Rauf aufs Rad im Tarn-Tal
Alte Bastiden aus Backstein, Weine von Weltruf und Landschaften, die Ruhe und Schönheit atmen: Die Vallée du Tarn ist wie geschaffen für Genuss-Radler.
Die Véloroute de la Vallée du Tarn
Der Tarn, der sich jung und wild durch die Cevennen zwängt, mündet nach 380 Kilometern bei Moissac in die Garonne. Zwischen Saint-Sulpice-la-Pointe und Trébas-les-Bains säumt die 108 Kilometer lange Véloroute de la Vallée du Tarn den Fluss – als perfekte Radelroute für ein Wochenende.
Wer drei Stunden täglich im Sattel sitzt, sollte drei Tage einplanen. Wer täglich vier Stunden strampelt, schafft die Tour auch an zwei Tagen. Genug Zeit zum Schlemmen und Schauen bleibt immer!
Bastiden: neue Städte im Schachbrettmuster
Start ist in Saint-Sulpice-la-Pointe, 46 Kilometer südöstlich von Albi. Wie alle Bastiden, die im Mittelalter als „neue Städte“ gegründet wurden, ist auch Saint-Sulpice im Schachbrettmuster angelegt. Rechtwinklig verlaufen seine Gassen rund um seinen zentralen Kirchplatz mit der imposanten Glockenmauer.
Im Mittelalter tobte im Tarn der Glaubenskrieg zwischen der katholischen Kirche und den Katharern, die sich vom Papst losgesagt hatten, um ein strenggläubiges, asketisches Leben zu führen
Zuflucht für Verfolgte
Gläubige, die verfolgt wurden, versteckten sich erst im Château du Castela, dann unterhalb der Burg in einem Labyrinth hoher Gänge, die in den Fels gehauen wurden.
Als einzige der 350 mittelalterlichen Zufluchten Okzitaniens ist der Souterrain der Burgruine für Besucher geöffnet. La Dépêche du Midi hat einen wundervollen Bericht über die Ruine verfasst. Im französischen Original gibt es ihn hier.
Am noch recht behäbig dahin fließenden Tarn streben wir Rabastens zu. Im Mittelalter eine Hochburg der Katharer, gehört die Kleinstadt heute dank Autobahnanschluss zu den bevorzugten Wohnorten im Speckgürtel von Toulouse.
Mitten durch die Backsteinstadt, die ihr altes Herz hinter der Wehrmauer versteckt, führt die Via Tolosana. Als Station auf dem französischen Jakobsweg gehört das gotische Juwel Notre-Dame-du-Bourg zum Welterbe.
Frankreichs größer Arkadenplatz
Von der Hängebrücke über den Tarn sehen wir bereits unser nächstes Ziel: Lisle-sur-Tarn. Noch dampft der Boden vom nächtlichen Regen, funkeln die Tropfen im Sonnenlicht.
Klar ist die Luft, herrlich frisch und mild. Jetzt über die Tarnbrücke und hinein in die Bastide, die sich rühmt, den größten Arkadenplatz Frankreichs vorzuweisen.
Als 4.425 Quadratmeter großes Rechteck erstreckt sich die Place Paul Saissac vor dem Café du Centre, in dem wir uns mit einer salade de chèvre chaud für den Besuch des nahen Musée Art du Chocolat stärken.
Seit 2006 präsentiert dort Michel Thomaso-Defos monumentale Skulpturen aus Kakao. 100 Kilogramm bringt sein 1.80 Meter hoher Jakobspilger auf die Waage. Die warmen Sommer im Tarn-Tal überlebt er nur gut gekühlt.

Die Römer nutzten einst tönerne Amphoren zum Lagern ihrer Waren. Hergestellt wurden sie in Montans. Wo heute der Archéosite Montans die gallorömischen Überreste präsentiert, befand sich im ersten Jahrhundert nach Christus eine der größten Keramikwerkstätten des römischen Kaiserreiches.
Bereits vor der Ankunft der Römer wurden rund um Gaillac Reben gekeltert. Als offizieller Beginn des neuzeitlichen Weinbaus gilt die Gründung der Benediktinerabtei Saint-Michel im Jahr 972. Im Mittelalter exportierte sie den vin de coq aus Gaillac bis nach England.
