Foto: Hilke Maunder
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Le Petit Berlin von Nîmes: Gambetta

Gallier und Römer haben dafür gesorgt, dass Nîmes als Hauptstadt des Gard zum Weltkulturerbe wurde. Doch das antike Dreieck mit seinen dicht gedrängten Sehenswürdigkeiten und weltberühmten Museen verlässt kaum ein Besucher. Schade – denn für Insider gehören Richelieu und Gambetta zu den spannendsten Vierteln für Street-Art in Frankreich.

Foto: Hilke Maunder
Die Affen sind los in Gambetta! Foto: Hilke Maunder

Le Petit Berlin nennt sich das Duo stolz mit Blick auf den Ruf der deutschen Hauptstadt für Graffiti und Alternativkulturen. Und tatsächlich weht ein Hauch von Kreuzberg durch die einstigen Arbeiterviertel mit ihren kleinbürgerlichen Wohnhäusern und Werkstätten, dem bunt gemischten Mix der Bewohner, den Maghrebbuden und ihrer Patina. Damit lockt die alternative Szene die bürgerliche Bohème. Mit diesen bobos beginnt auch in Nîmes nun die Gentrifizierung der stadtnahen Viertel.

Die <em>Porte d’Auguste</em> am Rand der Altstadt von Nîmes. Foto: Hilke Maunder
Die Porte d’Auguste am Rand der Altstadt von Nîmes. Foto: Hilke Maunder

Die beiden Hotspots für Urban Art beginnen dort, wo die Antike endet: an der Porte d’Auguste bei der Place Gabriel Péri. Wo Kaiser Augustus hinter der antiken Pforte im Grün die Hand zum Gruß hebt, hat ein Street-Art-Künstler während des ersten Totallockdowns der Corona-Pandemie im März 2020 ein Gesicht mit Maske auf die Fassade gemalt. Illegal in der Nacht.

Foto: Hilke Maunder
Foto: Hilke Maunder

Ganz legal darf in den Vierteln Gambetta-Richelieu auf Fassaden gemalt werden, die Eigentümer für die Expo de Ouf zur Verfügung stellen. Hinter dem 2013 gegründeten Straßenkunstfestival steht der Verein Le Spot, der in den beiden Vierteln einst leer stehende Häuser zu Coworking-Stätten und Zentren der Alternativkultur verwandelt hat.

Wer durch das Gewirr der Gassen von Gambetta wandert, kann Dutzende von Fresken entdecken, die lokale und internationale Künstler entwarfen. Voilà eine kleine Auswahl.

Gambetta

<em>Gambetta</em> von Reano Feros. Foto: Hilke Maunder
Gambetta von Reano Feros. Foto: Hilke Maunder

Der Schriftzug des Viertels, hoch über einer Bäckerei von Reano Feros als kunstvolle Kalligrafie auf die Fassade gebracht.
Rue d’Aquitaine/Rue Rangueil

Hommage an Brassens

Les Copains d'abord: Georges Brassens in Richelieu. Foto: Hilke Maunder
Les Copains d’abord: Georges Brassens in Richelieu. Foto: Hilke Maunder

Alain Merle ist ein großer Fan von Georges Brassens. Er wünschte sich daher im Rahmen des Festivals ein Wandbild des Chansonniers. Pyrate und Souredj hatten zunächst andere Pläne.

Doch als sie die Passion des Nîmois sahen, ließen sie sich von seiner Begeisterung inspirieren. Pyrate schuf das Portrait in Schwarzweiß. Souredj widmete sich der restlichen Wand.
• Ecke Rue d’Aquitaine/Rue Baudin

Das Bad

Die Badenden, gemacht von Big Ben. Foto: Hilke Maunder

Big Ben ist ein Autodidakt, den Banksy und Blek die Ratte beeinflussten. Der Lyoner Street-Art-Künstler zeigt auf seinen Schablonen und Collagen gerne Ausschnitten des Lebens und eigene Beobachtungen, die er mit Humor darstellt. Seine Badebild entstand im September 2015 für die Expo de Ouf. Später übermalte ein zweiter Künstler Ausschnitte dieses Werkes. Ein neues Fresko entstand – mit einer erneut  gelungenen Komposition.
Rue Dumas

