
Es ist das Hollywood der Picardie, eine Open-Air-Studio internationaler Filmemacher: Senlis. Die Stadt an der Oise, nur einen Steinwurf von der Autobahn A1 entfernt, ist so intakt geblieben wie kaum ein Ort im Norden Frankreichs.

Hinter der doppelten Stadtmauer aus gallo-römischer Zeit und Mittelalter säumen Fachwerk- und Feldsteinhäuser kleine gepflasterte Straßen. Viele von ihnen umgeben kleine Gärten.

Im Innern bergen die meisten dieser Häuser noch gotische Keller. Wie dieses Idyll erhalten bleiben konnte? Es gab keine Bahnlinie, keine Munitionsfabriken bei Senlis. Und so blieb auch der Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs aus.

Kinoreife Kulisse
Werbefilmer und Kinoregisseure begeistert die Kulisse. Vente Privée und viele internationale Labels drehten hier Imagefilme. Mehrmals jährlich dient das alte Herz von Senlis als Kulisse für Fernsehfilme und Serien. Im Frühjahr 2019 dreht Lenny Kravitz einen Musikclip in den Gassen von Senlis.

Auf der Webseite des Office de Tourisme findet ihr eine regelmäßig aktualisierte Übersicht über alle Filmproduktionen – Kino, Werbung, Musikclips, Fernsehen. Klickt mal hier! Welche Filme wo und wann von wem in ganz Frankreich gedreht wurden, verrät die umfangreiche Datenbank von Film France. Hier könnt ihr sie aufrufen!

150 Kinofilme
Doch besonders stolz ist das Städtchen auf die 150 Kinofilme, die dort gedreht wurden. Viele große Namen haben ihre Kameras dort aufgestellt: Louis Malle, James Ivory, Claude Miller… und auch Coluche und Marc Monnet 1977 für Vous n’aurez pas l’Alsace et la Lorraine.
Jacques Demy drehte in Senlis Szenen für Peau d’âne mit Catherine Deneuve. Philippe de Broca filmte dort Cartouche mit Jean-Paul Belmond. Louis de Funès stand für L’Avare in Senlis vor der Kamera.

1966 nahmen Michèle Mercier und Robert Hossein die Hinrichtungs-Szene von Angélique et le Roy in Senlis auf. Als Kulisse diente (statt Suresnes) der Vorplatz der Kathedrale von Senlis.
Für Le mari de la coiffeuse (Der Mann der Friseuse) von Patrice Leconte wurde 1990 eine Bäckerei in einen Friseursalon umgewandelt.
1994 drehte Patrice Chéreau seinen auswändigen Historienfilm La Reine Margot (Die Bartholomäusnacht) mit Isabelle Adjani und Daniel Auteuil in Senlis.
In den letzten Jahren entstanden in Senlis große Filme wie Frantz von François Ozon, Trepallium des Belgiers Vincent Lannoo, Molière von Laurent Tirard oder Turf von Fabien Onteniente.

Noch mehr Filme…
• Cartouche (1961) mit Jean-Paul Belmondo mit Claudia Cardinal
• Angélique et le Roy (1965) mit Michèle Mercier und Jean Rochefort
• Le Roi de cœur » (1966) mit Michel Serrault und Jean-Claude Brialy
• Peau d’âne » (1970) mit Catherine Deneuve, Jean Marais und Jacques Perrin
• L’aile ou la cuisse » (1976) mit Louis de Funés und Coluche
• L’Avare » (1980) mit Louis de Funés und Michel Galabru
• Papy fait de la Résistance » (1983) mit Christian Clavier, Michel Blanc…
• La reine Margot » (1994)mit Isabelle Adjani und Daniel Auteuil
• Le Comte de Montécristo » (1997) mit Gérard Depardieu
• Arsène Lupin » (2003) mit Kristin Scott-Thomas
• L’autre Dumas » (2010) mit Gérard Depardieu undt Benoît Poelvoorde
Seit 2002 werden in Senlis auch die Folgen der beliebten Fernsehserie Sœur-Thérèse von TF1 mit Dominique Lavanant und Martin Lamotte im Kloster der einstigen Abtei St-Vincent dreht. Ebenfalls fürs Fernsehen entstand der Fernsehfilm Crainquebille (2010) von France 2 in Senlis als Beiträg für die Serie Au siècle de Maupassant, contes et nouvelles du XIXe siècle.

Entdeckt Séraphine de Senlis
Beim Spaziergang auf den Spuren der cineastischen Bestseller aus Senlis kommt ihr in der Rue du Puits-Tiphaine auch an einem unscheinbaren Wohnhaus vorbei. Dort hat ab 1906 Séraphine Louis (1864-1942) gelebt.
Die kauzige 48-Jährige aus Arsy (Oise) war als Putzfrau tätig. In ihrer Freizeit maltr sie ab 1908 im Schein des Kerzenlichts Bilder. Ihre Farben fand sie bei Spaziergängen: Schlamm aus dem Flussbett, Lehm vom Feld. Nach ersten Gouachen verzierte sie mit Ripolin Objekte und Möbel.
1912 zieht der deutsche Kunstsammler Wilhelm Uhde von Paris nach Senlis, um sich vom Lärm der Großstadt zu erholen. Als Haushaltshilfe nimmt er Séraphine, entdeckt ihr künstlerisches Talent und ermutigt sie. Dank seiner finanzieller Unterstützung stellt sie 1927 mit sehr großem Erfolg drei riesige Bilder auf Leinwand aus.

