
An der D 6009 hat der Ort das Zeug zum Road Movie. Verblichen Werbeschriftzüge auf Fassaden mit Patina. Parkplätze in XXL vor dem Point Chaud, der mit Café, Croissant und der Wärme des Backofens die Kälte des Winters vertreibt.
Minus vier Grad zeigt das Autothermometer jetzt im Januar, und Raureif glitzert auf den Rebstöcken der ältesten AOC des Languedoc-Roussillon: Fitou. Seit 1948.

Küste oder Berge?
Die 2500 Hektar große Insel im Meer der AOC Corbières zeigt nicht nur beim Durchfahren, sondern auch im Glas zwei Gesichter. Das liegt in der Geografie und Geologie begründet: Zur Appellation gehören zwei Gebiete, die 30 km auseinander liegen.

Flirt mit der Meeresbrise
Die eine quetscht sich zwischen die Bahnschienen, auf denen der TGV mit Tempo 320 durch die amphibische Landschaft von Lagunen und Salzgärten rast, setzt ihre Weinstöcke in kleinste Parzellen zwischen die Grundstücke, die den Zugang zum Étang de Salses-Leucate mit der Warnung “Propriété privée. Accès interdit. Danger!” versehen. Und erobert zwischen Leucate und La Palme, Caves und Fitou, Treilles die Ton-Kalkböden.

Abgeschiedene Lagen
Hier und da blitzen der Canigou, dann wieder die Austernbänke von Leucate zwischen den Rebgärten auf. Klein sind die Parzellen, steinig. Und mit jedem Meter von der Küste immer stärker versteckt zwischen dem Rosmarin der Garrigue und den Kiefern, mit denen die erodierten Hänge ab 1990 gezielt wieder aufgeforstet wurden.

Enklave in den Corbières
Die andere Ecke der Appellation findet ihr in den Bergen, mitten in den Corbières auf den Schieferböden von Tuchan, Cascastel und Villeneuve.
Die nährstoffarmen Böden von Haut-Fitou gehören zu den magersten von Frankreich. 20 Hektoliter pro Hektar, mehr geht da nicht beim Ertrag,

Späte Reife
Doch der Carignan ist auch dort, wie an der Küste, der König. Ihm zu Seite steht die Grenache Noir. Und mitunter paart er sich auch mit Syrah und Mourvèdre. Nur.. warum gerade Carignan? Diese Rebe kann besonders gut mit der mediterraner Hitze und Trockenheit umgehen – und stirbt auch nicht, wenn der Frost zubeißt.

Wegen des Tramontane, der an mehr als 200 Tagen auch durch die AOC Fitou fegt, wird er wie im Aglytal an exponierten Stellen nur im Gobelet geschnitten – als Trinkbecher. Wo die Winde fehlen, seht ihr Trauben am Spalier.

Fitou im Wandel
Und immer häufiger verraten die Schilder der Winzer: Auch im Fitou hat bio Einzug gehalten. Alban Izard, Winzer der Domaine Lerys in achter Generation, hat in Villeneuve als erster 2012 seine 50 Hektar auf bio umgestellt.
Neben dem Verzicht auf chemischer Helfer auf dem Feld und im Keller gehören dazu auch eine Vinification bei niedriger Temperatur und eine längere Mazeration. Das Ergebnis bestätigt: Sein Wein ist voller Farbe, mit fruchtigen Noten und feinen Taninen

Immer im Fass
Und auch der junge Direktor Atmann Afanniss von der Cave des Maîtres Vignerons in Cascastel, hat den Keller von 1921 umgestellt auf Nachhaltigkeit und handwerkliche Erzeugung.
Statt Masse werden heute auf insgesamt 750 ha Rebfläche nur 30 Hektoliter pro Hektar gewonnen und verarbeitet. Und, wie es die AOC verlangt, mindestens neun Monate im großen Fass oder kleinen Barrique gelagert.

Denn: Auch “wir sind vignerons artisans”. Ebenfalls ein Namen, den man sich merken sollte, ist die Domaine Grand Guilhem.
Ihre Tropfen sind seit 1994 als bio zertifiziert. Aushängeschild des Kellers sind die vins naturels – auch in Frankreich sind sie sehr en vogue.

