Avoriaz. Foto: Hilke Maunder
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Autofreies Skiidyll: Avoriaz

In Avoriaz dreht sich alles ums Skifahren. Der autofreie Ort in Hochsavoyen lockt mitten im Herzen des weltgrößten Skiverbundes Portes du Soleil mit Pisten und Puderhängen für Anfänger, Fortgeschrittene und Experten.

Avoriaz. Foto: Hilke Maunder
Der autofreie Skiort. Foto: Hilke Maunder

Avoriaz: ein Name, weich wie der Schnee

Die Pariser sagen Avoriá, der örtliche Radiosender betont das weiche z am Ende: In Avoriaz, auf einem sonnigen Plateau 1800 Meter hoch oberhalb von Morzine in den französischen Hochalpen gelegen, sind deutsche Gäste noch recht selten.

Schuld daran sind die recht weiten Anfahrtswege – und das Renommee. Französische Wintersportorte haben nicht gerade den Ruf, dass es dort gemütlich oder gar umweltfreundlich zugeht. Auch Avoriaz entstand Anfang der 1960er-Jahre auf dem Reißbrett.

Avoriaz. Foto: Hilke Maunder
Kitzel für Gleitschirmflieger: das Abheben vom Plateau. Foto: Hilke Maunder

Autofrei und urgemütlich

Doch keine Bettenburg aus Beton, sondern ein Ensemble von runden, konischen, geschwungenen Häusern prägen den Skiort. Einzig beim Sirius erreicht es 14 Etagen.

Schindeln aus rotem Zedernholz verkleiden die Fassaden. Formen und Materialien der Häuser ahmen die umliegende Natur nach. „Mimetisch“ nannte Architekt Jacques Labro seinen Stil.

Avoriaz. Foto: Hilke Maunder
Die Architektur von Avoriaz, so Architekt Jacques Labro, zitiert die Formen der Natur ringsum – die Felsen und Tannen, den Schnee und die Zapfen. Zedernholz verkleidet die Bauten. Hier: der Ortsteil Falaise. Foto: Hilke Maunder

Abends wirkt Avoriaz sogar richtig romantisch. Strahler mit weichem Orange illuminieren Häuser und Hochgebirge. Der Duft von warmen Crêpes und gerösteten Maroni weht die Hauptstraße entlang.

Eine Pferdekutsche gleitet leise bimmelnd vorbei. Eltern ziehen ihren Nachwuchs auf flachen Plastikschlitten hinter sich her. Ihr Ziel ist ein nostalgisches Karussell. Direkt an der Piste dreht es seine Runden.

Dass auch der Schutz der Umwelt hier Priorität genießt, zeigt sich bei der Ankunft. Avoriaz ist autofrei. Gepäck und Gäste werden von 9 bis 19 Uhr mit Pferdeschlitten, außerhalb dieser Zeit mit chénillettes befördert.

Pistenraupen als Allrounder

Die geräumigen Raupenfahrzeuge, die ihre Sitzkammern gegen Containerflächen auswechseln können, beliefern die Geschäfte mit Lebensmitteln, die Hotels mit Wäsche und Waren, entsorgen den Müll und ersetzen den Schulbus.

Die Gäste sind zu Fuß, mit Rodel oder Ski unterwegs. Vor der Haustür des Hotels springen sie in die Bindung, gleiten beim Bäcker vorbei, hin zu den Liften.

27 Aufstiegsanlagen erschließen das Skigebiet von Avoriaz, das sich nahtlos einfügt in Europas größte grenzüberschreitende Skischaukel: Les Portes du Soleil.

Avoriaz. Foto: Hilke Maunder
Auf der Piste zur Pointe de l’Au. Foto: Hilke Maunder

Skigebiet der Superlative

Mit 600 Pistenkilometern zwischen 1.400 und 2.400 Metern, erschlossen von 195 Liften, zählt es zu den größten zusammenhängenden Skigebieten der Welt. Zum Verbund gehören zwölf Skiorte – vier in der Schweiz, acht in Frankreich.

Der Weg in die Schweiz führt über Le Mur  Suisse, die Schweizer Mauer von Chavanette. Die extreme Buckelpiste gehört zu den steilsten Abfahrten der Alpen und ist nur etwas für wirklich gute Skifahrer. Die meisten riskieren nur einen Blick – und entscheiden sich dann für den Sessellift.

Nicht bergauf, sondern bergab sind nahezu sämtliche Sitze belegt. Im Tal besteht Anschluss nach Les Closets, Morgins und Champoussin in der Schweiz. Eine Alternative führt von Avoriaz via Les Lindarets über die Pointe de Mossette (2.257 Meter) nach Les Crosets.

Schwingen bis in die Schweiz

Eine dritte Möglichkeit ins Schweizer Gebiet leitet Skifahrer via Les Lindarets zur Linga, einer mittelschweren Talabfahrt mit teilweise etwas steileren Teilstrecken hinab nach Châtel und weiter auf den einfachen Pisten von Super-Châtel hinab nach Torgon im Wallis. Westlich und südlich von Avoriaz liegt ausschließlich französisches Terrain.

