Postkarte aus … Prades
Im tiefsten Süden von Frankreich schmiegt sich Prades im Tal der Têt an die Flanken des Canigou. Beschaulich und voller Flair ist das Städtchen, in dem Jean Castex seit 2008 Bürgermeister war. Nur Musikfreunde kannten vielleicht den Namen der Kleinstadt.
2020 machte Staatschef Emmanuel Macron den bis dahin selbst in Frankreich weitgehend unbekannten Politiker zum Premier Ministre. Ganz Frankreich schaute voller Erstaunen auf Prades.
Karl der Große & die Marca Hispanica
Doch Prades hatte schon einmal Frankreichs Geschichte geprägt: als Karl der Große bei seiner Reise durch die Pyrenäen im 8. Jahrhundert dort Station machte.
Bei seinem Feldzug gegen die Muslime in Spanien gründete er die Marca Hispanica und schuf damit einen Puffer zwischen dem karolingischen Königreich und den muslimischen Königreichen. Die Erinnerung an die alte Marca Hispanica ist bis heute tief verwurzelt in der Identität des Roussillon.
Wenige Wochen nach der Wiederwahl von Emmanuel Macron trat er, wie es nach der Wahl eines Staatsoberhaupts in Frankreich üblich ist, im Mai 2022 als Premierminister mitsamt seinem Kabinett zurück. Elisabeth Borne übernahm die Aufgaben in der zweiten Amtszeit Macrons.
La France ganz katalanisch
Monsieur le Maire kehrte nach Prades zurück. Dort sprechen alle wie er mit dem typischen Akzent des Midi das Französische – und unter sich auch immer wieder Katalanisch. Sang et or (Blut und Gold) zeigen die Flaggen, die im Wind wehen.
Die Nähe zu Spanien und die Verbundenheit mit Catalunya ist allerorten zu spüren in Prades. Von Ende Juli bis Mitte August pilgern zudem Musikfreunde aus aller Welt zum Festival Pablo Casals in den hübschen Ort und in die benachbarte Abbaye Saint-Michel-de-Cuxa.
1950 wählte der spanische Cellist Pau Casals (1876– 1973) Prades während der Franco-Diktatur als Exil. Auch der katalanische Dichter Joan Alavedra hat im 20. Jahrhundert in Prades eine Zuflucht vor Franco gefunden.
Dort traf er sich mit Pompeu Fabra und setzte ihm mit seinen Personatges inoblidables (1968, „Unvergessliche Persönlichkeiten“) ein literarisches Denkmal.
Das Erbe von Pau (Pablo) Casals
Zu den Freunden von Joan Alavedra gehörte auch Pablo Casals. Ihm widmete er seine Musikerbiografie L’extraordinària vida de Pau Casals (1969, „Das außerordentliche Leben Pau Casals“).
In der städtischen Mediathek ist ein Saal als Musée Pablo Casals dem weltberühmten Musiker gewidmet. In den anderen Sälen sind Gemälde des aus Prades stammenden Malers Martin Vivès sowie eine archäologische Sammlung zu sehen.
… und Gustave Violet
Vor Casals und seinen katalanischen Freunden hatte Prades bereits Künstler wie Gustave Violet angelockt. 1873 in Thuir geboren und an der École des Beaux-Arts ausgebildet, richtete der südfranzösische Bildhauer, Architekt und Schriftsteller im Jahr 1903 sein Atelier in Prades ein.
Es war eine fruchtbare Zeit für Gustave Violet, der sich bei seinen Terrakotta-Skulpturen vom katalanischen Bauernleben inspirieren ließ. Auch Violet ist auf dem Wandbild verewigt.
Die Altstadt von Prades überragt der imposante Glockenturm der Église Sant Pere de Prada. Er wurde im 12. Jahrhundert aus dem rosa getönten Marmor des Conflent errichtet.
Barocker Prunk in XXL
Der prunkvolle Dreifaltigkeitsaltar des katalanischen Bildhauers Joseph Sunyer soll der größte Barockaltar der Welt sein. Wirf einen Euro in den Schlitz! Dann beginnt das prachtvolle Kunstwerk aus dem 17. Jahrhundert mit seinen mehr als 100 Skulpturen für kurze Zeit zu leuchten.
