Guéthary: das kleine Juwel der Küste
2021 holte Guéthary (Getaria) die Silbermedaille. Das kleinste Dorf an der baskischen Küste schaffte es auf Platz zwei unter den französischen Gemeinden mit weniger als 2000 Einwohnern beim prestigeträchtigen Landeswettbewerbs Villes et villages où il fait bon vivre. 2023 schaffte holte Guéthary die Goldmedaille und stand an erster Stelle.
Guéthary liegt südlich von Biarritz zwischen Bidart und Saint-Jean-de-Luz. Der ehemalige Walfanghafen hat seine typisch baskische Architektur und seinen stillen Charme bewahrt. Surfer lieben seine Wellen, Klippenwanderer die herrlichen Ausblicke vom Sentier Littoral. Guéthary ist ein Schmuckstück. Und längst auch von Urlaubern aus Paris und anderen Großstädten entdeckt.
Charmante Sommerfrische
Seit fast einem Jahrhundert zieht Guéthary Künstler und Kreative an. 1926 drehte Man Ray in der Emak Bakia-Villa seinen gleichnamigen Dada-Film. 1929 traf sich hier der Maler Paul Klee mit seinem russischen Kollegen Wassily Kandinsky. Die junge Cathérine Deneuve lernte dort 1962 das Surfen.
Frankreichs Kult-Autor Frédéric Beigbeder verfiel 2017 dem Charme von Guéthary und tauschte Paris gegen eine Villa mit Meerblick und schwarz gekacheltem Pool ein. Dort schreibt er seitdem seine Romane.
Beigbéder kennt das Dorf seit Kindertagen.
Je n’ai pas choisi Guéthary, c’est Guéthary qui m’a choisi. Mes parents passaient leurs vacances dans des villas l’une en face de l’autre. Ils sont tombés amoureux un été et se sont mariés à l’église Saint–Nicolas à côté du cimetière où mes grands-parents sont aujourd’hui enterrés. Mon existence même est liée à ce village.
Ich habe mir Guéthary nicht ausgesucht, sondern Guéthary hat mich ausgesucht. Meine Eltern verbrachten ihre Ferien in Villen, die sich gegenüber lagen. Sie verliebten sich in einem Sommer und heirateten in der Kirche Saint-Nicolas neben dem Friedhof, auf dem meine Großeltern heute begraben sind. Meine gesamte Existenz ist mit diesem Dorf verbunden.
… erzählte der Autor im Oktober 2020 der Zeitschrifft Madame.
Und verriet noch mehr:
Je n’ai pas l’impression d’être dans un endroit endormi, bien au contraire, je trouve la côte basque très créative et animée. Je suis heureux de participer à cette dynamique. Avec Frédéric Schiffter, nous avons créé l’année dernière un prix littéraire à Biarritz, le Prix Maison Rouge. J’ai soutenu la réouverture du mythique cinéma Getari Enea et chaque année, je participe avec bonheur au festival littéraire „Les Belles Pages“ de Guéthary.
Mit Frédéric Schiffter haben wir im vergangenen Jahr einen Literaturpreis in Biarritz ins Leben gerufen, den Prix Maison Rouge. Ich habe die Wiedereröffnung des legendären Kinos Getari Enea unterstützt, und jedes Jahr nehme ich mit Freude am Literaturfestival Les Belles Pages in Guéthary teil.
Frédéric Beigbéder
Begehrte Lagen
Der Zuzug von Parisern und anderen betuchten Großstädtern hat die Immobilienpreise in den letzten Jahren deutlich steigen lassen. In Guéthary liegt der niedrigste Quadratmeterpreis für eine Immobilie bei 6.269 Euro, der Durchschnittspreis entspricht 11.836 Euro.
Schöne Grundstücke an der Strandpromenade oder mit Meerblick kosten durchschnittlich pro Quadratmeter 25.253 Euro. Geradezu ins Astronomische steigen die Preise, wenn die Grundstücke andere begehrte Merkmale wie eine Terrasse oder eine der dort sehr seltenen Garage besitzen. (Preise: 12/22).
Biarritz? Abgehängt!
Laute Grundstücke in der Nähe der Straße oder der Bahnlinie sind nur unmerklich günstiger. Erst jenseits der Autobahn fallen die Preise. In Richtung Ahetze beträgt der Durchschnittspreis pro Quadratmeter 3.775 Euro/m² bei Häusern. Mit diesen Preisen hat Guéthary das als Luxusziel bekannte Biarritz abgehängt. 2021 war das Dorf die teuerste Immobilienlage an der Côte Basque!