Avoriaz. Foto: Hilke Maunder
Skifahrer im Tiefschnee zwischen Avoriaz und Châtel. Ganz rechts. die Bergspitzen der Dents du Midi. Foto: Hilke Maunder

Drehkreuz Morzine

Drehkreuz für die Verbindungen nach Montriond und Les Gets ist Morzine. Wer nicht auf flachen blauen Pisten oder langen Ziehwegen dorthin gleiten möchte, findet anspruchsvolle Pisten im Gebiet Haut Forts oberhalb von Avoriaz.

Vom Sessellift Combe du Machon führen drei schwarze Abfahrten, die sich weiter unten zu einer Piste vereinen, ins Tal von Les Prodains. Den Anschluss nach Morzine übernimmt ein kostenloser Skibus.

Auch in Morgins und Châtel unterbrechen Busfahrten die Skirunde. Mitten zwischen Morzine und Les Gets liegt die für viele schönste Piste der „Tore zur Sonne“.

Die mittelschwere Arbis-Abfahrt von der Chamossière (2.002 Meter) hinab zur Talstation des Blanchots-Liftes vereint traumhafte Ausblicke auf den Mont Blanc mit einem interessanten Terrain und gutem Schnee – denn sie verläuft an einem Nordhang.

Avoriaz. Foto: Hilke Maunder
Blick auf die Dents du Midi. Foto: Hilke Maunder

Skikurse auch auf Deutsch

Vier Skischulen mit 150 Skilehrern, die auch auf Deutsch unterrichten, bemühen sich um Anfänger und Fortgeschrittene. Annie Famose, 1968 Olympiasiegerin im Slalom, richtete gemeinsam mit der Abfahrtsläuferin Isabelle Mir eine Kinderskischule ein.

Seit 1978 macht sie den Nachwuchs spielerisch mit dem Skisport vertraut. Mit 900 Kindern zwischen drei und 16 Jahren ist ihr Village des Enfants heute die größte Kinderskischule Frankreichs.

Die Drei- und Vierjährigen rutschen im Schneekindergarten durch Tore aus Schaumstoff und schmalen Stangen. Mit fünf Jahren geht es auf die Piste.

Am Nachmittag vertreibt Animation in altersgerecht gestalteten Gruppenräumen die Wartezeit, bis die Eltern ihre Sprösslinge abholen. Die Jugendlichen ziehen sich in ihren Clubraum im Keller zurück, eingerichtet als szenige Videobar.

Junge Rider von sechs bis 16 erhalten seit 1995 hier ihr Rüstzeug. Freestyler auf Ski oder Snowboard finden drei Snowparks mit Hips, Quarters, Tables, Gaps und Spines vor. Die bisherige Halfpipe wurde zur 120 Meter langen „Super Pipe“ mit sechs Meter hohen Wänden ausgebaut.

Avoriaz. Foto: Hilke Maunder
Die ehemalige Olympia-Skiläuferin Annie Famose betreibt in Avoriaz die größte Kinderskischule Frankreichs – das Village des Enfants. Foto: Hilke Maunder

Schneescooter oder Schneeschuhe?

Langläufer gleiten auf acht markierten Loipen 37 Kilometer entlang der Baumgrenze und durch dichten Fichtenwald. Wer lieber wandert, findet 16 Kilometer präparierter Wege. Besonders beliebt sind die randonnées en raquettes.

Mit Schneeschuhen, die wie riesige Plastiklöffel an den Füßen hängen, geht es querfeldein durch den Schnee, bergauf, bergab, hin zu den gemütlichen Hütten von Les Lindarets.

Als einziger Wintersportort von Hochsavoyen bietet Avoriaz Touren mit Schneescootern an. Sobald es Nacht wird, starten die Gruppen zu einem 20 Kilometer langen Rundkurs über markierte Waldwege. Zum Eingewöhnen geht es erst langsam geradeaus, dann mit bis zu 60 Stundenkilometer auf Kufen um die Kurven.

Avoriaz. Foto: Hilke Maunder
Mit dem Gleitschirm im Landeanflug auf Les Prodains. Foto: Hilke Maunder

Schweben mit Ski

An der Arête des Intrets bereitet sich Olivier Rozier auf den Gleitschirmflug mit Gast vor – ich werde unter ihm hängen. Mit Karabiner und Tragegurten verbunden, starten wir als Tandem auf Ski, fahren einen Steilhang im Schuss hinunter, bis 42 Quadratmeter Nylonschirm sich öffnen und die Luft uns trägt.

Aus 2.400 Meter Höhe gleiten wir über Avoriaz, folgen dem Felshang vom Ortsteil Falaise, schweben über den Winterwald, heben die Skispitzen und landen sanft im Tal von Les Prodains.

Zur Kabinenbahn hinauf nach Avoriaz sind es nur wenige Schritte. An der Bergstation wartet eine Gruppe mit prall gefüllten Einkaufstüten.

