Ein "Frachter" der Musik: die Seine Musicale. Foto: Hilke Maunder
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La Seine Musicale bei Paris: Kulturdampfer

Auf dem früheren Renault-Gelände der Île Seguin in Boulogne-Billancourt eröffnete am 22. April 2017 ein neues kulturelles Wahrzeichen der Kapitale: die Seine Musicale. Kultur statt Kfzs: Wo der französische Autobauer bis 1992 ein riesiges Werk betrieben hatte, erklingen seitdem neue Töne.

Fast 70 Jahre lang war die Seine im Westen von Paris mit ihren Inseln und dem Ufer von Boulogne-Billancourt fest in der Hand der Autobauer gewesen. Neben Renault war auch Konkurrent Citroën ansässig und schraubte einst weiter östlich seine Wagen zusammen. Auf seinem früheren Werkstandort erstreckt sich seit 1992 der Parc André Citroën. Er ist der einzige Pariser Park mit Seine-Zugang.

Sein unterer Ausgang endet direkt am Hafen, wo ihr in einer Guinguette die am Kai vertäuten Kreuzfahrtschiffe betrachten könnt. Im Park vertreiben im Sommer Bodenfontänen die Hitze – eine herrliche Abkühlung für junge wie ältere Pariser und Besucher!

Paris: Parc Citroen
Der Parc Citroën im Westen von Paris. Foto: Hilke Maunder

Sino-französisches Architekten-Tandem

Bevor Shigeru Ban 2013 als Gewinner eines internationalen Wettbewerbes den Zuschlag für den Bau eines Musikzentrums mit zwei Konzerthallen, Aufnahmestudios sowie Proben- und Unterrichtsräume gewonnen hatte, hatte es bereits andere Pläne zur Transformation der Industriebrache der Île Seguin in eine Kultur-Insel gegeben.

Die Fondation Pinault hatte dort ein Kunstmuseum nach Plänen von Andos im Visier. Jetzt residiert es in der Punta Dogana von Venedig. Auch der Masterplan von Jean Nouvel scheiterte acht Jahre später. Pinault jedoch kommt dennoch nach Paris. Anfang 2021 eröffnet er in der einstigen Getreidebörse des Pariser Hallenviertels seine Sammlung für moderne Kunst.

Die Bourse de Commerce im Hallenviertel birgt ab 2019 die Kunstsammlung der Collection Pinault. Foto: Hilke Maunder
Die Bourse de Commerce im Hallenviertel birgt die Kunstsammlung der Collection Pinault. Foto: Hilke Maunder

Erbaut von franco-japanischem Team

Für den Bau der Seine Musicale holte der japanische Architekt Shigeru Ba den Franzosen Jean de Gastines mit ins Boot. Shigeru Ban kennt ihr vielleicht noch von der EXPO 2000 in Hannover.

Dort hatte er mit Kartonröhren gezeigt, was man aus Papier alles bauen kann. Für seine papierbasiserten Notbauten in Katastrophengebieten hatte der damals 60-Jährige aus Kobe 2014 den Pritzker-Preis erhalten.

Jean de Gastines, ebenfalls 1957 geboren, hat mit Ban bereits 2005 bei der Cité Manifeste von Mulhouse zusammengearbeitet. Ein zweites gemeinsames Projekt folgte 2012 mit dem Umbau des Musée du Luxembourg in Paris.

Die Seine Musicale

Am 21. September 2016 verriet der Präsident des Conseil Départemental des Hauts-de-Seine, Patrick Devedjian, voller Freude den offiziellen Namen für das neue Musik-Mekka: La Seine Musicale.

Möglich wurde der 170-Millionen-Bau durch eine Public-Private-Partnership. 120 Millionen Euro übernahm das Département Hauts-de-Seine. Die restliche Summe deckten private Investoren.

Der Info-Pavillon auf der ÎÎle Seguin. Foto: Hilke Maunder
Der Info-Pavillon auf der Île Seguin. Foto: Hilke Maunder

Ursprünglich war die Eröffnung für Ende 2016 geplant. Tatsächlich wurde am 21./22. April 2017 gefeiert – im Frühling als Zeichen des Aufbruchs. Das Eröffnungskonzert fand am 22. April im Patrick Devedjian Auditorium statt und wurde vom Insula Orchestra zusammen mit dem Accentus-Chor unter der Leitung von Laurence Equilbey aufgeführt. Bereits einen Tag vor der offiziellen Eröffnung, am 21. April 2017, gab Bob Dylan ein Konzert. Der amerikanische Folk-Rock-Sänger war der erste aufzeichnende Künstler, der in der Seine Musicale auftrat. Er wählte für seinen Auftritt die Grande Seine, den 6.000 Plätze fassenden Saal

Aufbruch im Westen

Seit dem Brexit brummt die französische Hauptstadtregion. Der Bürostandort La Defense, der gleich jenseits des boulevard périphérique von Paris entstand, ist seitdem wieder enorm gefragt.

