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Auf den Spuren von Marcel Pagnol

„Eine neue Kunst ist geboren“, schwärmte der 38-jährige Marcel Pagnol nach der Premiere des ersten Tonfilms in London. Tief beeindruckt, beschloss er: „Ich werde also keine Theaterstücke mehr schreiben. Ich werde Drehbücher verfassen.“

Als Standort für seine Studios wählte er eine Stadt, die er wie keine zweite liebte und kannte: Marseille. Dort schuf er eine kleines Hollywood provençal.

In Aubagne geboren

Nur 15 Kilometer entfernt wurde Marce Pagnol 1895 geboren: in Aubagne, Hauptquartier der Fremdenlegion und Töpferstadt mit römischen Wurzeln. In einer Mietwohnung im dritten Stock erblickte er am Cours Barthélemy 16 am 28. Februar das Licht der Welt.

Je suis né dans la ville d’Aubagne, sous le Garlaban couronné de chèvres, au temps des derniers chevriers.
Ich wurde in der Stadt Aubagne geboren, unter dem von Ziegen gekrönten Garlaban, zur Zeit der letzten Ziegenhirten.

Marcel Pagnol in La Gloire de mon père

In Aubagne wuchs er auf, besuchte er die Grundschule – und später das Lycée Thiers in Marseille.  Seine Eltern und sein Bruder scheinen uns aus seinen Romanen und Filmen so vertraut, als würden wir sie persönlich kennen: der Vater Joseph, der als Schulleiter in Aubagne tätig war, seine Frau Augustine Pauline Henriette Lansot, Hausfrau und Mutter, Marcels Brüder Paul und René sowie seine Schwester Germaine.

1910 verstarb seine Mutter im Alter von 36 Jahren an einer Lungenentzündung. Pagnol war 15 Jahre alt, als er mit seinem Bruder dem Leichenwagen folgte:

Je marchais derrière une voiture noire dont les roues étaient si hautes que je voyais les sabots des chevaux. J’étais vêtu de noir et la main du petit Paul serrait la mienne de toutes ses forces…

Ich ging hinter einem schwarzen Wagen, dessen Räder so hoch waren, dass ich die Hufe der Pferde sehen konnte. Ich war ganz in Schwarz gekleidet und die Hand des kleinen Paul drückte die meine mit aller Kraft.

Ein mythischer Berg

Aubagne liegt im Schatten des Garlaban. Nur 715 Meter hoch ist der Berg im Massif de l’Étoile. Und wirkt mit seiner schroffen Gestalt aus Jura-Kalk und seinen steilen Felswänden doch deutlich alpiner, als die Höhe ahnen lässt.

Der markante Felsen, heute kahl und nackt, war einst mit dichtem Eichenwald bedeckt. Erst die Römer, dann der Sonnenkönig haben für den Schiffbau alles abgeholzt. Der Busch, der inzwischen wieder an den Hängen wächst, brennt fast jeden Sommer. Wandern in den Berggebieten ist daher in vielen Regionen der Provence im Juli und August nicht gestattet.

Die kleine Welt von Marcel Pagnol

Gepilgert wird dennoch nach Aubagne, das 2020 den 125. Geburtstag ihres berühmten Dichters feierte.

In seinem Geburtshaus – der Maison Natale de Marcel Pagnol – ist seit 2003 eine Erdgeschosswohnung mit Möbel und Gegenständen so authentisch eingerichtet, dass die Präsenz der Familie förmlich zu spüren ist. Dies gilt besonders für das Esszimmer, wo Joseph die Hefte seiner Schüler korrigierte, Augustine nähte – und Marcel erste Skizzen schrieb.

Bereits 1974 modellierten Krippenbauer die Hügellandschaft aus Pagnols Romanen nach, rekonstruierten Filmkulissen und Stationen im Leben des Literaten. Dann bevölkerten sie diese Kulissen mit 200 santons, handgefertigten Krippenfiguren. Und schufen so die Petit Monde de Marcel Pagnol.

Die Bastide Neuve von La Treille

Une villa dans la colline, juste au bord d’un désert de garrigue qui va d’Aubagne jusqu’à Aix. (…) La maison s’appelait La Bastide Neuve, mais elle était neuve depuis bien longtemps. C’était une ancienne ferme en ruine, restaurée trente ans plus tôt par un monsieur de la ville.
Eine Villa in den Hügeln, direkt am Rand einer Garrigue-Wüste, die von Aubagne bis Aix reicht“ beschrieben. (…) Das Haus hieß La Bastide Neuve, aber es war schon sehr lange neu. Es war ein alter, verfallener Bauernhof, der dreißig Jahre zuvor von einem Herrn aus der Stadt restauriert worden war…

So beschrieb Pagnol in seiner vierteiligen autobiografischen Buchreihe Souvenirs d’enfance die Bastide Neuve. Das Haus im provenzalischen Stil liegt am Rande des Dorfes La Treille. Vom Sommer 1904 an verbrachte der damals neunjährige Marcel dort seine Ferien – bis 1909.

