Gérard Samson und die Winzer der Normandie
Gérard Samson überzeugt selbst stärkste Skeptiker. Hier, mitten im Calvados, produziert er nicht Cidre, sondern richtigen Wein? „Bien sûr, Madame“, lächelt der ehemalige Notar. 1995 schloss er seine Kanzlei im Tal der Dives. Und beschloss, seiner Leidenschaft zu frönen.
Als gestandener Mann ging er nach Burgund, lernte dort das Weinhandwerk von der Pike auf. Und gründete sein Weingut Arpents du Soleil. „Sonnenbühl“ würden die Lage deutsche Winzer nennen. „Perfekt für meine Vins de Normandie“, sagt Gérard Samson.
Der einstige Notar setzt in der Normandie eine ungewöhnliche wie einzigartige Tradition fort. Seit dem Jahre 1792 hatte eine gewisse Familie Leriche auf dem einzigen Weinberg der Normandie Reben angebaut und gekeltert.
Perfekte Geologie für guten Wein
Die geologischen Bedingungen für den Weinbau rund 20 Kilometer südöstlich von Caen sind bestens. Der Boden des Weinbergs Arpents du Soleil beim Örtchen Saint-Pierre-du-Dives besteht aus einer steinigen Mischung aus Kalk und Lehm, die auf einer harten, aber rissigen Kalkschicht liegt. Dieser Mix bringt anderenorts Grands Crus hervor. Und sorgt für ein Mikroklima, das trockener und wärmer ist als ringsum.
Lese im September
Eine Geologie, perfekt für die Entwässerung und das Wachstum der Weinstöcke. Ihre Wurzeln wachsen mehrere Meter tief bis zu den Mergelschichten hinunter, die die Wasserzufuhr in trockenen Zeiten sichern.
Die Trauben lesen Auszubildende der Sommelierschule von Caen gemeinsam mit Helfern aus dem Dorf im frühen Herbst von Hand. Zwei hölzerne Pressen sorgen dafür, dass der Saft sanft aus den Beeren fließt. Danach gibt Gérard Sulfite hinzu, um seine Weine zu stabilisieren.
Ungefiltert in die Flasche
Auf eine künstliche Erhöhung des Alkoholgehaltes (Chaptalisation) verzichtet Gérard. Auch filtriert wird nicht, wodurch es bei den Tafelweinen aus dem Calvados zu Bodensätzen kommen kann, einem sogenannten Depot, das die Qualität des Weines jedoch nicht beeinflusst.
6,6 Hektar groß ist sein Weingut inzwischen. „Und sauber aufgeteilt: jeweils 50 Prozent für Rot und Weiß“, lacht Gérard und nimmt eine Kostprobe aus dem Schlauch, aus dem der frisch gepresste Traubensaft in den Edelstahltank läuft.
Auxerrois blanc, Pinot Gris, Melon de Bourgogne, Müller-Thurgau und Chardonnay reifen am Hochspalier für die Weißweine. Als einzige rote Rebe gehört seit 2007 auch Pinot Noir dazu.
Seit 2009 tragen alle Cuvées die geschützte geografische Angabe Vin du Pays du Calvados und seit dem Jahrgang 2011 Vin du Pays du Calvados-Grisy.
Ausgezeichnete Weine
1998 stellte er die Früchte seiner Arbeit vor. 2.800 Flaschen, gefüllt mit jeweils 500 ml Weißwein, waren es im ersten Jahr. Inzwischen ist die Produktion auf 18.000 Flaschen geklettert. Ihre Etiketten verraten dank ihrer Farbe die Traube.
Sofort nahm ihn der unabhängige Weinführer Guide Hachette auf. Und führte den Wein von Les Arpents du Soleil im Jahr 2014 sogar unter den Besten Frankreichs auf.
Lob vom Guide Hachette
Unabhängigkeit und Objektivität gehören zu den Prinzipien des Weinführers. Bei der Blindverkostung degustieren und bewerten rund 900 Weinexperten – darunter Önologen, Sommeliers und Fachjournalisten – mehr als 30.000 Weine.
Ungefähr zwei Drittel der Weine werden eliminiert. Nur die Besten kommen in den Guide Hachette. Darunter immer wieder auch die Tropfen von Gérard Samson.
Die neuen Winzer der Normandie
Gérard Samson ist das einzige Weingut, das die IGP Calvados-Grisy besitzt. Noch. Sein Erfolg hat inzwischen rund 30 Winzer und Neo-Winzer angelockt.
Unterstützt von der Region Normandie und der Landwirtschaftskammer gründeten 20 von ihnen im Januar 2022 den Verband der Vignerons de Normandie.
Sein Ziel ist es, die Erneuerung des Weinbaus in der Normandie nach dem Vorbild der in den historischen französischen Weinbauregionen bestehenden Instanzen zu professionalisieren und zu beschleunigen. Anfang 2023 zählte er bereits mehr als 50 Mitglieder.