Die Mieten in der Hauptstadtregion explodieren. Überall wagen Unternehmen Neugründungen. Befeuert wird die Entwicklung durch die zahlreichen Start-Up-Zentren, die Paris eingerichtet hat. Auch in Boulogne-Billancourt wird allerorten gebaut, erfindet sich die Stadt neu.

Musikfrachter mit Ei

Von außen erinnert der Komplex an eine Megajacht oder einen Frachter mit 45 Meter hohem, goldgrünen Ei. Je nach Tageszeit schimmert die Seine Musicale in unterschiedlichen Farben. Denn ihre Betonschale ist auf 800 Quadratmetern mit Solarpaneelen überzogen.

Das Dach der Seine Musicale. Foto: Hilke Maunder
Das Dach der Seine Musicale. Foto: Hilke Maunder

Drinnen birgt der 36.500 Quadratmeter großer Komplex ein Auditorium (1.150 Plätze) und einen Großen Saal (4.000 Sitz- bzw. 6.000 Stehplätze), der für Veranstaltungen aller Art flexibel umgebaut werden kann. Nagata Acoustics und Jean-Paul Lamoureux tüftelten die perfekte Akustik beider Säle aus.

Harte und weiche Formen, verbunden in Harmonie: Detail der Seine Musicale. Foto: Hilke Maunder
Harte und weiche Formen, verbunden in Harmonie: Detail der Seine Musicale. Foto: Hilke Maunder

Vielfalt für alle

Eine Frankreich-Premiere: Nur hier, in der Seine Musicale, können sechs Veranstaltungen innerhalb von 48 Stunden stattfinden. Ähnlich wie die Hamburger Elbphilharmonie ermöglicht auch die Seine Musicale allen Menschen den Zugang.

Und wie die Hamburger „Elphi“ rollt auch die Seine Musicaledie Facetten der Musik in ihrer gesamten Bandbreite auf und ignoriert Genregrenzen. Für Kinder und Erwachsene, für Amateure und Profis. Mit Klassik, Pop und allen anderen Genres, die klingen.

Ihr könnt die Seine Musicale umrunden auf einer Promenade. Foto: Hilke Maunder
Ihr könnt die Seine Musicale auf einer Promenade umrunden. Foto: Hilke Maunder

Für das Kulturprogramm der Seine Musicale zeichnet Jean-Luc Choplin verantwortlich. Er hat für die neue Aufgabe im Dezember 2016 dem Théâtre du Châtelet adieu gesagt, das er seit 2004 geleitet hatte.

Tipp

Verpasst nicht den 7.200 qm großen Dachgarten. Der Blick auf Boulogne-Billancourt, Sèvres, Meudon, die Seine und den fernen Westen von Paris ist fantastisch! Hinauf kommt ihr per Fahrstuhl (5. Stock) oder der breiten Freitreppe, die eine Skulptur von Rodin schmückt.

Die Freitreppe zur Dachterrasse der Seine Musicale. Foto: Hilke Maunder
Die Freitreppe zur Dachterrasse der Seine Musicale. Foto: Hilke Maunder

Auch Kunst zieht auf die Insel!

Der jungen französischen Kunstszene widmet ein Museum widmen, das 2023 eröffnete. Gezeigt werden sollen die Sammlung des Baulöwen Laurent Dumas (Emerige) mit Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen und zeitgenössische Installationen sowie die Kunstsammlung von Renault mit 350 Werken – Gemälden, Skulpturen und Zeichnungen.

Höhepunkt der fotografischen Sammlung sind 200 Originalaufnahmen von Robert Doisneau. Kennt ihr nicht? Doch – bestimmt! Es ist der Fotograf, der – zwar gestellt – die berühmte Kuss-Szene vor dem Pariser Rathaus in Schwarz-Weiß eingefangen hatte.

"La Défense" (1879) von August Rodin schmückt die Freitreppe der Seine Musicale. Foto: Hilke Maunder
La Défense (1879) von August Rodin schmückt die Freitreppe der Seine Musicale. Foto: Hilke Maunder

Dritte im Bunde ist die Fondation Giacometti, die vor allem das Programm des Kunstzentrums mitgestalten will. Geplant ist ferner ein Kunst-Hotel, das in jedem seiner 220 Zimmer Kunst zeigt.

Auch hier könnt ihr künftig vom Dach – mit Pool-Bar und Panoramaterrasse – neue atemberaubenden Ansichten von Paris genießen.

