in historischer Lieferwagen des Käsemachers Graindorge. Foto: Hilke Maunder
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Die Käsestraße der Normandie

Die Käsestraße der Normandie führt mitten durch altes Bauernland. Die Ortsschilder im Hinterland der Normandie gleichen einer gut sortierte Käseplatte: Livarot, Pont-l’Évêque, Neufchâtel und Camembert. Hin zu den Produzenten, Manufakturen und Märkten dieser AOP-Spezialitäten führt La Route des Fromages AOP de Normandie.

Doch wer jetzt glaubt, er könne von Nord nach Süd einer ausgeschilderten Themenroute folgen, irrt. Die Käsestraße der Normandie ist ein Zusammenschluss aus mehr als 70 Käsereien, Bauernhöfen, Restaurants und Museen.

Der Käsemarkt von Neufchâtel-en-Bray. Foto: Hilke Maunder
Der Käsemarkt von Neufchâtel-en-Bray. Foto: Hilke Maunder

Sie haben allesamt ihr Profil in der interaktiven Karte der Käsestraße der Normandie hinterlegt. Jene ermöglicht es, nach den eigenen Vorlieben ganz individuell eine Reiseroute auf den Spuren der AOP– geschützten Käsespezialitäten der Normandie zusammenzustellen.

Die köstlichen Stars der Käsestraße der Normandie

Insgesamt 46 französische Käsesorten tragen dieses EU-weite Siegel, das als Appellation d’Origine Protégée (AOP) eine handwerklich verankerte, regionale Herstellung garantiert.

Die Auflagen der AOP verlangen, dass sämtliche Rohstoffe für die Käse aus der Normandie stammen. Zudem muss die Käseherstellung handwerklich erfolgen und im Einklang mit den überlieferten Traditionen stehen. Das heißt auch: Alle Käse sind bis heute nur echt mit Rohmilch.

Neufchâtel: ein Käse mit Herz

Der Neufchâtel-Käse zeigt Herz. Foto: Hilke Maunder
Der Neufchâtel-Käse zeigt Herz. Foto: Hilke Maunder

Hoch im Norden zeigt die Käsestraße der Normandie ihr Herz. Diese ungewöhnliche Form erhielt vor mehr als 1000 Jahren jener Käse, der am Anfang der normannischen Käseherstellung stand: der Neufchâtel.

Bereits 1035 wurde er schriftlich erwähnt. Der Legende nach sollen die jungen Mädchen aus dem Pays de Bray den englischen Soldaten einen herzförmigen Käse geschenkt haben, um ihnen ihre Liebe zu zeigen.

Eine andere Legende erzählt, dass die Normandie mit dem Käse Frankreich zeigen wollte, dass ihr Herz für England schlug – aufgrund der Familienbande. Schließlich hatte Guillaume le Conquéreur, als Normanne auf der Burg von Falaise geboren, England im Jahr 1066 erobert.

Bis heute ist die Heimat des Pays de Bray im Département Seine-Maritime, wo die vache normande-Kühe mit dem berühmten Augenring eine besonders cremige Milch liefern.

Typisch für die vache normande, die Milchkuh der Normandie, sind die rotbraunen Augenringe. Foto: Hilke Maunder

Bei der Reifung in kühlen Kellern verleiht ein ganz besonderer Schimmelpilzstamm dem Käse seine samtige Decke. 1969 wurde dem Neufchâtel als erstem Käse aus der Normandie die geschützte Ursprungsbezeichnung verliehen.

Le Neufchâtel est un fromage comme une autre fille, mais avec un meilleur caractère.
Neufchâtel ist ein Käse wie ein anderes Mädchen, aber mit einem besseren Charakter.

Alexandre Dumas, französischer Schriftsteller und Dramatiker

La Fête du Fromage

Seit 1995 feiert Neufchâtel alljährlich im September seine Fête du Fromage mit Kunsthandwerker- und Bauernmarkt, einem Wettbewerb für normannische Kühe und Probierstand der vier normannischen AOP-Käse.

