Blühender Flachs. Foto: Hilke Maunder
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Bei Flaubert: die Heimat der Madame Bovary

Im Hinterland der Seine wechseln die lichten Buchenwälder von Eu, Arques und Eawy mit weiten Flachsfeldern, die ein Drittel des französischen Leinenbedarfs liefern. Auf den Weiden grasen normannische Milchkühe mit dem typischen braunen Fleck am Auge.

Hier, im grünen Mosaik aus Feldern und Wäldern, liegt die Heimat von Madame Bovary*. Mit diesem Roman hat ihr geistiger Vater die Stimmungen und Landschaften der Normandie, und besonders des Pays de Caux, in die Welt getragen.

Vergiftet in Ry

In dem Roman, der 1856 für Furore sorgte, verarbeitet Flaubert die tragische Geschichte der Arztgattin Delphine Delamare, die sich im kleinen normannischen Dorf Ry vergiftete. Yonville-l’Abbaye heißt Ry im Roman.

42 Jahre lang – von 1977 bis 2019 – hatte Michel Burgaud dort in seinem Automatenmuseum mit mehr als 300 Figuren in mechanischen Schaubildern Szenen aus dem Roman nachgestellt. Mehr als eine Millionen Besucher erlebten es – bis Monsieur Burgaud, resigniert von Bauauflagen und der Bürokratie, sein privates Museum schloss.

Flaubert auf 1 Kilometer

Heute lädt in Ry ein Rundgang von einem Kilometer Länge zu einer literarischen Träumerei an den Orten ein, an denen die Figuren des Romans in der Fiktion lebten – von Bovarys Haus über das Arbeitszimmer von Meister Guillaumin bis zur Apotheke Homais.

Jede der zehn Tafeln des Rundgangs, die mit QR-Codes ausgestattet sind, lädt ein, die wichtigsten Stätten des Dorfes und des Werks zwischen Roman und Realität entdecken. Alle Infos dazu findet ihr in diesem Faltblatt. Achtung: Dort aufgeführt ist noch das Automatenmuseum, das seit Ende 2019 geschlossen ist.

Typisch für die vache normande, die Milchkuh der NOrmandie, sind die rotbraunen Augenringe. Foto: Hilke Maunder

Flaubert auf 12 Kilometern

In Vassonville beginnt eine Rundwanderung, bei der ihr sogar akustisch in das Universum von Gustave Flaubert  und Madame Bovary eintauchen könnt. Folgt dazu der Grande Randonnée GR 210 auf deren Teilstück L’Arbalète et le Bosmelet.

Sie leitet euch durch die Vallée de la Scie mit ihren ländlichen Landschaften und Buchenwälder. Unterwegs kommt ihr an sechs Infotafeln zum Dichter und seinem Werk vorbei. Doch das Beste: Ihr könnt ihr euch fünf Passagen aus dem ersten Teil des Romans Madame Bovary vorlesen lassen, die diese Region widerspiegeln.

Lesestücke für Wanderer

Die Lesestücke, aufgenommen von Le Lire et le Dire, könnt ihr kostenlos als MP3-Datei hier herunterladen. Macht es vor der Wanderung. Dann könnt ihr die Beiträge offline hören! Auch für alle, die nicht wandern, sind die Textpassagen ein Hörgenuss!

Unterwegs kommt ihr zum Moulin de l’Arbalète. Die Wassermühle des kleinen normannischen Dörfchens Saint-Maclou de Folleville ist bis heute in Betrieb und kann besichtigt werden. In der angeschlossenen Bäckerei verkauft Thibaut Georges vom Mühlenverein Brioches und Baguette, Galette und Brote wie das Pain Patrimonial, die er aus dem Mehl der Mühle gebacken hat. Der Gewinn wandert in den Erhalt der alten Mühle.

Die Rakete im Park

Nicht verpassen solltet ihr auch das Château de Bosmelet. Der frühbarocke Landsitz im Louis-Treize-Stil ist bis heute im Privatbesitz und wird von der Familie bewohnt. An ausgewählten Terminen öffnet sie die Türen zu ihrem Herrenhaus. 1940 besetzte die deutsche Wehrmacht den Backsteinbau und installierte im Schlosspark eine Rampe zum Abschuss von V1-Raketen. Ihre Betonplatten könnt ihr bis heute sehen.

Flaubert auf 66 Kilometern

Der Circuit Bovary führt euch als 66 Kilometer lange touristische Rundroute zu weiteren Orten und Landschaften, die als Kulisse für Gustave Flauberts Roman „Madame Bovary“ gedient haben. Er bringt euch zunächst ins grüne Tal des Crevon, wo in Blainville-Crévon seit 1967 Freiwillige die Ruinen einer befestigten Stadt mit 1000-jähriger Geschichte freilegen, schützen und neu beleben.

Nach rund 19 Kilometer auf der Route erreicht ihr Buchy mit seinen beiden Markthallen, die das heutige Rathaus umgeben. Nach 25 Kilometern ist die Domaine Bois-Héroult erreicht. Zum Anwesen gehört neben Schloss, Taubenhof, Pfarrhof ein repräsentativer Garten, die Le Turquier de Longchamp (1748-1829) im französischen Stil anlegte.