La Pascaline

Später war La Pascaline das Urlaubsdomizil. Das elegante Anwesen,am Ausgang von La Treille auf dem Weg nach Les Bellons, wählten Marcel Pagnol und Jacqueline sowie Rellys als Stammquartier während der Dreharbeiten zu Manon des Sources (1952). Im Winter 1956 soll Marcel Pagnol dort mit der Niederschrift seiner Erinnerungen begonnen haben.

Darin lässt Pagnol seinen Vater sagen: „Voilà la Bastide Neuve. Hier ist das Urlaubsasyl“. Marcel antwortet darauf: „Dann begannen die schönsten Tage meines Lebens. (…) Hier floss das Glück aus einer Quelle, so einfach wie das Leben“.

Das glückliche Heim der langen Kindersommer zu kaufen, gelang Pagnol jedoch nicht. Zweimal machte er einen Anlauf, zweimal scheiterte er. Doch immerhin gelang es ihm, seine letzte Ruhestätte auf dem Friedhof von La Treille zu finden.

Fasziniert vom Garlaban

Während der langen Sommer in der Bastide Neuve entdeckte der junge Marcel mit dem Bauernjungen Lili das Massiv du Garlaban, seine Tiere und Pflanzen. Zusammen stellten sie Vogelfallen auf und erforschten unbekannte Höhlen.

Fasziniert tauchte der Sohn eines Dorfschullehrers und einer Schneiderin aus dem Provence-Nest Aubagne in die im so fremde Natur ein und erlebt mit Lili echte Freundschaft. Tief gruben sich die Landschaften dieses Kalksteinmassivs in sein Herz ein und begleiteten ihn in der Erinnerung ein Leben lang.

So sind die Hügel, die im 714 Meter hohen Gipfel des Garlaban kulminieren, die stillen Helden seiner Souvenirs d’enfance (Kindheitserinnerungen).

Pagnol drehte dort mehrere Filme, darunter „Angèle“ (1934), „Regain“ (1937), „La fille du Puisatier“ (1940) und „Manon des Sources“ (1954). In „La gloire de mon père“ schrieb er:

Garlaban, c’est une énorme tour de roches bleues, plantée au bord du Plan de l’Aigle, cet immense plateau rocheux qui domine la vallée verte de l’Huveaune.
Garlaban ist ein riesiger Turm aus blauen Felsen, errichtet am Rand des Plan de l’Aigle, diesem riesigen Felsplateau, das das grüne Tal des Huveaune überragt.

Das rund 8000 Hektar große Garlaban-Massiv überragt die Stadt und die Ebene von Aubagne. In seinen Hügeln verstecken sich zahlreiche Höhlen.

Dazu gehört auch die Grotte du Vieux Mounoï, besser bekannt als die Höhle von Manon des Sources. Das Massiv ist bis heute ein herrliches Ausflugsziel zum Wandern, Mountainbiken, Klettern oder Trailrunning in der Garrigue.

Wandern auf den Spuren von Pagnol

Im Schatten des Garlaban führen heute Wanderwege wie der Circuit Marcel Pagnol durch die Landschaften und Dörfer, die Pagnol in seinen Filmen verewigte.

Jeden Sommer marschierte die Familie mit Sack und Pack hinauf zu ihrem Urlaubsdomizil La Bastide Neuve, den Karren mit allem, was die Familie für die Ferien brauchte, ziehend.

Ihren Spuren folgt der Weg nach Ruissatel hinauf. Unterwegs kommt ihr am Mas de Massacan vorbei, bei dem es sich um nichts anderes als das Haus von Ugolin im Film Manon des Sources (1952) handelt. Später sind die Ruinen die Ferme d’Angèle aus dem Spielfilm Angèle (1934) zu sehen.

Durch das Vallon de Passe Temps geht es bergauf zur Bastide Neuve. Der Chemin des Bellons in Richtung La Treille führt zum Haus von Lili des Bellons, dem Abenteuergefährten des jungen Marcel.