Pont- l’Évêque: eckig und cremig

In den oberen Stockwerken ist das Fachwerk mit Schiefer verdeckt. Foto: Hilke Maunder
Im alten Zentrum von Pont-l’Évêque. Foto: Hilke Maunder

Seit mehr als 800 Jahren wird im Pays d’Auge der quadratische Weichkäse Pont-l’Évêque aus roher Kuhmilch produziert – aus drei Litern Rohmilch für ein 360 Gramm schweres Quadrat!

Typisch für den Käse ist sein hoher Fettgehalt von mindestens 45 Prozent. Er hat eine helle, leicht goldene Rinde, die manchmal leicht klebrig ist. Für sein einzigartiges Aroma sorgt das mehrmalige Waschen der Rinde in Salzlauge.

Le Pont-l’Évêque est une vache blonde qui paît doucement
et qui a une saveur suave comme une prairie endormie.

Der Pont-l’Évêque ist eine blonde Kuh, die sanft weidet
und einen süßen Geschmack hat wie eine schlafende Wiese.

Guy de Maupassant

Ursprünglich hieß er Angelot, Angelon und auch Augelot. Doch dies klang zur Zeit der Französischen Revolution zu kirchlich. Ähnlich wie bei der Neuordnung der Départements erhielt der „engelsgleiche“ Käse einen neutralen geografischen Namen – und zwar seines Dorfes im Tal der Touques. Während der Französischen Revolution erwuchs ihm im Dörfchen Camembert auch sein größter Konkurrent.

Pavé d’Auge

Als Vorfahre des Pont-l’Évêque gilt der Pavé d’Auge, der höher und schwerer ist: Bis zu sechs Zentimeter dick ist das 11 x 11 cm große Käsequadrat, das 600 bis 800 Gramm auf die Waage bringt. In der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen wurde dieser normannische Traditionskäse nur noch auf ein oder zwei Bauernhöfen in Moyaux hergestellt. Daher hieß bis zu sechs Zentimeter hohe Käsequadrat auch lange Zeit Pavé de Moyaux.

Camembert: Napoleons Lieblingskäse

Camembert im Pays d'Auge. Foto: Hilke Maunder
Camembert im Pays d’Auge. Foto: Hilke Maunder

Wohl kaum ein Käse an der Käsestraße der Normandie ist so berühmt wie er. Und so ein Opfer seines Erfolges geworden: der Camembert. Fast überall ist er nur noch pasteurisiert im Handel. Und schmeckt doch mit Rohmilch so unverkennbar köstlicher!

Als Erfinderin des berühmtesten aller normannischen Käse gilt Marie Harel. Die Bäuerin hatte 1791 – in Revolutionszeiten – einen Priester versteckt. Jener stammte aus Brie bei Paris, wo der gleichnamige Käse hergestellt wird.

Je peux vivre sans musique, mais je ne peux pas vivre sans camembert.
Ich kann ohne Musik leben, aber ich kann nicht ohne Camembert leben.

Octave Henri Marie Mirbeau, Journalist, Kunstkritiker und Romanautor

Zum Dank unterrichtete der Priester die Bäuerin in der Kunst des Käsemachens. Nach dem Ort seiner Entstehung nannten sie den milden Käse Camembert. Zum Durchbruch verhalf ihm Napoleon III. Geradezu süchtig nach dem Käse, ließ der Kaiser ihn allen Gästen servieren.

Nur die Fromagerie Durand fertigt den Camembert vor Ort noch ganz handwerklich aus Rohmilch. Foto: Hilke Maunder
Nur die Fromagerie Durand fertigt den Camembert vor Ort noch ganz handwerklich aus Rohmilch. Foto: Hilke Maunder

Für den Export muss der normannische Camembert heute aus pasteurisierter Milch hergestellt werden. Doch die Fromagerie Durand verkauft nur ab Hof – und darf so wie einst den berühmten Weichkäse ganz traditionell aus Rohmilch herstellen.

Comme toutes les grandes choses de la vie,
le camembert mérite une certaine dose de vénération.