Uhde unterstützt sie, öffnet ihr Tür und Tor in der Kunstszene, finanziert ihr zunehmend verschwenderisches Leben – bis die Wirtschaftskrise in den USA diesem Lebensstil abrupt ein Ende setzt.
Séraphine reagiert darauf mit Realitätsverlust. 1934 rufen Nachbarn die Polizei und lassen Séraphine in die psychiatrische Klinik von Clermont (Oise) einweisen, wo sie 1942 verstarb.
2008 hat Martin Provost mit Séraphine* dieser ungewöhnlichen Frau und neben Henric Rousseau bedeutendsten Vertreterin der naiven Malerei in Frankreich ein beeindruckendes, filmisches Denkmal gesetzt.
Mit der Belgierin Yolande Moreau und Ulrich Tukur in den Hauptrollen, in der Ausstattung schlicht und zurückhaltend, ohne Effekte, aber viel Atmo, lässt der Film viel Freiraum für eigene Assoziationen und Begegnungen mit der Malerin. Sieben Césars gab es für dieses Meisterwerk.
Einen Plan mit allen Drehorten des Films könnt ihr hier als PDF herunterladen.

Der erste König von Frankreich
Senlis hat nicht nur dem cineastischen Schaffen seinen Stempel aufgedrückt. Sondern auch der Geschichte. Nach dem Unfalltod von Ludwig V. und dem Aussterben der Karolinger wurde im Jahr 987 auf der Burg von Senlis Hugo Capet zum ersten König von Frankreich gewählt.
Geweiht und gekrönt wurde er noch im selben Jahr in Noyon. Das Château Royal de Senlis ist heute eine Ruine – und eingebettet in einen Park, den die Stadt 1956 anlegen ließ.
Die Turmreste am Eingang sind vermutlich die letzten Reste eines rechteckigen Bergfrieds. Das Hauptgebäude des Schlosses lehnt sich an die antike Stadtmauer an. Das Erdgeschoss barg einst die Arbeits- und Diensträume.
Der erste Stock war dem König und seinem Gefolge vorbehalten. Die königliche Kapelle, die dem Heiligen Denis gewidmet ist, hatte ursprünglich zwei Erker und eine halbkreisförmige Apsis und war im Westen über eine Galerie direkt mit der königlichen Residenz verbunden.
Novum in der Kunst

Aus dem Dächergewirr seiner kreisrunden Altstadt ragt die gotische Kathedrale Notre-Dame hervor. Ihr Westportal von 1170 birgt eine kleine Sensation. Zum ersten Mal in der Kunstgeschichte zeigt es nicht, wie bis dahin üblich, das Jüngste Gericht.
Sondern erstmals eine Marienkrönung. Kunsthistoriker und Theologen sehen darin einen Beleg für die Vermenschlichung des Göttlichen. Links zeigt der Türsturz die „Grablegung Mariae“, rechts die „Leibliche Erhebung Mariae durch Engel“.
Beide zeigen Maria nicht schematisch, wie eine Maske, eine überhöhte Figur, sondern geradezu lebendig und menschlich beseelt. Das Portal von Senlis wurde mit dieser Haltung zum Vorbild einer neuen Plastik und Katalysator des Marienkults.

Senlis: meine Reisetipps
Schlemmen
Le Gril des Barbares
Den „Barbarengrill“ findet ihr in einem urigen Gewölbe aus dem 13. Jahrhundert. Auf der Karte: Fleisch – von Foie Gras bis zum Filet de Bœuf.
• 19, Rue du Châtel, 60300 Senlis, Tel. 03 44 53 12 00, www.facebook.com
Le Scaramouche
Im gemütlichen Bistro Gourmand von Céline und Jean Bataille mit kleiner Terrasse und Blick auf die Kathedrale gibt es als Entree u.a. Auberginen-Kaviar, im Hauptgang Maispoularde – und zum Abschluss Käse der Region.
• 4, Place Notre Dame, 60300 Senlis, Tel. 03 44 53 01 26, https://le-scaramouche.fr
Restaurant Julianon
Richard und Sophie Baïma eröffneten 2007 in einem kleinen Haus aus dem 17. Jahrhundert ihr modernes Bistro und begeistern seitdem ihre Gäste mit frischer picardischer Lokalküche.
• 5, Place Gérard de Nerval, 60300 Senlis, Tel. 03 44 32 12 05, www.le-julianon.fr
Hostellerie de la Porte-Bellon
Die einstige Posthalterei ist seit vier Generationen eine Institution. Die Zimmer im stilvollen, alten Haupthaus wurden 2014 renoviert. Die gehobene gutbürgerliche Küche ist tief in den Traditionen der Picardie verwurzelt, die große Weinkarte sehr gut sortiert.
• 49, Rue Bellon, 60300 Senlis, Tel. 03 44 53 03 05, www.portebellon.fr
Schlafen

