Museumsreif: die Alençon-Spitze mit dem Point d'Alençon. Foto: Hilke Maunder
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Bis heute lebendig: das Spitzen-Handwerk

Spitzen! Alençon, Argentan und Bayeux waren die Städte, die solch zarten Schmuck einst fertigten. Edle Luxusgüter, die erst den Adel, später Großbürgerliche und Künstler schmückten. Heute ist die Produktion ist zu aufwändig und zu teuer, um noch lukrativ zu sein.

Deshalb werden die duftigen Spitzengewebe heute nur noch für die Haute Couture, im staatlichen Auftrag oder für Verzierungen fabriziert – als spitzengesäumte Taschentücher, Servietten oder Tischdecken.

Jocelyne Renault ist seit 1976 dentellière im Atelier national de la Dentelle und zeigt im Museum den Besuchern die zehn Schritte zur Herstellung der Alençon-Spitze. Foto: Hilke Maunder
Jocelyne Renault ist seit 1976 dentellière im Atelier national de la Dentelle und zeigt im Museum den Besuchern die zehn Schritte zur Herstellung der Alençon-Spitze. Foto: Hilke Maunder

Vorbild Venedig

Bereits 1655 gründete Colbert, Berater Ludwigs XIV., in Alençon eine Königliche Stickereimanufaktur. Schließlich galt es, die Steueraufkommen zu erhöhen. Zuerst wurde die venezianische Spitze kopiert, ab 1717 ein eigener Stil entwickelt und ein Einfuhrverbot für Spitzen verhängt.

Die staatliche Spitzenmanufaktur von Alençon besteht bis heute, lässt sich aber nicht besichtigen. Foto: Hilke Maunder
Die staatliche Spitzenmanufaktur von Alençon besteht bis heute, lässt sich aber nicht besichtigen. Foto: Hilke Maunder

Der Point d’Alençon: König der Spitzen

Geschützt durch das Monopol eroberte die Nadelspitze aus Alençon erst Versailles, dann die europäischen Höfe. 1851 auf der Weltausstellung in London feierte der Point d’Alençon seinen größten Triumph. Er wurde zur „König der Spitzen“ gekürt.

Bis zu 15 Stunden dauert es, einen Quadratzentimeter Alençon-Spitze anzufertigen. Der hohe Herstellungsaufwand brachte den Niedergang der duftigen Spitzengewebe, als die Maschinenspitze aufkam.

Im Museum bewahrt: eine Alençon-Spitze mit dem Point d'Alençon. Foto: Hilke Maunder
Spitze: der Point d’Alençon. Foto: Hilke Maunder

Der Point d’Argentan: der Konkurrent

Seine größte Konkurrentin wurde nur 50 Kilometer weiter nördlich gefertigt: die Nadelspitze Point d’Argentan. Einige Nonnen in der Benediktinerabtei praktizieren dort heute noch die Kunst der Spitzenherstellung und öffnen ihre Türen für einen kurzen Besuch. Behutsam legen sie das auf farbigem Papier vorgestochene Muster auf Leinwandstreifen oder Wachstuch und nähen es vor.

Zehn Arbeitsschritte brauchen die Näherinnen bei der Herstellung der Alençon-Spitze. Foto: Hilke Maunder
Zehn Arbeitsschritte brauchen die Näherinnen bei der Herstellung der Alençon-Spitze. Foto: Hilke Maunder

Die so entstandene Unterlage bildet den Stickboden. Mit einem Schling- oder Knopflochstich werden die Muster mit nur einem einzigen extrem dünnen Faden auf immer neue Weise ausgenäht oder verbunden.

So entstehen Zierstiche, Maschengründe und Stege. Ist die Arbeit vollendet, wird die Unterlage entfernt und die Nadelspitze gespannt. Bei der Alençon-Spitze wird zur Unterstützung des Picots Rosshaar eingearbeitet.

Nadelspitze aus Alenon, vorgestellt schon vor dem Musée des Beaux Arts et de la Dentelle auf großen Schautafeln, zeigt Marie-Hélène Augé. Foto: Hilke Maunder
Nadelspitze aus Alenon, vorgestellt schon vor dem Musée des Beaux Arts et de la Dentelle auf großen Schautafeln, zeigt Marie-Hélène Augé. Foto: Hilke Maunder

Die Unterschiede

Wer beim Besuch der Spitzen-Museen in Argentan und Alençon genau hinsieht, wird einen zweiten Unterschied entdecken. Die Alençonspitze besitzt einen Grund aus doppelt geschlungenen Schlingstichen.  Durch ihre dichten Stiche und das etwas stärkere Relief wirkt die Argentanspitze zumeist schwerfälliger als die Alençonspitze. In Alençon und Argentan werden die Nadelspitzen aus feinem Leinen gefertigt.

Die veritable Alençon-Spitze. Foto: Hilke Maunder
Die veritable Alençon-Spitze. Foto: Hilke Maunder

Auf den Spuren der Nadel-Spitzen

Mehr zur Geschichte der Nadelspitze von Alençon erfahrt ihr im Musée des Beaux-Arts et de la Dentelle von Alençon.
• Cour carrée de la Dentelle, 61000, Alençon, Tel. 02 33 32 40 07, https://museedentelle.cu-alencon.fr

Sehr sehenswert ist auch die Maison des Dentelles. Das Haus der Spitzen in Argentan zeigt Spitzen in allen Formen: Nadel-, Klöppel-, Automatenstickerei. Es gibt einen Film und manchmal auch praktische Vorführungen. Das herrschaftliche Gebäude liegt in einem Themengarten, dessen Muster an den Point d’Argentan angelehnt sind.
• 36, rue la Noë, 61200 Argentan, Tel. 02 33 67 50 78, www.musees-normandie.fr/musees-normandie/maison-des-dentelles

Die Klöppelspitze von Bayeux

Ein Klöppelbrett mit den typischen Bayeux-Klöppeln. Foto: S. Maurice / Bayeux Museum.
Ein Klöppelbrett mit den typischen Bayeux-Klöppeln. Foto: S. Maurice / Bayeux Museum.