Dichte, kräftige Rote werden elegant
Wer durch Fitou reist und kostet, merkt: Die Appellation erlebte in den letzten Jahren Generationenwechsel und spannende Neuzugänge.
Zu großen Weinhäuser wie das Château de Nouvelles, in der Familie Daurat-Fort seit 1834, haben sich kleine, feine Neuzugänge gesellt.
Dazu gehört auch das Mas des Caprices. das Mireille und Pierre Mann, ein Winzerpaar aus dem Elsass, 2009 gegründet haben. Auch ihre Tropfen solltet ihr probieren.

Modern verjüngt
Beide setzen bei der Verarbeitung ihrer Trauben heute auf eine Kohlensäuremaischung. Dabei werden die Trauben nicht gepresst, ganz gären als ganze Beere.
Diese macération carbonique, die auch im Beaujolais eingesetzt wird, macht originär schwere Weine leichter, jünger und sofort trinkbar.
Ein Tribut an den Zeitgeist, den Markt und geänderte Trinkgewohnheiten. So wie die gezielte Zugaben von Sauerstoff, die harte Tannine abmildert.
Auch diese Technik hat längst im Fitou Einzug erhalten. So zeigt heute nicht nur im terroir, sondern auch in der Kellertechnik und im Glas der Fitou zwei Gesichter.

Fitou in Zahlen
Alter der Appellation: 70 Jahre (2019)
Seit 2019: Appellation Communale (Unterappellation)
Größe: 2500 Hektar, 9 Kommunen , 22 Terroirs
Keller: 3 Genossenschaftskellereien, 37 private Keller

Fitou: meine Reistipps
Showroom
Les Vignerons du Mont Tauch
Die Genossenschaftskellerei von Mont Tauch hat im Herzen von Tuchan einen äußerst stylischen Verkostungs- und Verkaufsraum hingestellt, in dem ihr nicht nur die Tropfen probieren könnt, sondern auch viel über Weine und die einzelnen Winzer erfahrt. Die Kellerei verkauft zahlreiche Fitou- und Corbières-AOC-Rotweine sowie Süßweine. 250 Winzer in den Gemeinden Tuchan, Durban, Paziols und Villeneuve gehören der Genossenschaftskellerei an.
• 2, Rue Cave Coopérative, 11350 Tuchan, https://mont-tauch.fr
Schlemmen
La Cave d’Agnes
Cassoulet, Schlachterstück und andere herzhafte Köstlichkeiten prägen die ländlich-bürgerliche Küche im Keller von Agnes.
• 29 Rue Gilbert Salamo, 11510 Fitou, Tel. 04 68 45 75 91, www.facebook.com
Le Toit Vert
Fabrice Fenoll ist ein begnadeter Koch – im Restaurant wie als Traiteur. Mit Liebe zu frischen Produkten der Region verwandelt er Klassiker der Lokalküche zu Köstlichkeiten. Probiert die Boudin du Canigou!
• Chemin Pujadas, 11510 Fitou, Tel. 04 68 70 47 38, https://letoitvert.fr; Mo. , Di, geschl.
Hier könnt ihr schlafen*
Booking.com
Nicht verpassen
Tuchan
Durch das alte Herz von Tuchan führt ein markierter Rundweg. Er lohnt sich! Mehr zum historischen Erbe der kleinen Stadt erfahrt ihr hier.
Château de l’Aguilar
Auf dem Gemeindegebiet von Tuchan erhebt sich inmitten der Weingärten auf einem 96 Meter hohen Hügel die Burg Aguilar. Die Ruine der Höhenburg gehört zum Netzwerk der Katharerburgen und bewacht den Zugang ins Innere des Berglands der Corbières.
• www.payscathare.org
Mehr über die Burgen der “Ketzer”, die sich selbst gute Menschen nannten, erfahrt ihr hier im Blog.
Cirque de Vingrau
Der “Zirkus” ist ein breiter, steiler Talkessel, der das 400-Seelen-Weindorf umschließt. Wandert dort!

