshaus birgt die Reliquien der Heiligen Regina, die 1000 Jahre lang in der Abtei aufbewahrt worden waren, ehe sie dort vor den Schergen der Revolution im Jahr 1793 in Sicherheit gebracht wurden.

Vorbei am Ursulinenkloster aus dem Jahr 1632, blühenden Stockrosen und dem von Pater Lacordaire (1848) in der ehemaligen Residenz des Großvogts von Auxois eingerichteten dominikanischen Noviziat kommt ihr zum Hôtel du Marquis de Souhey.
Wo einst der Gouverneur von Flavigny in der Grande Rue 6 residierte, hat heute die Abbaye Saint-Joseph-de-Clairval ihren Sitz. Bis heute leben hier noch rund 50 Benediktinermönche, die nach der Regel des Heiligen Benedikt leben.
Fest zur Liturgie gehören die gregorianischen Sänge, die ihr während der öffentlichen Messen und Gebetszeiten in der Klosterkirche hören könnt: echter Gänsehaut-Gesang! Die Mönche haben auch schon mehrere Alben mit gregorianischen Gesängen veröffentlicht, die online erhältlich sind, z. B. Le Saint-Sacrement und Saint Joseph (Chants grégoriens).

Lebendig & ländlich
Bis heute ist Flavigny-sur-Ozerain ein typisches ländliches Dorf und keine Schlafstadt der Pendler nach Dijon. Perrine Doudin züchtet auf ihrem Hof Hélixine rund 200.000 Schnecken ganz bio. Garantiert von Bio-Schafen der Rassen Merino, Île-de-France, Solognot und South Downs stammt auch die Wolle, die handgesponnen bei Aux P’tiotes Pelotes in Strängen oder Kegeln verkauft oder zu tragbarer Mode verarbeitet wird, pflanzlich gefärbt und lokal hergestellt. Die braune Wolle der Burel-Schafe wurde einst zur Herstellung der braunen Gewänder der Mönche verwendet.
Nur wenige Kilometer außerhalb von Flavigny-sur-Ozerain waren die Flanken der Coteaux de l’Auxois im 13. Jahrhundert eine Hochburg des französischen Weinbaus. Und genau dort pflanzte Gérard Vermeere auf 13,5 Hektar neue Weinstöcke. Im Keller vinifiziert daraus der Önologe Cyril Raveau aus ihrem Most ehrliche wie bodenständige Landweine, die als IGP Coteaux de l’Auxois ausgezeichnet sind.
Flavigny-sur-Ozerain: meine Reise-Infos
Anis de Flavigny

Die Betriebsbesichtigung ist kostenlos (und interessant), die Boutique für Naschkatzen eine reinste Verführung – ihr dürft dort die verschiedenen Sorten aus nostalgischen Spendern probieren. Zum Fabrikverkauf gehört ein kleines Firmenmuseum in den ehemaligen Werkstätten.
• 4, rue de l’Abbaye, 21150 Flavigny-sur-Ozerain, Tel. 03 80 96 20 88, www.anis-flavigny.com

Interaktiver Stadtplan mit Spaziergängen und Infos
De l’Anis au Vignoble
Der einfache Wanderweg auf den Spuren vom Anis zum Wein führt als eine 7,8 Kilometer lange Schleife rund um das Dorf und hin zu herrlichen Aussichtspunkten (2,5 Std.)

Nicht verpassen
Musée Algranate / La Maison des Arts Textiles & du Design
Das sehr sehenswerte Museum zeichnet die Geschichte des Textildesigns nach. Neben einer Bibliothek mit 1300 Büchern gehört auch ein botanischer Garten mit Pflanzen für die textile Verwendung dazu.
• 3, rue Lacordaire, 21150 Flavigny-sur-Ozerain, Tel. 06 08 89 93 82, www.facebook.com/Flavigny.Algranate
Veranstaltungen
Hors Saison Musicale
1991 gründete der Verein Pour que l’Esprit Vive auf Anregung seines Vorsitzenden Michel Christolhomme die Künstlerresidenz La Prée in einer ehemaligen Zisterzienserabtei im Berry, heute ein Altersheim der Petits Frères des Pauvres. Inspiriert vom Austausch der Künstler mit den Senioren riefen Dominique de Williencourt, Nicolas Bacri und Hélène Thiébault die Rencontres Musicales autour de La Prée mit Konzerten und Festival an Christi Himmelfahrt ins Leben. 20 Jahre lang inszenierte Agnès Desjobert als damalige Leiterin von La Prée die Rencontres als echte „kulturelle Nachbarschaftshilfe“. Bereits im Januar 2012 wurde die Hors Saison Musicale in Flavigny-sur-Ozerain ins Leben gerufen – und unterhält seitdem mit klassischen Konzerten im Winter.
• https://horssaisonmusicale.fr
La Nuit Romantique de Flavigny
Entdeckt Ende Juni einen ganzen Abend lang die mittelalterlichen Straßen von Flavigny bei Kerzenschein!
Le Marche de la Saint-Simon
Im Oktober lädt Flavigny von 9 Uhr früh bis zum Einbruch der Dunkelheit zum Marché de la Saint-Simon. Sein Motto: Flohmarkt, Kunsthandwerk, Gastronomie und regionale Produkte. Zwischen dem Parkplatz und dem Dorf verkehren kostenlose Shuttle-Busse.
Circuit des crèches
Ausstellung von Weihnachtskrippen im ganzen Dorf zur Adventszeit.
Schlemmen und genießen
La Grange