Wie alle großen Dinge im Leben verdient Camembert ein gewisses Maß an Ehrfurcht.

Anatole France

Wie, zeigt die Fromagerie Durand auf Schautafeln auf der Hofstelle. In der Hofboutique kann der Käse gekostet – und gekauft – werden. Vor dem Hofladen stehen Holztische: Bienvenue zum Picknick!

Mehr als sechs Monate als ist der Camembert von Chez Betty im Marché des Carmes. Foto: Hilke Maunder
Mehr als sechs Monate alt ist dieser Camembert. Foto: Hilke Maunder

Fromagerie Durand

• La Héronnière, 61120 Camembert, Tel. 02 33 39 08 08, www.camembertdurand.fr

La Maison du Camembert

• 61. Le Bourg, 61120 Camembert, Tel. 02 33 12 10 37, www.maisonducamembert.com

Musée du Camembert

• 10, Avenue du Général de Gaulle, 61120 Vimoutiers, Tel. 02 33 39 30 29, www.museeducamembert.fr

Livarot: das Brot der armen Leute

In runden Formen stockt die Käsemasse des Livarot. Foto: Hilke Maunder

Fünf Binsenstreifen halten den Livarot zusammen. Der runde Käse mit rötlicher Rinde war im 19. Jahrhundert der beliebteste Käse der Bevölkerung und „Brot der armen Leute“  genannt, so geschmackvoll und nahrhaft ist er.

Produziert wird er bis heute ganz traditionell von der normannischen Käserei E. Graindorge. 2016 kaufte Lactalis das bis dahin unabhängige Unternehmen. Die Normandie lief Sturm.

Doch Graindorge durfte seine Ausrichtung behalten … und kann weiterhin seine Käse aus Rohmilch statt pasteurisierter Milch herstellen. Wie einst werden dort bis heute neben dem Livarot ganz handwerklich noch zwei weitere normannische AOP-Käse produziert: Pont-l’Évêque und Camembert.

Die Produktion des AOP Livarot bei E. Graindorge. Foto: Hilke Maunder

Livarot erleben

2010 feiert die Käserei im Süden der Käsestraße der Normandie ihr 100-jähriges Bestehen. Zum Produktionskomplex in der Kleinstadt Livarot, 1999 durch Feuer zerstört und hochmodern wieder aufgebaut, gehört das Village Fromager mit einem Erlebnisparcours für Besucher.

Auf dem selbst geführten Rundgang, der alle 20 Minuten neu beginnt, können Besucher im eigenen Tempo verstehen, wie trotz des Massenbetriebes die Käseherstellung bei E. Graindorge noch nach traditionellen Methoden abläuft.

Der Livarot erhält per Hand seine typische Binde aus Binsen. Foto: Hilke Maunder

Gläserne Manufaktur mit Museum

Den Parcours vorbei an den Vitrinen, die Einblicke in die Fertigung gewähren, unterbrechen Videos und interaktive Präsentationen, die detailliert jede Etappe der Käseherstellung beschreiben.

Integriert in den Rundgang ist auch ein kleines Museum mit historischen Milchkannen, traditionellen Gerätschaften zur Käsefertigung und alten Käse-Etiketten aus der Normandie.

Le Livarot est le roi des fromages, mais le Neufchâtel est la reine.
Der Livarot ist der König der Käse, aber der Neufchâtel ist die Königin.

Victor Hugo

Das Käsemuseum von E. Graindorge. Foto: Hilke Maunder
Das Käsemuseum von E. Graindorge. Foto: Hilke Maunder

Wer nun wissen mag, wie der Käse schmeckt, findet in der Boutique am Ende der Tour die Antwort. Dort gibt es nicht nur Käsewürfel zur Verkostung, sondern das ganze Sortiment für daheim – samt sämtlicher Dinge für ein zünftiges Picknick.

Un fromage de grande force et de mystère, un goût extraordinaire, un parfum capiteux
et qui égare les sens, tel est le Livarot.

Ein Käse von großer Kraft und Geheimnis, mit einem außergewöhnlichen Geschmack
und einem Duft, der die Sinne betört, so ist der Livarot.