Le Gitan (Zigeuner)

<em>Le Gitan</em> von Zeklo. Foto: Hilke Maunder
Le Gitan von Zeklo. Foto: Hilke Maunder

Zeklo setzte für die Expo de Ouf 2015 einen Zigeuner mit dunkler Haut, Wuschelhaar und weißem Achselshirt auf eine Wand mit Patina. Dass dieses Œuvre noch nicht übermalt wurde, zeigt den Respekt der anderen Street-Art-Künstler vor diesem Werk.
Rue Clérisseau/Rue Saint-Charles

Kopsky & Cobalt

Kopskyund Cobalt schufen für das Straßenkunstfestival 2020 dieses Wandbild. Foto: Hilke Maunder
Kopsky und Cobalt schufen für das Straßenkunstfestival 2020 dieses Wandbild. Foto: Hilke Maunder

Gemeinsam mit Cobalt, einem Künstler aus Lyon, schuf er für die Expo de Ouf 2020 an der Rue Bachalas dieses riesige Fresko. Seine Blautöne verleihen dem Wandgemälde eine große Einheit, die sich nicht hinter der vorherigen Version zu verstecken braucht.

2015 hatte Kopsky  für die Expo de Ouf  einen kleinen, dicken Mann gefertigt, der mit seinem Hut und seiner Kleidung auf den ersten Blick wie ein schlecht angezogener Offizier aussieht und an einer Handvoll bunter Luftballons hängt.

Ursprünglich stammt der Graffiti-Künstler aus dem Großraum Paris. Zum Studium ging er nach Montpellier, arbeitete zehn Jahre lang im Kollektiv Ink und zog dann an die Ardèche, um allein als Künstler zu arbeiten.
• 40, Rue Bachalas

Kantige Affenköpfe

Foto: Hilke Maunder

Street-Art in Nîmes ist oft politisch und markiert Orte und Gebäude, die vernachlässigt oder vergessen sind. Die Straßenkunst macht sie sichtbar. Und fordert zum Handeln auf. So wie Kink1, bei dem es sich vermutlich um David Duart aus Nîmes handelt.

Foto: Hilke Maunder

Affen, in Schwarz-Weiß oder Gelb-Schwarz, gehören zu seinen Lieblingsmotiven. An der Rue Dumas präsentiert er den Affen gekrümmt, an der Rue Clérisseau 4-6 als Antlitz unter einem Steinsturz.
• 4-6, Rue Clérisseau, Rue Dumas

WENCs urbanes Universum

Ein Ausschnitt aus dem riesigen Wandgemälde von Wenc an der Rue Gautier. Foto: Hilke Maunder

Das Wandgemälde von WENC an der Rue Gautier entstand während der Expo von Ouf! #8 im Jahr 2019. Zwischen Kubismus und Surrealismus angesiedelt ist, entblättert es auf der gesamten Fassade ein urbanes Universum und zeigt die Interaktionen, die zwischen der Stadt und ihren Bewohnern bestehen.

Charles Wende-Henne (WENC) lebt und arbeitet in Brüssel. Für den diplomierten Architekten und passionierten Street-Art-Künstler verbindet sich die Architektur mit der Malerei, um Orte zum Sprechen zu bringen, indem sie Geschichten erzählt.
• Rue Gautier

Dire 132

Dieses Schwarz-Weiß-Porträt schuf Dire 132 im Seütember 2015. In Créteil geboren. zog es ihn in den Süden nach Aix-en-Provence. Foto: Hilke Maunder
Dieses Schwarz-Weiß-Porträt schuf Dire 132 im September 2015. In Créteil geboren, arbeitet und lebt er heute im Süden – in Aix-en-Provence. Foto: Hilke Maunder

Dire 132, der bereits mit 14 Jahren im Großraum Paris  Graffiti auf den Fassaden hinterließ, steht für hyperrealistische und erstaunliche Porträts, die eine Hommage an die Frau sind. Für die Expo de Ouf 2015 schuf er dieses Portrait in Schwarzweiß.

