
Mehr als 300 km Küste säumen die Halbinsel des Cotentin. Ihr Name erinnert an Kaiser Konstantin, der von Trier aus zu Beginn des 4. Jahrhundert über Gallien herrschte.

Weitaus mehr über den Charakter der weit in den Ärmelkanal ragende Spitze verrät ihr Beiname: normannisches Finis Terrae.

Zerklüftete Felskaps fallen steil ins Meer. Mehr als 14 Meter erreicht der Tidenhub der Gezeiten.

An der äußersten Nordspitze des westlichsten Départements der Normandie verwandelt die Meeresströmung Raz Blanchard selbst bei Windstille das Meer in eine tosende See.

“Europas Kap Hoorn” heißt das Cap de la Hague unter Seefahrern daher auch bis heute.

Fruits de Mer und frische Brise
Der Fischerort Saint-Vaast-la-Hougue zieht nicht nur Wassersport- und Jachtfreunde an, sondern auch Gourmets.

Direkt an der Marktstraße gleicht der Tante-Emma-Laden der Épicerie Gosselin einem Schlaraffenland: Suppen, Soßen, Pasteten, Marmeladen, Weine, Spirituosen und selten Spezialitäten, seit 1889 aus aller Welt importiert.

Heute stehen Hédiard und Françoise in vierter Generation im Geschäft und verwöhnen mit Köstlichkeiten für Leib und Seele.

Ein Muss ist auch eine Fruits de Mer-Platte mit Miesmuscheln (moules), Wellhornschnecken (bulots), Strandschnecken (bigorneaux), Jakobsmuscheln (coquilles Saint-Jacques), Venusmuscheln (palourdes), Garnelen und einem Krebs oder Hummer als Krönung.

Und natürlich Austern (huîtres). Sie werden hier in riesigen Austernparks gezüchtet. In diesen durch Gitter geschützten Parzellen in der Gezeitenzone legen die Ostréiculteurs ihre Austernlarven in Drahtkästen oder Plastiknetzen rund 50 cm über dem Meeresboden aus.

Dort wachsen sie heran, werden, immer wieder umgesetzt und wandern schließlich zur Schlussmast in ein weniger salzhaltiges, dafür aber planktonreiches Klärbecken, bis sie die gewünschte Größe und Reife erreicht haben.

Nach der Ernte werden die Austern in bourriches, längliche Holzkisten, verpackt. Wie sie geerntet werden, könnt ihr vom Amphibienfahrzeug sehen, das bei Ebbe zur Insel Tatihou fährt.

Das kleine Eiland ist seit 1992 ein Ökomuseum, in dem Schüler während der Ferien Naturwochen verbringen und im Insellabor untersuchen, was sie bei Ebbe gesammelt haben.
Auf der Insel versteckt sich auch der Jardin Maritime. Hin zum Meeresgarten geht es stilecht in einem Amphibienfahrzeug.

Das malerische Barfleur an der Nordostspitze des Cotentin gehört zu den schönsten Dörfern Frankreichs.
Im Hafen werden nicht nur Austern, sonder auch säckeweise Miesmuscheln vom Kutter geladen.

Kostet die Meeresfrüchte fangfrisch in den Lokalen am Hafen! Direkt am Aufgang zur Mole erhebt sich die Pfarrkirche Saint-Nicolas aus grauem Granit.

Drinnen besitzt sie noch einen Lettner, wie er typisch für bretonische Gotteshäuser ist. Direkt am Kirchhof liegt auch der kleine Friedhof mit Blick über das Meer.

Besonders stolz ist Barfleur bis heute darauf, einst Lieblingshafen der anglo-normannischen Könige gewesen zu sein.

Ob Wilhelm der Eroberer tatsächlich, wie ein Gedenkstein in den Wellen verkündet, on Barfleur nach England im Jahr 1066 aufgebrochen ist, ist unter Historikern mehr als umstritten.

Renaissance der Bocage
Im Hinterland der normannischen Küste schützen auf Wällen angelegte Hecken, ähnlich den norddeutschen Knicks, die Felder, Wiesen und Weiden vor den Widrigkeiten von Wind und Wetter.

Die bocage war jahrhundertelang typisch für die normannische Landschaft. Sie wurde im 20. Jahrhundert im Zuge der Flurbereinigung vielerorts abgeholzt, um große, durchgehend zu bearbeitende Flächen für die Landwirtschaft zu schaffen.

Seit einigen Jahren jedoch hat ein Umdenken und eine Abkehr von diesem Irrweg eingesetzt.
Staatliche Programme unterstützen heute die Renaturierung und Erweiterung der Heckenlandschaft. Denn längst hat sie auch ihren ökonomischen Nutzen bewiesen.

Sie schützt dieBöden vor Erosion und bietet vielen Tieren Schutz. Wer mehr wissen will: In Saint-Lô eröffnete 2004 das Musée du Bocage Normand!