Bereits nach weiteren fünf Kilometern folgt das nächste Schloss: das Château Bois-Guilbert. Sein sieben Hektar großer Park ist eine Hymne an die Natur und die Skulptur. Der Landschaftsbildhauer Jean-Marc de Pas hat auf dem Grundstück seiner Kindheit, das seit fast 400 Jahren der Familie gehört, einen riesigen Raum der Poesie geschaffen.  70 seiner Werke säumen dort die Promenade.

Rouen: Fachwerk aus dem Mittelalter bei der gotischen Kirche Saint-Macloui. Foto: Hilke Maunder
Rouen: Fachwerk aus dem Mittelalter bei der gotischen Kirche Saint-Macloui. Foto: Hilke Maunder

Gustave Flaubert und Rouen

Gustave Flaubert wurde 1821 in Rouen geboren. Bis heute zählt der Normanne zu den bedeutendsten Schriftstellern Frankreichs. Das Geburtshaus von Flaubert in der Rue de Lecat war einst als Hôtel-Dieu ein Krankenhaus. Daher  ist die maison natale heute ein ungewöhnlicher Museums-Zwitter. Er erklärt sich dadurch, dass Flauberts Vater als Chirurg tätig war.

Das Musée Flaubert et d’histoire de la médecine erinnert  als eines der rund 250 Maisons des Illustres im Land an den Dichter Flaubert, den im Garten seit 1982 ein Hochrelief von Henri-Michel-Antoine Chapu ehrt.

Als Musée de France entführt es in die Frühzeit der Medizin. Zu seinen Kuriositäten gehört eine von Angélique du Coudray entworfene Schaufensterpuppe, die im 18. Jahrhundert für Geburtsvorführungen verwendet wurde.

Nicht weniger erstaunlich ist das Bett für sechs Personen. Die Patienten lagen gemeinsam darin! Dort ausgestellt sind schließlich auch die mumifizierten Köpfe von Laumonier de Bordier und Jourdain –  Aufwiegler, die 1789 in Rouen gehängt wurden.

Im ersten Stock befindet sich das Zimmer des Vaters, Achille Cléophas Flaubert, Chefarzt des städtischen Krankenhauses und Chirurg. Genau dort war Flaubert am 12. Dezember 1821 zur Welt gekommen.

Rouen: die Zugbrücke Pont Gustave Flaubert. Foto: Hilke Maunder
Die Hubbrücke Pont Gustave Flaubert. Foto: Hilke Maunder

Flaubert begegnet euch heute in Rouen besonders bei spektakulären Bauten. So trägt auch die Hubbrücke, die 2008 eröffnet wurde, den Namen von Gustave Flaubert. Den Namen Flaubert schließlich trägt auch ein neues Öko-Viertel, das derzeit auf dem linken Ufer der Seine auf einem ehemaligen Bahngelände auf 90 Hektar entsteht.

Das linke Ufer der Seine in Rouen. Foto: Hilke Maunder
Das neue Seine-Ufer des Quartier Flaubert. Foto: Hilke Maunder
Rouen: Hafenkran und Hangar 106. Foto: Hilke Maunder
De Hafenanlagen am Südufer der Seine wurden im Zuge der Stadtentwicklung für das Quartier Flaubert saniert und werden seitdem kreativ neu genutzt. Foto: Hilke Maunder
Rouen: Hôtel de la Métropole. Foto: Hilke Maunder
Rouen: Hôtel de la Métropole. Foto: Hilke Maunder
Rouen: Hôtel de la Métropole. Foto: Hilke Maunder
Rouen: Das Hôtel de la Métropole im Quartier Flaubert. Foto: Hilke Maunder

Flaubert in Paris

Seine gesamte Kindheit und Jugend verbrachte Flaubert in Rouen. Mit 19 Jahren – 1840 – ging er nach Paris. Während seines Jura-Studiums in der Hauptstadt machte Flaubert die Bekanntschaft mit Victor Hugo. Mehr zum französischen Nationaldichter erfahrt ihr in diesem Beitrag.

Auch später hatte Flaubert, wie viele Franzosen noch heute, ein Standbein in der Hauptstadt und verbrachte dort mehrere Monate  im Jahr.

1855-1869: 42, boulevard du Temple
1869-1875: 4, rue Murillo
1875-1879: 240, rue du Faubourg-Saint-Honoré

Der weite, breite Strand von Trouville. Foto: Hilke Maunder
Der weite, breite Strand von Trouville. Foto: Hilke Maunder

Flaubert und Trouville

In Trouville lernte Flaubert den Schmerz der Liebe kennen. 1836 – mit 15 Jahren und mitten in der Pubertät – hatte sich der spätere Romancier in die elf Jahre ältere Élisa Foucault unsterblich verliebt. Seine Liebe war einseitig. Élisa heirate 1840 den deutschen Musikverleger Maurice Schlesinger.

