Die vielen Gesichter von Bastia
Bastia ist wie eine Miniausgabe von Marseille oder meiner Heimat Hamburg. Müsste ich wählen, würde ich keiner anderen Stadt auf Korsika wohnen wollen. Warum gerade hier?
Bastia ist eine typische Hafenstadt. Ein Mikrokosmos der Kulturen, in dem Gegensätze aufeinander prallen. Menschen und Lebensweisen, Palazzi und Beton, Altstadt und Moderne, Grandezza und morbide Vergänglichkeit. Bastia: Nordkorsikas Perle zu Füßen des Monte Pigno.
Frühstück unter Platanen
Morgens um sieben legt il nave giallo im Fahrhafen an. Mit der MS Mega Express 5 könnt ihr von Nizza aus die Nacht über nach Bastia schippern. Das ganze Jahr hindurch verbindet Corsica Ferries die Insel mit dem Festland – Nizza, Toulon, Livorno und Savona direkt ab Bastia.
Jenseits der Territoriale 11, die den Hafen erschließt, stellen die Kellner Stühle und Tische auf die Terrassen auf die Place Saint-Nicolas. Im Schatten der Platanen könnt ihr im Palais des Glaces frühstücken: Café und Croissant. Angekommen auf Korsika! Vom Sockel blickt Kaiser Napoleon im Römerlook herab.
Genueser Barock
Frisch gestärkt, biegt vom Platz bei der Bar L’Empire ein in die Rue Napoléon. Seit ihrer Sanierung und Umwandlung als Fußgängerzone gilt die längste Straße der Stadt als Champs-Élysées Bastias.
Gleich zu Beginn steht der Oratoire Saint-Roch. Vor dem Eingang der Kapelle wurde aus Flusssteinen eine Sonne als Mosaik gelegt. Wunderschön ist auch das Innere: Marmor, Gold und unzählige Engel. Was für eine göttliche Pracht für den Heiligen Rochus, der links vom Eingang im Gewand thront. Alle drei Jahre am 16. August wird der Heilige der Pestkranken feierlich durch die Gassen getragen.
Vor dem Oratoire de l’Immaculée Conception, der Kapelle der Unbefleckten Empfängnis, zeigt das Bodenmosaik aus Feldsteinen in Rot, Schwarz und Weiß eine riesige Sonne. Das Innere des einschiffigen Baus prägt typisch genuesischer Barock. Die Wände sind mit rotem Damast und Samt bespannt, Fresken schmücken das Gewölbe, illusionistische Malerei die Marmorkanzel.
Alljährlich am 8. Dezember trägt die Gemeinde ihre Marienstatue zur Église St-Jean-Baptiste. In der Sakristei zeigt ein Museum sakrale Kunst. Seine wertvollsten Schätze: eine Statue des hl. Erasmus aus dem 18. Jahrhundert und ein mit Miniaturen geschmücktes Messbuch aus dem 17. Jahrhundert.
Korsikas Schlaraffenland
Die Straße hinab führt direkt zum Markt. Was für ein Schlemmerparadies! Mit blau lackierten Fingernägeln ordnet eine ältere Dame im ihrem Korb längliche Stangen, orangerot bis rosa. „Boutargues“ verrät das Schild. Was das wohl ist?
„Das ist echter korsischer Kaviar. Es gibt nur noch wenige Fischer, die den Meeräschen den Rogen entnehmen – mein Mann ist einer von ihnen.“ Die Spezialität hat ihren Preis. 150 Euro. Kostproben gibt es da nicht.
Doch da hält schon der Herr vom Nachbarstand ein Holzbrett hin: „Goûtez –Bulagna, Coppa, Figatellu, Lonzu, Prisuttu…schmeckt Ihnen meine Charcuterie Corse?“ Oui, Monsieur, sehr lecker!
Wie auch der Schaf- und Ziegenkäse, den ihr probieren könnt auf diesem Schlemmermarkt von Bastia, die Konfitüre aus Currykraut, das kaltgepresste Olivenöl, der Honig der Macchia.
Und die Migliacciola, die Christian frisch bäckt. Allein ihr Duft verführt die Sinne. Und erst recht das überraschende Innere: Brocciu, korsischer Frischkäse.
Kreuz und quer durch die Terra Vecchia
Den Wochenmarkt von Bastia auf der Place de l’Hôtel de Ville überragen die Doppeltürme der Église Saint-Jean-Baptiste.
Seit dem 17. Jahrhundert bildet sie das Herz der Terra Vecchia, der Altstadt der Fischer und kleinen Leuten. Mit engen Gassen und steilen Treppen, hohen Häusern und kleinen Läden säumt sie den Hang über dem Porto Cardo, der heute als Jachthafen dient.
Am Kai ist einer der alten Schuppen der Fischer geöffnet. Netze, Muscheln und andere maritime Souvenirs schmücken seine geöffnete Tür, Pin-Up-Girls die Wände im Innern. „Komm rein auf ein Glas Wein“, sagt der Fischer.