Bis heute werden vorwiegend alte autochthone Rebsorten wie Mauzac, Duras, Braucol und Len de l’El angebaut. Verschifft wurden die Weinfässer von den beiden Häfen Lisle-sur-Tarn und Rabastens.
Letzterer prägte eine bis heute beliebte Redensart. Être entre Gaillac et Rabastens heißt im Volksmund nichts anderes als … betrunken zu sein!
Albi, la rouge
Erst spät abends erreichen wir Albi. Die alte Bischofsstadt gehört zu den grands sites von Okzitanien. Ihr Beiname la rouge verrät, dass sie fast völlig aus Backstein errichtet wurde.
Auf den handgetrockneten Ziegeln sind noch immer die Fingerabdrücke der Maurer zu erkennen. Selbst die riesige Kathedrale mit ihren bis zu sechs Meter dicken Mauern ist ein Ziegelbau: Weltrekord – und Welterbe.
2010 nahm die UNESCO das 35 Hektar große Bischofsviertel darin auf. Zum Welterbe gehören neben der gotischen Cathédrale Sainte-Cécile auch die Stiftskirche Saint-Salvy als ältester Sakralbau der Stadt, der bischöfliche Palais de la Berbie, die Brücke Pont-Vieux aus dem Jahr 1040 und ein Teil des Tarn-Ufers.
Typisch für die Baukunst im Tarntal ist auch die Maison du Vieil Alby. Als eine der letzten Bauten der Stadt besitzt es noch einen soleilhou – einen offenen Dachboden zum Trocknen von Pastell. Bis zur Einführung von Indigo lieferte der Färberwaid als einzige Pflanze den Farbstoff für Blau. Mehr Infos zum blauen Wunder gibt es hier.
Die Heimat von Toulouse-Lautrec
1864 erblickte am Ufer des Tarn ein Maler das Licht der Welt. Als Portraitist des leichten Lebens von Montmartre wurde er weltberühmt: Henri de Toulouse-Lautrec. Als er mit 36 Jahren im Suff an Syphilis starb, wollte kein Pariser Museum seine Werke.
Umso schöner werden sie heute in seiner Heimatstadt präsentiert. Der Palais de la Berbie birgt mit mehr als 500 Ölgemälden, Zeichnungen und Lithografien das weltweit größte Toulouse-Lautrec-Museum.
Zu den Fans des Malers gehörte Serge Hérail von der Pâtisserie Saint-Honoré. Er hatte zu Ehren des Malers vor vielen Jahren einmal den Gâteau Lautrec kreiert: als Bananen-Karamell auf Mousse au Chocolat.
Inzwischen hat er seinen Laden an Philippe Bénétot übergeben. Ihr findet seine verführerische Konditorei in der Rue St-Julien – und damit nur einen Steinwurf vom Museum entfernt.
Der Sprung des Tarn
Adieu, Albi, und weiter den Tarn hinauf. Die Stadt ist heute mit Arthès/Saint Jurès zu einem Siedlungsraum verschmolzen. Der Verkehr braust. Doch der Tarn ist lauter.
Beim Saut du Sabo drängt er sich zwischen Arthès und Saint-Juéry fast 500 Meter lang durch dunklen Fels, ehe er 20 Meter tief zu uns hinab donnert.
Wo einst seine Hydrokraft ein Stahlwerk antrieb, hat heute Casimir Ferrer sein Atelier. Der ehemalige Feuerwehrmann aus Albi gilt als größter lebender Maler und Bildhauer des Tales.
Ambialet: Kleinod mit Aussicht
Während die Straße nun merklich ansteigt, werden auch die Schleifen, mit denen sich der Tarn durch das Tal windet, immer enger. Dass sie sich in Ambialet fast berühren, zeigt sich vom Aussichtspunkt L’Antenne.
In gut zwei Stunden führt der GR36-Wanderweg hinauf zum 360°-Panorama in 422 Meter Höhe. Schön ist auch die Aussicht von der Église Notre-Dame de l’Auder. In 50 Minuten führt der markierte Rundweg Ambialade euch zu den schönsten Punkten des kleinen Städtchens.