Doch die Erfahrung prägt sein schriftstellerischen Schaffens. In Mémoires d’un fou* dient Élisa als Vorbild für die Hauptfigur Maria, in seinem Roman L’Éducation sentimentale* als Inspiration für die Figur der Marie Arnoux.

Seine-Comtesse-Törn: Die Seine zwischen Orival und Rouen am frühen Abend. Foto: Hilke Maunder
Die Seine zwischen Orival und Rouen am frühen Abend. Foto: Hilke Maunder

Flaubert und Croisset

1843 verkaufte der Vater von Flaubert das Ferienhaus der Familie in Déville-les-Rouen an der Route de Dieppe 22, da der Bau der Eisenbahnlinie von Paris nach Le Havre das Gebäude bedrohte. Seit 2005 erhebt sich am Standort der einstigen Familienvilla de Wohnanlage Les Terrasses de Flaubert.

Als Alternative erwarb Flauberts Vater im folgenden Jahr ein Anwesen in Croisset, einem Ortsteil von Canteleu am Unterlauf der Seine. Von 1844 bis zu seinem Tod im Jahr 1880 lebte Gustave Flaubert dort – und schrieb dort sein gesamtes Werk.

Es sind Jahre der Abschiede und der Trauer. Erst sein Vater, dann seine geliebte Schwester Caroline starben dort 1846, seine Mutter folgte 1872. Gustave blieb zurück mit seiner Nichte Caroline und seiner Hausdame, die ihn umsorgte.

Doch ein einsamer Einsiedler war Flaubert nicht in Croisset. Illustre Gäste wie George Sand oder Emile Zola besuchten ihn in Le Croisset. Über sich und sein Sein dort sagte der Dichter gerne:

„Ich hänge an Croisset wie eine Auster an ihrem Felsen.“

Die Schreibstube an der Seine

Im Pavillon von Canteleu schrieb Flaubert Weltliteratur mit Blick auf die Seine, ehe er dort am 8. Mai 1880 verstarb.  Heute birgt der Bau ein kleines Museum, das Gustave Flaubert gewidmet ist.

Es zeigt Gänsefedern und Tintenfässer, mit denen Flaubert seine Werke verfasste. Ebenfalls ausgestellt ist der berühmte Buddha  aus seinem Arbeitszimmer im ersten Stock des Hauses, das heute verschwunden ist. Porträts und Zeichnungen sowie Stiche und Ansichten des damaligen Croisset vervollständigen die kleine, feine Sammlung am Quai Gustave Flaubert 18 von Canteleu.

Die Markthalle von Lyons-la-Forêt. Foto: Hilke Maunder
Die Markthalle von Lyons-la-Forêt. Foto: Hilke Maunder

Flaubert und Lyons-la-Forêt

Mit seinen Fachwerkhäusern, der Markthalle aus dem 13. Jahrhundert und dem Buchenwald ringsum wirkt Lyons-la-Forêt wie lebendes Genrebild der Normandie und völlig der heutigen Zeit entrückt. Wen wundert es da, dass gleich zwei berühmte Regisseure den Ort wählen, um Madame Bovary zu verfilmen.

1933 war Jean Renoir der erste, der in dieses Dorf kam und den Roman verfilmte. Fast sechs Jahrzehnte später kam Claude Chabrol und brachte Isabelle Huppert, Jean-François Balmer, Christophe Malavoix und Jean Yanne in Lyons an den Set.

Als Komparsen nahm Chabrol 300 Einheimische, die während der dreimonatigen Dreharbeiten im Jahr 1991 für  Lokalkolorit im Film sorgten. Gedreht wurde nicht nur direkt im Dorf, sondern auch auf der Wiese der Ferme Saint-Paul und am dem Bauernhof. Auf Szenen des Hochzeitsfests entstanden auf dem Hof von La Croix in Beauvoir-en-Lyons. Lyons-la-Forêt ist bis heute ein Bilderbuchdorf. Hier habe ich es euch im Blog vorgestellt.

In dieser Straße lebte einst Maurice Ravel. Foto: Hilke Maunder

Flauberts Vorbild

Flauberts geistiger Ziehsohn war Guy de Maupassant (1850 – 1893), der mit einem Hauch von Melancholie in Werken wie Gil Blas und Pierre et Jean den herben Landstrich des Pays de Caux beschreibt.

Geboren wurde der Dichter auf dem mittelalterlichen Schloss Mirosmesnil, das sich in einem weitläufigen Park mit uralten Zedern und Buchen erhebt. Hinter dem Château versteckt sich ein gärtnerisches Kleinod: ein potager nach Vorbild des Küchengartens vom Sonnenkönig Ludwig XIV.

Gras und Blumen umgeben die vier Gemüse-Carrés. Endivien, Lauch, Kürbis und Kohl wachsen dort. Sie sind bestimmt für die Tafel des Grafen Thierry de Vogüé, der hier mit seinen beiden Schwestern wohnt.

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2 Kommentare

  1. Hach! Das klingt alles einfach zauberhaft! Deine Seite ist wunderbar und wird unsere Wohnwagentour durch Normandie und Bretagne sicher unglaublich bereichern. MERCI!

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