Henri Matisse: Faszination Farbe
Nicht im sonnigen, südlichen Nizza, sondern in Nordfrankreich verstehe ich Matisse. Stundenlang fahre ich auf Landstraßen, die sich schnurgerade am Horizont verlieren, durch eine Landschaft in leisen, fast monochromen Farben.
Als Symphonie von Grau bis Zink presst sich der Himmel auf Backsteinorte und freigeräumte Felder. Dann stehen Pappelreihen Spalier. Kleine graue Kreuze aus Beton, endlos, dicht an dicht, recken sich im Gras. Peter, Timothy, François. 1914, 1915, 1916, 1917, 1918.
Weites Land unter hohem Himmel
Dann winden sich die Landstraßen durch sanfte Hügel, vorbei an alten Höfen, durch stille Backsteindörfer. Fahles Grün, sanftes Braun, gebranntes Rot, Grau von Blei bis Zink.
Viele Tage im Jahr liegt das Land so da östlich von Cambrai. Nur im Sommer scheint es zu leuchten. Gelb der Raps, golden die Weizenfelder.
Dann wieder: Demut und Rückzug. So muss auch er es wohl erlebt haben: Henri Matisse (1869-1954). Sein ganzes Leben lang gab es für den Maler nichts Faszinierenderes als Farbe.
Was für ein Licht!
Als er das erste Mal an einem Novembertag aus dem grauen Paris ans Mittelmeer gereist war, sorgte die Intensität des Lichtes geradezu für einen Schock beim Maler. Und eine Offenbarung, die sich in unglaublicher Kreativität ausdrückte. Begeistert schrieb er 1905:
„Es gibt in Frankreich keinen blaueren Himmel als den von Collioure. Ich brauche nur die Fensterläden zu öffnen, und schon habe ich alle Farben des Mittelmeeres bei mir.“
In Le Cateau-Cambrésis könnt ihr das Lebenswerk von Matisse entdecken. 1952, zwei Jahre vor seinem Tod, stiftete er seiner Heimatstadt 82 seiner Werke.
Dank Schenkungen und Anbau ist das Museum im ehemaligen Bischofspalast Fénelon aus dem 18. Jahrhundert gewaltig gewachsen. Heute birgt es die drittgrößte Matisse-Sammlung der Welt.
Querschnitt durch das Lebenswerk
Ausgestellt sind rund 180 Arbeiten. Sie illustrieren Themen und Epochen seines Schaffens. Erste Arbeiten aus der Malklasse bei Gustave Moreau, Ölgemälde in Bohain und die Entdeckung des Lichts als Maler der Fauves.
Ausgestellt ist auch das reiche Schaffen der Jahre 1930-40. Hinzu kommen Scherenschnitte, Monumentalwerke und Wandgemälde. Auch die Ausschmückung der Kapelle von Vence fehlt nicht.
Wie ein Fisch im Wasser
Dank einer bedeutenden Schenkung des griechisch-französischen Kunstverlegers Tériade glänzt das Musée Matisse nicht nur mit Werken des Meisters, sondern auch mit Gemälden von Picasso, Chagall und Miró.
Im hohen Alter von 82 Jahren hatte Matisse noch für die Villa des Kunstverlegers Térida in Saint-Jean-Cap-Ferrat das Buntglasfenster „Chinesische Fische“ geschaffen.
Um es optisch zu vergrößern, hatte er eine große Platane auf die weißen Wandfliesen des winzigen Esszimmers gemalt. „Man sollte sich hier so frei fühlen wie die Fische im Wasser“, wünschte sich Matisse. Ob es ihm gelungen ist, könnt ihr heute hautnah im Museum nachempfinden.
Farbe ins Alphabet
Ebenfalls ein erstaunlicher Künstler aus Nordfrankreich war Auguste Herbin. Auch den Urvater der geometrisch-konstruktiven Kunst in Frankreich könnt ihr im Museum entdecken.
Dreiecke, Kreise, Rechtecke und Trapeze tummeln sich in reinen Farben auf seinen Leinwänden. Kunst als Abstraktion, kraftvoll kontrastiert und immer wieder neu komponiert. Und leuchtend vor Lebensfreude. Wie im Glasfenster Joie (Freude).