Am Kraftwerk könnt ihr auch auf die Staustufe blicken. Bei einem lâcher d’eau schäumt dort das Wasser und wirbelt als tosender Schwall. Außerhalb dieser Zeiten könnt ihr dort auf einem gué direkt am Wehr den Fluss passieren.
Voie verte im Gleisbett
Für die letzten 14 Kilometer bis nach Villeneuve wählen wir die D 77 am linken Flussufer. Sie ist verkehrsärmer als der Radweg im einstigen Gleisbett, der am rechten Ufer die viel befahrenen Straßen begleitet.
Steil säumt Fels die Fahrbahn. Moos und Farne krallen sich am schwarzen Stein fest. Dann fällt ein kleiner Wasserfall in einer Spalte hinab.
In Villeneuve angekommen, überqueren wir wieder den Tarn und sind kurz darauf an unserem Ziel, Trébas-les-Bains.
Nur der Name erinnert in Trébas-les-Bains noch an die Vergangenheit als Thermalbad. Doch baden könnt ihr bis heute: an einer Picknickwiese mit Badestrand, über dem die „Blaue Flagge“ flattert.
Flussbaden, welch ein erfrischendes Ende für die Fahrradtour! Oder leiht euch dort ein Kanu und paddelt noch ein wenig auf dem Tarn!
Wer weiter radeln will, erreicht auf kleinen Landstraßen nach 70 Kilometern das Tor zu den Schluchten des Tarn, Millau.
Meine Reise-Infos
Hinkommen
Flug mit Air France, Eurowings oder Lufthansa nach Toulouse. Weiter per Bahn. An der SNCF-Linie 2 Toulouse-Albi-Rodez liegen die Bahnhöfe St-Sulpice, Rabastens, Lisle-sur-Tarn, Gaillac, Marsac-sur-Tarn und Albi. In den TER-Zügen ist die Radmitnahme ohne Zuschlag möglich. Infos zur Radmitnahme: www.sncf-connect.com.
Der Tarnbus zwischen Saint-Sulpice und Albi (Linie 702) nimmt Fahrräder in den Gepäckklappen mit.
Schlemmen
L’Épicurien
Schwedenkoch Rikard Hult interpretiert kreativ mediterrane Klassiker.
• 42, Place Jean Jaurès, 81000 Albi, Tel. 05 63 53 10 70, www.restaurantlepicurien.com.
Hôtel du Pont
Für das Bries vom Lamm an Pfifferlingen von Jean-Pierre Saysset kommen die Gäste von weit her.
• Hôtel-Restaurant du Pont, Pont d’Ambialet, 81340 Saint-Cirgue, Tel. 05 63 55 32 07, www.hotel-du-pont.com
Noch mehr Radtouren!
…. für Sportliche:
Route des Cols du Tour de France
Die legendären Pyrenäenpässe der Tour de France – auf 120 Kilometern von Gourette nach Luchon. Highlights: Col du Tourmalet, Pic du Midi, Luchon, Urzeit-Grotte von Niaux, Thermal-Wellness.
Le Circuit des 10 plus beaux villages
Sieben Tage, sieben Etappen, 700 Kilometer durch zehn der schönsten Dörfer Frankreichs. Highlights: Peyre und das Viadukt von Millau, Conques (Etappe auf dem Jakobsweg), Sauveterre de Rouergue (Bastiden), La Couvertoirade (Templerstädtchen)
… für Entdecker:
Véloroute de la Vallée du Lot
Von Cahors nach Aiguillon 160 km lang am Fluss entlang vorbei an Weinbergen und malerischen Orten. Highlights: Cahors und sein Wein, mittelalterliche Orte wie Puy-l’Évêque.

… für Familien:
Voie Verte du Haut-Languedoc „Passa Païs“
Die 75 Kilometer lange Route von Bédarieux nach Mazamet ist für jeglichen motorisierten Verkehr gesperrt. Highlights: das Tal des Thoré, Labastide-Rouairoux (Textilmuseum) und die Montagne Noire.