Entschlossen nimmt er meine Hand und drückt mir einen Plastikbecher, voll gefüllt mit Rosé, in die Hand. Es ist zehn Uhr morgens. Ok, ein Anstandsschluck, aber dann: tschüs. Die Freunde des Fischers, die im Innern dicht gedrängt hocken, lachen.
Vom Porto Cordo zur Zitadelle
Weiter! Lauft an der Wasserkante hin zum Jardin Roumieu, der seit den 1870er-Jahren den alten Hafen mit der Zitadelle verbindet. Im Innern der befestigten Oberstadt hatten sich ab 1453 die Statthalter Genuas im sonnengelben Palais des Gouverneurs verschanzt. Heute findet ihr hier das Stadtmuseum.
Unterhalb der Zitadelle hat der österreichische Architekt Dietmar Feichtinger eine atemberaubende Brücke im Dezember 2020 fertiggestellt. Aldilonda heißt die fünf Meter über dem Meeresspiegel gelegene Promenade, was im Korsischen so viel bedeutet wie „über den Wellen“. Erstmals könnte ihr nun die gesamte Felsküste unter der Festung entdecken.
Land und Meer durchdringen sich auf dem Steg. Durch den Gitterrost blickt ihr direkt auf das Meer. Bei hoher Brandung schlagen die Wellen durch den Rost. Das bremst die Kraft des Wassers und verhindert eine weitere Erosion der Felsen.
Gänsehaut im Gotteshaus
Lasst euch durch das Gewirr der Gassen bei der Zitadelle treiben. Dann kommt auch ihr bestimmt zur kleinen, reicgeschmückten Rokoko-Kapelle Sainte-Croix. Von draußen sind Männerstimmen zu hören.
Die eine Hand an das Ohr gelegt, stehen sie vor dem Altar und singen. Polyphone Lieder a cappella, ohne Instrumente. Alte, fremdartige Melodien, deren Sprache ich nicht verstehe. Die Männer singen eine Paghjella. Seit 2016 gehört sie zum Weltkulturerbe.
Der typisch korsische Männergesang setzt sich aus drei Stimmlagen zusammen – u bassu, a segonda und a terza, die auf tradierten Formen immer wieder improvisiert werden.Dann machen sie Pause, und einer der drei Männer kommt auch mich zu: „Gefällt es Ihnen? Wir proben für eine Beerdigung.“ Wir, erzählt er, sind Voce.
Eine halbe Stunde höre ich ihnen zu. Dann schlagen die Glocken, ist es zwölf Uhr. Die Sänger verlassen die Kirche, die Stadt leert sich, die Restaurants füllen sich.
Andys Meeresküche
Im A Casarella wird die erste Flasche Wein geöffnet, ein Roter von Saparale. „Wir haben nur korsische Tropfen“, sagt der Patron stolz, krempelt das Hemd auf, zeigt seine tätowierten Unterarme und geht zurück, hin zum Arbeitstisch unter freiem Himmel.
Mitten in der Gasse schnippelt Andy Caravel Champignons. Den Fisch hat er selbst morgens frisch gefangen.
“ Le bonheur n’est pas une destination, mais une façon de voyager „.
Glück ist kein Ziel, sondern eine Art zu reisen
Wie recht die Postkarte hat, die eingerahmt an der Wand des Restaurants hängt.
Bastia: meine Reisetipps
Hinkommen
Flug
Der Flughafen von Bastia wird ganzjährig von Air France und ihrer Regionallinie sowie der korsischen Fluggesellschaft Air Corsica und dem Billigflieger Volotea angeflogen. In der Saison bedienen u.a. auch Eurowings und Lufthansa den Flughafen Poretta 20 km südlich von Bastia.
Fähre
Von Toulon, Nizza, Livorno und Savona schippert Corsica Ferries nach Bastia.
Schlemmen & genießen
Le Palais des Glaces
Ein wenig retro mit Holzvertäfelung und Spiegeln im Innern, schöne Terrasse auf dem Platz – das Eis ist hausgemacht, Croissants und Kuchen liefert ein befreundeter Bäcker.
• Place Saint-Nicolas, gegenüber vom Kiosk, Tel. 04 95 31 05 01, www.lepalaisdesglaces.com
Posta Vecchia
A Casarella
Das Terrassen-Restaurant von Andy Caravel gehört zu den Adressen in der Zitadelle, die auch Einheimische aufsuchen. Die Küche ist frisch, Fisch und Meeresfrüchte prägen die Karte. Aufmerksamer Service.
• 6, rue Saint-Michel, La Citadelle, 20200 Bastia, Tel. 04 95 32 02 32, www.instagram.com/a_casarella_bastia
L.N. Mattei
Das Stammhaus des korsischen Aperitif-Spezialisten ist schon wegen seiner Inneneinrichtung einen Besuch wert. Cap Corse ist der Klassiker des Hauses.