1.356 Einwohner leben das ganze Jahr über in Guéthary. Einigen ist der Trubel schon jetzt zu viel. Stop tourist invasion, fordert ein wild plakatierter Aufkleber am malerischen Hafen. Aber wie soll man nicht auch dem Charme des Dorfes erliegen.
Guéthary ist Bilderbuch. Mit rot-weißen Häusern, Platanen, Promenade und weitem Blick. Nur wenige Meter von der Küste entfernt befindet sich einer der berühmtesten Surfspots Europas mit einer Welle von über fünf Metern: Parlementia.
Der Hafen der Walfänger
Sein Hafen birgt kleine hölzerne Fischerboote, die aus der Brandung die Rampe hinauf bis aufs Steinpflaster gezogen werden. Fest vertäut an 29 Ringen lagern sie dort in der cale sèche, im Trockenhafen. Andere dümpeln hinter dem Wellenbrecher am gleichen Hafenbecken auf Kies.
Guéthary war früher keine Sommerfrische. Sondern vor allem ein Fischerdorf, das vom 11. bis zum 19. Jahrhundert vom Walfang lebte. Sobald Wale gesichtet wurden, machten sich die Fischer auf den Weg und harpunierten die Meeressäuger von ihren kleinen Holzbooten aus. Meist wurden diese dragger nur gerudert. Ein Segel konnten sich nur wenige leisten.
Das Gemeindewappen von Guéthary, das einen Ausguck auf einer Landzunge sowie eine Schaluppe mit Jägern zeigt, die einen Wal harpunieren, erinnert an diese jahrhundertealte Tradition. Er brachte dem Fischerort enorme wirtschaftliche Gewinne. Das Fleisch war früher ein wertvolles Nahrungsmittel.
Alles vom Wal
Aus dem Fett wurden Lampenöl und Seife hergestellt. Das Skelett diente als Material für Zäune, Dachstühle und Sitze. Die Barten dienten als baleines für Regenschirme oder Korsetts. Die Zunge galt als kulinarischer Hochgenuss. Alles vom Wal wurde verwertet – und sorgte über Jahrhunderte für Wohlstand.
Der Hafen von Guéthary ist nicht nur der kleinste an der Küste, sondern weist auch die Besonderheit auf, dass er im Trockendock liegt. Alle Boote werden nach jeder Ausfahrt mit einer Winde aus dem Wasser gehoben.
Aufgrund seiner Größe kann er nur wenige Boote aufnehmen. Seine Liegeplätze sind auf Jahre hinaus reserviert. Einen Ring zum Festmachen oder einen Liegeplatz zu erhalten ist nahezu unmöglich.
Baskische Lebensart
1864 erreichte die Eisenbahn das Dorf der Fischer und Ackerbauern. Sie brachte die Mode des Meeresbadens, die Kaiserin Eugénie eingeführt hatte, in den Ort. Seine baskische Seele erlebt ihr beim Rathaus mit seinem Fronton. Bis heute wird dort Pelota gespielt, bis heute ist die Spielwand der Treffpunkt bei Verabredungen.
Nicht richtig alt, sondern von Fernand Brana erst 1926 erbaut im neobaskischen Stil ist das Rathaus. Seine Fassade zeigt die traditionellen Skulpturen der amatxi und aitatxi. Großmutter und Großvater schmücken oft die Fassaden der Rathäuser und bezeugen die Achtung vor der Weisheit und dem Wissen der Alten.
Schick und trendy sind heute die Bars und Cafés von Guéthary. Man trifft sich in der Bar Basque und genießt Tapas zum Wein, chillt lässig bei Parlementia oder besucht die La Terrasse, den V.I.P. spotting spot von Guéthary.
Drei Strände
Drei Strände gehören zu Guéthary. Manchmal jedoch verhindern die Gezeiten den Strandspaß. Alcyon und Cenitz sind bis heute Naturstrände ohne Badeaufsicht. Einzig am Strand von Parlementia sind im Sommer die Lebensretter anwesend.
Bei Ebbe lassen sich Seeigel, Krebse, Krabben an den Felsen beobachten. Achtung: Fußfischerei (pêche à pied) ist hier verboten – ihr dürft keine Muscheln und anderes Seafood für eine Mahlzeit einsammeln!
Berühmte Wellen
Hören Surfer den Namen Guéthary, bekommen sie ein Leuchten in ihren Augen. Denn gleich zwei legendäre Wellen laden dort zum Ritt auf dem Atlantik. Die Parlementia entsteht in Guéthary, ist rechtsgerichtet und läuft in Bidart aus.