Gefällt euch der Beitrag? Dann sagt merci mit einem virtuellen Trinkgeld. Denn Werbebanner oder sonstige Promotions sind für mich tabu. Ich setze auf Follower Power. So, wie Wikipedia das freie Wissen finanziert. Unterstützt den Blog. Fünf Möglichkeiten gibt es.
Weiterlesen
Im Blog
Südlich vom Fitou findet ihr das Vallée de l’Agly, dessen Weine immer mehr Anhänger finden. Auch dort vollzieht sich ein Generationenwechsel, sind Bio- und Naturweine stark auf dem Vormarsch. Hier habe ich es vorgestellt.
Das Thema “Wein” hat eine eigenes Rubrik im Blog. Dort findet ihr auch Infos zu den Weinen der Côtes du Rhône, des Médoc oder kleinen, feinen Tropfen aus weniger bekannnten Anbaugebieten wie Irouléguy. Klickt hier für die Übersicht der Rubrik.
Zur Einstimmung: DuMont Bildatlas Frankreich Süden (Okzitanien)*
Mein DuMont Bildatals Frankreich Süden (Okzitanien)* fängt zwischen Rhône und Garonne, Cevennen und Pyrenäen in sieben Kapiteln die Faszination der alten Region Languedoc-Roussillon in Wort und Bild ein – auch als eBook!
Von Montpellier, der Boomtown am Mittelmeer, bis zum römisch-romantischen Nîmes, von den Étangs bei Narbonne bis zur katalanischen Kapitale Perpinyà. Und noch ein Schlenker nach Carcassonne und Toulouse: voilà meine Herzensheimat! Wer mag, kann den Band hier* direkt bestellen.
Kompakt & inspirierend: MARCO POLO Languedoc-Roussillon/Cevennen*
Den MARCO POLO Languedoc-Roussillon/Cevennen* habe ich nach Axel Patitz und Peter Bausch inzwischen mehrfach umfangreich erweitert und aktualisiert.
Von den Cevennen über das Languedoc bis hin zum Roussillon findet ihr dort Highlights und Kleinode, Tipps für Entdecken und Sparfüchse – und Adressen, die ich neu entdeckt und getestet habe. Ein Online-Update-Service informiert euch über Events, Neueröffnungen und Schließungen informiert. Wer mag, kann ihn hier* direkt bestellen.
Der Reisebegleiter vor Ort: Ralf Nestmeyer, Languedoc-Roussillon*
Zwischen dem Delta der Camargue und den Gipfeln der Pyrenäen hat Ralf Nestmeyer nahezu jeden Strand gesehen, jeden Stadt besucht, jedes Wehrdorf besichtigt – im Languedoc etwas intensiver, im Roussillon fokussiert er auf bekannten Highlights.
Dennoch: Das gut 560 Seiten dicke Werk ist der beste Führer für Individualreisende, die diese Region entdecken möchten und des Französischen nicht mächtig sind. Wer möchte, kann den Band hier* direkt bestellen.
Das ganze Land: MARCO POLO Frankreich*
Einfach aus dem Besten auswählen und Neues ausprobieren, ist das Motto der Marco Polo-Reiseführer. Den MARCO POLO Frankreich* habe ich vor vielen Jahren von Barbara Markert übernommen und seitdem umfassend aktualisiert und erweitert.
Freut euch auf neue Insidertipps, neue Reiseziele, frischen Hintergrund und viele Erlebnisvorschläge für Aktive und Entdecker – von Lichterkunst in Bordeaux’ U-Boot-Basis bis zum Wanderungen unter Wasser. Und damit ihr Frankreich noch besser versteht, gibt es natürlich auch viel Hintergrund zu Frankreich und seinen Menschen. Wer mag, kann ihn hier* direkt bestellen.
* Durch den Kauf über den Referral Link kannst Du diesen Blog unterstützen und den Blog werbefrei halten. Für Dich entstehen keine Mehrkosten. Ganz herzlichen Dank – merci!