Adec

Adec. Foto: Hilke Maunder

Adec lebt seit 2013 im Gard in dem kleinen Dorf Logrian. Er entdeckte die Malerei durch urbane Kunst in den 2000er-Jahren in Paris. Von 2005 bis 2012 zog er nach Brüssel, wo er seinen Abschluss am Institut Van der Kelen machte. An der Rue Robert 13 verschönerte er bei der Expo de Ouf 2019 ein Garagentor.

Foto: Hilke Maunder
Foto: Hilke Maunder

ARDPG

ARDPG hat im Petit Berlin zwei Listen mit Wörtern auf die Wände gemacht. In Richelieu vereinen sie in Großbuchstaben lauter Wörter, die auf „ion“ enden. In Gambetta nennt er berühmte Künstlern von Vinci bis JR. Die Liste endet mit You.

Foto: Hilke Maunder

Eine neue Arche Noah

Foto: Hilke Maunder

Dieses Wandgemälde entstand bei der Expo de Ouf! #9 im Jahr 2020. Es ist eine Arbeit von Loraine MTI, die bereits 2019 auf dem Festival war. Ihre Arbeit entstand in einer sehr schmalen Straße, was es schwierig macht, das Gemälde vollständig zu würdigen.
Rue Gautier / Rue Saint-Charles

Das Wappentier von Nîmes

Das Krokodil ziert auch die Fassaden - wie diese Echse im Quartier Gambetta. Foto: Hilke Maunder
Das Krokodil ziert auch die Fassaden – wie diese bunte Echse von 1Sekte (lautmalerisch für insecte) an der Rue Rangueil. Foto: Hilke Maunder

Ein Insekt ist ein oft ungeliebtes Wesen, das jedoch für das Ökosystem unentbehrlich ist. Und daher zeichnet der Graffitikünstler  seine Wandbilder auch mit 1Sekte. L’Insecte ist aber auch ein Verweis auf die Natur, die ihm am Herzen liegt. Und so wohnt er nicht in der Stadt, sondern in Navacelles  bei Alès.

1Sekte gestaltete 2018 die Fassade von Le Spot zum Thema Plakatwerbung. 2019 entstand sein farbenfrohes Krokodil auf der Fassade.
• 14, Rue Rangueil

Die Fische (les pêches)

ur wenige Schritte von seinem Krokodil entfernt, hat Sekte zwei große Fische auf die Fassade gesetzt, die sich an einer Straßenecke treffen. Foto: Hilke Maunder
Nur wenige Schritte von seinem Krokodil entfernt, hat 1Sekte zwei große Fische auf die Fassade gesetzt, die sich an einer Straßenecke treffen. Foto: Hilke Maunder

2020 setzte 1Sekte bei der Expo de Ouf seine farbenfrohe Tierwelt fort mit zwei Fischen, die sich an der Ecke Rue de Bourgogne / Rue Baudin treffen. Die lustigen Mini-Figuren setzte Adec dazwischen.
•  Rue de Bourgogne / Rue Baudin

<em>Les pêches</em> von Sekte mit den kleinen Figuren von Adec. Foto: Hilke Maunder
Les pêches von Sekte mit den kleinen Figuren von Adec. Foto: Hilke Maunder

Die Wall of Fame

Dort, wo die Rue Clérisseau eine ziemlich breite Aussparung mit blinden Wänden besaß, entstand im Zug der Expo de Ouf eine wahre Wall of Fame. Wer hier sein Werk zeigen kann, gehört zu den besten und anerkanntesten Künstlern der Szene.

Das Gemeinschaftswerk von Berns, Supocaos und Isa@c. Foto: Hilke Maunder
Das Gemeinschaftswerk von Berns, Supocaos und Isa@c. Foto: Hilke Maunder

Dort zu sehen ist auch Berns. Der Peruaner kommt recht häufig nach Frankreich und nimmt an Gemeinschaftsveranstaltungen wie hier teil. Er mag südamerikanische Symbole und leuchtende Farben. Supocaos ist Mitbegründer des Kollektivs La Ruche und somit eine führende Figur der Street-Art von Nîmes.

2019 schmückte er eine Hauswand mit einem Wandbild, das die Street-Art als Kunst des 21. Jahrhunderts in die Kunstgeschichte einordnet – und dazu Vincent van Gogh, seine Sonnenblumen und sein gelbes Haus in seinem Werk ehrt.

