Meine Premiere: Weinlese im Aglytal. Foto: Hilke Maunder
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Weinlese: Reben zum Niederknien

Cherche vendageurs déclarés à partir de lundi 26/8. Expérience non exigie… 
Suche Erntehelfer bei der Weinlese im Rahmen eines Weinlese-Saison-Arbeitsvertrages. Ab Montag, 26. August. Erfahrung nicht erforderlich…

Handgeschrieben mit schwarzem Filzstift hing der Zettel an der blau gestrichenen Tür im alten Zentrum von Saint-Paul-de-Fenouillet im Tal des Agly, dem nördlichsten großen Flusstal in den Pyrénées-Orientales.

Ich war gerade angekommen und schleppte meine Umzugskisten in das Haus, das mein südlicher Bürostandort werden sollte. Zumindest für die Zeit, bis meine Tochter ihren ersten Studienabschluss erreicht hat, wollte ich dort so viel Zeit wie möglich verbringen. Und tief eintauchen in den Alltag dieses Dorfes.

Weinlese im Aglytal: Bastien sucht Erntehelfer. Foto: Hilke Maunder
Mit solchen Zetteln suchen viele Winzer Erntehelfer. Foto: Hilke Maunder

Was ein Zettel bewirkt

Der Zettel fiel mir auf, nistete sich ein im Hirn, im Hinterkopf. Und beim ersten Wein, nachdem alles ausgepackt war und ich aus dem Wohnzimmer auf die karstigen Hänge ringsum blickte, dachte ich: Warum nicht? Als Studentin hattest Du es immer gewollt und nie gemacht – warum nicht jetzt?

Während der Tag sich verabschiedete, schickte ich eine SMS an die Mobilnummer. Wenige Minuten später piepte die Antwort: „Bien! Rdv demain 7 heures place St-Pierre. Pense à emmener de l’eau!“ Treffpunkt 7 Uhr an der Place Saint-Pierre. Denk daran, ausreichend Wasser mitzunehmen!

Unruhig, sehr unruhig wurde die Nacht. Würde ich mithalten können? Wie anstrengend wird es wohl? Kann ich das überhaupt (noch)? Mit künstlichen Gelenken, in meinem Alter? Und dann in dieser Hitze? War das nicht wirklich eine Schnapsidee? Und doch: Der Gedanke gefiel mir, die Herausforderung reizte mich.

Weinlese im Agly-Tal: die Weingärten: Foto: Hilke Maunder
Inmitten der Weingärten des Agly-Tales: Was für eine traumhafte Landschaft. Foto; Hilke Maunder

In der Kühle des Morgens

Im Dunkel der Nacht verließ ich am nächsten Morgen das Haus. Frisch war es draußen. Ich fröstelte. Um 6.50 Uhr waren alle Helfer bereits am vereinbarten Treffpunkt an der Place Saint-Pierre. Es waren: ein Medizinstudent aus Paris, Abiturienten, die work & travel in Europa machten, Saisonarbeiter, Angestellte deren Gehalt im Hauptberuf fürs Auskommen im Alltag nicht reichte.

Mit dabei waren Kollegen, mit denen der Biowinzer Bastien Baillet vom Weingut La Bancale kooperierte. Eine bunte Mischung wie bei allen Winzer. Und meistens packt der Chef oder die Patronne mit an.

Die Böden von La Bancale

So auch Bastien und seine Partnerin Céline Schuers. Ihr 4,5 Hektar großes Weingut benanten sie nach der Geologie des Fenouillèdes. La bancale bezeichnet dort in fünf Gemeinden die Böden auf einem recht steinigen Boden.

Dazu gehören der Granit von Trilla und Lesquerde und der schwarze Mergel in der Synklinale von Saint-Paul-de-Fenouillet mit ihren Fossilien aus der Jurazeit. Zwischen 200 Höhe und 800 Metern Höhe gedeihen dort die alte traditionelle Rebsorten.

Weinlese im Aglytal: Lese mit Tragekippe vor der Chaîne de Lesquerde. Foto: Hilke Maunder
Bis zu 45 kg trägt der porteur bei der Lese in der Kiepe. Foto: Hilke Maunder

Schwarzer und weißer Carignan, schwarzer und grauer Grenache, Macabeu und Syrah gehören zum Portfolio. Bereits Mitte August beginnt die Ernte.

