Familie Lurton
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Lurton: Frankreichs größte Wein-Familie

19 Winzer, fünf Generationen, eine Familie – und eine Passion: Wein. Seit 1650 baut ihn die Dynastie der Lurton an. Und das längst nicht mehr nur auf den großartigen terroirs des Bordelais, sondern längst auch im Languedoc, im Roussillon, im Tal des Agly im Fenouillèdes und sogar in Südaustralien.

Dort betreibt Jacques Lurton den einzigen professionellen Weinkeller von Kangaroo Island. Ihr merkt schon: Bei den Lurton begegnet euch nicht ein geeinter Clan, sondern ein kunterbuntes Völkchen.

Die Familie betreibt mehr als 30 Weingüter weltweit mit jeweils ganz eigenen Weinen und  Philosophien. Seit der Vinexpo 2009 geht Frankreichs größte Winzerfamilie mit vier Vätern (André, Lucien, Simone und Dominique) neun Söhnen und sechs Töchtern einmal pro Jahr gemeinsam auf Werbetour.

Nicht mehr dabei ist André Lurton. Der Weinpionier ist im Alter von 94 Jahren am 16. Mai 2019 verstorben. Und auch nicht ist Brigitte Lurton. Sie eröffnete einst mit der Maison Bord’eaux eines der ersten Boutique-Chambre d’Hôtes.

Vor rund zehn Jahren verkaufte sie die Unterkunft an ihren Cousin Pierre, und widmet sich seitdem wieder ganz und gar der Kunst und der Inneneinrichtung, Doch auch bei ihr kamen im Chambre d’Hôtes stets nur die Weine der Familie auf den Tisch.

Von Streetworker zum Winzer

Auch Thierry Lurton schlug, wie die Geschwister beim Treffen in Hamburg lächelnd kommentieren, „etwas aus der Art“. Thierry, der, wie er selber sagt, das Wissen vom Wein schon mit der Muttermilch eingesogen habe, und später alles drumherum gelernt hat, wurde Sozialarbeiter.

Bereits während der Schulzeit begann der damals 16-Jährige sein Engagement, führte es im Studium fort – und arbeitete insgesamt mehr als 25 Jahre für einen gemeinnützigen Verein in Bordeaux. Er half obdachlosen Jugendlichen in Bordeaux und lernte als Streetworker die Schattenseiten der Weinmetropole Bordeaux kennen.

1995 wechselte er das Land, nicht aber das Engagement. Er flog nach Brasilien. „Als mein Vater jung gewesen ist, hat er jeden Staat in Südamerika besucht – nur nicht Brasilien.“ Erst 1999 kehrte Thierry zurück nach Frankreich.

„Ich wollte eigentlich nur Visaprobleme klären und wieder zurück.“ Doch Thierry blieb, verfasste über seine Zeit in Rio das Buch „Solidao“ bei Gallimard – und half seiner Schwester Sophie beim Weinverkauf.

Jetzt war auch er vom Familienvirus infiziert. 2008 kaufte Thierry das Weingut Château de Camarsac. Acht verschiedene Weine hat er seitdem vinifiziert. Exigence, „Anspruch“, nennt er dabei als Motto.

Im Agly-Tal

Luciens Bruder André Lurton hat sieben Kinder. Alle sind tief im Weinbau verwurzelt. Zwei Brüder der 47. Generation sind dabei besonders reiselustig. François Lurton betreibt neben Weingütern im Languedoc auch Dependancen in Spanien, Portugal, Argentinien und Chile.

Ins Agly-Tal kam er zunächst als Berater, dann als Investor. Vom dortigen Mas Janail nahe Tautavel stammt einer meiner Lieblingsweine der Region: der Mas Janail 2016 AOC Côtes du Rousssillon. Es ist ein überraschend frischer Weißwein, hellgolden im Glas, mit Aromen von Pfirsich und Blüten in der Nase und elegant-komplexen Noten von Haselnuss und Vanille im Abgang.

Als François 1988 seine Aktivitäten im Weinbau begann, arbeitete er zunächst mit seinem Bruder Jacques zusammen. Doch während François die neue Welt in Südamerika lockte, setzte Jacques auf Südaustralien. Genauer gesagt, eine kleine Insel, die als Galapagos der Antipoden gilt: Kangaroo Island.

Kängurus im Weinberg

15 Weinkeller gibt es dort auf der Insel. „Es sind ambitionierte, passionierte und mitunter auch sehr gute Nebenerwerbsbetriebe“, sagt Jacques. „Ich bin der einzige Profi-Winzer der Insel.“ Sein Weingut The Islander sei, so Jacques, das einzige kommerziell betriebene Weingut.

