
Saint-Paul-de-Fenouillet hat alles, um ein Touristenmagnet zu sein. Die Strände des Roussillon und die Skihänge der Pyrenäen sind nur eine Autostunde entfernt, die Berge der Corbières, die Katharer-Burgen und die AOC-Weingärten der Côtes-du-Roussillon vor der Haustür.
Und doch schläft die Kleinstadt am südlichen Ausgang der Gorges du Galamus einen Dornröschenschlaf.

Zugegeben: Auf den ersten Blick sieht der 1800-Seelen-Ort vielleicht nicht so einladend aus. Geschlossene Geschäfte, leere Schaufenster, bröckelnde Fassaden. Noch in den 1980er-Jahren blühte die Stadt.
Doch dann kam Carrefour und sorgte dafür, dass die kleinen Läden der meist betagten Einheimischen keine Kundschaft mehr hatten. Einige Jahre später schloss das Granitwerk. Das Leben erlahmte, die Jugend zog fort, das langsame Sterben begann.

Wind schafft Zukunft
Saint-Paul ist kein Einzelfall. Und auch nicht, was jetzt hier passiert: die rurale Renaissance. Möglich machen es die Windräder. Ihre Erträge füllen das Loch, das die ständige sinkenden Zuwendungen der Präfektur in die Gemeindekassen reißen.
So heftig die neun Windräder, die seit 2017 im Agly-Tal aufragen, auch umstritten sind: Für sie wurde eine moderne Infrastruktur gebraucht.
Ordentliche Straßen, um die Anlagen zum Standort zu transportieren. Verlässliche Stromnetze, um ihre Energie zu transportieren. Und intelligente Netze, um die Anlagen fernzusteuern. Der Nutzen für die Bevölkerung: stabile Stromleitungen und raketenschnelles Internet.

Auf dem Weg zum Naturpark
Das zweite Zauberwort für Stabilität und Wachstum heißt: sanfter Tourismus. Während der Gemeindeverband die Einrichtung eines regionalen Naturparks Corbières-Fenouillèdes voran treibt, plant Saint-Paul einen umgreifenden Stadtumbau im Herzen des alten bourg.
Im September 2018 legte dazu die Agence d’Urbanisme Catalane (AURCA) eine Studie vor, wie das historische Zentrum der alten Hauptstadt des Fenouillèdes aufgewertet werden könnte. Ob sie umgesetzt werden kann, sollte sich im März 2020 bei den municipales entscheiden.

Klagen & blockieren
Bürgermeister Jacques Bayona (unabhängig) entschied sie haushoch für sich. Das wiederum gefiel seinem Gegenspieler Ludovic Servant nicht. Er klagte. Und bekam vom Gericht im Perpignan recht. Zwar hat die Kommune bei der Anmeldung der Kandidaten korrekt gehandelt und hätte auch die Nationalitäten korrekt angegeben.
Nur hätten bei der nicht-französischen EU-Kandidatin, die auf der Wahlliste des Bürgermeisters steht, sowie beim Bürgermeister mit französischer wie spanischer Staatsbürgerschaft die Nationalitäten separat aufgeführt werden müssen. So musste erneut gewählt werden. Was Corona zunächst verschob.
Wichtige Projekte werden nicht nur in Saint-Paul-de-Fenouillet so blockiert. Klagen statt gemeinsam handeln ist leider in vielen Kommunen die Realität. Die Kläger sind in den seltensten Fällen betroffene Bürger. Sondern zumeist Anhänger oder Politiker einer rechtsextremen Partei.

Die Renaissance des Chapitre
In Saint-Paul wurde mit dem Chapitre in den letzten Jahre unter Bürgermeister Bayona eines der wichtigsten kulturhistorischen Bauten der Pyrénées-Orientales instand gesetzt und saniert. Die Wurzeln der einstigen Benediktinerabtei reichen bis ins Jahr 985 zurück.
Papst Johannes XII. wandelte sie 1318 in ein Chorherrenstift um. Die Säkularisierung im Zuge der Französischen Revolution zerstörte viel von der einstigen Pracht. Die Kirche wurde Wohnhaus. Bei ihrer Restaurierung legten die Denkmalpfleger opulente Reliefs und Gypserien (Stuck) frei.