Über die Kunst und Musik hinaus erhält die revitalisierte Île Seguin auch eine Einkaufspassage mit Restaurants, Bars, Geschäften, acht Kinos und einen Erholungspark.

Seine Musicale: Pouce, eine Bronze von César aus dem Jahr 1994. Foto: Hilke Maunder
„Daumen hoch“ für die Seine Musicale sagt auch César mit einem Pouce, einer Bronze aus dem Jahr 1994. Foto: Hilke Maunder

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Im Blog

Ab in die Banlieue

Lange standen sie im Schatten von Paris. Doch jetzt emanzipieren sich die Vorstädte. Unterstützt durch politischen Willen, einen vom Brexit aufgeheizten Immobilienmarkt und neue unternehmerischen Initiativen, boomt la petite couronne, die kleine Krone der Départements 92, 93 und 94, die die Kapitale einrahmen. Die banlieue ist branché ! Was ihr dort entdecken und erleben könnt? Klickt mal hier!

Neue Architektur am Lez

Neue Wahrzeichen machten Montpellier zum Hotspot aufregender Architektur. Und für die New York Times zu einer der Top 45-Städte, die man gesehen haben sollte. Der Aufbruch in der Architektur begann mit dem Stadtviertel Antigone, das der Katalane Bofill auf einstiges Kasernengelände setzte.

Der Pierres-Vives-Komplex von Zaha Hadid präsentiert sich als lang gestreckter Bau aus weißem Beton, Aluminiumprofilen und grün gefärbtem Glas.

Einen Arbre Blanc setze Sou Fujimoto ans Ufer des Lez. Sein weißer Baum birgt 120 Wohnungen auf 17 Etagen – und hoch oben eine Panoramabar. Neugierig? Dann klickt hier!

Montpellier: Arbre Blanc am Lez. Foto: Hilke Maunder
Der Arbre Blanc am Lez von Montpellier. Foto: Hilke Maunder

Im Buch

Mein Reiseführer

Baedeker Paris 2018

Meinen Baedeker „Paris“*  gibt es ab 15. Oktober 2023 in der überarbeiteten 20. Auflage!

„Tango unter freiem Himmel: Die Stadt der Liebe: Der neue Reiseführer ‚Paris‘ zeigt – neben Sehenswürdigkeiten – besondere Orte für Höhenflüge, romantische Momente wie ‚Tango unter freiem Himmel‘ und unvergessliche Dinners. Dazu gibt’s viele Kulturtipps…“  schrieb die Hamburger Morgenpost über meinen Paris-Führer.

Zu den Fakten, unterhaltsamer präsentiert, gibt es jetzt auch Anekdoten und Ungewöhnliches, was ihr nur im Baedeker findet. Und natürlich ganz besondere Augenblicke und Erlebnisse, die euren Paris-Aufenthalt einzigartig und unvergesslich machen. Wer mag, kann meinen Paris-Reiseführer hier* bestellen.

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Die große Multimedialeinwand der Seine Musicale. Foto: Hilke Maunder
Die große Multimedialeinwand der Seine Musicale. Foto: Hilke Maunder

5 Kommentare

  1. Vielen Dank, liebe Hilke ! Das war bedauerlicherweise bisher völlig an mir vorbeigegangen. Ich bin schon neugierig, mir das alles einmal anzuschauen und vielleicht ein (kleineres) Konzert „sur Seine“ zu erleben.

    1. Hallo Elisabeth, es passiert so viel gerade in Frankreich, überall wird Neues eröffnet, spannend! Ich versuche, den Überblick zu behalten ;-)).
      Herzlich, Hilke

      1. Oh, das freut mich, liebe Hilke. Das klingt nach Aufbruchsstimmung. Hier wurde – vor den Wahlen – doch häufig berichtet, dass die Franzosen angesichts der wirtschaftlichen und politischen Lage recht deprimiert seien. Bleibt zu hoffen, dass das Vorschussvertrauen, das die die Franzosen mit ihrer Wahentscheidung zum Ausdruck gebracht haben, nicht enttäuscht wird.
        Meilleurs voeux,
        Elisabeth

  2. Salut Hilke, vielen Dank für die ausführlichen und interessanten Tipps zur neuen Kultstätte “ La Seine Musicale“ in Paris. Das werde ich mir sofort für den nächsten Paris-Besuch fest einplanen. In der Hoffnung, dass die Ticketsituation etwas entspannter ist als in der Hamburger Elbphilharmonie. Paris ist und bleibt eben eine Reise wert. Salut, Claudine

    1. Ja,, Claudine! Und seit Sonntag, 2. April 2017, ist jetzt auch das rechte Seineufer eine autofreie Bummnelmeile – auf 10 Kilometern!
      CU in Paris :-)) Hilke

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