Abbaye de Jumièges: schönste Ruine von Frankreich
Außergewöhnlich stark haben die Abteien die Geschichte der Normandie geprägt – als Horte der Kultur und des Wissens, aber auch als Zentren der Macht. Bis ins 5. Jahrhundert reichen die ersten Klostergründungen zurück.
Ihre Blütezeit erlebten sie unter den normannischen Herzögen im 11./12. Jahrhundert, als die Normandie der reichste und mächtigste Staat Europas war. Später sorgte die Gunst und Großzügigkeit der französischen Könige für Meisterwerke, bis Religionskriege, Revolutionen und Säkularisierungen die Blüte der Abteien beendeten.
Juwel an der Abteien-Straße
Von den 120 Abteilen der Glanzzeit sind heute noch 84 vorhanden. Einige sind, wie Bec-Hellouin, noch spirituelle Zentren. Andere sind heute grandiose Ruinen. Dazu gehören besonders Hambye und Jumièges.
Jumièges zählt zu den ältesten Klöstern Frankreichs. Saint-Philibert, Höfling von König Dagobert I., gründete es im Jahr 654 n. Chr. im Seine-Tal. Auf ihren großen Ländereien bauten die Klöster Obst an – Äpfel, Birnen und Kirschen. Das Mikroklima des Seinetales begünstigt solche Kulturen bis heute.
841 plünderten die Wikinger, die mit ihren Booten das Seinetal bis nach Paris hinauf gefahren waren, die Abtei. Und kurz darauf noch ein zweites Mal. Von der karolingischen Abtei, in der im 9. Jahrhundert fand der Bayernherzog Tassilo als Mönch Schutz gefunden hatte, standen nur noch Ruinen. Die 900 Mönche und 1.600 Bediensteten, die damals dort gelebt und gearbeitet hatten, flüchteten.
Erst im 11. Jahrhundert wurde Jumièges neu erbaut. Als die Abteikirche, Notre-Dame von Jumièges eingeweiht wurde, geschah das in Anwesenheit des ganzen normannischen Adels und des normannischen Herzogs Guillaume. Und damit in Gegenwart jener Nachfahren der Wikinger, die es einst zerstört hatten.
Während der Französischen Revolution verließen die letzten Mönche Jumièges. Nur wenige Jahre später – 1793 – wurde sie bei einer öffentlichen Versteigerung einem Holzhändler aus Canteleu zugeschlagen.
Er nutzte Jumièges als Steinbruch und ließ die Laterne der Kuppel in die Luft sprengen. Doch der Zauber von Jumièges ist bis heute einzigartig. Nationaldichter Victor Hugo lag völlig richtig, als er von Jumièges schwärmte:
Sie ist die schönste Ruine von Frankreich!
Jumièges: Ruine im weiten Park
Wahrzeichen der Abtei, einst eine der reichsten Frankreichs, sind ihre 47 m hohen Doppeltürme. Das dachlose Hauptschiff lässt bis heute die Ausmaße der einst 120 m langen Kathedrale Notre-Dame erahnen.
Der im spätgotischen Stil erbaute Kreuzgang ist teilweise zerstört. Charles Stuart, 1. Baron de Rothesay, hatte einen Flügel gekauft und ihn in sein Schloss Highcliffe bei Bournemouth einbauen lassen. In der Mitte des restlichen Kreuzgangs erhebt sich eindrucksvoll eine 500 Jahre alte Eibe.
Der rätselhafte Tod der Agnès Sorel
Eng mit der Abteikirche verbunden ist das Schicksal von Agnès Sorel. Sie war ab 1444 die erste offizielle Mätresse eines französischen Königs. Karl VII. gebar sie vier Töchter. Im Jahr 1450 erlag sie im Alter von nur 28 Jahren im Manoir de la Vigne in Mesnil-sous-Jumièges einem mysteriösen Tod.
Die forensische Untersuchung von Philippe Charlier brachte im Jahr 2005 erstaunliche wie erschreckende Details ans Licht: Agnès Sorel war im siebten Monat schwanger gewesen und hatte unter schwerem Wurmbefall gelitten. Um ihn zu lindern, hatten Ärzte ihr vermutlich zu viel Quecksilber gereicht. Absichtlich oder aus Unwissen? Diese Frage beschäftigt bis heute die Historiker.-
In der Peterskirche direkt neben der Hauptkirche sind Reste karolingischer Wandmalereien erhalten. Ein Bogen im Westwerk zeigt das typische Mäandermuster. Auf der Südwand ist ein Porträt zu sehen. Am besten ist der Schopf zu erkennen. Wen es darstellt, ist nicht bekannt.