• 5, boulevard du Général de Gaulle, 20200 Bastia, Tel. 04 95 32 44 38, www.capcorsemattei.com
Sonnabends und sonntags verwandelt sich der Rathausplatz in einen Wochenmarkt für Bio- und Traditionsprodukte, jeden zweiten Freitag werden von 8 – 12 Uhr Textilien verkauft. Alle Markttermine: www.bastia-tourisme.com
Wochenmarkt
Schlafen
Best Western Montecristo Bastia
Das Neubauviertel hat keinen Charme, das Hotel aber Parkplätze – eine Rarität in Bastia! Die 71 komfortablen Zimmer sind geräumig, der Pool bietet Erholung nach dem Sightseeing. Wer früh heim fliegt, bekommt auf jeden Fall zu jeder Stunde einen Kaffee, Frühstück gibt es ab sechs.
• Avenue Jean Zuccarelli, 20200 Bastia, Tel. 04 95 55 05 10, https://bastia.corsica-hotels.fr
Grundsolide Zimmer 500 Meter vom Hafen an der Küstenstraße, die teuren Komfortzimmer haben Meerblick.
• Quai des Martyrs de la Libération, 20200 Bastia, Tel. 04 95 32 32 38, www.postavecchia-bastia.com
Noch mehr Betten*
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Im Blog
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Im Buch
Jenny Hoch: Gebrauchsanweisung für Korsika*
33 Sommer hatte Jenny Hoch auf der Insel verbracht. Doch erst, seitdem sie quasi hier lebt, wird sie langsam von den Einheimischen ins Herz geschlossen und integriert, erzählt die Journalistin und Buchautorin, die heute mit ihrer Familie die Tradition ihrer Eltern fortsetzt. Seit sie vier Jahre alt war, sei sie jedes Jahr auf Korsika gewesen, als Kind, als Teenager, als Erwachsene. Immer am selben Ort, immer glücklich, gerade dort zu sein. „Ich weiß, wo am Strand der Rutschfelsen ist, wie die Wellen sich brechen”, erzählte sich bei einer Lesung im Feriendorf zum Störrischen Esel.
Ihre persönlichen Erfahrungen machen den Reiz dieses Bandes der insgesamt sehr zu empfehlenden Taschenbuchreihe im Piper-Verlag aus. Jenny Hoch hat sie hintergründig wie humorvoll zu Papier gebracht. Dazu noch ein paar Daten und Fakten: ein perfekter Einstieg, um sich mit der Insel zu beschäftigen. Besser kann keine Reiseplanung beginnen! Wer mag, kann das Werk hier* online bestellen.
Zum Träumen: Das Haus auf Korsika*
Mit wenig Geld und Aufwand hat Pierre Duculot 2011 einen meiner Lieblingsfilme gedreht, die Geschichte eines Ausbruchs, Sich-Finden, der Rückkehr zu den Wurzeln. Und eine Geschichte des Mutes. Ausgelöst durch die Erbschaft eines Hauses, das Christina erbt.
Die Hauptfigur, fast 30, lebt seit zehn Jahren mit ihrem Freund zusammen, jobbt in der Pizzeria ihres Schwiegervaters, überlebt im belgischen Charleroi. Ein eigenes Leben nach ihren Vorstellungen? Das ist ein Luxus, den sie sich nicht leisten kann. Und mit der Erbschaft doch wagt. Sie macht auf den Weg in den Süden. Und verliebt sich – in die geerbte Bruchbude, die Insel, einen neuen Mann. Wer mag, kann den Film hier* online bestellen.
Marcus X. Schmid: Korsika*
Der freie Reisejournalist Marcus X. Schmid hat für alle, die gerne auf eigene Faust unterwegs sind, den besten Reisebegleiter verfasst: sachlich, mit viel Hintergrund, Insiderwissen und Tipps, und doch mitunter sehr unterhaltsam und humorvoll.
Ich kann seinen Führer aus ganzem Herzen empfehlen – er hat mich auf allen Erkundigungen nie im Stich gelassen und mir oft schöne, neue, unbekannte und überraschende Ecken gezeigt.
Der gebürtige Schweizer, Jahrgang 1950, hat in Basel, Erlangen und im damaligen Westberlin Germanistik, Komparatistik und Politologie studiert und lebt heute als Autor und Übersetzer in der französischsprachigen Schweiz. Ebenfalls im Michael-Müller-Verlag sind von Schmid die Reiseführer „Bretagne“ und „Südfrankreich“ erschienen sowie Führer zu italienischen Destinationen. Wer mag, kann den Reiseführer hier* online bestellen.
Hilke Maunder: Baedeker „Korsika“*
Mit blau lackierten Fingernägeln ordnet Madame auf dem Markt von Bastia in einem Bastkorb längliche Stangen. „Boutargues“, verrät das Schild. „Das ist echter korsischer Kaviar. Nur noch wenige Fischer entnehmen den Meeräschen den Rogen. Mein Mann ist einer davon.“ Die Rarität hat ihren Preis: 150 Euro das Kilo.
Der Nachbar-Händler sieht das erstaunte Gesicht und hält ein Holzbrett hin: “ Goûtez !“ Lasst euch mit meinem Baedeker Korsika* an Orte wie diesen (ver)führen. Genussmomente und einzigartige Erlebnisse: Sie machen den Band besonders. Wer mag, kann ihn hier* direkt bestellen.
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Blick auf die Terra Vecchia von Bastia mit dem alten Hafen. Foto: Hilke Maunder