1998 hatte er auf der Insel, auf der Seelöwen am Strand dösen und Koalas in den Wipfeln träumen, die ersten Reben gepflanzt – und gestaunt angesichts der neuen Herausforderungen.

„Die Kängurus lieben meine Trauben!“ Neben der Hauptrebe Cabernet Franc baut Jacques dort Shiraz sowie Sémillon für seinen Weißwein an.

2004 eröffnete er offiziell seine Winery. Die Tropfen des Franzosen, die ihr dort verkosten könnt, sind tief verwurzelt in der Region und ihrer Geschichte.

Der Rotwein „Investigator“ verweist mit seinem Namen auf Matthew Flinders, den Entdecker der Insel, der „Cygnet“ auf all die Schiffwracks, die sich rund um die Insel befinden.

Besuchen ihn australische Winzer, staunen sie über die anderen Anbaumethoden des Franzosen. Nur 5000 Stöcke pro Hektar: Lohnt sich das denn? „Meine Erträge sind gering, die Qualität der Trauben ist exzellent“, kontert Jacques und rückt den Akubrahut zurecht.

Fünf Monate ist er jedes Jahr vor Ort und sieht nach dem Rechten. „Bin ich dort, vermisse ich Frankreich. Bin ich in Frankreich, vermisse ich Australien.“ Er hat mir aus der Seele gesprochen.

Die Lurtons: Was für eine Familie!

Bérénice Lurton

Die Herrin von Château Climens gehört zu den zehn Kindern von Lucien Lurton. Ihre 30 Hektar Rebland bewirtschaftet sie seit der Jahrtausendwende biodynamisch. 2017 fiel die Ernte wegen Frost extrem gering aus. Einzig angepflanzte Sorte ist der Sémillon.

Das ist ungewöhnlich. Meistens werden in der AOC Barsac Sauvignon Blanc und Muscadelle beigemischt. Ihr Süßwein besitzt als Grand Cru Classé deutlich mehr Säure als der Sauternes.

Edwige Lurton-Michon

„Ich wollte eigene Erfahrungen machen“, erzählte mir Edwige in Hamburg. Als junge Frau wollte sie neue Horizonte entdecken – und reiste nach Rom, um Sprache und Kunst zu studieren. Dort traf sie ihren späteren Mann.

Gemeinsam kauften sie im September 2013 im Médoc, wo sie im Herzen der Rebgärten von Margaux aufgewachsen war, das Château Livran. Seine Wurzeln reichen bis ins Jahr 1280 zurück.

Seitdem hat sie erst Keller und Technik mit der modernsten Umwelttechnik aufgerüstet, dann den Weinbau umgestellt. Auf 27 Hektar Anbaufläche wachsen rund 5000 Stöcke pro Hektar. Die durchschnittlich 30 Jahre alten Stöcke liefern rund 40-50 Liter pro Hektar.

Marie-Laure Lurton

Auch Marie-Laure ist stolz auf ihre Wurzeln im Margaux, wo ihr Valter Lucien elf châteaux einst bewirtschaftet hatte. Marie-Laurie erhielt nach ihrem Studium am Weininstitut von Bordeaux 1992 vom Vater gleich zwei Anwesen: das 16 Hektar große Château de Villegeorge und das 28 Hektar große Château La Tour de Bessan.

Zusammen mit Emile Peyraud, einer der anerkanntesten Önologen des Bordelais, und Jacques Boissenot, seinem wohl ambitionierten Schüler, hat sie die Güter auf nachhaltigen Anbau und Verarbeitung umgestellt. 2003 wurde sie Mitglied bei Terra Vitis. „Ich bin eine Wein-Desigerin“, sagt sie über sich.

Sophie Lurton

Mit ihrem Gatten Laurent Cogombles bewirtschaftet Sophie das 50 Hektar große Weingut Château Bouscaut, das sie 1992 von ihrem Vater Lucien erbte. 2010 wurde das Weingut grundlegend modernisiert und erhielt einen neuen, 400 Quadratmeter großen Fasskeller für Rotwein. 2013 öffnete das Paar sein Gut für Besucher.

Zum Imperium von Sophie gehören zwei weitere Weingüter: das benachbarte Château Lamothe-Boscaut, das sie 1999 erwarb, und das Château Valoux, das bereits seit 1929 im Besitz der Familie ist.