Inspiriert von La Treille

Eng verwoben mit dem Leben und Werk ist auch la Treille. Das dortige Restaurant La Cigalon, das heute immer noch in Betrieb ist, war ein wichtiger Treffpunkt für Pagnol und seine Familie. Es ist auch der Titel des zweiten Romans von Pagnol, der im Jahr 1935 veröffentlicht wurde. Der Roman erzählt die Geschichte eines jungen Mädchens namens Patricia, das in La Treille aufwächst und in den Geschichten der Dorfbewohner eine zentrale Rolle spielt.

Auch Le Cercle, in dem Jospeph mit Marcels Onkel Jule Boules spielte, ist fast unverändert erhalten.
Der Brunnen La Fontaine de Manon ist nach der Hauptfigur in Pagnols erstem Film „Marius“ benannt und Symbol für die Liebe zwischen Marius und Fanny. Auch in anderen Werken verwendet ihn Pagnol als Treffpunkt für die Liebenden und die Dorfbewohner .

Die letzte Ruhestätte

Am 18. April 1974 starb Marcel Pagnol. Seine letzte Ruhestätte fand er im Carré des Écrivains, dem „Schreiber-Viertel“ des Friedhofs von La Treille. Ebenfalls auf dem Friedhof ruht sein Freund David Magnan,den Pagnol als Freud Lili des Bellons unsterblich machte.

Das Grab von Marcel Pagnol ist recht schlicht gehalten. Auf seiner horizontalen Platte aus schwarzem Granit ist in weißen Buchstaben der Name PAGNOL eingraviert. Ebenfalls dort begraben sind Pagnols Tochter und seine Ehefrau, die Schauspielerin Jacqueline Pagnol, für die er Manon des Sources schrieb, verraten zwei kleine Metallplatten. Eine niedrigen Steinmauer umgibt das Grab. Ein Olivenbaum, einige Blumen. Würdevoll.

Die Filme von Marcel Pagnol

Berühmt wurde nach Marius (1931), Fanny (1932), Topazère (1932) und Angèle (1934) vor allem La Femme du Boulanger (Die Frau des Bäckers, 1938).

Gedreht wurde der Streifen im mittelalterliche Bergdorf Le Castellet, wo auf der Terrasse des Lokals Le Roi d’Ys und auf der Place de l’Ormeau die Kamera aufgestellt wurde.

Ein vergleichbarer Erfolg gelang ihm erst gut 20 Jahre später. Als 59-Jähriger drehte er mit den Lettres de mon moulin (1954, Briefe aus meiner Mühle) einen Kultstreifen, der bis heute begeistert.

Als Vorlage diente ein Erzählband seines Landmanns Alphonse Daudet. Die autobiografischen Erinnerungen von Marcel Pagnol hat Yves Robert verfilmt. La gloire de mon père und Le Château de ma mère (Das Schloss meiner Mutter) sind Klassiker des französischen Kinos.

Das Schloss von Pagnol

Als Kulisse diente ein Anwesen, an dem er sich als Kind am Kanal vorbeigeschlichen hatte: das Château La Buzine.  Das 1867 in Marseille erbaute Schloss hat eine turbulente Geschichte erlebt und mehrere Besitzer gesehen, bis Marcel Pagnol es 1941 kaufte und es zu einer Cité du Cinéma machte.

Doch schon im Jahr darauf wurde das Anwesen von den Deutschen besetzt, bevor es später von der französischen Armee, einer Militärkrankenstation und Flüchtlingen bewohnt wurde. 1973 verkaufte Marcel Pagnol das Haus. Der neue Käufer, ein Bauunternehmer, errichtete zahlreiche Villen im Park des Anwesens. Das Schloss selbst verfiel.

Die Stadt Marseille kaufte das Schloss schließlich zurück und ließ es 1997 in das Inventar der historischen Denkmäler aufnehmen. 2001 begann die Stadt mit dem Wiederaufbau des Schlosses, das damals fast schon eine Ruine war.

Umso prachtvoller strahlt heute Pagnols Erbe hier hinter den historischen Mauern. In der Maison des Cinématographies de la Méditerranée könnt ihr seit 2011  interaktiv in Szenen mitwirken, Blockbuster und Filme junger, unbekannter Regisseure im Kinosaal entdecken und alljährlich das Festival Les Nocturnes im August erleben.