Im Oktober werden die letzten Trauben handgelesen. Maschinen kommen bei der Arbeit des überzeugten Biowinzers nicht zum Einsatz.

Schuften zum Einheitslohn

Für alle Erntehelfer, ob bei Bastien oder anderen Betrieben, stets den gleichen Lohn: den SMIC. Dieser Salaire minimum interprofessionnel de croissance wird in Frankreich automatisch der Inflation angepasst.

Die Anpassung erfolgt stets zum Jahresbeginn, und falls erforderlich ist, auch mitten im Jahr. Vor jeder Anhebung des Mindestlohns wird dazu ein Gremium von Wirtschaftswissenschaftlern konsultiert.

Weinlese im Agly-Tal: Biowinzer Bastien Baillot. Foto: Hilke Maunder
Weinlese im Agly-Tal: Biowinzer Bastien Baillet. Foto: Hilke Maunder

Hohe Abzüge beim smic

Vom Bruttolohn gehen recht hohe Sozialabgaben ab. Die Beiträge zur Gesundheitsversorgung, Arbeitslosengeld und Rentenansprüche betragen rund 22 Prozent des Bruttolohns. Mein Stundenlohn von 10,03 Euro war plötzlich nur noch 7,80 Euro wert. Mehr gab es nicht für den Knochenjob im Weinberg.

Den Unterschied macht der Umgang mit den Mitarbeitern aus. Während der Biowinzer bei der Kaffeepause um 10 Uhr Croissants, Chocolatine, Wasser und Kaffee servierte und sich mit einem After-Work-Bier am Ende jedes Tages bei den Erntehelfern bedankte, erfassen andere Winzer nur die tatsächliche Zeit der Lese für den Lohn.

Pausen und Transfers zwischen den Parzellen werden bei der Stundenberechnung ausgenommen. Das gilt bei uns im Tal besonders für große Keller wie Mas Amiel.

Weinlese im Agly-Tal: Morgenkaffee mit Madeleine. Foto: Hilke Maunder
Weinlese im Agly-Tal: Morgenkaffee mit Madeleine. Foto: Hilke Maunder

Runter auf die Knie!

In einem Korb lagen die Scheren. Als Einzige hatte ich Arbeitshandschuhe eingepackt. Kaum angekommen, wurden auch schon die Körbe verteilt, und Bastien ging mit der Kiepe durch die engen Reihen.

Dort, wo die Abstände größer waren zwischen den rangs, den Rebenreihen, wurde mit Plastikkästen gearbeitet, die Bastien mit der Ladefläche seines Treckers einsammelte.

Weinlese im Agly-Tal: Carignan blanc. Foto: Hilke Maunder
Üppige Traube: Carignan blanc. Foto: Hilke Maunder

Carignan Blanc und Muscat machten den Anfang. Da im Agly-Tal 200 Tage lang die Tramontane hindurch fegt, sind die Weinstöcke besonders bei den weißen Trauben, sehr niedrig gehalten. Die meisten Erntehelfer gehen daher in die Knie. Selbst für echte Profis ist das dauernde Bücken und Biegen des Rückens zu anstrengend.

Es wird heiß

Schnell, viel zu schnell, klettert die Sonne am Himmel hoch, steigen die Temperaturen. 27 Grad zur morgendlichen schnellen Kaffeepause, 38 Grad um elf, 42 Grad, als wir die Scheren um ein Uhr mittags aus der Hand legen. 1,2 Tonnen Trauben haben wir zu fünft geerntet in fünf Stunden.

Weinlese im Agly-Tal. Foto: Hilke Maunder
Fertig. So richtig fertig und dreckig: Die Weinlese ist ein echter Knochenjob. Foto: Hilke Maunder

Am nächsten Morgen haben auch die Männer Muskelkater. Nach einer Woche wechseln wir von Weiß auf Rot. Die Erntehelfer atmen auf: Syrah wird im Tal des Agly am Spalier gezogen und lässt sich im Stehen ernten.

Doch bei der Grenache, der Haupttraube des Roussillon, rücken wir wieder auf den Knien von Stock zu Stock. Die AOC verlangt, dass die rote Rebe im gobelet geschnitten wir, als niedriger Becher, der windschnittig ist.