Kunst hands-on
Faszination Farbe: Sie will das Musée Matisse nicht nur ausstellen, sondern nahebringen. Ungeheuer vielfältig ist daher das ganze Jahr hindurch das museumspädagogische Angebot – besonders für Kinder und Jugendliche.
Bereits Vierjährige können mittwochs, sonntags und in den Schulferien auf den Spuren der Kubisten Collagen kleben, Mal- und Drucktechniken kennenlernen oder im Museum Geburtstage feiern.
Jugendliche lernen, im Tief- oder Flachdruck Vorlagen in Holz oder Linoleum zu schnitzen. Ein weiteres Angebot: auf den Spuren von Matisse Serigrafien zu fertigen. Dass auch junge Menschen mit Handicap ungeheuer kreativ sind, beweist das Museum beim Festival Handy’Arts.
Sonderschauen & Pauschalpakete
Wie die Farbe die Werke von Matisse, Herbin & Co. prägte, verraten jeden Sonnabend um 14.30 Uhr sowie sonntags um 10.30 und 14.30 Uhr Führungen. Sie erläutern auch die Sonderschauen, die das Matisse-Museum mehrmals jährlich in Zusammenarbeit mit Museen aus aller Welt zeigt.
Für Schulklassen werden die Führungen, Kunstkurse und Workshops auch auf Deutsch angeboten. Im Angebot für Gruppen ist zudem ein Ausflugspaket. Es enthält neben der Stadtbesichtigung von Le Cateau-Cambrésis und des Matisse-Fensters Les Abeilles auch einen Tagesausflug auf den Spuren von Matisse.
Spurensuche im Umland
Wer auf eigene Faust die Heimat von Matisse erkunden möchte, sollte das Haus der Familie in der Rue du Château 26 von Bohain-en-Vermandois ansteuern. Dort hat Matisse seine Jugend verbracht und sein Vater als Samenhändler gearbeitet.
In Saint-Quentin zeigt das Musée Antoine Lécuyer Pastellarbeiten von Maurice Quentin de la Tour, die die frühen Portraits von Matisse beeinflusst haben.
Am Ufer der Oise fand Matisse Erholung und Inspiration zugleich. 1903 stellte er seine Staffelei in Lesquielles-Saint-Germain auf. Ein drei Kilometer langer Themenweg lädt heute ein, die Stationen seines Schaffens zu entdecken.
Und auch rund um Le Cateau-Cambrésis locken vier markierte Themenwege sowie Wanderungen zu Fuß, mit dem Esel sowie Ausflüge per Rad oder Quad.
Meine Reise-Infos
Musée Départemental Matisse
Palais Fénélon, Place du Commandant-Richez,59360 Le Cateau-Cambrésis, Tel. 03 59 73 38 00, https://museematisse.fr
Office Tourisme du Cateau-Cambrésis
9, place Commandant Richez, 59360 Le Cateau-Cambrésis, Tel. 03 27 84 10 94, www.tourisme-lecateau.fr
Noch mehr Kunst in Nordfrankreich
Der Louvre Lens inszeniert in seiner Galerie du Temps 205 Meisterwerke aus Antike, Mittelalter, Neuzeit auf einem Zeitstrahl. Ein Fünftel der Werke aus dem Fundus des Pariser Stammhauses werden im Louvre Lens jährlich ausgetauscht.
Das LaM zeigt in Villeneuve-d’Ascq moderne und zeitgenössische Kunst sowie Art Brut.
Hungrig?
Friterie Lulu
Im Norden Frankreichs findet ihr sie allerorten: Imbissbuden, die im großen Stil Pommes Frites frittieren … und sogar noch als Belag aufs Brot werfen: pain frites! Wer durch den Norden reist, sollte einmal einen dieser authentischen Volksimbisse aufsuchen.
In Le Cateau-Cambrésis pilgern alle zur Friterie Lulu, wo der Inhaber gleichzeitig an drei Großfritteusen wirbelt, während seine Frau kaum mit dem Einpacken und Brote schmieren hinterherkommt. Das Motto der sympathischen Frittenbude schmückt das Papier: La frite c’est la fête!
• 16, rue Gambetta, Le Cateau-Cambresis, Tel. 06 14 27 25 51, 11.30-14, 18.30-22 Uhr
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