Pagnol in der Provence: die Infos

Maison Natale de Marcel Pagnol

• 16, Cour Barthélémy, 13400 Aubagne, Tel. 04 42 03 49 98

Le Petit monde de Marcel Pagnol

• 4, Cour de Clastres, 13400 Aubagne, Tel. 0442 71 17 81

www.marcel-pagnol.com

Circuit Marcel Pagnol

Rundwanderweg auf den Spuren von Marcel Pagnol in Treille, wo er seine letzte Ruhestätte fand.

https://tourisme-marseille.com/fiche/circuit-marcel-pagnol-marseille

La Buzine – Maison des cinématograhies de la Mediterranée

• 56, Traversée de la Buzine, 13011 Marseille, Tel. 04 91 45 27 60, www.labuzine.com

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Im Buch

Marcel Pagnol, Eine Kindheit in der Provence*

Marcel Pagnol ist neben Jean Giono der große Erzähler des französischen Südens. Auf 464 Seiten vereint dieser Sammelband die drei berühmtesten Bände der Kindheitserinnerungen von Marcel Pagnol. Es sind: La Gloire de mon Père, Le Château de ma Mère und Le Temps de Secrets. Zwischen zwei Buchdeckeln taucht beim Lesen die alte, längst vergangene Provence wieder auf.

Beim Lesen hatte ich förmlich das Gefühl, den Garlaban zu sehen, die Kräuter der Garrigue zu riechen, mit dabei zu sein im endlos langen Kindersommer im Süden. Welch eine Hommage an den Midi ! Wer mag, kann den Sammelband hier* online bestellen.

Zur Einstimmung: DuMont Bildatlas Provence*

DuMont Bildatlas Provence 2021In meinem DuMont-Bildatlas „Provence“* stelle ich in sechs Kapiteln zwischen Arles und Sisteron die vielen Facetten der Provence vor. Ihr erfahrt etwas vom jungen Flair zu Füßen des Malerberges, vom Weltstadttrubel an der Malerküste, dem weißen Gold aus der Pfanne oder einer Bergwelt voller Falten.

Neben Aktivtipps, Hintergrund und Themenseiten gibt es in der Edition 2021 zwei neue Rubriken. “Ja, natürlich” präsentiert zahlreiche Tipps für nachhaltige Erlebnisse und Momente. In “Urlaub erinnern” stelle ich Andenken, Eindrücke und Erinnerungen vor, mit denen der Urlaub daheim noch weiter lebendig bleibt. Hinzu kommen Serviceseiten mit allen Infos, persönlichen Tipps und großer Reisekarte. Wer mag, kann den Band hier* direkt bestellen.

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7 Kommentare

  1. Eines meiner 10 Lieblingsbücher ist Pagnols „Die Wasser der Hügel“, in dem er wie in seinen meisten anderen Werken die Landschaft seiner Kindheitserinnerungen feiert. Derzeit (bis Ende Januar) laufen bei ARTE die ersten beiden Verfilmugen dieses Buches mit Pagnols Ehefrau Jaqueline in der Hauptrolle unter der Regie ihres Mannes, auf französisch mit deutschen Untertiteln. Unbedingt ansehen! Die zweite Verfilmung mit Yves Montand und der damals blutjungen Emmanuelle Béart kennt wohl sowieso jeder Fan der Provence und der Werke Pagnols.

  2. Hallo Hilke,

    Danke für den schönen Artikel über Pagnol. Als lokaler Wanderführer führe ich regelmäßig Gruppen durch den Garlaban (das Mini-Bergmassif) mit dem Thema Pagnol :). Es ist ein tolles kleiner Bergmassiv, dass tolle Rundblicke von den Alpen im Norden, über die Calanques im Süden und Marseille und die Côte Bleue ermöglicht.

    Schön, dass du auch auf die Waldbrandgefahr hingewiesen hast.

    Eine Präzision zu der Regelung im Departement Bouches-du-Rhône: Vom 1. Juni bis Mitte Oktober wird der Zugang zu allen Waldgebieten (schließt auch Buschvegetation ein) durch einen Landratsamtsbeschluss (Arrêté Préfectoral) geregelt, der immer ab 18 Uhr für den folgenden Tag und jedes Bergmassif einzeln bekannt gegeben wird und angibt ob das Wandern dann erlaubt ist. Abrufen kann man diese Info z.B. unter: https://www.myprovence.fr/en/enviedebalade
    2018 gab es fast gar keine Einschränkungen, da wir sehr wenig Mistral im Sommer hatten, d.h. kein Wind = wenig Waldbrandgefahr. 2017 war es dagegen recht windig und es gab schätzungsweise 20 Verbotstage über die ganze Periode.

    Schönen Tag noch,

    Felix Altgeld – Hikingmarseille

  3. Ach, so schön! Da werden Erinnerungen wach an meine erste Verliebtheit in die Provence, verstärkt durch „Meine Kindheit in der Provence“, das so schön verfilmt worden ist. Bilder – für ewig im Gedächtnis. Die „Idealvorstellung Provence“ für immer geprägt. Danke, liebe Hilke, für diese Reise in die Vergangenheit 🙂

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