Die Austernhändler am Hafen von Cancale öffnen die Austern für euch - perfekt für ein Picknick am Kai! Foto: Hilke Maunder
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Cancale: Wo Austern kein Luxus sind

Es ist Abend und marée basse, Ebbe, in Cancale. Der Atlantik hat sich bis an den Horizont zurückgezogen und einen Teppich aus kniehohen Holzgestellen freigelegt, in denen grob gewebte Säcke hängen. In dem Seebad und Fischereihafen am östlichen Ende der Smaragdküste, wurde die ostréiculture erfunden, die aufwändige Zucht der Austern im Wechsel der Gezeiten.

Cancale: vom König geliebt

Bereits im Mittelalter war die Auster das tägliche Brot der Cancaleser. 1545 verlieh ihnen Franz I. aus Begeisterung für die Meeresfrucht Stadtrechte.

Als Kühlhaus für alle Austern, die nicht sofort verzehrt oder versandt werden konnten, diente ein mit Meerwasser gefülltes Schiff. Vom 18. Jahrhundert an wurden die Austern in Essig konserviert und mehrfach pro Woche an den Hof nach Versailles geschickt.

Frisch vom Austernstand sind die berühmten Austern ein günstiger Genuss. Foto: Hilke Maunder
Frisch vom Austernstand sind die berühmten Austern ein günstiger Genuss. Foto: Hilke Maunder

Die R-Regel

Die hemmungslose Ausbeute der Austernbänke führte 1766 zu ersten Einschränkungen. Um ihre Ausrottung zu verhindern, wurde der Exporthandel mit Austern in den Monaten Mai bis August verboten – so entstand das Sprichwort, sollte man in den Monaten ohne „R“ keine Austern verzehren.

Die royale Kontrolle des Austernfangs konnte indes den Untergang nicht aufhalten: Mitte des 19. Jahrhunderts waren die natürlichen Vorkommen der Cancaleser Flachauster fast erschöpft.

Plat oder creuse?

Ab 1858 wurden erste Versuche unternommen, importierte Felsenaustern aus Japan und Portugal zu züchten. Die Erfolge sorgten für einen erneuten Aufschwung. 1994 wurde Cancale wegen seiner Austern zum Sîte remarquable du goût, zum Ort des außergewöhnlichen Geschmacks, ernannt.

Heute stellt die jährliche Ernte von fünftausend Tonnen huîtres creuses (Felsenaustern) und eintausend Tonnen huîtres plats (Flachaustern) ein Viertel der Gesamtproduktion Frankreichs.

An der Pier von Cancale sind noch die Kutter vertäut. Foto: Hilke Maunder
An der Pier von Cancale sind die Kutter vertäut. Foto: Hilke Maunder

Austern für alle

In Cancale sind Austern kein Luxus. Die frischesten Austern findet ihr an den Holzbuden am Hafen, gekonnt geknackt zum sofortigen Verzehr. Einige Spitzer Zitrone, ein frisches Baguette, Butter und Wein – hockt euch wie die Besucher auf Stiegen, Pollern, Bänken und genießt die topfrischen Meeresfrüchte. Und die Schale? Die wirft man hier achtlos über die Brandungsmauer zurück ans Meer.

Ungleich stilvoller ist ein Abendessen bei Olivier Roellinger: Was der Sternekoch aus Austern, fangfrischen Fischen und Gewürzen komponiert, ist unvergesslich. Genauso wie die fangfrischen Austern, die Emmanuel Tessier bei seiner Cuisine Corsaire auf hoher See serviert.

Cuisine Corsaire: Emmanuel Tessier. Foto: Hilke Maunder
Küchenchef Emmanuel Tessier. Foto: Hilke Maunder

Der feine Unterschied

Durch das Jahrhundertealte, vom Vater auf den Sohn vererbte Wissen der Austernfischer und die Küste sind in den Terroirs der Bretagne zwölf Grands crus entstanden: Cancale, Paimpol, Rivières de Tréguier, Morlaix-Penzé‚ Nacre des Abers, Rade de Brest, L’Aven-Belon, Rivière d’Etel, Quibéron, Golfe du Morbihan, Penerf und Croisicaise.

Jede dieser Austernarten hat ihren ganz eigenen Geschmack. Die Auster ist mal mehr oder weniger fleischig, schmeckt leicht nach Algen oder Haselnuss – und ist stets ein Powerpack mit viel Vitaminen und Mineralien bei wenig Kalorien.

Von der Pier von Cancale habt ihr einen wunderschönen Blick auf den Ort und seinen kleinen Stadtstrand. Foto: Hilke Maunder
Von der Pier von Cancale habt ihr einen wunderschönen Blick auf den Ort und seinen kleinen Stadtstrand. Foto: Hilke Maunder

Cancale: meine Reisetipps

Cancale besteht aus der Bourg der Landratten und Kaufleute und der malerischen Unterstadt der Fischer und Austernzüchter Port de la Houle. Die Straße Val du Badet verbindet beide Stadtviertel.

Ansehen

Wissenswertes rund um die Geschichte und Zucht der Auster zeigt La Ferme Marine ›Aurore‹.
Route de la Corniche, www.ferme-marine.com/de

Seefahrerromantik kommt auf bei Fahrten auf der Cancalaise auf, einem der letzten Segler vom Typ der Bisquines. Emmanuel Tessier serviert bei seinen Törns köstliche Korsarenküche – und gibt Koch-Kurse.

Das Musée des Arts et Traditions populaire (Place Saint-Méen) erinnert an die berühmteste Bürgerin von Cancale: Jeanne Jugan (1792 – 1879), selig gesprochene Gründerin des Ordens Les Petites Soeurs des Pauvres.

Den schönsten Ausblick auf die Stadt, das Meer und die 40 Kirchtürme der Umgebung bietet der 37 Meter hohe Turm der Stadtkirche Stain-Méen aus dem 18. Jahrhundert.

Strände

Die Bucht von Port-Mer in Cancale. Foto: Hilke Maunder
Die Bucht von Port-Mer in Cancale. Foto: Hilke Maunder

Acht Strände säumen die Küste von Cancale. Als Badestrände beliebt sind besonders die Plage Port-Mer und die Plage Le Verger. Steilküste und feinsten Sand vereint die versteckte Plage du Saussaye.

Schlafen & schlemmen

Sternekoch Oliver Roellinger hat mit seiner Familie ein wahres Genussreich aufgebaut: die Maisons de Bricourt. Zu ihnen gehört auch Les Rimains, ein idyllisches Landhäuschen, https://www.maisons-de-bricourt.com/fr/page/les-rimains aus den 1930-er Jahren in einem Garten über dem Meer.
• 62, Rue des Rimains, Tel. 02 99 89 64 76, www.maisons-de-bricourt.com/fr/page/les-rimains

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Wunderschön: der Sonnenaufgang über der Bucht von Cancale. Foto: Hilke Maunder
Wunderschön: der Sonnenaufgang über der Bucht von Cancale. Foto: Hilke Maunder

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Ein Kommentar

  1. Ist es nicht so, dass es in den Monaten ohne „r“ zu warm ist für Austernverspeisung und man sich an umgekommenen Austern vergiften könnte? So habe ich es jedenfalls im dänischen Wattenmeer erfahren, wo die Tiere umsonst und draußen einzusammeln sind. Aber natürlich erst seit ein paar Jahren, nachdem welche aus der Sylter Austernzucht ausgebüxt sind.

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