Ihre Gegenspielerin ist die nach links gerichtete Avalanche-Welle vor der Alcyon-Pier. Die große, lange Welle, die ihr vom Alcyon-Strand erreicht, entsteht nur unter bestimmten Wetterbedingungen, einer komplexen Kombination aus Wind, Gezeiten und Wellengang.
Gefaltete Felsen
Entlang der Promenade begleitet Flysch den Spaziergang. Diese unterseeischen Sedimente, die etwa 5000 Meter dick sind, liegen bei Guéthary offen an der Oberfläche, begradigt, gefaltet, gebrochen. Schuld daran ist der Zusammenprall von zwei Kontinentalplatten.
Als der iberische und der europäische Kontinent kollidierten, schoben sie die Pyrenäen als Grenzberge zu Spanien auf. Ein geologischer Lehrpfad stellt dieses Naturphänomen an zehn Stationen zwischen Guéthary und Bidart vor.
Hintergrund: Lebenswerte Städte und Dörfer
Der Verband der lebenswerten Städte und Dörfer untersucht für sein jährliches Ranking 200 Kriterien. Sie umfassen die Bereiche Lebensqualität, Sicherheit, Geschäfte und Dienstleistungen, Verkehr, Gesundheit und Bildung. Ebenfalls berücksichtigt werden Arbeitslosenquote, Lebenserwartung, Nähe zu öffentlichen Diensten und Internetabedeckung und -versorgung.
Bei den Städten kam 2021 Bayonne auf Platz zwei hinter Annecy und vor Angers, La Rochelle, Le Mans, Caen, Nizza, Bordeaux, Avignon und Lorient. Bei den Dörfern gewann Guéthary die Silbermedaille hinter Peltre (Moselle) und vor Epron (Calvados), Martinvast (Manche) und Authie (Calvados).
• www.villesetvillagesouilfaitbonvivre.com
Guéthary: meine Reisetipps
Nicht verpassen
Le musée Saraleguinea
In den 1950er-Jahren schenkte der Bildhauer Georges Clément de Swiecinski Guéthary seine Skulpturen, Keramiken und Zeichnungen. Die Schenkung bildet den Grundstock des Dorfmuseums. Neben den römischen Funden in Guéthary, zu denen neben einer Saline auch ein Grabmal gehört, stellt es die Geschichte des Dorfes und die Entwicklung von einem Fischerhafen zum Badeort vor. In Wechselausstellungen könnt ihr zudem die Werke lokaler und internationaler zeitgenössischer Künstler bewundern.
• 165, Avenue du Général de Gaulle, 64210 Guéthary, Tel. 05 59 54 86 37, www.musee-de-guethary.fr
Getari enea: das Multi-Kunst-Kino
Jahrzehntelang war das Kino geschlossen gewesen. Als etwas anderes Programmkino hat es nun wieder neu eröffnet. Auf der Leinwand sind nationale Filme, historische Filme, seltene Filme, unabhängige Filme, aber auch verschiedene Formate und Klangkreationen zu sehen.
Filmdinner, Film-Snacks, Film-Workshops und Film-Debatten runden das cineastische Angebot ab. Doch das Angebot der Guéthary-Residences-Arts-Workshops-Residences (GRAAC) endet nicht beim Film. Auch Foto-Ateliers, Internet-Kurse für Ältere und andere kreative Angebote stehen auf dem Programm!
• www.getarienea.com
Schlemmen und genießen
Le Madrid
Wo Paul Éluard, Jacques Rigaut und Pierre Eugène Drieu la Rochelle einst diskutierten und dichteten, könnt ihr im traditionsreichen Lokal von Carole und Stéphane Allard mit etwas Glück auch Frédéric Beigbeder treffen.
• 563, avenue du Général de Gaulle, 64210 Guéthary, Tel. 05 59 26 52 12, https://lemadrid.com
Getaria
Küchenchef Claude Calvet serviert eine Küche, die zugleich modern und kreativ wie auch traditionell und tief verankert in der Region ist, Kostet einmal auch die Blutwurst-Chipirons! Der versteckte Garten ist eine wahre Oase der Ruhe!
• 360, avenue du Général de Gaulle, 64210 Guéthary, Tel. 05 59 51 24 11, https://getaria.fr
Hétéroclito
Über den Tischen der trendigen Strandbar hängt ein Wal-Skelett!
• Chemin de la Plage, 64210 Guéthary, Tel. 05 59 54 98 92, www.heteroclito.fr
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Im Buch
Marcus X. Schmid, Südwestfrankreich*
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