Labastide-d’Armagnac: bitte kein Rummel
Nein, die Auszeichnung als eines der schönsten Dörfer Frankreichs zu erhalten, das wollte Labastide-d’Armagnac nicht. Das prestigeträchtige Label hätte für zu viel Rummel gesorgt, war die Kommune im Nordosten des Département Landes überzeugt. 2011 war sie als zweite Gemeinde Frankreichs nach Segonzac als città slow ausgezeichnet worden. Das internationale Netzwerk lebenswerter Städte pflegt die überlieferten Traditionen und steht für Innovation.
Eine Petite Cité de Caractère
Über die Auszeichnung als erste Petite Cité de Caractère des Départements Landes im Juni 2021 indes freute sich die rund 680 Einwohner der Bastide sehr. Das Konzept der Petites Cités de Caractère entstand Mitte der 1970er-Jahre. Sein Ziel: Gemeinden aufzuwerten, die aufgrund ihrer Lage und ihrer begrenzten Bevölkerungszahl ländlich und aufgrund ihrer Geschichte und ihres Kulturerbes gleichzeitig städtisch geprägt sind.
Diese Städte, die früher administrative, politische, religiöse, kommerzielle, militärische oder andere Zentren waren, mussten nach den administrativen und industriellen Revolutionen in Frankreich häufig eine Reduzierung ihrer städtischen Funktionen hinnehmen. So auch Labastide-d’Armagnac.
Für die Auszeichnung hatten Mitarbeiter der Kommune mit den Bürgern gemeinsam bei zahlreichen Treffen einen Plan zur Aufwertung des Ortes erarbeitet. Jener sollte sowohl für die Einheimischen wie auch die Touristen die Attraktivität des Ortes bewahren und verbessern.
Siedlungspolitik als Strategie
Labastide-d’Armagnac entstand aus machtpolitischem Kalkül. Graf Bernhard IV. hatte im Jahr 1291 beschlossen, sich mit der befestigten neuen Siedlung vor den Übergriffen der Vicomtes de Marsan schützen. Sein Oberbefehlshaber Edward I., König von England und Herzog von Aquitanien, bestätigte die Gründungsurkunde im Jahr 1294.
Während des Hundertjährigen Krieges verwüstete der Schwarze Prinz, der Sohn von Edward III., den Südwesten. Trotz allem blieb das Dorf, das zu einer englischen Garnison geworden war, verschont.
Doch im 16. Jahrhundert brachten die Religionskriege zwischen Katholiken und Protestanten, die Frankreich heimsuchten, viel Leid. Der Landstrich nahm die Reformation an. Auch Labastide-d’Armagnac wurde protestantisch – und prompt von den katholischen Truppen schwer beschädigt.
Königlich: die Place Royale
Dennoch ist das Dorf ein echtes Juwel unter den Bastiden des Südwestens. Besonders um seine Place Royale mit ihren Arkaden und der wuchtigen Festungskirche église paroissiale Notre-Dame-de-l’Assomption. Dieser Platz hatte es dem späteren König Heinrich IV. so angetan, dass er später in Paris das Vorbild für die Place des Vosges von Paris wurde.
In den meisten Bastiden der Region bestand die Kirche ursprünglich aus einem einfachen rechteckigen Raum. Sie war stets recht groß, das sie in unruhigen Zeiten auch als Schutzraum für Mensch und Tier diente. Zwei mächtigen Strebepfeiler die Nordfassade.
Erst Anfang des 15. Jahrhunderts gesellte sich der Glockenturm hinzu. Schmale Schießscharten öffnen sich unter den vier Fenstern für das Geläut. Eine Vorhalle mit Sitzbank aus Stein, ein gotisches Portal mit verzierten Kapitellen…. hinein ins Gotteshaus!
Zwischen den Strebepfeilern des Kirchenschiffs befinden sich vier Seitenkapellen. Sie waren frühen dem Heiligen Johannes, Sankt Eutropius, Sankt Joseph und Sankt Martin geweiht. Das Besondere im Innern ist die Chorwand. Sie birgt eine ein erstaunlichesTrompe-l’oeil, das 1831 der italienische Künstler Céroni geschaffen hat.
