Detail der Türme der église fortifie von Froidestrées in der französischen Thiérache. Foto: Hilke Maunder
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Die Wehrkirchen der Thiérache

Ecktürme, Verliese, Schießscharten und Wachtürme: Wenn ihr durch die Thiérache im Norden Frankreichs fahrt, habt ihr bestimmt schon einmal die großen Wehrkirchen der Dörfer und Städtchen gesehen.

Die Thiérache erstreckt sich heute über zwei Regionen und drei Départements: Aisne und Nord in Hauts-de-France und Ardennes in Grand Est. In Belgien setzt sie sich in den Provinzen Hainaut (Hennegau) und Namur fort.

Als alte Grenzregion war die Thiérache von ständigen Konflikten, Plünderungen und Raubüberfällen geprägt. Die Einheimischen beschlossen daher, das einzige feste Gebäude zu befestigen, das den Angreifern standhalten konnte: ihre Kirchen. Als Erbe eines tausendjährigen Durchzugslandes sind besonders während des Achtzigjährigen Krieges (1568-1648) mehr als 60 befestigte Bastionen entstanden.

Auf der Rundstrecke der Wehrkirchen der Thiérache könnt ihr heute dieses ungewöhnliche Architekturerbe entdecken. Die ausgeschilderte Strecke beginnt bei Charleville-Mézières  in den Ardennen von Grand Est an der Grenze zum Département Aisne. Von dort führt die Themenroute als 150 Kilometer lange Rundstrecke durch Wälder und Wiesen zu befestigten Wehrkirchen der Thiérache, die sich in Frankreich besondern ist den Tälern der Brune und der Serre konzentrieren.

Architektur und Besonderheiten der Wehrkirchen

Die Wehrkirchen der Thiérache vereinen sakrale und militärische Architektur. Charakteristisch sind massive Türme, Wehrgänge, dicke Mauern mit Schießscharten und häufig auch versteckte Zugänge zu Verteidigungsanlagen. Dennoch gibt es regionale Unterschiede und spannende Einzelmerkmale.

Noircourt – Die „Burgkirche“ Saint-Quentin

Die Wehrkirche von Noircourt erinnert eher an eine Festung als an ein Gotteshaus. Besonders auffällig ist der mächtige rechteckige Turm, der über Schießscharten und eine hohe Wehrplattform verfügt. Die Kirche stammt aus dem 16. Jahrhundert und besitzt einen beeindruckenden Innenraum mit gotischen und romanischen Elementen.

Féron – Saint-Martin und ihre barocke Überraschung

Die Wehrkirche von Féron ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Wehrkirchen über die Jahrhunderte umgestaltet wurden. Während ihre Befestigungen noch gut sichtbar sind, überraschen im Inneren kunstvolle barocke Dekorationen aus dem 18. Jahrhundert. Der Kontrast zwischen wuchtiger Außenansicht und opulenter Innenausstattung macht sie einzigartig.

Montcornet – Saint-Martin und ihre Verteidigungstürme

Die Wehrkirche von Montcornet gehört zu den schönsten der Thiérache. Foto: Hilke Maunder
Die Wehrkirche von Montcornet gehört zu den schönsten der Thiérache. Foto: Hilke Maunder

Die Kirche Saint-Martin in Montcornet gehört zu den imposantesten der Region. Auffällig sind ihre massiven runden Verteidigungstürme mit Schießscharten. Sie wurde strategisch auf einem kleinen Hügel errichtet, was den Verteidigern einen Vorteil verschaffte. Der Innenraum beeindruckt durch eine prächtige Holzbalkendecke.

Vervins – Vom Bischofssitz zur Wehrkirche

Vervins, eine der größeren Städte der Thiérache, war einst ein bedeutender Bischofssitz. Die Kirche Notre-Dame de Vervins ist nicht nur wehrhaft, sondern besitzt auch eine ungewöhnliche Geschichte: Im 16. Jahrhundert wurde sie mehrfach umgebaut und erhielt nach einem Brand ihre heutige Form mit hohen Befestigungsmauern.

Hary – Saint-Maurice und ihr geheimer Fluchtweg

Die Wehrkirche von Hary, Saint-Maurice, besaß einst geheime Gänge, welche die Kirche von Hary mit dem benachbarten Schloss verbunden haben sollen. Bauern fanden im 19. Jahrhundert angeblich einen verschütteten Eingang, doch heute gibt es keine Spuren mehr davon.

Derartige unterirdische Fluchtwege sind typisch für einige Kirchen der Thiérache, wurden aber oft verschüttet oder zerstört.