Hallo Heike,
Ich würde von Filou noch ein paar Kilometer weiterins Landesinnere fahren und die Weine der Maitres Vignerons in Cascastel probieren.
Große Auswahl und von günstig bis etwas teurer Tropfen für jeden Geschmack. Auf dem Weg liegen noch das Chateau de Haut Gleon mit super Restaurant und das Chateau de Lastours. Auch da gibt gutes Essen und eine Rallye-Raid Piste mit Mitfahrmöglichkeiten. War jahrelang die erste Wertungsprüfung der Rallye Paris Dakar.
Hallo Gerd,
Cascastel gehört zum Fitou – das Gebiet ist zweigeteilt. Danke für den Rallye-Hinweis. Das interessiert mich sehr – ich bin 2001 die Rallye Durban – Kapstadt in Südafrika gefahren.
Leider fährt der TGV an Fitou auch nur maximal mit 70 km/h vorbei wie auch auf dem gesamten Streckenabschnitt zwischen Nîmes und Perpignan. Es wird vermutlich noch 50 Jahre dauern bis die Gleise für Hochgeschwindigkeiten des TGV ausgebaut sein werden, denn im Moment gibt es noch keine konkreten Planungen zum Streckenverlauf.
Die mit Abstand beste Winzergenossenschaft in dieser Region ist übrigens die von Embres et Castelmaure.Sie ist allein einen Bericht wert
Danke, Till, für den Tipp und die Infos!
Hallo Hilke,
wir würden gerne in diesem Sommer in die Region von Bayonne fahren. Wir werden mit einem Wohnwagen unterwegs sein. Könnten Sie mir einen Hinweis geben, welcher Reisebegleiter die besten Tipps für diese Gegend beinhaltet? Über eine Antwort würde ich mich sehr freuen. Liebe Grüße, Siegrid Frick ( eine begeisterte Leserin Ihrer Frankreich Berichte )
Liebe Siegrid,
herzlichen Dank für Deine lieben Worte und Deine Anfrage! Allgemeine Reisetipps zu Bayonne und Umland findest Du hier im Blog. Ein Spezialist für alle Fragen rund um Womo- und Wohnwagenreisen ist Claus, der auf Facebook dazu eine Seite betreibt und auch persönlich gerne Fragen beantwortet. Guck mal hier: https://www.facebook.com/FrankreichMobilErleben.
Bonne route, Hilke
Liebe Hilke,
vielen Dank für diesen detailliert recherchierten Beitrag. So gern erinnere ich mich an meine ersten Fitou-Verkostungen in einem kleinen Bistro beim Hamburger Michel. Mit Entenrillette und Blick auf den Hafen. Das Bistro gibt es schön längst nicht mehr – um so schöner nun, dass ich neue Tipps und Bezugsquellen zum Fitou erfahre. Merci bien!
Thomas
Lieber Thomas, merci bien à toi! Ich hoffe, dass Du noch viele schöne Weingebiete – und andere herrliche Ecken – hier im Blog entdeckst. Ich persönlich finde ja auch die Côtes du Rhône sehr spannend. Im Norden (https://meinfrankreich.com/?s=Cotes+du+rhone) wie im Süden: https://meinfrankreich.com/cotes-du-rhone_sueden_wein . Und Faugères… aber darüber habe ich noch nicht gebloggt. À faire! Bises, Hilke
Es ist schon einige Jahre her, seit ich in Fitou war. Gibt es denn inzwischen Läden, in denen die Erzeugnisse von verschiedenen Fitou-Winzern angeboten werden? Vielen Dank auf jeden Fall für Ihren Artikel voller Anregungen – der Fitou-Rotwein verdient es!
Lieber Herr Dr. Traub,
die Genossenschaftskellereien, aber auch die unabhängigen Winzer, machen vor Ort Verkostungen und Kellerverkauf. Die AOC ist zu klein, um eine Boutique zu führen, in der alle Winzer gemeinsam ihre Weine vorstellen – das ist wirklich schade, denn die Tropfen sind es wirklich wert. In Deutschland können Sie Tropfen aus dem Fitou u.a. bei Lobenberg bestellen: http://www.gute-weine.de.
Beste Grüße!