Voie Verte le long du Canal des Deux Mers
Den Canal des Deux Mers, die Verbindung vom Atlantik zum Mittelmeer, bilden zwei Wasserwege: der 241 km lange Canal du Midi von Toulouse nach Sète und der Garonne-Seitenkanal von Toulouse nach Bordeaux.
Gemeinsam bilden ihre Treidelpfade heute in Occitanie einen 145 Kilometer langen Radweg. Zu den Highlights gehört besonders die Jakobspilgerstadt Moissac mit der Abbaye Saint-Pierre und dem pont-canal de Cacor.
In Montech könnt ihr bei Sternechef Christian Constant im Bistrot Constant direkt am Kanal schlemmen. Nach Toulouse begrüßen euch die Sonnenblumenfelder des Lauragais mit Villefranche de Lauragais. Verpasst auch nicht die Wasserscheide des Kanals beim Seuil de Naurouze (190 m).
Hier könnt ihr schlafen
L’Isatis
Vier komfortable Zimmer mit WLAN in einem großen Garten mit Pool am Ufer des Tarn.
• 850, Chemin de Bordes, 81370 Saint-Sulpice-la-Pointe, Tel. 05 63 40 00 70, www.lisatis.fr
Château de Mayragues*
Zwei charmante chambres d’hôtes in dem mittelalterlichen Schloss des Bio-Weingutes inmitten der Weingärten von Gaillac.
• 81140 Castelnau-de-Montmiral, Tel. 05 63 33 94 08, www.facebook.com/chateaudemayragues
Mercure Albi Bastides*
Wassermühle, Nudelfabrik, Hotel: Was für eine Karriere für den wuchtigen Backsteinbau! Vom Restaurant – und vielen Zimmern – bieten sich Traumausblicke auf den Tarn und die Altstadt von Albi.
• 41 bis, rue Porta, 81000 Albi, Tel. 05 63 47 66 66, www.mercure.com
Logis Hostellerie des Lauriers
Grundsolide wie die Küche – Gemüse und Obst liefert der eigene Bio-Garten – sind die Zimmer des Traditionshauses am Tarn.
• 81250 Villeneuve-sur-Tarn, Tel. 05 63 55 94 85, www.logishotels.com
Noch mehr Betten*
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Im Blog
Infos und Impressionen zum Weinbaugebiet Gaillac am Tarn gibt es hier.
Im Buch
Hilke Maunder, Okzitanien: 50 Tipps abseits der ausgetretenen Pfade*
Okzitanien ist die Quintessenz des Südens Frankreichs. Es beginnt in den Höhen der Cevennen, endet im Süden am Mittelmeer – und präsentiert sich zwischen Rhône und Adour als eine Region, die selbstbewusst ihre Kultur, Sprache und Küche pflegt. Katharerburgen erzählen vom Kampf gegen Kirche und Krone, eine gelbe Pflanze vom blauen Wunder, das Okzitanien im Mittelalter reich machte.
Acht Welterbestätten birgt die zweitgrößte Region Frankreichs, 40 grands sites – und unzählige Highlights, die abseits liegen. 50 dieser Juwelen enthält dieser Band. Abseits in Okzitanien: Bienvenue im Paradies für Entdecker! Hier* gibt es euren Begleiter.
Annette Meiser, Midi-Pyrénées
Annette Meiser, die u.a. die erste müllfreie Schule Deutschlands mitbegründete, hat in Midi-Pyrénées ihre Wahlheimat. Dort lebt und arbeitet sie seit vielen Jahren und bietet erdgeschichtliche und kulturhistorische Wanderreisen an.
Ihre Expertise hat sie auf 432 Seiten zwischen die Buchdeckel eines Reiseführers gepackt. Ihr erstes Buch stellt eine Ecke Frankreichs ausführlich vor, die in klassischen Südfrankreich-Führern stets zu kurz kommt.
Für mich ist es der beste Reiseführer auf Deutsch für alle, die individuell unterwegs sind – sehr gut gefallen mir die eingestreuten, oftmals überraschenden oder kaum bekannte Infos. Wie zum einzigen Dorf Frankreichs, das sich in zwei Départements befindet: Saint-Santin liegt genau auf der Grenze von Aveyron und Cantal. Wer mag, kann den Band hier* direkt online bestellen.
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