Pastorale Idylle
Hinter den Sakralbauten ist inmitten des Parks das Gebäude des Abtes erhalten. Die 14 Hektar große Grünanlage vereint einen englischen Landschaftsgarten, einen nur noch in der Grundform erhaltenen formellen französischen Garten und einen potager, einen Küchengarten. Ihn ergänzt ein Hain mit Apfelbäumen, in dem Schafe grasen.
Kunst, Konzerte & Fledermäuse
Jumièges könnt ihr heute auf viele Weisen erleben. Für Fans digitaler Entdeckungsreisen gibt es Tablets mit 3D-Führern und virtuellen Zeitreisen. Bei den Musicales de Normandie wird die Abtei zur Bühne für intime Konzerte.
Von April bis Dezember verwandelt sich das weitläufige Anwesen zu einem Open-Air-Skulpturenpark. Was in den Gewölben und Kellern der Klosterruine lebt, verraten im Sommer Führungen mit der Taschenlampe und die Nuit de la Chauve-Souris : Fledermäuse!
Schmuckes Örtchen
Bummelt nach dem Besuch der Ruine auch noch ein wenig durch das Örtchen mit seinen traditionellen Bauernhäusern, verspielten Belle-Époque-Häuschen aus Backstein mit weißen Holzschnitzereien und Häusern von heute. Wen ihr weiterlauft Richtung Seine, könnt ihr auf den Feldern mit etwas Glück Grau- und Silberreiher sehen. Und im Frühjahr auch Störche!
Jumièges: meine Reise-Infos
Nicht verpassen
Route des Abbayes Normandes
Die Straße der normannischen Abteien verbindet zwischen Rouen und Fécamp die schönsten Klöster der Normandie. Dort findet ihr in Saint-Martin-de-Boscherville auch das Kloster Saint-Georges mit seinem traumhaft schönen Klostergarten. Hier habe ich die Abtei vorgestellt. Ebenfalls an der Abteienstraße liegen die im Blog bereits vorgestellten Klöster von Montivillers, Graville und Saint-Wandrille.
Schlemmen & genießen
Auberge des Ruines
Frisch und einfallsreich: So kocht Küchenchef Christophe Mauduit am liebsten. Gerne kombiniert er lokale Produkte der umliegenden Bauernhöfe mit Gemüse aus seinem Garten und Wildpflanzen. Das Ergebnis ist überraschend: Jakobsmuscheln mit Fenchel und Kapuzinerkresse, Rinderfilet mit Steinpilzen oder Schokolade mit Efeu – perfekte kulinarische Überraschungen an einem wunderschönen Ort.
17, place de la Mairie, 76480 Jumièges, Tel. 02 35 37 24 05, www.auberge-des-ruines.fr
Le Rocket
Françoise Rose betrieb bis 2018 in Jumièges eine einfache Bar/Brasserie. Seit 2018 steht dort die junge Köchin Marion am Herd. Seitdem heißt das Lokal Le Rocket und überzeugt mit grundehrlichen Preisen und Speisen.
• 5, place de la Mairie, 76480 Jumièges, Tel. 02 35 81 45 70
L’Heure des Thés
Die Teestube gegenüber der Abtei bereitet nicht nur exzellenten Tee zu, sondern auch leckere Mittagsgerichte und einen göttlichen Clafoutis aux Cérises zum Dessert!
• place Martin du Gard, 76480 Jumièges, Tel. 02 76 67 16 00
Hier könnt ihr schlafen
Direkt im Ort hatte ich zunächst über Booking.com Au fil de l’eau gebucht. Als ich jedoch dort eintraf, war ich entsetzt über den desolaten Zustand des Zimmers und dessen Lage, das in keiner Weise der Beschreibung der Inhaberin entsprach.
Der Kundenservice von Booking.com bestätigte meine Einschätzung, nachdem ich Fotos geschickt hatte und stornierte ruckzuck die Buchung. Im Ort war leider an jenem Abend alles ausgebucht. Ich kann daher für dort keine Empfehlung machen.
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Im Blog
Kostenlose Fähren: die Bacs de Seine
Zwischen dem linken und rechten Ufer pendeln am Unterlauf der Seine kostenlos Autofähren hin und her. Hier gibt es Infos und Impressionen.
Im Buch
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Steile Klippen und weite Sandstrände, bizarre Felslandschaften und verwunschene Wälder, romantische Fachwerkstädtchen und moderne Architektur – die Normandie hat unzählige Glücksorte zu bieten.
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Normandie: 50 Tipps abseits der ausgetretenen Pfade*
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Bernd