Dort könnt ihr in stylischen Country Cottages nächtigen, die 2018 mit vier Sternen ausgezeichnet wurden. Wie die Familie Lurton, ist auch Laurent bestens vernetzt. Er war jahrelang Präsident der Appellation Pessac-Léognan.

Denis Lurton

Hinter riesigen Toren aus pinkfarbenem Marmor erhebt sich an der Route des Châteaux (D2) bei Margaux im Medoc das Château Desmirail. „Anfang 20. Jahrhundert befand sich das Weingut im deutschen Besitz“ erzählt Denis. „Es gehörte Robert de Mendelssohn, einem Neffen des berühmten Komponisten Felix Mendelssohn.“

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die mittlerweile völlig zerstückelten Anbauflächen des Weingutes versteigert. Die Marke verschwand. Ab 1970 fügte Lucien Lurton die Parzellen mühsam wieder zusammen.

1992 übergab er das Gut an seinen Sohn Denis. Heute ist das 35 Hektar große Château Desmirail wieder eine international bekannte Marke und gehört zu den  weniger als 70 Grand Cru Classé-Gütern des Bordelais.

André Lurton

André Lurton gilt als Gründungsvater der Appellation Pessac-Léognan und gehörte bis zu seinem Tod im Mai 2019 zu den Pionieren des nachhaltigen, umweltfreundlichen Weinbaus im Bordelais. 2017 erhielten seine Weingüter die HEV (High Environmental Value)-Zertifizierung, und damit das höchste Umweltlabel Frankreichs.

Seine Weingüter findet ihr in mehreren Appellationen des Bordelais, vom Château Bonnet im Anbaugebiet Entre-deux-Mers als Wiege der Dynastie, bis zum Château La Louvière (Graves), Château de Rochemorin, Château Couhins-Lurton, Château de Cruzeau und Château de Barbe Blanche.

Wie Lucien (Jahrgang 1925, 10 Kinder) sorgte auch der 1924 geborene André für viele Nachfahren. Zu seinen sieben Kindern gehören u. a. Jacques und François Lurton.

François Lurton

Vom Weinberg bis zur Flasche hat François Lurton alles unter Kontrolle – und das in vier Ländern: Von Argentinien (D.O. Chacayes, Mendoza, 1996) über Chile (D.O. Lolol, Colchagua Valley, 1999), Frankreich (Mas Janail, Vallée de l’Agly, Okzitanien, 2001) und Spanien (D.O. Rueda, D.O. Toro, 2002).

Jacques Lurton

Jacques liebt ungewöhnliche Trauben-Kombinationen – und die Australier lieben das Ergebnis seiner Experimente. Auf Kangaroo Island hat er mit The Islander eine estate winery gegründet, die Frankreichs Expertise und Australiens Experimentierfreude aufs Köstlichste vermählt.

Marc Lurton

Marc gehört zu den vier Kindern der 1932 geborenen Dominique Lurton. Mit seiner Frau Agnes bewirtschaftet der studierte Önologe und internationale Weinberater zwei Güter im Anbaugebiet Entre-Deux-Mers: Château Reynier und Château de Bouchet.

Cabernet-Sauvignon und Merlot werden dort für die Rot- und Roséweine, Sauvignon Blanc, Sémillion und Muscadelle für die Weißweine angebaut. Doch auch hier dominiert Rot mit 80 zu 20 Prozent.

Pierre Lurton

Marcs Bruder Pierre Lurton ist der Herr von Château Marjosse und des Château Cheval Blanc, das zur Luxusgruppe LMVH gehört. Marjosse, sagt er, war ein Abenteuer. Als er 1991 das Weingut erwarb, wuchsen die falschen Reben auf dem falschen Boden, war die Pflanzdichte zu gering, die Kellertechnik nostalgisch.

Pierre investierte, baute, pflanzte um, setzte neu, baute einen neuen Keller – und änderte den Stil der Wein. Heute sind die Stöcke 20 Jahre alt, werden zum Großteil per Hand abgeerntet und in Grézillac in zwei Weisen zu Weinen verarbeitet.

Die erste Hälfte reift ganz traditionell in Eichenfässern, die zweite Hälfte im Stahltank, wodurch der Wein seine fruchtige Frische bewahrt.

Weiterlesen

Im Blog

Mehr zum Weinbau im Médoc habe ich hier im Blog veröffentlicht.

Entre-Deux-Mers findet ihr hier im Blog.

Im Buch

Marcus X. Schmid, Südwestfrankreich*

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