Weinlese im Aglytal: Syrah.
Schön am Spalier: Syrah – an den braunen Stellen hat die Traube Sonnenbrand, Das wird mit der Schere ausgeschnitten. Foto: Hilke Maunder

Sonne und Wind

Und der hat seit dem Gewitter und Temperatursturz auf frische neun Grad am Morgen zugelegt. In Böen fegt der kühle Tramontane über die kleine Parzelle, auf der die Grenache auf lehmig-kalkigem Boden wächst. Klein sind die Trauben. Einige haben braune Flecken. „Sonnenbrand“, sagt Bastien.

Immer wieder peitscht der Wind die langen Äste des Weinstocks ins Gesicht. Um die Trauben vor Hitze und Sonne zu schützen, wurden sie nur sehr wenig entlaubt. War bislang der Rhythmus der Schere schnell, sehr schnell gewesen, wird die Lese nun zur beschaulichen Suche.

Weinlese im Agly-Tal: Abtransport per Trecker. Foto: Hilke Maunder
Per Trecker werden die Kisten voller Trauben zum Laster gebracht. Foto: Hilke Maunder

Im Rhythmus der Natur

Nach zwei Wochen ist plötzlich Schluss. „Der Carignan hat erst 8,5° – wir müssen noch zwei Wochen warten“.  Die Erntehelfer greifen zum Handy, telefonieren, tauschen gegenseitig Kontakte und Tipps aus. Luc hat sich seinen Peugeot-Transporter mit Matratze, Laptop-Ladekabel und Espresso-Batteriekocher wohnlich gestaltet. „So bin ich flexibel“. Morgen arbeitet er bei Paul Meunier in Saint-Arnac. Die Karawane folgt.

Weinlese im Agly-Tal: Grenache Gris. Foto: Hilke Maunder
Naschen ist bei der Lese erlaubt. Grenache Gris: schmeckt! Foto: Hilke Maunder

Mithelfen bei der Weinlese: die Infos

Der rechtliche Rahmen für Saisonarbeit als Erntehelfer

www.msa.fr/lfy/contrat-vendanges

Wann geht es los?

Bereits Anfang August beginnt alljährlich im Roussillon die Weinlese. Generell gilt: Languedoc, Provence und Korsika sind die ersten der 17 Weinbaugebiete, die mit der Lese der 351 französischen Rebsorten beginnen.

Anfang September ist Lesebeginn im Beaujolais und im Süden der Côtes du Rhône, Mitte September im nördlichen Rhônetal, im Bordelais und restlichen Südwesten, in Burgund, im Loiretal, im Bugey und Savoyen, im Zentrum und im Jura.

Ende September folgt die Weinlese im Elsass und in der Champagne. Charentes, Cognac und Lothringen beschließen die jährliche Weinlese im Oktober.

Was wird gezahlt?

Üblich bei der Weinlese wie auch bei anderen Ernteinsätzen in Frankreich ist die Entlohnung nach dem SMIC, dem Salaire minimum interprofessionnel de croissance. Der gesetzlich festgelegte Mindestlohn ist der Bruttoarbeitslohn für einen gesunden Erwachsenen. Der SMIC wird jährlich angepasst. Vor der Auszahlung werden vom SMIC noch Sozialbeiträge abgezogen.

Wie lange wird gearbeitet?

Gestartet wird meist morgens früh zwischen sechs und sieben Uhr. Und dann wird, je nach Reifegrad der Trauben, bis abends geerntet Das ist, gerade an steilen Hängen, körperlich durchaus fordernd. Achtung: Die Pausen und Transferfahrten gelten oft nicht als Arbeitszeit und werden daher meist nicht vergütet. Nette Arbeitgeber stellen aber Wasser – und nach Ende der Lese – auch Wein oder Bier bereit. Wer Glück hat, feiert das Ende der Lese mit einem großen gemeinsamen Essen aller Erntehehelfer.

Wie finde ich Ernte-Jobs?