Nicht mit Nadeln, sondern Klöppeln wurde in den Dörfern des Bessin  gefertigt. Um 1830 stellten mehr als 20000 Heimarbeiterinnen die filigrane Spitze her. Beim Klöppeln gibt es nicht nur einen Arbeitsfaden, sondern eine ganze Vielzahl von Fäden, die auf hölzerne Klöppel gewickelt sind und immer wieder neu verflochten, verkreuzt, verzwirnt oder verwebt werden.

Nach der Französischen Revolution trieben die Kaufleute von Bayeux die Entwicklung einer lokalen Spitzenindustrie voran. Um 1830 gab es in Bayeux und dessen Umland rund zwanzig Unternehmen, die fast 15.000 Klöppler beschäftigten. Die Stadt war damals eines der wichtigsten Zentren der Spitzenherstellung in Europa.  Besonders die Manufaktur Lefébure hat die Spitzenklöppelei in der Stadt geprägt.

Musterbücher der Klöppler, zu sehen im Museum. Foto: S. Maurice / Bayeux Museum.
Musterbücher der Klöppler, zu sehen im Museum. Foto: S. Maurice / Bayeux Museum.

Klöppeln fürs Kaiserreich

1829 hatte Auguste-René Lefébure die Spitzenmanufaktur von Madame Carpentier gekauft. Jene war damals die Spitzenklöpplerin der Königlichen Hoheit Madame la Dauphine. Lefébure eröffnete auch ein Geschäft in Paris und belieferte Adel und Großbürgertum.

Zu Beginn des Zweiten Kaiserreichs florierte der Handel, insbesondere mit den spanischen und südamerikanischen Märkten. Die handgefertigte Spitzenindustrie brach ab 1870 zugunsten der maschinellen Herstellung zusammen. Dank der Klöppelschule von Lefébure konnte diese Tradition jedoch bis ins 20. Jahrhundert aufrechterhalten werden.

Die Klöppelspitze von Bayeux entsteht aus schwarzer Seide. Für die Blonde de Caen wurde weiße Seide geklöppelt, in Courseulles mehrfarbige Seide verarbeitet.

Ein Umhang, gefertigt aus edler Bayeux-Spitze. Foto: Hilke Maunder
Ein Umhang, gefertigt aus edler Bayeux-Spitze. Foto: S. Maurice / Bayeux Museum.

Spurensuche in Bayeux

Das historische Erbe der Spitzenklöpplerinnen bewahrt heute das Conservatoire de la Dentelle  in Bayeux. Bei Besichtigungen der Werkstatt lässt sich das alte Handwerk hautnah erleben. Auf Ausstellungen werden die schönsten Stücke gezeigt, im Shop handgearbeitete Spitzen verkauft.
• 6, rue du Bienvenu

Auch das Musée d’art et d’histoire Baron Gérard (MAHB) widmet der Klöppelspitze einen Saal. Dort leitet Myriam Gouye, Kuratorin der Sammlungen des MAHB und Meilleur Ouvrier de France für Klöppelspitzen, Einführungsworkshops für Kinder und demonstriert die Technik der Spitze von Bayeux.
www.bayeuxmuseum.com

Unterricht im Spitzenklöppeln und alten Sticktechniken erteilen Les Fils Croisés.
• 2, rue de la Poissonerie, Tel. 02 31 08 18 95, www.facebook.com

Sämtliche Techniken der Spitzenherstellung lassen sich entlang der Route de la Dentelle Normande entdecken. Unterwegs halten sieben Städte mit Werkstätten und Museen die Tradition der Spitzenherstellung lebendig und erläutern regionale Unterschiede.
www.la-normandie.info/normandie-decouverte/routes-historiques/les-dentelles-normandes

Die Maschinenspitze von Calais

Calais, Cité de la Dentelle. Foto: Hilke Maunder
Ein Musterbuch aus dem Spitzenmuseum von Calais. Foto: Hilke Maunder

Die Spitzentradition von Calais begann erst vor gut 200 Jahren mit der Industrialisierung. Von England, und dort besonders Nottingham, eroberte die Mechanisierung der Spitzenherstellung Europa. Neben Calais fertigten auch Caudry und Lyon maschinell feinste Spitze.

In Calais stellt diese Tradition die Cité de la dentelle et de la mode vor. Mehr zu diesem beeindruckenden Museum erfahrt ihr in diesem Beitrag.

Weiterlesen

Im Blog

Im Buch

Klaus Simon, Hilke Maunder, Secret Citys Frankreich*

Gemeinsam mit meinem geschätzten Kollegen Klaus Simon stelle ich in diesem Band 60 Orte in Frankreich vor, die echte Perlen abseits des touristischen Mainstreams sind. Le Malzieu in der Lozère, Langogne im Massif Central, aber auch Dax, das den meisten wohl nur als Kurort bekannt ist.

Mit dabei sind auch das in diesem Beitrag vorgestellte Senlis im Norden von Frankreich und viele andere tolle Destinationen. Frankreich für Kenner  – und Neugierige!

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