Viele Urlauber sind Selbstversorger, da in Avoriaz Ferienwohnungen dominieren. Es gibt einige gut sortierte Supermärkte und Schlemmershops. Trotz hoher Transportkosten sind die Preise kaum höher als daheim.

Avoriaz. Foto: Hilke Maunder
Gleitschirm-Pilot Olivier Rozier nach der Landung in Les Prodains. Foto: Hilke Maunder

Sportlich-familiär

Avoriaz steht auch eher für die sportlich-familiäre Seite des Wintersports, weniger für Après-Ski. Obgleich der Begriff aus dem Französischen stammt, gibt es keine Schneebars. Klassische Kneipen und feucht-fröhliches Hüttenleben sind sehr selten.

Stattdessen lockt französische Lebensart. Wenn die Lifte schließen, gönnt man sich ein kleines goûter, eine Kleinigkeit zum Kaffee. Dann wird flaniert, geruht und sich fein gemacht für das eigentliche Vergnügen des Abends: das Essen.

Savoyer Küche

Was sich aus Reblochon, Abondance und anderen Käse-Klassikern aus Savoyen in Verbindung mit Kartoffeln alles kreieren lässt, zeigen Véronique und Joseph Lenvers allabendlich in La Folie Douce, wie sich das frühere Chalet d’Avoriaz inzwischen nennt. Die rustikale Berghütte ist seit der Schließung des Petit Vatel das älteste Restaurant des Ortes.

Feinschmecker verwöhnt Nicolas Locatelli im ersten Stock des legendären Hôtel des Dromonts, das seit Ende 2014 zu den Maisons & Hôtels Sibuet gehört – mit 28 Zimmern, sechs Suiten, zwei Restaurants und  400 qm großem Spa.

Behutsam restauriert wurde auch das schicke Bistro, wo er im Stil der Sixties Trendküche serviert, die ihre Savoyer Wurzeln nicht verleugnet.

Avoriaz. Foto: Hilke Maunder
Rast an einer Crêperie. Foto: Hilke Maunder

Savoir-vivre in Morzine

Zu Avoriaz gehört Morzine, und beide Orte vermarkten sich seit Jahren gemeinsam. Morzine steht für Holzchalets mit Schieferschindeln, urgemütliche Unterkünfte, lebendigem Après-Ski und leckere Küche. Gönnt euch einen Blaubeerkuchen bei La Terrasse in Les Lindarets, Räucherfleisch und Käsefondue auf der Alp Lapisa. Oder ein zartes Ferkel, aromatisiert mit dunkler Schokolade und karibischer Vanille.

L’Atelier, Werkstatt, nennt der gebürtige Morziner sein Gourmetrestaurant im Hôtel du Samoyède. Hummer-Ravioli mit Ingwer und Petersilien-Lamm aus Sisteron verführen dort die Sinne.

Wie auch der Wein mit mehr als 10.000 Tropfen von 200 Winzern, unter denen auch heimische Gewächse zu finden sind: der rote Amariva (2006) von G & B Bouvet, die Mondeuse d’Arbin (2010) von Trosset sowie Weiße aus der autochtonen Ginget-Traube, die der Biowinzer Dominique Belluard perfekt vinifiziert.

Wer jetzt bleiben möchte: Im gemütlichen Luxus-Chalet La Bergerie besitzt jedes der 27 geräumigen Zimmer eine kleine Küche. Schön für den Kräutertee zur Nacht oder ersten Kaffee am Morgen.

Avoriaz: Meine Reisetipps

Hinkommen

Rund eine Autostunde von Avoriaz entfernt liegen die internationalen Flughäfen Genf-Cointrin (80 Kilometer) und Annecy (96 Kilometer). Zum Flughafen von Lyon (200 Kilometer) sind es rund zweieinhalb Stunden. Die nächstgelegene Bahnstation – Cluses – ist 40 Kilometer entfernt.

Familienspaß

Im Juli 2012 wurde das Aquariaz eröffnet, ein 2.400 Quadratmeter großer Aquapark im Tropen-Look.

Schlafen

In Avoriaz gibt es 16.800 Gästebetten, vorwiegend in Ferienwohnungen. Knapp die Hälfte bilden die Anlagen von der Gruppe Pierre & Vacances mit ihren Töchter Multivacances, Maeva und Orion.

Neben Unterkünften in zehn Chalets bietet Avoriaz noch 90 Hotelbetten in den Dreisternehäusern Hôtel des Dromonts und Hôtel de la Falaise.

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Avoriaz. Foto: Hilke Maunder
Das Ortszentrum von Avoriaz. Foto: Hilke Maunder

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2 Kommentare

  1. in Sachen Architektur von Avoriaz könnte man vielleicht ergänzen, dass Architekt Jacques Labro ein Schüler von Maurice Gridaine ist, der wiederum u.a. für seine ArtDeco – Kino-Architektur und den (alten) Filmpalast von Cannes bekannt wurde.

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