Charmant beschaulich
Eine beschauliche Ruhe prägte die Bastide mit ihren verwitterten Steinen und Kopfsteingassen. Die bewusste politische Entscheidung zu Entschleunigung und behutsamer, langsamer Entwicklung sorgt dafür, dass alles in seinem eigenen Rhythmus reifen kann – und seit dem Mittelalter aus sich selbst weiter entwickelt hat. Dieses Flair lockt immer mehr Künstler an. In buntem Fachwerk und altem Stein haben sie Ateliers oder Galerien eröffnet.
Folgt dem markierten Parcours du Patrimoine, der euch zu den geschichtsträchtigsten Stätten des Dorfes bringt. Ihr kommt dann auch an dem Café des Peuple vorbei, das auf mich geradezu filmreif wirkt. Dann wiederum lehnen Fahrräder vor der Werkstatt einer Künstlerin, verrät ein Weinfass vor einem Hof, dass dort ein Winzer wohnt. An jeder Ecke, vor jedem Haus erzählt Labastide-d’Armagnac Geschichten von einst und heute. Und gerade dies macht den Besuch so zauberhaft und berührend.
Alles, was man hören kann
Im Sommer ist die Bastide eine Bühne unter freiem Himmel. Seit 2011 präsentiert das Festival L’Oreille en Place im Juli, alles, was man hören kann. Jazz in all seinen Formen, brasilianische Musik, Flamenco, Musik aus den Ebenen der Ukraine, vom Planeten Kobaia, von Mozart und Jean-Philippe Rameau. Chansons von Sourigues, Texte von Pablo Nerude, fulminante Theaterszenen, Burlesque, Vorträge, Diskussionen – eben alles, was man sich anhören kann. Welche ein Hör-Erlebnis!
Labastide-d’Armagnac: meine Reisetipps
Schlemmen
Au Bastignac
Enten! Sie liebt Alain Baillou. Er zerlegt sie mit schnellem Schnitt, verwertet alles – und zaubert daraus Köstlichkeiten, die so richtig nach dem Terroir des Südwestens schmecken.
Der Speisesaal seines Restaurants, das er gemeinsam mit seiner Frau führt, birgt auch einen kleinen Schlemmershop mit Leckereien aus eigener Herstellung und von lokalen Produzenten. Im Sommer könnt ihr herrlich unter den Arkaden auf der Terrasse speisen!
• Place Royale, 40240 Labastide-d’Armagnac, Tel. 05 58 75 11 24
Pizzerria La Giluietta
Köstliche Pizza von einem italienischen pizzaiolo
• 31, Place Royale, 40240 Labastide-d’Armagnac, Tel. 05 58 03 85 47, www.facebook.com/pizzgiulietta
Erleben
Armagnac en Fête
Seit der Jahrtausendwende feiert Labastide-d’Armagnac am letzten Oktoberwochenende den Beginn des Brennens drei Tage lang mit dem Fest Armagnac en Fête. Mit dabei sind Armagnac-Bauer und -Brenner, Produzenten der Sites Remarquables du Goût, eine Delegation des internationalen Netzwerks Cittaslow mit ihren italienischen Qualitätsprodukten sowie Mitglieder der lokalen Gastronomie.
• www.facebook.com/armagnac.enfete
L’Oreille en Place
Die treibende Kraft hinter dem kulturellen Leben in Labastide-d’Armagnac sind die Mitglieder des Vereins ECLAT. Sie organisieren seit 2011 ein Festival, das die Genregrenzen überschreiten und alles präsentiert, was spannend zu hören ist.
• http://loreilleenplace.net
In nächster Nähe
Château Garreau
Das Armagnac-Schloss vor den Toren der Bastide besitzt den einzigen unterirdischen Armagnac-Keller der Welt. Schlossherrin Carole Garreau hat den Weintourismus ausgebaut, das Château für Besucher geöffnet und auch ein kleines Museum zum Weinkeller und zur Armagnac-Herstellung eingerichtet.
Weinbau und Armagnac-Herstellung nehmen nur rund ein Viertel des Gutsgeländes ein. Der Rest des Geländes lädt zum Flanieren und Erleben der Natur ein. Auch Seen gehören dazu!