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In der Nähe
Parc Asterix
Asterix, Obelix und seine Freunde sind seit 1989 Themen dieses beliebten Freizeitparks mit 36 Fahrgeschäften direkt an der A1.
Château de Chantilly
Von der ursprünglichen Schlossanlage ist nur das Petit Château erhalten – doch dieses Juwel der Renaissance ist grandios. Das Grand Château wurde im Stil der Neorenaissance wieder aufgebaut. Beide zusammen bergen das Musée Condé. Seine Gemäldesammlung gilt als die wichtigste nach dem Louvre für die Kunst des 15. bis 19. Jahrhunderts.
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Im Blog
Alle Beiträge aus dem Département Oise findet ihr in dieser Kategorie.
Im Buch
Secret Citys Frankreich*
Gemeinsam mit meinem geschätzten Kollegen Klaus Simon stelle ich in diesem Band 60 Orte in Frankreich vor, die echte Perlen abseits des touristischen Mainstreams sind. Le Malzieu in der Lozère, Langogne im Massif Central, aber auch Dax, das den meisten wohl nur als Kurort bekannt ist.
Mit dabei sind auch Sens, eine filmreife Stadt im Norden von Frankreich, und viele andere tolle Destinationen. Frankreich für Kenner – und Neugierige!
Lasst euch zu neuen Entdeckungen inspirieren … oder träumt euch dorthin beim Blättern im Sessel oder am Kamin. Wer mag, kann das Lesebuch mit schönen Bildern hier* bestellen.
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Herzlichen Dank für diese vielfältigen und interessanten Einblicke. Ich habe Senlis erstmals über Jean Anouilhs „Rendez-vous a Senlis“ wahrgenommen.
Merci für den Hinweis auf Jean Anouilhs Werk!
Hallo! Sehr interessant diese Infos über Senlis. Wir haben 16 Jahre im Departement Val-d’Oise gewohnt und waren öfter mal in Senlis unterwegs, aber diese kulturellen Fakten kannten wir nicht. Danke auch für die andern, immer sehr speziellen Insider-Artikel. Liebe Grüsse aus der Schweiz, Irène und Martin
Oh, danke für die virtuellen Blumen! Dann hoffe ich, dass Sie noch viele Anregungen für Entdeckungen und Erlebnisse auch weiterhin finden. Viele Grüße in die Schweiz! Hilke
Hallo Hilke,
das hört sich ja toll an! Das ist bestimmt einen Zwischenstopp wert auf der nächsten Reise Richtung Paris, möglichst auch mit Besuch des Wochenmarktes…
Nehmen wir uns fest vor! Danke für den Tipp 🙂
Liebe Grüße
Alice
Hallo Alice, es war die Entdeckung schlechthin. Da bin ich drei Dekaden nichtsahnend dran vorbei gerast. Könnt‘ mich ärgern. Oder freuen, dass ich jetzt dort war. Und bestimmt nicht zum letzten Mal! Bises! Hilke
Hallo Heike!
Genau so ist es mir auch gegangen: mehr als 30 Jahre über die Autobahn vorbeigerannt. Und das, obwohl Senlis unsere Partnerstadt ist! Unverzeihlich! Aber vor einem Jahr hatte ich das Glück, im Rahmen eines Besuchs nach Senlis mitzufahren und kann nur bestätigen, was in dem Artikel steht. Ich war bestimmt nicht das letzte Mal dort, vor allen Dingen haben mich jetzt die Drehorte neugierig gemacht, nicht zuletzt als (mehr als) langjähriger „Belmondfan“ 😉
Bin erst vor Kurzem auf „Mein Frankreich“ gestoßen und bin begeistert von den interessanten Artikeln, die ich gerade peu à peu durchstöbere.
Lieber Werner,
ganz herzlichen Dank für Deine Anregung: Drehort Senlis – das muss ich gleich mal recherchieren!
Viele Grüße!
Hilke
Hallo Hilke,
super dieser Bericht! Den wunderbaren Film Séraphine hatte ich gesehen.
Ich bin immer begeistert von Deinen Berichten.
Liebe Grüße,
Christel Endlich
Liebe Christel, danke! Das freut mich!!! Ich sitze gerade am Rechner und mache die Themenplanung für 2019… hast Du Wünsche? Bises! Hilke
Vielen Dank, und immer die tolle Verlinkung. Bei dem Office de Tourisme findet man ja sehr viele Filme zu dem Ort. Interessanter Bericht. Freue mich auf die Nächsten.
LG
Karl-Heinz
von
https://www.provenceinwortundbild.de/
Hallo Karl-Heinz, merci! Ein toller Ort, lohnt wirklich. Auch im Winter :-). Schönen Sonntag! Hilke