L’Agly: von der Quelle zum Meer
Mitten durch Saint-Paul-de-Fenouillet fließt der junge Agly, und bei jedem Weg durchs Dorf bleibe ich stehen und schaue seinem Lauf nach. Liebt ihr es auch so, Flüsse von der Quelle bis zur Mündung zu verfolgen? Ich finde es enorm spannend, wie aus einem kleinen blubbernden Wasserloch lustige Wiesenbäche, breite Ströme oder wahre Wildbäche entstehen. Die Loire und die Rhône zu entdecken, ist eine wahre Mammutaufgabe.

Doch der Agly macht es leicht. Er entspringt nur wenige Kilometer von meiner zweiten Heimat entfernt in einer Grotte beim Col de Linas (667 m).
Ihr findet sie im Schatten des Pech de Bugarach, dem höchsten Gipfel der Corbières im Département Aude.
An der Départementsstraße D 14, die Cubières-sur-Cinoble mit Bugarach verbindet, findet ihr an der südlichen Straßenseite einen Wegweiser zur Quellgrotte.
Tiefe Schluchten & wilde Wölfe
Doch schon wenige Kilometer weiter hat der junge Agly eine der gewaltigsten und schönsten Schluchten Südfrankreichs geschaffen: die Gorges de Galamus. Sie gehört zu den einzigartigen Naturperlen des regionalen Naturparks Corbières-Fenouillèdes, der im September 2021 geschaffen wurde.
Im Sommer sonnen sich die Einheimischen am nördlichen Eingang der Schlucht auf glatt polierten Felsen und baden zwischen den hohen Karstwänden in seinem Wasser, das mal smaragdgrün schimmert, dann wieder türkisblau leuchtet.

Im Winter verwandeln die épisodes méditerranéens die Schlucht in ein Wasserreich mit Kaskaden und wild schäumendem Wasser.
Jenseits der Schlucht könnt ihr in den Pyrénées-Orientales im Forêt de Boucheville wandern oder mountainbiken. Und mit Glück einen Wolf sehen. Im Jahr 2008 wurden die ersten zwei Tiere in die Wildnis entlassen.
Am Südende des Karst-Canyons, wo im Mittelalter ein Eremit ein Gotteshaus in eine Felsgrotte gebaut hatte, plätschert der Agly über einen kleinen Wasserfall (auch toll zum Abkühlen im Sommer!) hinab nach Saint-Paul-de-Fenouillet.
Offiziell ist das Baden heute verboten. Darauf hatte nach dem Ende der Corona-Pandemie der Bruder des damaligen Bürgermeisters Jacques Bayona gedrängt, der gleich neben der Kaskade in einer ehemaligen Fischzucht wohnt und sich von den Jugendlichen und anderen Einheimischen, die dort den Sommer genossen, gestört fühlte.
Je näher ihr euch Saint-Paul nähert, umso mehr Gärten säumen die Ufer. Seit Jahrhunderten nutzen die Einheimischen das Wasser des Agly, um ihre Tomaten und Feldfrüchte in den Kleingärten am Flussufer zu wässern. Im Winter setzen Kaki-Früchte knallige Farbtupfer im Ufergrün.
Das Verteilsystem soll sich seit Jahrhunderten nicht verändert haben. Wer jedoch wann den Schieber hochziehen darf und Wasser nehmen darf, habe ich bis heute nicht verstanden.
Vom Fluss zum See