Der Wein der Coteaux de Freneuse
Zum Präsidenten wählten sie Edouard Capron von der Domaine Saint-Expedit. 2016 pflanzte er die ersten 3.000 Weinstöcke an den Hängen der Coteaux de Freneuse. Als Trauben wählte der frühere Weinhändler Chebun und Fromentel. Diese beiden Rebsorten wurden in der Normandie während des Mittelalters lange Zeit angebaut.
2019 konnte er erstmals in Sotteville-sous-le-Val dort in den Seine-Schleifen seinen Wein ernten. Viele Einheimische halfen freiwillig bei der Lese mit, begeistert von diesem Abenteuer. Zwei Stunden dauerte die Lese. Im folgenden Sommer gab es die ersten Flaschen mit Weißwein aus dem Département Seine-Maritime. Geplant sind auch Schaum- und Rotwein.
Quereinsteiger mit Erfolg
Benoit Hue ist von Haus aus Physiotherapeut in Grand-Quevilly. Zusammen mit Freunden begann auch er den Anbau von Wein und pflanzte 4.000 Stöcke in Saint-Pierre-de-Manneville.
François Lecourt wagte an der Küste des Cotentin den Weinbau. Auf 1,5 Hektar Weideland, die zuvor brach gelegen hatten, pflanzte der Neowinzer mehr als 5.000 Stöcke an den Hängen des Mont Barbey.
Auf den von Kalkadern durchzogenen Schieferboden kamen nicht die traditionellen Sorten, sondern pilzwiderstandsfähige Reben, auch Zukunftsreben genannt. Diese vereinen gleich mehrere Vorteile auf sich: Zum einen kommen sie mit dem Klimawandel und dessen Auswirkungen, höhere Temperaturen und Dürre, besser zurecht.
Aber es geht auch um den Nachhaltigkeitsgedanken: Geringer Arbeitsaufwand durch aufrechtes Wachstum, keine Bewässerung durch Trockenstresstoleranz, wenige Durchfahrten mit dem Traktor zur Boden- und Ressourcenschonung, minimierter Pflanzenschutz zum Wohle des Lebensraums Weinberg.
Der Sekt des Cotentin
Muûs nannte der junge Neo-Winzer sein Weingut in Barneville-Carteret, was im lokalen Dialekt „das Beste“ bedeutet. 2022 konnte Lecourt die ersten Trauben lesen. Gepresst wurde der erste Jahrgang noch von der Cidrerie de la Chesnaie in Yvetot-Bocage. François Lecourt stellt Schaumweine aus der Normandie her. Seine Flaschen reifen, wie die Champagner, nach der traditionellen Flaschengärung auf Rüttelpulten.
Ein franco-britisches Abenteuer ist für Delphine Prévot und Matt Angwin der Weinbau. Das junge Paar hat auf dem elterlichen Getreidehof von Delphine im Frühjahr 2021 den Weinberg ihrer Domaine Prévost in Ferrières-Haut-Clocher angelegt.
Mit einer Geschwindigkeit von 0,5 km/h setzten sie per Trecker 8400 Rebstöcke der Sorten Pinot Noir oder Meunier, Chardonnay, Chenin Blanc und Floréal alle paar Meter in einer 30 Zentimeter breiten Furche, gaben jedem Stock drei Liter Wasser und freuen sich jetzt auf die hoffentlich erste Lese im Jahr 2024.
Info
Gérard Samson: Les Arpents du Soleil
Wir haben etwas suchen müssen, da unser Routenplaner überfordert war. Gérard Samson kennt das Problem. Er hat daher von der Kirche und deren Rue de l’église in Jort den Weg mit gelben Pfeilen und dem Namen des Weingutes markiert.
GPS
49°00’16.2″N 0°04’17.4″W
49.004497, -0.071492
• Chemin des Vignes – Grisy, 14170 Saint-Pierre-en-Auge, Tel. 02 31 40 71 82, www.facebook.com/arpentsdusoleil
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Im Blog
Auch in der Bretagne wird inzwischen Wein kultiviert. Mehr zum bislang einzigen Weinberg der Bretagne erfahrt ihr hier.
Im Buch
Glücksorte in der Normandie*
Steile Klippen und weite Sandstrände, bizarre Felslandschaften und verwunschene Wälder, romantische Fachwerkstädtchen und moderne Architektur – die Normandie hat unzählige Glücksorte zu bieten.
Gemeinsam mit meiner Freundin Barbara Kettl-Römer stelle ich sie euch in diesem Taschenbuch vor. Wir verraten, wo die schönste Strandbar an der Seine liegt, für welche Brioches es sich lohnt, ins Tal der Saire zu fahren, und wo noch echter Camembert aus Rohmilch hergestellt wird.
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Das ist ein super Tipp! Ich habe das Weingut besucht – der Auxerrois ist wirklich köstlich und nicht einmal teuer …
Liebe Barbara, wie schön, dass Dir die Normannentropfen gefallen! Bonne dégustation! Hilke