La Bouteille – der späte vierte Turm

Auch abseits der markierten Route findet ihr solche Kirchen. Wie in La Bouteille. Seinen Namen erhielt das 400-Seelen-Dorf von einer Flaschenfabrik. 1540 eröffnete sie in La Bouteille (Die Flasche). Eine lokale Sage erzählt von einem Glasbläser, der versehentlich einen bösen Geist in eine Flasche eingeschlossen haben soll. Dieser Geist soll noch heute im Dorf umhergehen und Wanderer in die Irre führen – besonders bei Nebel.

Die imposante Wehrkirche von La Bouteille, die dem Heiligen Remigius (Saint-Remi) geweiht ist, gehört zu den beeindruckendsten Kirchen der Thiérache. Ihr massives Bauwerk aus rotem Backstein mit vier wuchtigen Türmen erinnert eher an eine mittelalterliche Festung als an ein Gotteshaus.

Die Ursprünge der Kirche gehen auf das Jahr 1547 zurück – eine Zeit, in der die Bewohner der Thiérache sich immer wieder gegen Plünderer und feindliche Truppen verteidigen mussten. Besonders während der Hugenottenkriege und des Achtzigjährigen Krieges (1568–1648) waren Kirchen oft die einzigen Rückzugsorte der Dorfbewohner.

Detail der Türe der Wehrkirche von La Bouteille. Foto: Hilke Maunder
Detail der Türme der Wehrkirche von La Bouteille. Foto: Hilke Maunder

Ursprünglich besaß die Kirche von La Bouteille nur drei Türme. Der vierte Turm wurde erst 1860 hinzugefügt – eine Seltenheit unter den Wehrkirchen der Thiérache. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ein massiver Strebepfeiler die Stabilität des Bauwerks gewährleistet.

Weiter nördlich findet ihr in Origny-en-Thiérache eine weitere Wehrkirche. Notre-Dame-du-Mont-Carmel du Chaudron entstand direkt an der D963 im Jahr 1872. Sehr wehrhaft ist auch die zweite Kirche des Ortes, Saint-Cyr-et-Sainte-Julitte.

Legenden, Sagen und Mythen

Die Wehrkirchen der Thiérache sind nicht nur beeindruckende Bauwerke, sondern auch Schauplätze alter Geschichten.

🔸 Die Geisterglocke von Beaurain
In der Kirche Saint-Médard in Beaurain soll eine Glocke existiert haben, die sich angeblich von selbst läutete, wenn Gefahr drohte. Die Legende besagt, dass sie während eines Angriffs im 17. Jahrhundert verstummte – und nie wieder erklang.

🔸 Die geheime Kammer von Plomion
In der Wehrkirche von Plomion soll es eine verborgene Kammer geben, in der einst die Dorfschätze versteckt wurden. Historiker vermuten, dass es sich dabei um einen getarnten Vorratsraum handelte, doch bis heute wurde der Eingang nicht gefunden.

Die schönsten Wehrkirchen

Diese Wehrkirchen gehören für mich zu den schönsten der Region – und solltet ihr auf keinen Fall verpassen!

  • Saint-Médard in Beaurain
  • Saint-Martin in Burelles
  • Saint-Nicolas in Églancourt
  • Saint-Théodulphe in Gronard
  • Saint-Martin in Jeantes
  • Saint-Martin in Montcornet
  • Saint-Médard in Parfondeval
  • Notre-Dame de l’Assomption in Plomion
  • Notre-Dame-du-Mont-Carmel von Origny-en-Thiérache
  • Saint-Médard in Prisces
  • Saint-Martin in Wimey

Detaillierte Beschreibungen zu all diesen wehrhaften Gotteshäusern enthält der Reiseführer des Chamina-Verlags, erhältlich bei den Touristeninformationen.

Bilderbuchdorf: Parfondeval

Ein Dorfidyll aus roten Backsteinen und grauen Schieferdächern, das eine imposante Wehrkirche überragt, ist Parfondeval. Heute gehört es zu den schönsten Dörfern Frankreichs! Seine Kirche Saint-Médard wurde im 16. Jahrhundert mehrfach belagert – doch nie eingenommen. Einer Legende nach lag das an einer geheimen unterirdischen Quelle, die die Verteidiger mit Wasser versorgte.

Bis heute ist das Dorf dennoch recht landwirtschaftlich ausgerichtet und ein wunderschöner Ausgangspunkt für Wanderungen, Spaziergänge oder Radtouren vorbei an Apfelhainen, Weiden und Maisfeldern.