Foto: Hilke Maunder
Hommage an die Kunstgeschichte von Berns. Foto: Hilke Maunder

Grumo

Auf der Strebepfeilerwand gegenüber hat Grumo zur Expo de Ouf 2015 einen Radfahrer verewigt, der als Gepäck unzählige Häuser zum Turm gestapelt hat. Symbole der Heimat, mit der er durch die Welt zieht als Migrant.

Grumos Werke wollen uns herauszufordern. Sein Ziel ist es, das Publikum zu fesseln und zu überraschen, um uns über die conditio humana zu befragen, die sich in seinen Augen viel zu sehr vom eigentlichen Sein des Menschen entfremdet hat.
Rue Clérisseau

Grumo an der Wall of Fame. Foto: Hilke Maunder
Grumo an der Wall of Fame. Foto: Hilke Maunder

Maye

Eines der Hauptwerke der Wall of Fame stammt von Victorien Liria, genannt Maye. Aus einer Landschaft mit Ockertönen sticht ein großer Pfahl mit geblümtem Bart hervor, der ganz dünn ist. In seiner rechten Hand hält er eine Spraydose, er sucht seinen Platz. Der junge Künstler aus Sète, 1990 dort geboren, zeichnete von klein auf leidenschaftlich gerne und begann 2004 mit Graffiti.

Maye an der Wall of Fame. Foto: Hilke Maunder
Maye an der Wall of Fame. Foto: Hilke Maunder

Gambetta / Le Petit Berlin: meine Reisetipps

Das Straßenkunstfestivals L’Expo de Ouf  stellt von Anfang September bis Ende Oktober rund dreißig Straßenkünstler aus aller Welt in Nîmes Flächen auf Hausfassaden und anderen Wänden parat, die dort ohne Auflagen oder Thema ihrer Kreativität freien Lauf lassen können. Während des Festivals könnt ihr an Führungen mit der Association Locomotiv teilnehmen.
www.facebook.com/locomotivnimes, www.expodeouf.fr

Le Spot Nîmes

<em>Le Spot.</em> Foto: Hilke Maunder
Le Spot. Foto: Hilke Maunder

Der Verein, der hinter der Quartiersentwicklung mit Street-Art steht, betreibt im Gambetta- Viertel auf 500 Quadratmeter einen hybriden Kunst-, Genuss- und Arbeitsraum mit dem Bar-Bistro La Cantine, Mikrobrauerei, Skateshop und einem Ausstellungsraum in situ, den die Künstler vom Boden bis zur Decke alle zwei Monate neu gestalten können. Für Konzerte, Videoprojektion, Workshops, Konferenzen und Meetings gibt es einen Multifunktionsraum, zum Arbeiten neun Büros und Werkstätten um einen Innenhof.
• 8, Rue de l’Enclos Rey, 30000 Nîmes, Tel. 04 66 36 85 64, www.lespotnimes.com

La Verrière

Co-Working-Zentrum des Stadtteils Gambetta mit rund 30 Kreativen als Mietern, die ab und an einzelne oder gemeinsame Events veranstalten
• Ecke Rue de la Baume/Rue Porte d’Alès, 30000 Nîmes, www.facebook.com/ laverriere.nimes

<em>Libre comme l'air</em> (frei wie die Luft), ein Wandbild des Duos Indexpouce am Haus 25, rue Porte d'Alès. Foto: Hilke Maunder
Libre comme l’air (frei wie die Luft), ein Wandbild des Duos Indexpouce am Haus 25, rue Porte d’Alès. Foto: Hilke Maunder

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Im Blog

Le Petit Berlin: die Street Art von Richelieu

Was für Kunst die Wände  im Nîmoiser Stadtviertel Richelieu schmückt, könnt ihr hier sehen.

Foto: Hilke Maunder
Foto: Hilke Maunder

Nîmes: Antike trifft Zeitgeist

Mein großes Stadtportrait von Nîmes: Bitte einmal hier klicken.

Nîmes: große Namen für moderne Ikonen

Auch für moderne Architektur war und ist Nîmes eine Spielwiese. Tipps, Infos und Hintergrund gibt es hier.

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