Ganz besondere Gärten
Hoch über der Steilküste von Granville thront der Garten der Familie Dior. Der Dichter Jacques Prévert schuf sich sein grünes Idyll in Saint-Germain-des-Vaux bei Cherbourg.
Der Jardin d’Elle nördlich von St-Lô vereint mehrere Einzelgärten in einem Labyrinth. Ganz exotisch gibt sich der nördlichste Zipfel der Halbinsel Cotentin.
Dort gedeihen Pflanzen, die ihre Wurzeln sonst eher in warmer afrikanischer oder australischer Erde ausbreiten. Palmenhaine vermitteln Karibik-Feeling. Der Park um das Château de Vauville ist das beste Beispiel dafür.
Vor fast 60 Jahren wurde sein Tropengarten angelegt, der sich mittlerweile auf über 40.000 qm ausbreitet. Mehr als 700 exotische Spezies, wie Eukalyptus, Bambus und Aloe Vera, gedeihen dort im warmen Klima des Golfstroms.
Let’s swing unter Sternen

Größte Stadt des Cotentin ist Cherbourg, wo sich alles um den Hafen und die Schifffahrt dreht. Nicht verpassen solltet ihrt dort die Cité de la Mer. Und die Regenschirmmanufaktur der Parapluies de Cherbourg mit ihrer gläsernen Werkstatt (s. Reisetipps).
Eine Alternative für Kunstfreunde liegt 16 km westwärts: das Geburtshaus des Malers Jean-François Millet (1814 – 1875) in Gréville-Hague.
Laut und lebhaft geht es im Frühsommer in Coutances zu, der heimlichen Hauptstadt des Cotentin.
Alljährlich im Mai feiert das 15.000-Einwohner-Städtchen das einwöchige Festival Jazz sous les pommiers, das sich in den 20 Jahren seit Bestehen zu einem der bedeutendsten Jazz-Events in Frankreich entwickelt hat.
Zu den schillerndsten Figuren des Cotentin gehört der Schriftsteller Jules Amédée Barbey d’Aurevilly (1808 – 1889). Der aristokratische Dandy hegte eine besondere Schwäche für Valognes, das früher wegen seiner prunkvollen Stadtpalais etwas spöttisch auch das “Versailles der Normandie” genannt wurde.
Die Stadt der Pferde
Hauptstadt des Départements Manche, das den gesamten Cotentin umfasst, ist Saint-Lô am Ufer der Vire.
Bombenangriffe zerstörten die Stadt als “Schlüsselstellung der Deutschen” im Juni 1944 zu 95 Prozent. Capital of Ruins nannte sie Samuel Beckett in einer Reportage für die BBC damals.
Kriegsgefangene halfen beim Wiederaufbau. Durch die Bombardierung zerstört wurde damals auch ein mehr als 200 Jahre altes Gestüt.
Auf Basis der alten Baupläne erfolgte die Rekonstruktion so originalgetreu wie möglich.
Heute gilt der Haras de Saint-Lô als bedeutendstes Nationalgestüt Frankreichs. Seit 1806 wird hier das französische Reitpferd Selle Français gezüchtet.
Anglo-arabische Vollblüter, stämmige Percheron-Kaltblüter und Cob Normand, französische Kutschpferde, züchtet hingegen der Haras National du Pin bei Argentan. Es ist das zweite berühmte normannische Gestüt der insgesamt 23 staatlichen Gestüte Frankreichs.
Die Schluchten der Vire
Südlich von St-Lô durchfließt die Vire ausgedehnte Wälder und imposante Schluchten. Entlang der 30 km lange Route Gorges de la Vire treten die Granit- und Schieferplatten des Amorikanischen Massivs an den Hängen der erodierten Täler offen zutage.
Herrliche Aussichten auf die Flusslandschaft bieten sich bei Pont-Bellanger mit dem Aussichtspunkt Planches d’Avenel und vom 203 m hohen Croix Julien.
Wenig weiter säumen Weiden den Flusslauf. Vire ist nicht nur Heimat der Andouille de Vire, einer deftigen Räucherwurst aus Innereien vom Schwein, sondern als Zentrum der französischen Milchwirtschaft seit 1950 offiziell auch die ›Französische Hauptstadt der Butter‹.
Unter dem Markennamen Elle et Vire werden die Molkereiprodukte der Genossenschaft weltweit verkauft.
Ganz besondere Lämmer
Zur Heimat der berühmten Grevin-Lämmer führt von Vire aus eine voie verte. Die 90 km lange grüne Route für Wanderer, Reiter und Radfahrer leitet auf einem einstigen Gleisbett mitten durch die Natur zur weiten Bucht des Mont St-Michel leitet.
77 Pflanzenarten wachsen dort auf den salzigen, sandigen Böden und verleihen dem berühmten Agneau de Pré Salé seinen einzigartigen Geschmack.
Die Mutterschafe weiden mindestens 230 Tage in einem geografisch begrenzten Bereich, die Lämmer werden exakt nach 90 Tagen der Aufzucht geschlachtet.
Ihr zartes Fleisch lässt Feinschmecker im Manoir de la Roche Torin von Courtils schwärmen. Für daheim verkauft die Schlachterei Simon in Caen das delikate Salzwiesenlamm.