Köstliches aus der Bocage

Die Thiérache ist recht dünn besiedelt. Typisch ist ihre Bocage-Landschaft. Immer wieder trennen „Knicks“, Hecken- und Strauchwälle, die Felder und schützen sie vor dem Wind. In den Apfelhainen wachsen uralte Sorten an knorrigen Bäumen und liefern den Rohstoff für eine Spezialität, die ich dort nicht vermutet hätte: Cidre.

Die Milch der Kühe, die auf den weiten Wiesen weiden, liefern die Milch für einen Stinkekäse, den ich enorm schätze: den Maroilles., den der Film „Bienvenue chez les Ch’tisWillkommen bei den Sch’tis* berühmt machte. Ein Verwandter des quadratischen Maroilles ist ein köstlicher Kegel: die Boulette d’Avesnes aus dem Avesnois im Département Nord.

Er kann mit Petersilie, Estragon und Nelken gewürzt werden, mit Bier gewaschen oder in Paprika oder Rauke gerollt werden. Letzteres verleiht ihm eine rotbraune Farbe und einen etwas würzigen, mitunter herben Geschmack.

Die Wehrkirchen der Thiérache: meine Reiseinfos

Der Führer

Bei den Offices de Tourisme erhaltet ihr einen informativen Führer zu den befestigten Kirchen der Region. www.tourisme-thierache.fr/Incontournables/La-Thierache-fortifiee

Essen & trinken

Die Infrastruktur an Cafés ist in diesem Landstrich recht dünn. Die Küche ist einfach und bodenständig mit Steak Frites und anderen Café-Bar-Klassikern. Richtig gut und köstlich sind die Holzofen-Pizze.

Bar Tabac de Lugny

Chez Franck, 29, rue du Vilpion, 02140 Lugny, Tel. 98 23 98 17 00

Miiaam... Maroilles! Foto: Hilke Maunder
Miiaam… Maroilles! Foto: Hilke Maunder

Die Käse-Macher

Maroilles Fauquet

Seit 1925 fertigt Fauquet den symbolträchtigsten Käse des Nordens  – ihr kennt ihn vielleicht von der Käsetheke von Carrefour.
• 28, rue de la Croix, 02170 Le Nouvion-en-Thiérache, Tel. 03 23 98 35 70, www.quiveutdufromage.com

Maroilles Leduc

In dritter Generation wird bei Leduc der Landkäse gefertigt.
• 4, route de la Capelle, 02260 Sommeron, Tel. 03 23 97 23 86, www.leduc-maroilles.com

Maroilles Lesire

1923 wurde diese Käserei gegründet.
• 9, rue Dardennes, 02500 Mondrepuis, Tel. 03 23 58 13 51, https://www.facebook.com

Ferme de la Fontaine Orion

2020 hat Aurélie Halleux-Labroche mit Bravour den Betrieb von ihrer Wahl-Tante Claire Halleux übernommen. Sie ist eine der wenigen Produzentinnen von Maroilles fermier.
• 1, rue Hurtebise, 02140 Haution, Tel. 03 23 98 22 50, www.bienvenue-a-la-ferme.com

Ferme de Maliécou

In der hauseigenen épicerie könnt ihr neben dem köstlichen Maroilles Bouton d’Or AOC-Käse auch die Tarte au Maroilles, die aus dem berühmten Käse hergestellt wird, kaufen. Ebenfalls im Angebot sind der Schafskäse Le Maliécourt sowie ein fromage blanc von der Kuh .
• 02450 Oisy, Tel. 03 27 77 60 44

Die Cidre-Höfe

Le Clos de la Fontaine Hugo

Im Hofladen von Grégoire Leroux gibt es neben Apfelsaft, Cidre und frischen Äpfeln auch Apfelessig, Apfelgelee und Cidre-Konfitüre. Wer mag, kann auf dem Hof übernachten.
• Hameau de Wichery,  02360 Rozoy-sur-Serre, Tel.  03 23 97 69 47, www.bienvenue-a-la-ferme.com

La Folie Douce

Ferme de la Chapelle Jérôme, 1, rue de la Fontaine des Pauvres,  02170 Le Nouvion-en-Thiérache, Tel. 03 23 97 09 99, www.bienvenue-a-la-ferme.com

Schlemmer-Shopping

Les Vergers du Baty

Gleich mehrere lokale Produzenten findet ihr im Hofladen dieses Apfelhofes.
• 9, rue du Baty, 02500 Neuve-Maison, Tel 03 23 58 19 27, www.tourisme-thierache.fr