Gleich am Eingang der Domäne befindet sich der Hofladen, in dem ihr den Armagnac des Château Garreau verkosten könnt. Hier könnt ihr im Blog das Armagnac-Weingut entdecken!
• Domaine de Gayrosse, Château Garreau, 40240 Labastide-d’Armagnac, Tel. 05 58 44 84 35, www.chateau-garreau.fr
Notre-Dame des Cyclistes
Ein mit Fahrrädern geschmückter Portikus markiert Frankreichs Nationalheiligtum des Radsports. Die Idee dazu hatte im Jahr 1958 ein Pfarrer einer kleinen Kapelle aus dem 11. Jahrhundert. Am 22. August 1958 hätte jener Abbé Joseph Massie, Pfarrer von Créon-d’Armagnac, Mauvezin-d’Armagnac und Lagrange, draußen im Freien eine Messe lesen sollen, der Kinder des Ferienlagers teilnehmen sollten.
Da es regnete, wurde die Messe in der Kapelle von Géou gefeirt. Nach dem Gottesdienst sprach der Priester mit seinem Seminaristen, dem damals 18 Jahre alten Michel Busquet, und sagte: „Mir ist eine Idee gekommen … es wäre schön, wenn man hier eine Kapelle für Radfahrer machen würde, wie in Italien!“ Papst Pius XII. hatte 1948 die italienischen KapelleMadonna del Ghisallo zur „Weltpatronin der Radfahrer“ ernannt.
Pfingstmesse für Radfahrer
Am 18. Mai 1959 erfüllte Papst Johannes XXIII. den Wunsch von Abbé Massie und machte die alte Kapelle zum nationalen Heiligtum des Radsports und des Radtourismus unter dem Schutz der Jungfrau Maria: Notre-Dame des Cyclistes (Unsere Liebe Frau der Radfahrer). Seitdem wird an jedem Pfingstmontag eine Messe für die Radfahrer gefeiert. Schon viermal ist die Tour de France schon an der Chapelle de Notre-Dame des Cyclistes vorbeigekommen: 1984, 1989, 1995 und 2000. Am 9. Juli 1989 startete sogar die achte Etappe von hier aus.
Die größten Radsportchampions haben hier ihre Trikots abgelegt: André Darrigade, Jacques Anquetil, Louison Bobet, Roger Lapébie, Tom Simpson, Jean Stablinski, Bernard Hinault, Raymond Poulidor, Eddy Merckx.
Ikonen der Tour de France
Auch Lance Armstrong verschwitztes Outfit hing dort – bis der UCI ihm alle seine Titel aberkannte und sein Trikot in der Kapelle entfernt wurde. Vom Hightechrennrad der Profis bis zum Drahtesel des Postboten könnt ihr dort zudem ungewöhnliche Zweiräder bewundern.
Auf der Wiese vor der Kirche erhebt sich die Marienfigur von Brun de la Serve aus Pau. Ihre Skulptur zeigt Maria, die Erdkugel auf ihrem Herzen tragend. Die eingravierte Inschrift erklärt diese Geste:
Marie, Reine du Monde,Protège la terre parcourue en tous sens par les cyclistes, Amoureux de la belle nature du Seigneur.
Maria, Königin der Welt, beschütze die Erde, die von Radfahrern kreuz und quer durchfahren wird, Liebhaber der schönen Natur des Herrn.
• Route de Cazaubon Géou, 40240 Labastide-d’Armagnac, Tel. 05 58 44 86 46, www.notredamedescyclistes.net
Hier könnt ihr schlafen*
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Im Buch
Klaus Simon, Hilke Maunder, Secret Citys Frankreich*
Gemeinsam mit meinem geschätzten Kollegen Klaus Simon stelle ich in diesem Band 60 Orte in Frankreich vor, die echte Perlen abseits des touristischen Mainstreams sind. Dazu gehören Le Malzieu in der Lozère, Langogne im Massif Central, aber auch Dax, das den meisten wohl nur als Kurort bekannt ist.
Mit dabei sind auch Senlis, eine filmreife Stadt im Norden von Frankreich, und viele andere tolle Destinationen. Frankreich für Kenner – und Neugierige!
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