Sehenswert auch eine Pietà, ein schwarzer Christus aus dem 16. Jahrhundert und der trésor, der Kirchenschatz, der nur von Juli bis September besichtigt werden kann.
Treffpunkt der Stadt
Vor dem Gotteshaus ist die Place de la République seit alters her der Treffpunkt der Stadt. Cafés und Bars haben unter den Platanen Tische und Stühle aufgestellt. Abends leuchten bunte Glühbirnen im Grün.
Jeden Dienstag findet auf dem Platz der Republik ein bunter Wochenmarkt statt. Im Sommer stapeln sich auf den Ständen die vielen Früchte, die ringsum in nächster Nähe angebaut werden: Kirschen und Melonen, Äpfel, Pfirsiche und Aprikosen in Hülle und Fülle.
Käse und Wurstwaren, frisches Brot und köstliche Kekse sowie die katalanischen rousquilles runden das Angebot ab. Sonnabend gastiert auf dem Platz ein Bio-Markt mit lokalen Erzeugern. Im Sommer organisiert der lokale Einzelhandelsverband zudem einen Nachtmarkt.
Schlendern und schauen
Prades lädt ein, sich einfach treiben zu lassen. Die Fassaden erzählen vom Versuch, die Hitze des Sommers aus dem Haus zu verbannen. Und von der Liebe zu Blumen und Pflanzen.
Unterwegs gibt es immer wieder Überraschendes zu entdecken. Liebevoll oder kreativ dekorierte Fenster, kleine Boutiquen – und Nachbarschafts-Angebote wie Coworking, die ich in Prades nicht erwartet hätte.
Tor zu tollen Ausflügen
Das 6000 Einwohner-Städtchen am Fuß des Pic du Canigou ist ein perfektes Standquartier für Ausflüge. Bereits in der näheren Umgebung gibt es so viele unterschiedliche Ziele, dass eine Woche wie im Flug vergeht.
Das nur fünf Kilometer entfernte Eus und das 20 Kilometer südwestlich liegende Évol gehören zu den schönsten Dörfern Frankreichs. In Vinça lockt der Stausee mit Strandvergnügen und Stand-up-Paddling.
Saint-Michel-de-Cuxa
Drei Kilometer südlich von Prades erhebt sich Saint-Michel-de-Cuxa in einem Tal. Das uralte Benediktinerkloster war bereits in vorromanischer Zeit der religiöse und kulturelle Mittelpunkt des Roussillon.
In der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts gehört das Kloster von Cuxa zu den „Agenten“ der Politik des Heiligen Stuhls in den katalanischen Ländern. Es ging internationale Beziehungen ein und vergrößerte seinen Einfluss enorm.
Das zeigt sich besonders kurz vor der Jahrtausendwende 999/1000 als Abt Garin nicht nur Saint-Michel-de-Cuxa leitete, sondern zahlreichen weiteren Klöstern vorstand. Zu ihnen gehörten die Abteien Lézat und Mas-Garnier im Toulousain, Saint-Hilaire im gleichnamigen Dorf im Département Aude sowie Sainte-Marie in Alet-les-Bains südlich von Carcassonne.
Abt Garin stand in enger Verbindung mit den führenden Gelehrten der Zeit und holte berühmte Männer wie den Dogen von Venedig, Pietro Orseolo, nach Cuxa, der dort innere Einkehr suchte. Ebenfalls in Cuxa war der heilige Romuald, der Gründer des Kamaldulenserordens.
Während der Französischen Revolution wurde das Kloster verkauft, seine Kunstschätze verschleudert. Der Kreuzgang kam nach Amerika und bildet in New York seitdem die Kulisse für das Mittelaltermuseum The Cloisters.
Saint-Martin-du-Canigou
Schon die Lage ist atemberaubend. Auf 1094 Metern Höhe thront die Abtei auf einem Felsdorn mit Blick auf die schneebedeckten Spitzen des Pic du Canigou.