Saveurs et Terroir

• 43, rue du Général de Gaulle, 02260 La Capelle, Tel. 03 23 97 17 16

Les Copains d’Thiérache

• 24, rue Camille Desmoulins, 02120 Guise, Tel. 09 73 22 18 74, der Hofladen ist auf Facebook zu finden

Nicht verpassen

Tour Florentine

Kein Überrest einer Kirche ist die Tour Florentine nahe der Grenzübergangsstelle von Hirson. Den 45,76 m hohen, sechsstöckigen Turm erbaute der französische Architekt Gustave Umbdenstock gemeinsam mit dem Ingenieur Raoul Dautry. Beide waren bei der Compagnie des Chemins de Fer du Nord.

Sein Bau war in den Jahren 1920-1921 notwendig geworden, weil Hirson Anfang des 20. Jahrhunderts zum zweitgrößten französischen Rangierbahnhof nach Paris aufgestiegen war. Der Turm war Ausguck und Stellwerk zugleich. Obgleich aus Stahlbeton gebaut, orientiert sich seine Architektur am traditionellen Stil der Belfriede des Nordens und integriert gleichzeitig ein Dekor aus Ziegelsteinen und Keramiken im Art-déco-Stil.

Am nahen franco-belgischen Grenzübergang Hirson drehte Dany Boon seinen zweiten Erfolgsfilm aus dem Land der Scht’is: Rien à déclarer* (Nichts zu verzollen*. 2010).

Familistère de Guise

Der riesige Backsteinkomplex gilt als erster sozialer Wohnungsbau der Moderne. Jean-Baptiste André Godin, überzeugter Sozialist und Fabrikant, errichtete ihn in der Mitte des 19. Jahrhunderts in Guise, um den Arbeitern seiner Fabrik das Wohnen dicht am Arbeitsplatz zu ermöglichen. Bis in die 1960er-Jahre bestand das Genossenschaftsmodell. Heute ist der Komplex ein Museum – und sein Theater Bühne für spannende Veranstaltungen.
• Cité Familistère, 02120 Guise, Tel.  03 23 61 35 36www.familistere.com

Festival de musique ancienne et baroque

Alljährlich im Juni in der Abtei von Saint-Michel.
• Abbaye de Saint-Michel-en-Thiérache,  BP 18, 02830 Saint-Michel, Tel. 03 23 58 23 74, www.festival-saint-michel.fr

Ducales de Guise

Am ersten Wochenende im August feiert die Burg von Guise alle zwei Jahre vier Tage lang ihr Mittelalterfest.
• Château Fort de Guise, Allée Maurice Duton, 02120 Guise, Tel. 03 23 61 11 76, www.chateaudeguise.fr

Hier könnt ihr schlafen*

 

Weiterlesen

Im Blog

Alle Beiträge aus dem Département Aisne vereint diese Kategorie.

Im Buch

Klaus Simon, Hilke Maunder Secret Citys Frankreich*

Gemeinsam mit meinem geschätzten Kollegen Klaus Simon stelle ich in diesem Band 60 Orte in Frankreich vor, die echte Perlen abseits des touristischen Mainstreams sind. Le Malzieu in der Lozère, Langogne im Massif Central, aber auch Dax, das den meisten wohl nur als Kurort bekannt ist.

Mit dabei sind auch Senlis, eine filmreife Stadt im Norden von Frankreich, und viele andere tolle Destinationen. Frankreich für Kenner  – und Neugierige!

Lasst euch zu neuen Entdeckungen inspirieren… oder träumt euch dorthin beim Blättern im Sessel oder am Kamin. Wer mag, kann das Lesebuch mit schönen Bildern hier* bestellen.

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2 Kommentare

  1. Hallo Hilke, das hört sich sehr interessant an und ist sicher wieder ein lohnenswertes Ziel. Empfehlen möchte ich, die Rundtour in Belgien in Boullion zu starten. Das liegt direkt bei Charleville-Mézière an der belgischen Grenzseite und ist wirklich ein sehr sehenswertes Städtchen, mit einer Burg oberhalb der Stadt auf einem Bergrücken entlang des Flüsschens Semios. Einen Abend in einem Restaurant mit Moulle et Frites an der Uferpromende und Übernachtung im Hotel de la Poste kann ich wirklich empfehlen. So kann es morgens ausgeruht losgehen.
    Viele Grüße
    Heinz Bruns

    1. Lieber Heinz, danke für diesen Tipp – das werde ich beim nächsten Pendeln beherzigen! Viele Grüße! Hilke

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