„Die Scheune“ haben rund 20 lokale Bauern ihre Genossenschaft genannt, die in einem rustikal-gemütlichen Laden-Lokal direkt am Kirchplatz von Flavigny nicht nur ihre Erzeugnisse verkauft, sondern sie auch sehr kreativ zubereitet. Ihr terroir auf dem Teller: köstlich!
• Place de l’Eglise, 21150 Flavigny-sur-Ozerain, Tel. 03 80 96 20 62, https://fermeauberge-flavigny21.fr
L’Épicerie

Teestube, Café, Kaufmannsladen und Treffpunkt des Ortes ist die charmante épicerie von Flavigny. Sobald sich die Sonne zeigt, werden eine paar Stühle und Tische in den Innenhof gestellt.
• 7, rue de l’Ancien Couvent, 21150 Flavigny-sur-Ozerain, Tel. 03 80 97 45 05, Mo. Ruhetag
La Brasserie de Flavigny

Nicht nur das hausgemachte Craftbier, sondern auch lokale Weine verkauft die Brasserie de Flavigny, in der ihr nicht nur am Tresen ein Glas oder im Speisesaal die typische Küche der Region genießen könnt, sondern seit 2025 auch auf der Terrasse mit Paradeblick auf Flavigny.
• 18, rue du Faubourg Saint Jacques, 21150 Flavigny-sur-Ozerain, Tel. 07 89 81 55 06, auf Facebook zu finden

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Alle Beiträge aus dem burgundischen Département Côte-d’Or vereint diese Kategorie.
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Hilke Maunder, Burgund*
Nach Le Midi habe ich auch Burgund intensiv erkundet. Viele Wochen lang habe ich zusammen mit dem Fotografen Thomas Müller Schneckenzüchtern, Käsemachern, Viehzüchtern, Winzerinnen und anderen lokalen Produzenten über die Schulter gesehen. Wir haben Märkte und Manufakturen besucht und vielen Köchen in die Töpfe geguckt.
Vom einzigen Dreisternekoch Burgunds, Éric Pras von der Maison Lameloise, über Alain Renaud, Küchenchef der Auberge Les Tilleuls in Vincerolles bis zu Julien Fuchey von der Auberge La Morvandelle in Tintry haben sie mir typisch burgundische Rezepte verraten.
Neben berühmten Klassikern wie Bœuf Bourguignon findet ihr unter den 80 authentischen Rezepten auch viele Gerichte, die seit Generationen in den Familien Burgunds tradiert wurden – und doch noch Geheimtipps sind. Wer die Speisen nachkochen möchte oder neugierig auf die Küche Burgunds ist, kann mein Reise-Koch-Erlebnisbuch hier* bestellen.
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Liebe Hilke, wir waren 2008 in Flavigny und in Alesia.
Damals war alles noch etwas „bescheidener“, wenn ich heute Deine Bilder vergleichend anschaue. Aber der Duft, der über das kleine Dorf schwebte, an den erinnere ich mich noch deutlich. Und eine hübsche Dose mit den Anisbonbons (die man inzwischen auch hier in Deutschland kaufen kann) habe ich immer in meiner Handtasche.
Vielen Dank für Deine interessanten Reisetipps, die mir schon bereiste Gegenden in Erinnerung bringen oder mir Anregungen für weitere Planungen geben.
Herzliche Grüße, Hilde
Liebe Hilde, merci für Deine kleinen Zeitreise – ja, die Anis-Fabrikation hat in den letzten Jahren viel ins Marketing investiert und die Besucherbereiche wie auch das Sortiment stark ausgebaut, um die traditionsreiche Marke auf dem harten Naschwerk-Markt zu stärken.Herzliche Grüße! Hilke
Flavigny haben wir auch schon zweimal in den vergangenen Jahren besucht. Unverständlich finde ich, dass nirgendwo im Ort ein Hinweis auf den Drehort des Films Chocolat zu finden ist, wenn man jedoch den Film gesehen hat, erkennt man das Schaufenster, das den Laden damals dargestellt hat. ( War damals einer meiner Lieblingsfilme)
Ja, der kleine Ort ist wirklich einen Besuch wert und die „Fensterguckerin“ habe ich auch abgelichtet. Leider war zu unseren Besuchen die Bonbon Manufaktur geschlossen.
Hallo Horst, danke für Deine Eindrücke und den fehlenden Hinweis auf den Film. Und ja, Flavigny ist zauberhaft zu jeder Jahreszeit. Viele Grüße, Hilke Maunder