Danach geht’s gleich in die nächste Schlucht: la Clue de la Fou – nicht zu verwechseln mit den Gorges de la Fou. Unsere clue ist charmant klein und fein und wird seit der Antike von einer Bogenbrücke überspannt.
In Ansignan überquert seit Römerzeiten ein 170 Meter langes Aquädukt den Agly. Das Dorf selbst klebt am Prallhang. Im Tal liegen die Felder. Am Parking du Moulin beginnt ein schöner einstündiger Rundweg zum Römerbogen.
Hier und da wird wild gebadet. Doch die Angler lockt nur ein Ziel: der Lac sur l’Agly. Der Stausee der Gemeinden Caramany, Trilla, Ansignan und Cassagnes wurde nach vier Jahren Arbeit 1994 fertiggestellt.
Im Jahr 2023 war der Agly aufgrund der anhaltenden Dürre zu einem Rinnsal verkommen – und der See komplett entleert und ausgetrocknet. Einige Dörfer wurden daher per Laster mit Wasser in Flaschen versorgt.
Die 170 Hektar große Wasserfläche ist der einzige See der Pyrénées-Orientales, auf dem auch Fischerboote zugelassen sind. Und was sie dort herausziehen, ist beeindruckend: 30 Kilogramm brachte der schwerste Karpfen auf die Waage!
Neun markierte Wanderwege und drei Mountainbike-Strecken laden ein, den sieben Kilometer langen und bis zu 30 Meter tiefen Trinkwasser-See und sein bergiges Umland mit Weingärten, duftender Garrigue und Steineichenwäldern zu erkunden.
Wer sich einfach nur auf ein Handtuch legen und sonnen möchte, legt sich auf die Uferwiesen und freut sich über die durchschnittlich 2.500 Sonnenstunden im Jahr!
180 Meter hoch liegt der Stausee. Als kleines Rinnsal verlässt der Agly die Talsperre und bannt sich seinen Weg vorbei an Rasiguères und Latour-de-France nach Estagel.
Dort gesellt sich erst der Maury, dann die wilde Verdouble hinzu. Der Agly wird wieder zum veritablen Fluss. Er bewässert die Weingärten der AOC Côtes du Roussillon villages und erreicht in Cases-de-Pène das Schwemmland der Küste.
Über die Eisenbahnbrücke rattert mit offenen Waggons der Train Rouge, der von April bis Oktober im Tal des Agly Rivesaltes mit Axat verbindet.
Hinter dem kleinen, in 36 m Höhe gelegenen Örtchen, überragt von seiner Kapelle auf einer Felsspitze, weichen die Karsthänge weitem Schwemmland.
Hier, in der Plaine du Roussillon, reifen Pfirsiche, Nektarinen und die berühmten Aprikosen des Roussillon. Im Sommer könnt ihr sie rund um Espira de l’Agly an Straßenständen kaufen, die am Obsthain ihre katalanische Sang et Or-Flagge in Rot-Gelb im Wind flattern lassen.
Hochwasser & Dürre
Breit und behäbig strebt der Agly auf Rivesaltes zu. Sieben Meter hoch stand dort am 30. November 2014 sein Wasser in der Winzerstadt, kaum niedriger in Estagel. 2.800 Menschen mussten ihre Häuser verlassen.

Am 9. März 2013, war es zu einem ähnlichen Rekordhochwasser in der Region gekommen. Warum? Für die Wissenschaft ist die Antwort eindeutig: Klimawandel und Verstädterung des Küstenstreifens.
Konnte bis vor wenigen Jahrzehnten der Agly noch ungehindert über seine Ufer treffen und den Boden mit wertvollen Sedimenten füttern, ist heute im Hinterland die Landschaft versiegelt, sind angestammte Überflutungsgebiete urbanisiert.
Ein Problem, das auch die Mittelmeerküste weiter im Osten betrifft: Auch dort kommt es inzwischen fast alljährlich zu Überschwemmung und Schlammlawinen im Zuge der Schneeschmelze und Herbst-/Frühjahrsstürme. Ganz anders zeigte sich der Agly 2023. Nahezu ausgetrocknet war das Flusstal bei Rivesaltes.
Voies Vertes am Agly

Die französische Regierung informiert über drohende Gefahren online mit ihrem Frühwarnsystem Vigicrues. Doch im Département Pyrénées-Orientales hat inzwischen ein Umdenken begonnen.
Rechts und links des Unterlaufes des Agly wurden großflächig Biotope renaturiert und für den sanften Tourismus entwickelt. Statt Werkstätten und Gewerbegebieten säumen jetzt markierte Fahrradwege den Agly auf seinem letzten Weg.
Nach 81,7 Kilometern ergießt er sich bei Le Barcarès ins Meer. Nein, nicht immer. Die meiste Zeit bremst ihn ein Sandriegel aus, mal breit, mal schmal, mal futsch.
Dreht euch um: Ist es nicht wunderschön, wie sich der Canigou in den Mündungsfluten spiegelt? Und was hat der Agly nicht alles erlebt im Vergleich zur Issel, zum Zusam oder zum Panama-Kanal, die ebenfalls so lang sind wie er!
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