Cotentin: Meine Reisetipps
Erleben & entdecken
Cité de la Mer

Wo einst die Passagiere der „Queen Elizabeth“ und anderer Atlantikliner abgefertigt wurden, präsentiert die Cité de la Mer das Atom-U-Boot Le Redoutable, das Aquarium Abyssal und einen Spaziergang auf dem Meeresboden.
• Gare Maritime Transatlantique, Cherbourg, www.citedelamer.com

Musée Dior
In der Villa Les Rhumbs (19. Jh.) verbrachte Christian Dior (1905–1957) seine Jugend. Heute erinnert ein Museum an den Modeschöpfer.
• Rue d’Estouteville, Granville, www.musee-dior-granville.com
Haras National
1806 ließ Napoleon im Osten von Saint-Lô den Haras National anlegen. Seine Vollbluthengste stellen Pfleger in historischen Uniformen vor.
• Avenue du Maréchal Juin, Saint-Lô, www.haras-nationaux.fr
Sentiers des Douaniers
Von der Baie des Veys bei Isigny-sur-Mer bis zum Mont Saint-Michel umrundet der Fernwanderweg Grande Randonnée (GR) 223 den Cotentin.
Die Strecke folgt den alten Saumpfaden der Zöllner, die auf ihnen die Küste entlang patrouillierten, immer auf der Suche nach Schmugglern und anderen dunklen Gestalten.
Schlemmen
Le Panoramique
In 123 m kreiert Meisterkoch Arnaud Feron aus den besten Erzeugnisse von Land und Meer aussichtsreiche Hochgenüsse. Gleich nebenan und ebenfalls sehr aussichtsreich: das Kirchlein auf der Land-Klippe. Sowie das kleinste und schönste Rathaus Frankreichs, Sieger im concours national 2015!
• 1, village de l’église, La Pernelle, Tel. 02 33 54 13 79, www.le-panoramique.fr
Maison du Biscuit

Seit fünf Generationen fertigt die Keksfabrik ganz handwerklich köstliches Naschwer k und verkauft es ab Werk in einem Geschäft, das mit viele Liebe zum Detail einen nostalgischen Feinkosttempel nachinszeniert.

Denn die vermeintlichen alten Fassaden der Häuser sind allesamt nachgebaut, ebenso wie das wunderschön verwinkelte Interieur. In seinen Gänge und Kammern werden längst nicht mehr nur Kekse angeboten . Sondern auch beste regionale Feinkost von Konfitüren bis zur Konserserven mit Sardinen, Cidrehuhn oder anderen lokalen Spezialitäten.
• Le Hameau Costard, 50270 Sortosville-en-Beaumont, Tel. 02 33 04 09 04, www.maisondubiscuit.fr
Shopping
Schirme aus Cherbourg

1963 begeisterte Cathérine Deneuve als verliebte Geneviève Emery in Les parapluies de Cherbourg* die Kinogänger. Die Musikromanze von Jacques Demy verschaffte der französischen Diva den Durchbruch und machte Cherbourg in aller Welt bekannt.

Unter den Zuschauern war Jean-Pierre Yvon, der beschloss: Cherbourg, eine der regenreichsten Städte Frankreichs, sollte zum Markenzeichen für sturmsichere, erstklassige Regenschirme werden.

Noch heute wird Le Véritable Cherbourg vor Ort hergestellt – von den handgeformten Stöcken aus Ahornholz über das eingenähte Wappen bis hin zu den Verstrebungen aus Stahl.
• Le Véritable Cherbourg, 22, quai Alexandre III, Tel. 02 33 93 66 60, www.parapluiedecherbourg.com
Schlummern
Hôtel Chimène*
Sympathisches Stadthotel mit zehn frisch renovierten Zimmern (zwei davon sind Familienzimmer), zentraler Lage, aufmerksamen Mitarbeitern, leckerem Frühstück und vernünftigen Preisen.
• 131, rue du Val de Saire, 50100 Cherbourg, Tel. 02 33 43 12 23, www.hotel-chimene.com
La Ferme des Mares*
An der Westküste versteckt sich in einem ausgedehnten Park dieses ländliche Oase mit großen, komfortablen Zimmern, bester Regionalküche und Ruhe ringsum. Perfekt zum Ausspannen, Auftanken, Lesen, für Ausritte und lange Spaziergänge!
• 26, Rue des Mares, 50430 Saint-Germain-sur-Ay, Tel. 02 33 17 01 02, www.la-ferme-des-mares.com
Noch mehr Betten*
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