Auf Online-Jobplattformen

Achtung: Einige Plattformen sind mit einer Verlinkung nicht einverstanden. Dann ist nur die URL aufgeführt.

https://de.gigajob.com

www.vitijob.com

https://fr.indeed.com

Jobbörse des französischen Arbeitsamtes

www.pole-emploi.fr

Vor Ort

• regionale Winzerverbände und Marketingorganisation der jeweiligen AOC

• örtliche Handelskammern (CCI)

• Tourismus-Informationen (Office de Tourisme)

• Winzer anrufen; dazu Webseiten der Winzer aufrufen oder online in den pages jaunes stöbern, dem französischen Branchenbuch

• Aushänge ansehen – in Bars, Cafés und der Maison de la Presse sowie bei örtlichen Kaufmannsläden.

Weinlese im Aglytal: Feierabend-Bier mit Bastien Baillet. Foto: Hilke Maunder
Zum Feierabend gibt es das lokale Craft-Bier. Biowinzer Bastien Baillet legt Wert auf lokale Produkte. Foto: Hilke Maunder

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Im Blog

Was für tolle Weine im Tal des Agly hergestellt werden, könnt ihr hier erfahren.

Ein ganz besonders genussreiches Weingut ist das Château de Jau. Das Weinerlebnis runden dort Kunstausstellungen und Schlemmerei unter freiem Himmel ab. Klickt mal hier!

Eines der größten wie modernsten Weingüter im Agly-Tal ist Mas Amiel. Vor dem Gut reift der Süßwein in riesigen dames-jeannes unter freiem Himmel. Mehr Infos gibt es hier.

Mehr über den Süßwein von Maury und die vins doux naturels erfahrt ihr hier.

Herbst im Vallée de l'Agly. Foto: Hilke Maunder
Herbst in der Vallée de l’Agly. Foto: Hilke Maunder

Im Buch

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14 Kommentare

  1. Chère Hilke,
    Merci bien !
    Echt schön, schön schwer 🙂
    Tja, da kommen meine Erinnerungen aus den 70ern richtig hoch! :-))
    Sehr früh aufstehen, an die Weinplantagen bringen laßen, hart arbeiten und bestimmte Mindestmenge schaffen, schnelles gutes Mittagessen, weiter bis 16-17 Uhr ackern, Abflug… Und so – 5 bis 7 Arbeitswochen im Herbst… als Schüler, später als Student…

  2. Hallo Hilke,
    danke für den schönen Bericht!
    Arbeite im Sommer seit ein paar Jahren auf der Alp und habe dieses Frühjahr bei der Spargelernte mitgeholfen.
    Die Weinlese fehlt mir noch…
    Könntest Du mir den Kontakt geben?
    Danke!
    Liebe Grüße
    -katrin

    1. Hallo Katrin, im Beitrag ist Bastien Baillet verlinkt; aus datenschutzrechtlichen Gründen darf ich leider keine Adressen und Kontakte herausgeben.
      Alles Gute und viel Glück! Hilke

  3. Schade, daß macht mein Körper nicht mehr mit! Dabei wäre es so schön, einmal den Weingenuss, der mich mein Leben begleitet hat, von der Pike auf zu erfahren, ich meine von der Schere und dem Tragerucksack auf… Tolle Bilder, prägnante Info, ich werde beim nächsten Glas Rousillion an dich denken.

  4. Bonjour Hilke, ganz herzlichen Dank für diesen interessanten Artikel. Den werde ich mir auf jeden Fall aufheben, da ich auch seit Jahren mal bei einer Weinlese mitmachen möchte. Dieses Jahr klappt das nicht, aber hoffentlich die nächsten Jahre mal, jetzt habe ich ja Kontaktadressen.
    Wollte nur mal eine kurze Rückmeldung geben, dass mir die Artikel immer gut gefallen und neue Impulse für weitere Exkursionen und Urlaube in meinem Lieblingsland geben.
    À la prochaine alors, viele Grüße aus Stuttgart
    Susanne Kreft

    1. Liebe Susanne, oh, das freut mich! Guck bei der Weinlese-Suche auch mal auf Bilder der Weinfelder, dann siehst Du, ob die Rebe hoch wächst – oder tief gehalten wird. Spalier ist meist leichter zu ernten als Stöcke, die einzeln stehen und flache gehalten sind durch den Schnitt. Auch ist das Gehen und Stehen auf rutschig-lockerem Gestein wie hier ganz schön anstrengend… fester Boden arbeitet sich leichter… Viel Spaß bei der Lese! Hilke

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