
Das Glück hat neue Koordinaten: 46°43’N, 2° 21’W. Zehn Kilometer lang und maximal 3,7 Kilometer lang, versteckt es sich im Atlantik. Sein Name: Île d’Yeu. Ein Eiland, 18 km weit von der Küste der Vendée entfernt. Und Lichtjahre von der Hektik des Alltags.
Statt Hochhäusern, Betonbauten und architektonischer Experimente dominieren weiß gestrichene Häuser mit bunten, meist blauen Fensterläden und rot gedeckten, niedrigen Dächern, deren Ziegel mit Zement befestigt sind, um den winterlichen Stürmen zu trotzen.
In der Heckenlandschaft der Bocage und den kleinen Wäldern der Insel verstecken sich die Häuser reicher Pariser, die mit dem Helikopter oder Kleinflugzeug aus der Hauptstadt anreisen.
Die Tagesbesucher kommen per Fähre aus Fromentine oder St-Gilles Croix de Vie, ziehen die Wanderschuhe an, steigen aufs Rad oder beobachten in einem der vielen Bistros und Cafés von Port-Joinville das bunte Treiben am Hafen. Oder gucken per Webcam zu.
Heimliche Inselhauptstadt ist indes Saint-Sauveur. Rund um die älteste Kirche der Insel ist in der Saison täglich Markt. Man tauscht Neuigkeiten und noch mehr Klatsch aus, kauft weißen Tunfisch als Tartar, Boudin Blanc, weiße Blutwurst mit Pflaumen, oder aschegerollten Ziegenkäse. Dazu noch ein Baguette. Und dann hin zur einer Café-Bar für einen Petit Noir oder das erste Glas Wein.
Der Nachmittag gehört dem Strand. Als langer weiß-bis goldgelber Streifen säumt er die Ostküste, als versteckte idyllische Buchten mit Name wie Plage des Soux oder Plage des Vieilles die wilde Südwestküste – die Côte Sauvage.
Dort versteckt sich auch der Port de la Meule, ein kleiner Naturhafen, eingeklemmt zwischen hohen verwitterten Felsen, bewacht von der Kapelle Notre-Dame de Bonne Nouvelle.
Die Insel der Tunfischfischer lebt heute vorwiegend vom Tourismus, einzig verwildertes Korn und Windmühlen erinnern noch daran, dass einst auch Hafer und Weizen auf der Insel angebaut wurden.
Während des Zweiten Weltkriegs war die Île d’Yeu in der Hand der deutschen Wehrmacht, die Bunkeranlagen und Beobachtungsposten errichtete.
Heute sind sie, wie das majestätische Vieux-Château an der Westküste, Ruinen inmitten einer malerischen Natur mit Dünen, Heideflächen und Tausenden von Seevögeln, die hier rasten und brüten.
Auf der Insel gibt es zudem eine Zitadelle aus dem 19. Jahrhundert, die ein gezielt angelegter Wald tarnt. 1940 waren dort 125 Kommunisten interniert. Später dient der Bau als Gefängnis.
Zum Gefängnis auf Lebenszeit wurde die Insel auch für einen Mann, der während des Zweiten Weltkriegs mit den Deutschen kollaboriert hat: Marschall Philippe Pétain. 1951 starb der Chef des Vichy-Régimes in der Verbannung. Auf dem Friedhof hoch über Port-Joinville fand er seine letzte Ruhestätte.
Heute inspiriert die Insel Künstler und Kunsthandwerker. Die Bretonin Marie Bathelllier bannte den Inselsommer auf Stoffe und Leinwände und fing die Farben von Himmel und Meer ein auf Holz und Stein, ehe sie aufbrach zu neuen künstlerischen Abenteuern. Henri Rouberol blieb. Und stellt jeden Sommer seine Werke in das Fenster seines Wohnzimmers.
Und die ganze Insel atmet eine Ruhe und zufriedene Behaglichkeit, die sich wie ein warmer Mantel um den stressgeplagten Städter legt.
Île d’Yeu: meine Reise-Infos
Schlemmen & genießen
Wir haben uns in Saint-Sauveur auf dem Markt selbst versorgt und “daheim” gekocht. Restauranttipps kann ich daher nicht geben. Aber: In Saint-Sauveur trifft sich zur Marktzeit die ganze Insel im Café von Roselyne Conan in der Rue Général du Leclerc 54.
Schlafen
Auf der Insel dominieren Ferienwohnungen und chambres d’hôtes. Ein sehr schönes wie preisgünstiges Zimmer habe ich bei Sylvie Lemarignier entdeckt – und hier vorgestellt.
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Tolle Reportage. Da werden Urlaubserinnerungen wach. Auf der Insel Yeu lebte auch der Marinemaler Jean Rigaud, der Grossvater meiner Frau.
Hallo Jörg, das ist ja spannend! Da verlinke ich doch gleich mal zu Deiner Reportage: http://www.weltreisejournal.de/tag/jean-rigaud/
Die Insel sieht wunderschön aus, ich finde das ist ein richtiger Geheimtipp! Leider war ich noch nie in dieser Gegend von Frankreich, bisher war ich immer nur in Paris oder im Süden Frankreichs unterwegs.
Dann musst Du da mal hin! Gehört zum Schönsten, was ich in Frankreich kenne!
Hallo,
Von diesem “Glücksort” hatte ich ja noch nie was gehört ????. Hört sich aber sehr schön an, ruhig und grün und voller kulinarischer Köstlichkeiten, die probiert werden wollen.
Schöner Post, vielen Dank
Beste Grüße
Simone
Oh, ich sehe gerade, dass aus dem Emoji, das sich die Augen zuhält, vier ? werden…wollte eigentlich nur meine Fassungslosigkeit zum Ausdruck bringen und nicht ganz viel fragen;)
Hallo Simone, ja, ich war auch ganz überrascht und begeistert…. war so viel unterwegs in aller Welt gewesen…. und dann liegt das Glück so nah… naja… relativ nah :-). Viele Grüße, Hilke