Nicht erst seit seiner Instrumentalisierung als politisches Symbol der Einheit Kataloniens hat der Berg seinen festen Platz im Herzen der Katalanen.
Er ist für sie seit jeher der Mutterberg und Symbol der Fruchtbarkeit, der mit dem Wasser, das von ihm fließt, die Obstgärten in der Ebene des Roussillon bewässert. Kirchen, Kapellen und Klöster erbaute die Kirche an seine Flanken.
Doch keine Stätte des Glaubens ist bis heute so abgelegen wie das Adlernest Saint-Martin-du-Canigou mit seinem Glockenturm im lombardischen Stil. Nur zu Fuß kommt ihr von Casteil dorthin. Eine Stunde geht es steil bergauf.
Dass es die Abtei überhaupt noch gibt, grenzt an ein Wunder. Im Auftrag von Graf Guifred und seiner Gemahlin Guisla, die beide dort bestattet sind, wurde sie ab 997 errichtet .
Das Kloster erlebte seine größte Blüte im 11. Jahrhundert, als Christen vor dem Islam dorthin flüchteten. Doch als sich die geopolitische Lage im 12. Jahrhundert änderte, begann auch der Niedergang. Heute ist Saint-Martin wieder ein lebendiges Kloster.
Doch leben hier nicht mehr wie einst die Benediktiner streng nach der Ordensregel ora et labora, sondern ein bunt gemischtes Völkchen aus Priestern und Schwestern, Ledigen und Paaren.
Ausflug oder Auszeit?
Es eine „Gemeinschaft der Seligpreisungen“. Gemeinsam ist ihnen das kontemplative Gebet – und das Engagement bei apostolischen und missionarischen Aktivitäten.
Dazu gehört auch das Eintauchen in ihre Lebenswelt bei einer Auszeit in ihrer Abtei. Für Ausflügler und Wanderer gibt es regelmäßige Führungen, für alle, die geistige Stärkung suchen, eine halte spirituelle. Erfahre hier mehr im Blog!
Le Prieuré de Serrabone
Ein stiller Ort der Einkehr ist dieses Priorat inmitten der Wälder der Aspres. Es wurde im 11. Jahrhundert von Augustinern gegründet, die hier im kargen, von der Sonne ausgedörrten Hügelland der Aspres wie die Eremiten lebten.
Die Askese hinderte sie nicht, die besten Bildhauer und Steinmetze des Roussillon zu engagieren. Sie machten aus Serrabona eine Perle der Romanik. Welch ein Rahmen für das okzitanische Festival der Troubadour-Musik!
Prades: meine Reisetipps
Schlemmen und genießen
Le Galie
2011 eröffnete Benjamin Bakir zusammen mit Galie sein Gourmetrestaurant, das seitdem seine Gäste mit einer modernen, sehr kreativen wie kunstfertigen französischen Küche verzaubert – und seit 2016 auch eine Terrasse besitzt.
• 3, avenue du Général de Gaulle, 66500 Prades, Tel. 04 68 05 53 76, https://restaurantlegalie.net
La Ferreria
Nicolas Bénézis steht für eine grundehrlich cuisine du terroir und damit für eine Lokalküche, die die heimischen Produkte und kulinarischen Traditionen des Conflent in den Vordergrund stellt. Von der Terrasse blickt ihr auf den Canigo.
• Parking des tanneurs, 3 Trav. des Fabriques, 66500 Prades, Tel. 04 68 04 77 64, https://laferreria.fr
Le Café de la Paix
Vom ersten Café am Morgen bis zum Apéro trifft man sich hier in Prades auf der Terrasse im Schatten der Platanen.
• 15, place de la République, Tel. 04 68 05 37 07, https://lecafedelapaix.fr
Café Alchimie
Dieses angesagte Café ist ein café associatif. Es wird von einem Verein getragen, dessen Mitglieder nicht nur besten Kaffee brühen und günstige wie gute Gerichte servieren, sondern auch einen prall gefüllten Veranstaltungskalender organisieren. Yoga und Konzerte, Ausstellungen und Vorträge stehen auf dem Programm.