Paul Verlaine

Produktion des AOP-Käses <em>Livarot</em> bei Graindorge. Foto: Hilke Maunder
Produktion des AOP-Käses Livarot bei Graindorge. Foto: Hilke Maunder

E. Graindorge

• 42, rue Général-Leclerc, 14140 Livarot, Tel. 02 31 48 20 00, www.graindorge.fr

Fromagerie de la Houssaye

Die Fromagerie de la Houssaye  fertigt einen köstlichen Bauern-Livarot mit Rohmilch von Kühen aus der Normandie, die mit Heu und Gras gefüttert wurden.
• Saint-Pierre-en-Auge, Tel. 02 31 20 64 00, www.facebook.com

Confrérie des Chevaliers du Livarot

Natürlich gibt es auch eine Bruderschaft, die sich um die Einhaltung der traditionellen Herstellung wie auch die Vermarktung des AOP-Käses kümmert: die Confrérie des Chevaliers du Livarot.

Foire aux Fromages

Am ersten Augustwochenende veranstaltet Livarot seit 1989 einen großen Käsemarkt.

La Maison du Vert

Schöne Unterkunft bei LivarotNicht weit entfernt von Livarot haben Debbie und Daniel Armitage die 1903 errichtete Dorfbäckerei von Ticheville in ein Hotel-Restaurant für Vegetarier und Veganer verwandelt. Aus seinen drei edlen, nostalgischen Zimmern blickt ihr über den 2,5 Hektar (!) großen Garten auf das Tal der Touques.

Mitten im kleinen Privatpark verstecken sich zudem zwei Ferienwohnungen. Und die Küche? Bodenständig mit kreativem Flair, regional, jahreszeitlich, köstlich!
• 61120 Ticheville, Vimoutiers, Tel. 02 33 36 95 84, www.maisonduvert.com, nur März – Sept.

Normannische Kleinode

Die Regeln der AOP sind streng, die Experimentierfreude ist groß: So gibt es neben dem berühmten Käse-Quartett der Normandie noch zahlreiche weitere Käse-Sorten, die es lohnen, entdeckt zu werden.

Kaum bekannt ist der Pavé de Plessis, ein aromatischer Weichkäse in einer quadratischen Spanschachtel. Seit 1949 wird er von der Fromagerie du Plessis in kleinen Mengen gefertigt,
• 370, chemin de la fromagerie Saint-Loup-de-Fribois, 14340 Belle Vie-en-Auge

Rund um Evreux ist der Lucullus daheim, ein weicher Kuhmilchkäse mit blumiger Rinde.  Der kleine, 4,5 cm große Zylinder hat einen Durchmesser von acht Zentimetern und wiegt 225 Gramm. Traditionell wird der Lucullus in der Normandie zum Abschluss einer Mahlzeit genossen, wenn er noch sehr jung und cremig ist.

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Im Blog

Die Käsestraße der Normandie  gehört zu den vielen Themen aus der Normandie, die  diese Kategorie vereint.

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Normandie: 50 Tipps abseits der ausgetretenen Pfade*

Die Netflix-Serie „Lupin“ hat die Normandie zu einem touristischen Hotspot gemacht. Garantiert keine Massen triffst Du bei meinen 50 Tipps. Sie sind allesamt insolites, wie die Franzosen sagen – ursprünglich, authentisch und wunderschön.

Die Landpartie durch die andere Normandie beginnt im steten Auf und Ab der Vélomaritime, führt zu den Leinenfeldern der Vallée du Dun, zu zottigen Bisons und tief hinein ins Bauernland des Pays de Bray, Heimat des ältesten Käses der Normandie.

Im Tal der Seine schmücken Irisblüten auf hellem Reet die Giebel alter chaumières, und Störche brüten im Marais Vernier. Von den Höhen vom Perche geht es hin zur Normannischen Schweiz und bis zur Mündung des Couesnan an der Grenze zur Bretagne. Hier* kannst Du den handlichen Führer bestellen.

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