Sobald ein neuer Standort für das Heimatmuseum gefunden ist, soll auch die Zwischendecke entfernt werden, die heute den Blick auf das Gewölbe verdeckt.
Doch das Schönste am Chapitre ist sein siebeneckiger Glockenturm: Genießt von oben den Panoramablick auf die Galamusschluchten, die Clue de la Fou, das Tal des Agly und die vielen Weinberge!

Drinnen und oben ist das Chapitre bereits ein Schmuckstück. Von außen soll es jetzt eines werden. Dazu will die Kommune ein leerstehende Haus kaufen, abreißen und einen neuen Zugang zum Chorherrenstift schaffen.
Rasenflächen, Pflanzen und Bänke sollen es künftig zum schmucken Mittelpunkt des vieux bourg machen.

Lebensart unter Platanen
Auch für die benachbarte Place de la République hat Bürgermeister Jacques Bayona große Pläne. Das Kriegerdenkmal soll einen neuen Standort, die parkenden Autos neue Stellplätze genau dort erhalten, wo sich heute eine verlassene Villa und eine aufgegebene Bäckerei erheben.

Wer die Galamus-Schlucht gen Süden verlässt, kommt dann automatisch zu diesem Platanenplatz. Thierry Poux freut sich. Sein Poux Café, das in der Hauptsaison als Bistrot du Pays kaum alle Gäste unterbringen kann, darf sich dann auf dem gesamten Platz ausdehnen.
Köstlich: die croquants de Saint-Paul. Foto: Hilke Maunder
Direkt am zentralen Platz der Altstadt findet ihr gleich neben der Maison de la Presse die kleine Boutique von Guy. Drinnen duftet es köstlich. Doch da hat Guy schon eine Metallschachtel genommen, öffnet sie und sagt: „Probieren Sie“.

Jeden Morgen ab sechs Uhr früh steht er in der Backstube und fertigt aus Mandeln, Butter, Mehl und Gewürzen einen knusprig harten Keks, den die Einheimischen traditionell zum kräftigen Roten beim apéro genießen: den Croquant de Saint-Paul.
Zwischen den Fassaden an der Südseite glänzt seit 2019 ein Messingschild. Er gehört zu einem établissement, das ein Pariser dort eröffnete – und der seitdem Paare auch von weiter her anlockt. Er birgt den einzigen Sado-Maso-Club der Region Okzitanien.
70 Jahre Foyer Rural

Als ich 2014 Saint-Paul zur zweiten Heimat machte, erinnerte mich das Foyer Rural an ländliche Veranstaltungshallen der ehemaligen DDR: in die Jahre gekommen, voller sozialistischer Patina.
Doch der erste Eindruck täuschte, merkte ich rasch.

Donnerstag bis Sonntag läuft großes Kino. Dann werden Streifen gezeigt, die auch in Paris laufen. 5 Euro kostet der Filmbesuch.
Und damit kaum mehr die Pizza, die in der Bar des Foyer Rural ein Pariser backt, der in Saint-Paul mit Mitte 50 noch einmal ein neues Leben begonnen hat. Frisch geschieden und weit weg von all den Problemen der alten Heimat.

Im Foyer Rural holen Messen esoterischen Lifestyle in die Provinz, fachsimpeln Männer über Münzen und Waffen, tanzen die Alten beim nachmittäglichen Sonntagstee, wird Bingo gespielt und das neue Jahr mit dem Bürgermeister mit Reden, Wein und Knabbereien begrüßt.
Auf dem Vorplatz flackern zu Sant-Jordi die Flammen. Mittwochs und Sonnabends trifft man sich zum Dorfklatsch beim Markttag. Am Pfingstsonnabend wird auch gefeiert.
Das Foyer Rural hat zum 70. Geburtstag eine Komplettsanierung erhalten. Dies feierte Saint-Paul mit einem apéro dansant und Live-Konzerten – am Sonnabend von Hallyday, am Pfingstsonntag mit Cali.

Das Chapitre von José
Die Aufbruchsstimmung in der Kommune hat auch die Einheimischen erfasst. Dort, wo einst das Granitwerk stand, errichtet jetzt ein Privateigentümer direkt am östlichen Ortseingang ein großes Solarfeld.