• 3, rue de l’Hospice 66500 Prades, Café: www.facebook.com/cafeassoalchimie, Programm: www.facebook.com
Nicht verpassen
Le Train Jaune
In Villefranche-de-Conflent beginnt eine legendäre Bahnreise: Von dort rattert der gelbe Zug durch Tunnel und Viadukte hinauf zur höchsten Bahnstation Europas.
• www.tourismus-mittelmeerpyrenaen.de/der-gelbe-zug
Hier könnt ihr schlafen
Maison 225
Die Iren Declan und Sharon O’Kane haben ein elegantes Stadthaus aus dem späten 19. Jahrhundert in ein chambres d’hôtes mit vier großzügigen Gästezimmern verwandelt, aus deren Fenstern sich stets der Blick auf den Canigou eröffnet. Im Garten sorgt ein Schwimmbad im Sommer für Abkühlung.
• 225, avenue Général de Gaulle, Tel. 04 68 05 52 79, www.225prades.com
Noch mehr Betten*
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Im Blog
Sechs Kilometer gen Westen lockt im Tal der Têt ein Welterbestädtchen vom Feinsten: mit Wehrmauer, Höhenfestung, unterirdischer Treppe, Grotte und charmantem Flair: Villefranche-de-Conflent.
Wunderschön sind auch Wanderungen im Massiv des Canigou. Auch, wenn man nicht den Gipfel erklimmt, lohnt sich ein Wochenende am Berg. Lass Dich hier inspirieren.
Im Buch
Okzitanien: 50 Tipps abseits der ausgetretenen Pfade*
Okzitanien ist die Quintessenz des Südens Frankreichs. Es beginnt an den Höhen der Cevennen, endet im Süden am Mittelmeer – und präsentiert sich zwischen Rhône und Adour als eine Region, die selbstbewusst ihre Kultur, Sprache und Küche pflegt.
Katharerburgen erzählen vom Kampf gegen Kirche und Krone, eine gelbe Pflanze vom blauen Wunder, das Okzitanien im Mittelalter reich machte. Acht Welterbestätten birgt die zweitgrößte Region Frankreichs, 40 grands sites – und unzählige Highlights, die abseits liegen.
50 dieser Juwelen enthält dieser Band. Abseits in Okzitanien: Bienvenue im Paradies für Entdecker! Hier* gibt es Deinen Begleiter.
Klaus Simon, Hilke Maunder, Roadtrips Frankreich*
Das zweite gemeinsame Werk mit Klaus Simon stellt euch die schönsten Traumstraßen zwischen Normandie und Côte d’Azur vor. 14 Strecken sind es – berühmte wie die Route Napoléon durch die Alpen oder die Route des Cols durch die Pyrenäen, aber auch echte Entdeckerreisen wie die Rundtour durch meine Wahlheimat, dem Fenouillèdes.
Von der Normandie zur Auvergne, vom Baskenland hin zu den Stränden der Bretagn und dem wunderschönen Loiretal laden unsere Tourenpläne ein, Frankreich mobil zu entdecken – per Motorrad, im Auto, Caravan oder Wohnmobil. Hier* gibt es das Fahrtenbuch für Frankreich!
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Als es uns als Ostdeutschen möglich war, haben wir begonnen, Südfrankreich zu erkunden. Mein verstorbener Mann und ich haben entlang der Côte vermeille, der Côte d’améthyste von Coullioure bis in die Camarque wunderschöne Urlaube verbracht. Prades, Cuxa, Eus gehörten natürlich auch dazu. Wunderbare Erinnerungen werden durch Deinen Beitrag wach, liebe Hilke. Im Mai werde ich auf den Spuren von Max Ernst sein: Saint Martin d’Ardèche, Seillans, Les Milles. Natürlich werde ich auch in Aix sein, wo wir bei unserem letzten Aufenthalt viele Werke von Pablo Picasso bewundern konnten.
Liebe Marion, merci – das freut mich! Viele Freude bei den Entdeckungen auf den Spuren von Max Ernst. Und falls Du dazu einmal einen Gastbeitrag verfassen möchtest: nur zu! Viele Grüße, Hilke