Immer häufiger schmücken Schilder mit dem Hinweis vendu (verkauft) die alten Stadthäuser. Stolz wird auf Instagram gepostet, wie die Renovierung läuft.

Auch auf der Place Saint-Pierre dröhnt der Baulärm. José Quesada haucht einem Lokal, das jahrelang geschlossen war, neues Leben ein. Zusammen mit einer Handvoll Männer aus dem Dorf riss der gelernte Pâtissier alles, was alt ist, heraus. Und machte selbst vor den Fußböden und Decken nicht halt.
Im Winter 2019 war José fertig. Und wollte zu Ostern eröffnen. Das Coronavirus verhinderte dies. Doch José hielt an seinem Lebenstraum fest. Er empfängt seit Sommer 2020 im Petit Chapitre drinnen und draußen seine Gäste. Und begeistert sie mit kreativer lokaler Küche.


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Liebe Hilek Maunder ,
bin auf meiner Suche im Netz auf Ihren Artikel gestoßen . Sehr schön , aber wie
im Moment überall leider keine Reise möglich. Hoffen wir dass es sich bald wieder reisen lässt .
Eine Bemerkung zur Covid Lage zur Zeit , lassen Sie mich noch machen.
Hier habe ich nach 20 Jahren Elsassbesuchen von Wissembourg bis Thann , herrliche Restaurantbesuche , wunderbare Landhotels , und natürlich die Köstlichkeiten des Elsass`s von Gänseleber bis wunderbaren Weinen genossen.
Leider habe zur Zeit die Restaurants alle geschlossen. Trotzdem möchte ich gerne ins Elsass zum Einkaufen fahren. Wenn ich da nur an den Kalbskopf meines feinen Metzgers Schimpf in Wissembourg denke , läuft einem das Wasser im Munde zusammen.
Nun muss man zur Zeit bei Besuchen innerhalb 24 Stunden für die französische Polizei eine Bescheinigung mitbringen. Nun ist nicht jeder des französischem mächtig , der gern ins Elsass reist . Im Internet kann man die Bescheinigung runterladen . Allerdings nur in Französisch und ENGLISCH !!?? .
Was nützt das dem Elsassbesucher aus Deutschland ? Und das sind viele…..
Besucher die dann nicht mehr zum einkaufen kommen .
Ohne Bescheinigung droht Strafe (Ca.135.00€)
Bedauerlicherweise stößt man immer wieder auf solche ,Probleme .
Sind sie bewusst so gemacht ?? Damit tut man der Elsässischen Gastronomie und dem Einzelhandel , keinen gefallen .
Bei solche Dingen hat man das Gefühl dem französischem Staat als Deutscher nicht willkommen zu sein. Das passt sicher nicht mehr in die Zeit……
Schade eigentlich , da bleibt man wie der Schwabe sagt ….. im Ländle….
Es grüßt Sie freundlich
Dietmar Borowski
Lieber Herr Borowski,
danke für Ihren Kommentar! Noch besteht ja Hoffnung, dass am 15.12. wieder für Sie Einkaufsfahrten ins Elsass möglich sein werden. Wenn Sie über die aktuelle Entwicklung der Corona-Pandemie und ihrer Auflagen in Frankreich informiert bleiben möchten, schauen Sie doch hier einmal: https://meinfrankreich.com/lockdown-ausstieg-weihnachten-2020/
Den Beitrag aktualisiere ich täglich.
Alles Gute und schöne Adventszeit, Hilke Maunder
Ich kenne das auch aus Burgund. Wunderschöne Dörfer und kaum Menschen. Daraus sind meine ersten Reiseideen entstanden, das ländliche Frankreich mit Nachhaltigkeit und sanftem Tourismus aus dem Dornröschenschlaf wecken. Ich freue mich über jede Idee in diese Richtung!
„Mein“ Canet d´Aude war in den 80er Jahren auf knapp 1100 Einwohner geschrumpft. Schuld waren wohl die wegbrechenden Arbeitsplätze im Weinbau. Seit einigen Jahren dreht sich der Trend. Inzwischen wohnen wieder über 1600 Menschen im Dorf. Das liegt sicher auch an jungen Familien, die statt in einer Wohnung in Narbonne lieber in einem Haus mit Garten leben.
Hach, dann sind „wir“ ja fast gleich groß! Viele Grüße in den „Norden“!